„Nazi-Verblendung“: Zulässiges Strafschärfungskriterium beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 22.04.2023
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht4|3447 Aufrufe

Darf eine „Nazi-Verblendung“ bei einem Täter, dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vorgeworden wird, strafschärfend in die Strafzumessung einfließen? Mit dieser Frage sah sich der 6. Strafsenat des BGH im Wege der Revision eines nicht vorbestraften Angeklagten konfrontiert.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen verschiedener Betäubungsmitteldelikte sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dabei berücksichtigte es in der Strafzumessung, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt“, was deutlich mache, dass dieser „nicht nur im vorliegenden strafrechtlichen Kontext, sondern in komplexer Hinsicht dazu disponiert ist, sich über Normen hinwegzusetzen, die ein zivilisiertes Zusammenleben ermöglichen sollen; dies ist strafzumessungserheblich und hat sich zu seinen Lasten ausgewirkt“. Diesen Schluss zog das Landgericht aus zahlreichen Gegenständen, die im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung neben den zum Handel bestimmten Betäubungsmitteln sichergestellt werden konnten, einem Buch mit der Aufschrift ‚Adolf Hitler‘ und auf einem Mobiltelefon gespeicherten Bilddateien mit Hakenkreuzsymbolen sowie weiteren auch antisemitischen Inhalten. Strafrechtlich relevante Vorwürfe ergaben sich insoweit jedoch nicht.

Mit diesen Strafzumessungserwägungen war der 6. Strafsenat nicht einverstanden und hob das Urteil im Strafausspruch mit folgender Begründung auf (BGH Beschl. v. 7.2.2023 – 6 StR 9/23, BeckRS 2023, 5238):

Diese straferschwerende Bewertung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Grundlage der Strafzumessung sind die Bedeutung der Tat für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der in ihr zutage tretenden persönlichen Schuld des Angeklagten (vgl. BGH, Urteile vom 30. September 1952 – 2 StR 675/51, BGHSt 3, 179, 180; vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 4. August 1965 – 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266; Beschluss vom 20. Juni 2017 − 4 StR 575/16, NStZ 2017, 577). Zwar kann auch die Gesinnung des Täters bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 2 StGB). Dies gilt aber nur, wenn diese aus der Tat spricht, mit ihr also in einem inneren Zusammenhang steht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 1979 – 4 StR 606/78, NJW 1979, 1835; LK/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 88). Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen – um eine strafschärfende Bewertung zu eröffnen – mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 26. Juli 1983 – 1 StR 447/83, StV 1984, 21).

Nichts anderes gilt für die mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441) in § 46 Abs. 2 StGB näher benannten rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Zwar sollte die Bedeutung dieser Umstände für die gerichtliche Strafzumessung durch ihre gesetzliche Erwähnung stärker hervorgehoben werden und die Aufgabe des Strafrechts widerspiegeln, insbesondere zu Zwecken der positiven Generalprävention, für das Gemeinwesen grundlegende Wertungen zu dokumentieren und zu bekräftigen (vgl. BT-Drucks. 18/3007, S. 7; LK/Schneider, aaO, Rn. 77 ff. mwN; krit. – weil lediglich deklaratorischer Natur – etwa SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 96; SK-StGB/Horn/Wolters, 9. Aufl., § 46 Rn. 132). Der schon vom Schuldgrundsatz eingeforderte innere Zusammenhang zur Tat ist aber auch hier zwingend (vgl. LK/Schneider, aaO, § 46 Rn. 80; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 15c; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 99).

bb) Die deshalb notwendige tatschulderhöhende Beziehung der Gesinnung des Angeklagten zur Tat hat das Landgericht nicht dargelegt. Eine solche ergibt sich – anders als möglicherweise bei Aggressions- und Gewaltdelikten – auch nicht ohne Weiteres aus dem Tatbild des festgestellten Betäubungsmittel- bzw. Straßenverkehrsdelikts.

cc) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer – zumindest auch – insoweit auf das Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) in rechtsfehlerfreier Weise abgestellt hat.

(1) Zwar ist es zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte weitere nicht abgeurteilte Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 1981 – 3 StR 83/81, BGHSt 30, 165). Voraussetzung dafür ist aber, dass diese prozessordnungsgemäß festgestellt (vgl. Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl., Teil 4 Kapitel 14 Rn. 19; Schäfer/Sander/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 653, 666) und dadurch in ihrem wesentlichen Unwertgehalt abzuschätzen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, Rn. 22; Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 259/14, NStZ 2015, 450).

(2) Ob und mit welchem Ergebnis das Landgericht die sichergestellten Gegenstände strafrechtlich bewertet hat, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Auch in ihrer Gesamtschau belegen diese nicht, dass der Angeklagte damit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zum Zwecke des Verbreitens (§ 86 StGB) vorrätig hielt (vgl. im Einzelnen MüKo-StGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86 Rn. 32 mwN).

(3) Vielmehr steht die Wertung, der Angeklagte weise eine „komplexe Disposition“ zum Normbruch auf, in einem durch das Landgericht nicht aufgelösten Widerspruch zu seinem bisher straffreien Vorleben (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1979 – 4 StR 517/79, JR 1980, 335).

 

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4 Kommentare

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Echter Nazi kann der Angeklagte kaum gewesen sein. Ein Ley soff zwar - Alkohol. Stramme SS-Männer vielleicht auch -  gelegentlich. Aber  ein SS-Mann oder gar Offizier nahm doch keine "Betäubungsmittel"!

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