Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen und Kündigungsschutz

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.12.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|12590 Aufrufe

Darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen auch dann kündigen, wenn er dadurch unter die "Pflichtquote" (§ 154 Abs. 1 SGB IX) rutscht und nur noch auf weniger als 5 % seiner Arbeitsplätze Schwerbehinderte beschäftigt?

Das BAG hat diese Frage wiederholt bejaht, zuletzt im Urteil vom 16.5.2019: Die Pflichtquote begründe lediglich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, begründe aber keine individuellen Ansprüche Einzelner (Bewerber oder Arbeitnehmer). Auch iVm. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX resultiere aus ihr keine Beschäftigungsgarantie schwerbehinderter Menschen.

Der Arbeitgeber ist durch die gesetzliche Regelung nicht gehindert, eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Entfall des Arbeitsplatzes eines schwerbehinderten Menschen führt. Die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung hängt dann bezogen auf das Beschäftigungsbedürfnis allein von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ab. Ist eine Beschäftigung auf dem bisherigen oder einem anderen freien Arbeitsplatz nicht möglich, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten.

BAG, Urt. vom 16.5.2019 - 6 AZR 329/18, NZA 2019, 1198 Rn. 36

Im konkreten Fall blieb die Aussage zum individuellen Reflex der Pflichtquote allerdings ohne Relevanz, da die Arbeitgeberin auch nach der Entlassung des Klägers die Pflichtquote noch erfüllte. Gleichwohl kommt Widerspruch von Greiner und Hagedorn: Quotenerfüllung, Beschäftigungsanspruch und (Sonder-)Kündigungsschutz könnten nicht als gänzlich hermetisch getrennte Rechtsmaterien begriffen werden. Einen relativ radikalen Ansatz sehen die Bonner Autoren darin, die Quotenunterschreitung als Rechtsverletzung ernst zu nehmen und jede Kündigung für rechtswidrig zu halten, welche zu einer Quotenunterschreitung führt oder eine sowieso gegebene Quotenunterschreitung verschlimmert. Ganz so weit wollen sie selbst indessen nicht gehen, sondern differenzieren:

Eine Diskriminierung wegen der (Schwer-)Behinderung iSd §§ 7 I, 1, 3 AGG wäre jedenfalls dann hinreichend indiziert (§ 22 AGG), wenn eine bereits sehr „kündigungsnahe“ Unternehmerentscheidung – etwa zur Leistungsverdichtung in einer Abteilung – mit der Entfernung von dem durch die Pflichtarbeitsplatzquote formulierten Inklusionsziel zusammenwirkt. In dieser spezifischen Situation spricht eine indiziell gestützte Vermutung dafür, dass das im Hinblick auf die Inklusionsverpflichtungen aus § 154 SGB IX rechtswidrig handelnde Unternehmen die Kündigung ausspricht, „um sich den Belastungen zu entziehen, welche aus den besonderen Rechten schwerbehinderter Menschen folgen“ (Rn. 44). Mit anderen Worten: Dient die Unternehmerentscheidung lediglich der Leistungsverdichtung bei eigentlich unverändert gebliebenem Arbeitsaufkommen und Beschäftigungsbedarf, liegt ein Diskriminierungsverdacht nahe, wenn zugleich die Pflichtarbeitsplatzquote unterschritten wird (sei es generell, sei es gerade durch die Kündigung). Handelt es sich hingegen um eine „kündigungsferne“ Unternehmerentscheidung – wie zum Beispiel die Schließung einer nicht profitablen Abteilung mit 1.000 Beschäftigten –, kann die Unterschreitung der Pflichtarbeitsplatzquote sicher nicht als Missbrauchsindiz gewertet werden. Auch bei einer „kündigungsnahen“ Unternehmerentscheidung sollte das Unternehmen das Missbrauchsindiz aber dadurch ausräumen können, dass es die Pflichtarbeitsplatzquote auch nach erfolgter Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers erfüllt (also zuvor ggf. sogar übererfüllt).

Greiner/Hagedorn, Der Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer zwischen Pflichtarbeitsplatzquote, Beschäftigungsanspruch und Bestandsschutz, NJW 2019, 3483 (3485 f.)

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