Plädoyer für die Abschaffung von § 166 StGB - Charlie Hebdo und die Folgen
von , veröffentlicht am 18.01.2015Es war damit zu rechnen: Nach den entsetzlichen Anschlägen u.a. auf die Redakteure von Charlie Hebdo wird der Ruf laut, § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) abzuschaffen. Grüne und Liberale fordern das, die christlichen Parteien argumentieren "naturgemäß" dagegen. Zu den Krikern und mit weiteren Belegen
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/charlie-hebdo-paragraph166...
Ein Urteil in die eine oder andere Richtung fällt schwer. Doch ein Blick hinter die Vorschrift spricht Bände: 14 Verurteilungen im Jahre 2004 (seitdem gibt es keine Zahlen mehr), davon die meisten in Bayern und Baden-Württemberg.
Siehe dazu ausführlich http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/035/1603579.pdf
Und auch der Wortlaut sorgt für Rätsel. Für die, die die Vorschrift nicht mehr im Blick haben, hier § 166 Abs. 1:
"Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Hier ist alles unkonturiert. Die Anwendbarkeit des Schriftenbegriffs auf Internetpublikationen ist seit Jahren schwierig. Was "der Inhalt des Bekenntnisses" sein soll, bleibt im vagen. Über den öffentlichen Frieden wollen wir erst gar nicht reden. Was schützt der Staat hier eigentlich? Doch nicht die Religion, sondern nur die öffentliche Ruhe, was immer das sein mag. In dieser Hinsicht liest sich die Vorschrift wie die Aufforderung zum religiös motivierten Krawall. Und gegenüber der grundgesetzlich geschützten Kunst- oder Pressefreiheit tritt diese Strafvorschrift ohnehin regelmäßig zurück.
Also losgelöst von alten "Glaubenskriegen" rund um § 166 StGB: Eine solch symbolische Strafvorschrift gehört m.E. abgeschafft - was ja nicht heißt, dass Religionsgemeinschaften nicht andere Rechtsmittel gegen Exzesse nutzen können und dürfen sollten.
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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12 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenSchönherr kommentiert am Permanenter Link
Ich emfehle folgenden Text
http://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/2008/20084Steinke_S_451.pdf
Name kommentiert am Permanenter Link
Höchste Zeit, dass Atheisten, Agnostiker und Konfessionslose ebenfalls klagen, um den Schwachsinn dieser Vorschrift zu verdeutlichen. Auch das sind schützenswerte weltanschauliche Bekenntnisse.
Was Mixa damals abgesondert hat, reicht auf jeden Fall für eine Verurteilung: man stelle sich vor, ein Atheist würde öffentlich und prominent äußern, die Unmenschlichkeit des praktizierten Katholizismus sei in vergangenen Jahrhunderten durch den Völkermord an süd- und mittelamerikanischen Ureinwohnern und durch die Hexenverbrennungen bewiesen worden.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/osterpredigt-bischof-mixa-si...
RA Fuschi kommentiert am Permanenter Link
Dem kann man sich nur anschließen. Gläubige mögen es nicht schätzen, wenn man ihre Wahnvorstellungen ihre Religion verunglimpft, aber es ist nicht Aufgabe des Staates, solche Meinungsäußerungen strafrechtlich zu verfolgen.
MT kommentiert am Permanenter Link
Ich hatte mich gefragt, warum § 166 StGB in neuerer Zeit nicht von einem der Gerichte dem BVerfG zur Überprüfung vorgelegt wurde. Das scheint unzulässig zu sein, weil es sich um vorkonstitutionelles Recht handelt, BVerfG, 11.02.1969 - 1 BvL 3/69. Das würde aber doch bedeuten, dass jedes Gericht die Kompetenz hat, § 166 StGB für verfassungswidrig zu erklären - oder übersehe ich da etwas?
OG kommentiert am Permanenter Link
@MT
Eine Vorlage an das BVerfG ist nur zulässig, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist. Eine Vorlage, um mal die Meinung des BVerfG abzufragen, ist nicht zulässig. Das heißt, es gibt einen Gleichlauf der Kriterien für eine Vorlage und für eine Nichtanwendung bei etwaiger eigenen Verwerfungskompetenz.
Eine eigene Verwerfungskompetenz der Strafgerichte gibt es im übrigen hier nicht, da § 166 StGB zum 1. September 1969 (also nach der zitierten Entscheidung BVerfG https://dejure.org/1969,571) grundlegend neugefaßt wurde. Vorher hatte sie diesen Wortlaut (http://lexetius.com/StGB/166,5):
Jetzt (https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html):
Die dritte Variante des § 166 a.F. (das "Pussy-Riot-Vergehen", wenn man so will) ist heute in § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/167.html) geregelt.
MT kommentiert am Permanenter Link
Vielen Dank. Ich hatte gelesen, dass die Änderung 1969 erfolgt ist, wusste aber nicht sicher, ob die BVerfG Entscheidung zur Fassung davor oder danach ergangen ist.
Dass "nur mal Meinung des BVerfG anfragen" nicht geht, ist klar. Ich hätte mich insoweit klarer ausdrücken können.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Über den Sinn und Unsinn dieser Norm hatten wir schon im September 2012 eine Diskussion geführt,
hier:
http://blog.beck.de/2012/09/17/kann-das-mohammed-video-verboten-werden
Laudon kommentiert am Permanenter Link
Lesenswert dazu auch Heribert Prantl zu § 166 StGB: „Je empörter die Reaktion, desto größer die Störung des Friedens, desto strafbarer die angebliche Religionsbeschimpfung. Das ist eine Aufforderung zum Faustrecht an Fanatiker.“
http://www.sueddeutsche.de/politik/bestrafung-von-gotteslaesterung-auffo...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Wenn man bedenkt, dass diese Auslegung, mit der ein Student kaum die mündliche Prüfung überstehen würde, von einem Honorarprofessor, ehemaligen Staatsanwalt und Richter stammt, müsste man eigentlich das halbe StGB abschaffen, um seinem schlimmsten Missbrauch vorzubeugen.
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Gast kommentiert am Permanenter Link
Auf dem Bundestagserver gibt es eine entprechende Petition.
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2015/_01/_08/Petition_56759.mitzeichnen.html
Dr. Egon Peus kommentiert am Permanenter Link
Religion ist ein Phänomen weltweit, verschieden ausdifferenziert. Sie ist eine zutiefst innere Bindung jeweils der Menschen an die Vorstellungskomplexe, in denen sie ihre Existenz, oft über das irdische Leben hinaus eingewoben sehen. Es ist keine auf Deutschland, Europa oder Christentum beschränkte Vorstellung und Wahrnehmung, dass sich religiös gebunden oder eingebettet empfindende Menschen dies als besonders werthaften Teil ihres auch gesellschafts- und drittbezogenen Lebens bewerten. Nach unserer freiheitlichen Konzeption dürfen sie das, auch sich mit Symbolen äußerlich und Dritten wahrnehmbar so organisieren. Niemand ist gezwungen, dem anzuhangen. Aber warum er mutwillig dies hämisch und bösartig schlecht machen können sollte, leuchtet nicht ein. Ähnlich sollten wir aufmerksam wahrnehmen, dass es Menschen und Kulturen gibt, die in einer für die sich "aufgeklärt" dünkende Sore kaum vorstellbaren Weise der eigenen Familie Ehre beimisst und sie verteidigt. Es mag ja sein, dass gewisse Typ_*/Innen des zeitgeistigen Progressismus Familie nicht und Ehre nicht haben. Auch sie verdient Schutz vor Bösartigkeit NIchtdazugehöriger. Dann gibt es noch die NICHT-Personen. Die Religion, Familie, Ehre nicht haben. Das sind besonders die, die aus dem geballten Nichts ihrer Kümmerlichkeit heraus letztlich nur mit Neid auf die blicken, denen solche Bindungen zuteil sind und sie als werthaften Teil ihres Lebens ansehen und wertschätzen. Diese Nullitäten des eigenen Nichts verdienen dafür keinen Schutz, sondern massive Abwehr, mit ihrem Nichts bösartig auf Andere loszugehen, oder um mit Nahles zu sprechen: "eins auf die Fresse". Und zwar nicht erst oder nur dann, wenn die beleidigten Religiösen sich geballt, öffentlich oder gar mit Gewalt und Aufruhr wehren. Wir schützen die "Menschenwürde" ja auch nicht nur dann, wenn der Eingriff "geeignet ist , den öffentlichen Frieden zu stören", vgl. §§ 185 ff. StGB.