Plädoyer für die Abschaffung von § 166 StGB - Charlie Hebdo und die Folgen

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 18.01.2015

Es war damit zu rechnen: Nach den entsetzlichen Anschlägen u.a. auf die Redakteure von Charlie Hebdo wird der Ruf laut, § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen) abzuschaffen. Grüne und Liberale fordern das, die christlichen Parteien argumentieren "naturgemäß" dagegen. Zu den Krikern und mit weiteren Belegen

http://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/charlie-hebdo-paragraph166...

Ein Urteil in die eine oder andere Richtung fällt schwer. Doch ein Blick hinter die Vorschrift spricht Bände: 14 Verurteilungen im Jahre 2004 (seitdem gibt es keine Zahlen mehr), davon die meisten in Bayern und Baden-Württemberg.

Siehe dazu ausführlich http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/035/1603579.pdf

Und auch der Wortlaut sorgt für Rätsel. Für die, die die Vorschrift nicht mehr im Blick haben, hier § 166 Abs. 1:

"Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Hier ist alles unkonturiert. Die Anwendbarkeit des Schriftenbegriffs auf Internetpublikationen ist seit Jahren schwierig. Was "der Inhalt des Bekenntnisses" sein soll, bleibt im vagen. Über den öffentlichen Frieden wollen wir erst gar nicht reden. Was schützt der Staat hier eigentlich? Doch nicht die Religion, sondern nur die öffentliche Ruhe, was immer das sein mag. In dieser Hinsicht liest sich die Vorschrift wie die Aufforderung zum religiös motivierten Krawall. Und gegenüber der grundgesetzlich geschützten Kunst- oder Pressefreiheit tritt diese Strafvorschrift ohnehin regelmäßig zurück.

Also losgelöst von alten "Glaubenskriegen" rund um § 166 StGB: Eine solch symbolische Strafvorschrift gehört m.E. abgeschafft - was ja nicht heißt, dass Religionsgemeinschaften nicht andere Rechtsmittel gegen Exzesse nutzen können und dürfen sollten.

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12 Kommentare

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Höchste Zeit, dass Atheisten, Agnostiker und Konfessionslose ebenfalls klagen, um den Schwachsinn dieser Vorschrift zu verdeutlichen. Auch das sind schützenswerte weltanschauliche Bekenntnisse.

Was Mixa damals abgesondert hat, reicht auf jeden Fall für eine Verurteilung: man stelle sich vor, ein Atheist würde öffentlich und prominent äußern, die Unmenschlichkeit des praktizierten Katholizismus sei in vergangenen Jahrhunderten durch den Völkermord an süd- und mittelamerikanischen Ureinwohnern und durch die Hexenverbrennungen bewiesen worden.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/osterpredigt-bischof-mixa-si...

Dem kann man sich nur anschließen. Gläubige mögen es nicht schätzen, wenn man ihre Wahnvorstellungen ihre Religion verunglimpft, aber es ist nicht Aufgabe des Staates, solche Meinungsäußerungen strafrechtlich zu verfolgen.

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Ich hatte mich gefragt, warum § 166 StGB in neuerer Zeit nicht von einem der Gerichte dem BVerfG zur Überprüfung vorgelegt wurde. Das scheint unzulässig zu sein, weil es sich um vorkonstitutionelles Recht handelt, BVerfG, 11.02.1969 - 1 BvL 3/69. Das würde aber doch bedeuten, dass jedes Gericht die Kompetenz hat, § 166 StGB für verfassungswidrig zu erklären - oder übersehe ich da etwas?

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@MT

Eine Vorlage an das BVerfG ist nur zulässig, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist. Eine Vorlage, um mal die Meinung des BVerfG abzufragen, ist nicht zulässig. Das heißt, es gibt einen Gleichlauf der Kriterien für eine Vorlage und für eine Nichtanwendung bei etwaiger eigenen Verwerfungskompetenz.

Eine eigene Verwerfungskompetenz der Strafgerichte gibt es im übrigen hier nicht, da § 166 StGB zum 1. September 1969 (also nach der zitierten Entscheidung BVerfG https://dejure.org/1969,571) grundlegend neugefaßt wurde. Vorher hatte sie diesen Wortlaut (http://lexetius.com/StGB/166,5):

§ 166

Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgerniß gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere im Staate bestehende Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechtes oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.

Jetzt (https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html):

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die dritte Variante des § 166 a.F. (das "Pussy-Riot-Vergehen", wenn man so will) ist heute in § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/167.html) geregelt.

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OG schrieb:

@MT

Eine Vorlage an das BVerfG ist nur zulässig, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist. Eine Vorlage, um mal die Meinung des BVerfG abzufragen, ist nicht zulässig. Das heißt, es gibt einen Gleichlauf der Kriterien für eine Vorlage und für eine Nichtanwendung bei etwaiger eigenen Verwerfungskompetenz.

Eine eigene Verwerfungskompetenz der Strafgerichte gibt es im übrigen hier nicht, da § 166 StGB zum 1. September 1969 (also nach der zitierten Entscheidung BVerfG https://dejure.org/1969,571) grundlegend neugefaßt wurde. Vorher hatte sie diesen Wortlaut (http://lexetius.com/StGB/166,5):

§ 166

Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgerniß gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere im Staate bestehende Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechtes oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft.

Jetzt (https://dejure.org/gesetze/StGB/166.html):

§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Die dritte Variante des § 166 a.F. (das "Pussy-Riot-Vergehen", wenn man so will) ist heute in § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB (https://dejure.org/gesetze/StGB/167.html) geregelt.

Vielen Dank. Ich hatte gelesen, dass die Änderung 1969 erfolgt ist, wusste aber nicht sicher, ob die BVerfG Entscheidung zur Fassung davor oder danach ergangen ist.

Dass "nur mal Meinung des BVerfG anfragen" nicht geht, ist klar. Ich hätte mich insoweit klarer ausdrücken können.

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Strafakte schrieb:

Lesenswert dazu auch Heribert Prantl zu § 166 StGB: „Je empörter die Reaktion, desto größer die Störung des Friedens, desto strafbarer die angebliche Religionsbeschimpfung.

Wenn man bedenkt, dass diese Auslegung, mit der ein Student kaum die mündliche Prüfung überstehen würde, von einem Honorarprofessor, ehemaligen Staatsanwalt und Richter stammt, müsste man eigentlich das halbe StGB abschaffen, um seinem schlimmsten Missbrauch vorzubeugen.

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Gast schrieb:
müsste man eigentlich das halbe StGB abschaffen, um seinem schlimmsten Missbrauch vorzubeugen.
Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Außerhalb von § 166 wird nur die von Täter selbst hervorgerufene Störung oder Gefährdung der öffentlichen Ordnung unter Strafe gestellt. Hier wird aber die Strafbarkeit anhand der Reaktion Dritter, auf die der Täter keinen Einfluss hat, beurteilt. Das verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot und streng genommen auch gegen das Prinzip der Täterschaft. Einer verfassungsrechtlichen Überprüfung würde das wohl nicht standhalten.

Religion ist ein Phänomen weltweit, verschieden ausdifferenziert. Sie ist eine zutiefst innere Bindung jeweils der Menschen an die Vorstellungskomplexe, in denen sie ihre Existenz, oft über das irdische Leben hinaus eingewoben sehen. Es ist keine auf Deutschland, Europa oder Christentum beschränkte Vorstellung und Wahrnehmung, dass sich religiös gebunden oder eingebettet empfindende Menschen dies als besonders werthaften Teil ihres auch gesellschafts- und drittbezogenen Lebens bewerten. Nach unserer freiheitlichen Konzeption dürfen sie das, auch sich mit Symbolen äußerlich und Dritten wahrnehmbar so organisieren. Niemand ist gezwungen, dem anzuhangen. Aber warum er mutwillig dies hämisch und bösartig schlecht machen können sollte, leuchtet nicht ein. Ähnlich sollten wir aufmerksam wahrnehmen, dass es Menschen und Kulturen gibt, die in einer für die sich "aufgeklärt" dünkende Sore kaum vorstellbaren Weise der eigenen Familie Ehre beimisst und sie verteidigt. Es mag ja sein, dass gewisse Typ_*/Innen des zeitgeistigen Progressismus Familie nicht und Ehre nicht haben. Auch sie verdient Schutz vor Bösartigkeit NIchtdazugehöriger. Dann gibt es noch die NICHT-Personen. Die Religion, Familie, Ehre nicht haben. Das sind besonders die, die aus dem geballten Nichts ihrer Kümmerlichkeit heraus letztlich nur mit Neid auf die blicken, denen solche Bindungen zuteil sind und sie als werthaften Teil ihres Lebens ansehen und wertschätzen. Diese Nullitäten des eigenen Nichts verdienen dafür keinen Schutz, sondern massive Abwehr, mit ihrem Nichts bösartig auf Andere loszugehen, oder um mit Nahles zu sprechen: "eins auf die Fresse". Und zwar nicht erst oder nur dann, wenn die beleidigten Religiösen sich geballt, öffentlich oder gar mit Gewalt und Aufruhr wehren. Wir schützen die "Menschenwürde" ja auch nicht nur dann, wenn der Eingriff "geeignet ist , den öffentlichen Frieden zu stören", vgl. §§ 185 ff. StGB. 

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