EuGH: Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen keinen EU-Haftbefehl ausstellen – Fällt das seit längerem in der Kritik stehende ministerielle Weisungsrecht gleichsam durch die Hintertür?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 02.06.2019
Rechtsgebiete: StrafrechtStrafverfahrensrecht89|14273 Aufrufe

Ein Europäischer Haftbefehl kann (nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl) nur von einer strikt unabhängigen „Justizbehörde“ ausgestellt werden. In den meisten Staaten der EU sind die Staatsanwaltschaften unabhängig organisiert – aber nicht in Deutschland, das das seit längerem in die Kritik geratene Weisungsrecht nach §§ 146, 147 GVG kennt. Dieses wird zwar nur in seltensten Fällen ausgeübt aber im Einzelfall doch, wie die (für mich ungerechtfertigte) Entlasssung des ehemaligen Generalbundesanwalts Harald Range im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Internetblog „Netzpolitik.org“ durch den damaligen Justizminister Heiko Maas  bestätigte.

Aber der Reihe nach:

 EuGH: Deutsche Staatsanwaltschaften sind keine „ausstellende Justizbehörde“

Nach den Urteilen des EuGH vom 27.5.2019 (Az. C-508/18, C-82/19 und C-509/18) dürfen deutsche Staatsanwaltschaften keinen Europäischen Haftbefehl (auf der Grundlage eines deutschen richterlichen Haftbefehls) ausstellen, weil sie keine hinreichende Gewähr für ihre Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive böten; sie seien der Gefahr ausgesetzt, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu sein. Hingegen biete der Generalstaatsanwalt von Litauen die Gewähr für die erforderliche Unabhängigkeit.

Der Fall

Zwei litauische und ein rumänischer Staatsangehöriger wenden sich vor irischen Gerichten gegen die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle, die von deutschen Staatsanwaltschaften und vom Generalstaatsanwalt von Litauen zur Strafverfolgung ausgestellt wurden. Ihnen liegt u.a. vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen zur Last. Die drei Beschuldigten machen geltend, die deutschen Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwalt von Litauen seien zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nicht befugt gewesen, weil sie keine „Justizbehörde“ im Sinn des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl seien. – Die irischen Gerichte haben den EuGH um die Auslegung des Rahmenbeschlusses ersucht.

Zum Hintergrund

Der Europäische Haftbefehl beruht auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten Entscheidungen ihrer Justizbehörden aufgrund gegenseitigen Vertrauens untereinander anerkennen und möglichst schnell und unkompliziert umsetzen.

In Deutschland stellt in der Regel die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage eines nationalen richterlichen Haftbefehls oder eines vollstreckbaren Strafurteils den Europäischen Haftbefehl aus.

Ist die gesuchte Person unbekannten Aufenthalts, wird der Europäische Haftbefehl in der Regel in das Schengener Informationssystem (SIS) eingestellt, damit europaweit gefahndet werden kann.

Wie geht es nun weiter?

Künftighin kann in laufenden Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft mit dem Erlass des nationalen Untersuchungshaftbefehls bereits einen Europäischer Haftbefehl mitbeantragen. Ist dies, wie bei den ca. 5.600 bestehenden Europäischen Haftbefehlen, nicht geschehen, bedarf es nunmehr, wenn das bestehende Weisungsrecht nicht reformiert oder gänzlich abgeschafft wird, einer gesetzlichen Regelung, welcher Richter den Europäischen Haftbefehl auszustellen hat: der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht, der den nationalen Haftbefehl ausgestellt hat, das erkennende Gericht oder die Strafvollstreckungskammer?

Reform des GVG

Auf der Grundlage der EuGH-Urteile hat der Deutsche Richterbund nunmehr erneut (wie nach der Entlassung des Generalbundesanwalts Range) gefordert, das ministerielle Weisungsrecht abzuschaffen.

Den Richtern garantiert Art. 97 GG die Unabhängigkeit. Dagegen sind Staatsanwälte in ihrer Amtsführung nicht frei. Sie sind Teil der Exekutive, haben Berichtspflichten zu ihren Vorgesetzten und müssen deren Weisungen folgen. Auch wenn die Politik von ihrem Weisungsrecht nur selten Gebrauch macht, schadet allein „der böse Schein einer Einflussnahme“ (wie es häufig formuliert wird) dem Ansehen der Justiz. Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Missbrauch des Weisungsrechts eine gewagte Option ist; es droht eine Strafe wegen Strafvereitelung oder Verfolgung Unschuldiger. Wie die Gerichte im Rechtszug könnte auch die Arbeit der Staatsanwaltschaft etwa durch ein eigenständiges Klageerzwingungsverfahren beim zuständigen Oberlandesgericht kontrolliert werden.

Es lohnt sich also allemal und nicht nur mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl, die Diskussion Reform des Weisungsrechts wieder aufzunehmen.

 

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89 Kommentare

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"Auch manche Richter haben gern einen großen Auftritt."

Das ist vollkommen richtig, und auch da ist das LG in Darmstadt mit seiner Schwurgerichtskammer in den HV zu nennen. Und eines seiner Urteile und die schriftliche Urteilsausfertigung sind ja auch hier Gegenstand langer Debatten gewesen. Alle Interessierte warten ja auch noch auf das Ergebnis des Wiederaufnahmeantrags.

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Richter sind doch auch Menschen mit Stärken und Schwächen und Ecken und Kanten, das macht für mich ja eine HV so interessant, weil da Unterschiede in den Persönlichkeiten der Richter so deutlich werden. Lange Urteilausfertigungen danach konnte ich bisher ja leider nur selten lesen, auch darin zeigen sich die Persönlichkeiten der Richter.

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@GR, was haben alle Ihre Beiträge mit dem Thema ("EuGH: Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen keinen EU-Haftbefehl ausstellen") zu tun? Wir sollten uns nicht in Hobby-Psychologisierereien und sonstige Lebensweisheiten verheddern oder verlieren, sondern beim interessanten juristischen Thema bleiben.

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Der jeweilige Moderator entscheidet, wie weit er Themenausweitungen bzw. Themenabschweifungen zuläßt und das akzeptiere ich auch immer, solange kein zweierlei Maß angewendet wird.

Ich habe aber ursprünglich auf Herrn Prof. Müller und andere nur geantwortet, im übrigen machen auch Profi-Psychologen und Profi-Gutachter noch genug Fehler.

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Otto Brixner könnten Sie sich aber gut als Strafverteidiger vorstellen, schätze ich. Hab ich Recht?

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"Otto Brixner könnten Sie sich aber gut als Strafverteidiger vorstellen, schätze ich. Hab ich Recht?"

Ein Jurist schrieb hier schon einmal, Juristen sind vielseitig verwendbar, Herr Kolos ......

Aus Kenntnis der Geschichte heraus muß ich da zustimmen.
 

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Bzgl. teilweise zu enger „Zusammenarbeit“ zwischen Staatsanwaltschaft und Richterschaft und den damit einhergehenden Defiziten stimme ich Prof. Müller zu (in der Praxis z. B Vernachlässigung der Verfahrensvorschriften wie Austausch des Anklagevorwurfs während der Hauptverhandlung ohne Hinweis nach § 265 StPO oder die Einstellung ohne Auflagen statt Freispruch).

 

Das bayerische Wechselmodell krankt mE ferner daran, dass es Spezialisierungen innerhalb der Justiz verhindert. Der vormalige Zivilrichter MUSS (um dauerhaft als Zivilrichter eingesetzt zu werden) ja seine Zeit als Staatsanwalt „abgesessen“ haben. Das beschert uns in Bayern dann Staatsanwälte, die oftmals nur noch rudimentäre Strafrechtskenntnisse haben (oder noch nie bessere hatten, bei 2 von 11 Klausuren…) und ihr Amt auch entsprechend ausfüllen. Der notorisch überlastetet Strafrichter, dessen Beförderungschancen nicht unmaßgeblich von seiner „Arbeitseffizienz“ abhängen ist da dann auch nicht immer das beste Korrektiv. Wechselmodell, chronisch überlastete Justiz und durchgehudelte Schnellverfahren an den Amtsgerichten in Bayern sind aus rechtsstaatlicher Sicht nicht das beste Rezept.

Gilt das denn bevorzugt in Bayern mit den "durchgehudelte[n] Schnellverfahren an den Amtsgerichten" bei "notorisch überlastetet[en] Strafrichter[n]"?

Was sagen denn Statistiken aus allen Bundesländern dazu?

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Zurück zum Thema des Beitrags von Prof. Dr. B. v. Heintschel-Heinegg:

"Es lohnt sich also allemal und nicht nur mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl, die Diskussion Reform des Weisungsrechts wieder aufzunehmen."

Offensichtlich gibt es also auch keine vernünftigen Statistiken aus den Bundesländern als Daten- und Entscheidungsgrundlage  für eine Reform des Weisungsrechts auf nationaler deutscher Ebene.

"Hingegen biete der Generalstaatsanwalt von Litauen die Gewähr für die erforderliche Unabhängigkeit."

Zunächst wäre das doch erstens zu untersuchen bzw. zu belegen, Litauen ist doch auch nicht repräsentativ für die EU.

In welchen Staaten der EU sind denn zweitens die Staatsanwaltschaften inklusive des Generalstaatsanwalts unabhängiger von der Exekutive als in Deutschland?

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Es geht hier nicht um irgendwelche (im Zweifel bekanntlich immer gefälschte) "Statistiken" und auch nicht um Rechtsvergleichung aller europäischen Staaten, sondern um die juristische Auslegung und Anwendung eines Rechtsbegriffs ("ausstellende Justizbehörde"), vgl. hier, insbes. Rdnr. 67 ff. Ein ganz wesentlicher Teil der juristischen Arbeit ist es, die wesentlichen Fragen zu erfassen, dann auf den Punkt zu bringen und nicht wie ein Apfelmännchen ad infinitum aufzudröseln.

Vom "litauischen Generalstaatsanwalt", den Herr Prof. von Heintschel-Heinegg in Bezug nimmt, lese ich übrigens nichts im Urteil. Der taucht merkwürdigerweise nur in der Pressemitteilung auf, aber nicht im Urteil. Das durchblicke ich irgendwie nicht...

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Im Schlußsatz des Urteils unter der Nr. 2 wird einer deutschen Staatsanwaltschaft doch abgesprochen, eine "ausstellende Justizbehörde" zu sein.

Die Überheblichkeit und Ignoranz des "Gast" zu Statistiken als Grundlagen für Daten und Entscheidungen kennzeichnet übrigens einen Juristen, der sich von Auslegung zu Auslegung hangelt, ohne eine übergeordnete Systematik zu zeigen.

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In Frankreich und in Österreich sind Staatsanwälte jedenfalls auch weisungsgebunden, in Polen ist der Justizminister inzwischen sogar der Generalstaatsanwalt.

Bei den größeren Flächenstaaten hat Spanien eigene Ermittlungsrichter, Italien hat unabhängige Staatsanwälte, siehe aber auch dazu:

https://www.gewaltenteilung.de/der-unabhaengige-staatsanwalt-das-italienische-modell/

Damit ergeben sich aber auch Probleme, wie "Unterwanderung durch die OK" und "Untätigkeit" und evtl. "fehlende parlamentarische Kontrolle".

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Zu den unterschiedlichen Modellen, vgl. a. hier.

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Dieser Artikel über das französische Justizsystem stammt vom 21. März 2010, ist also auch schon veraltet, der Aufsatz, den ich über das italienische Justizsystem verlinkte, stammte vom 9. Mai 2014. Das italienische Justizsystem hatte die immer noch ungeklärten Vorgänge um Ministerpräsident Aldo Moro und später dann auch einen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi jedenfalls nicht verhindern können, der sich ja immer noch als ein unschuldig verfolgtes Opfer der italienischen Justiz sieht, deren Effektivität übrigens auch damit stark bezweifelt werden kann.

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Dazu zwei weitere Artikel und Links zu Litauen:

Rechtsberufe - Litauen

Quelle:  https://e-justice.europa.eu/content_legal_professions-29-lt-maximizeMS-de.do?member=1

Korruptionsverdacht Mehrere Richter und Anwälte in Litauen festgenommen

20.02.2019, 17:57 Uhr 

In Litauen sollen Richter und Anwälte Bestechungsgelder entgegen genommen haben. Es gab zahlreiche Festnahmen wegen des Verdachts auf Korruption.

Quelle:  https://www.tagesspiegel.de/politik/korruptionsverdacht-mehrere-richter-und-anwaelte-in-litauen-festgenommen/24019324.html

Auch da sind also Zweifel am gesamten litauischen Justizsystem mit Richtern und Anwälten in puncto Unabhängigkeit nicht völlig fernliegend, der litauische  Generalstaatsanwalt scheint hier aber seine eigene Unabhängigkeit bewiesen zu haben.

Es kommt eben auch auf Personen - nicht nur auf Begriffe - an, das sei dem "Gast" mal in sein Stammbuch geschrieben.

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Zum Thema Weisungen an Staatsanwälte und Generalstaatsanwälte und starke Persönlichkeiten:

Zum früheren hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ist ja schon viel geschrieben worden, zum Teil auch schon hier in diesem Blog. Er konnte selber dann nicht mehr Prozesse gegen Oberlandesgerichtspräsidenten und Staatsanwälte - inklusive Generalstaatsanwälte - initiieren und begleiten, so wie er es gewollt hatte.

Siehe dazu auch:

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46409498.html

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/122-triumph-und-tragik-des-frit...

http://www.humanistische-union.de/nc/wir_ueber_uns/geschichte/geschichte...

Das Fritz-Bauer-Haus steht übrigens in Eberstadt, einem Stadtteil von Darmstadt.

Es kommt eben auch auf Personen - nicht nur auf Begriffe - an, das sei dem "Gast" mal in sein Stammbuch geschrieben.

Es geht hier um ein Vorlageverfahren gem. Art. 267 AEUV und nicht um einen Strafprozess. Beim EuGH kommt es gem. Art. 267 AEUV auf die "Auslegung der Verträge" an, also auf Begriffe und nicht auf Personen. Das "Stammbuch" des Juristen ist das Recht und das ist immun gegen auf Zuhörerbänken in Darmstädter Gerichtssälen rudimentär aufgeschnappte Besserwisserei, mit der man sparsam und zurückhaltend umgehen sollte. Ich äußere mich ja auch nicht als angeblicher Fachmann in aller Öffentlichkeit zu Fragen der Astronomie, nur weil ich gestern im Fernsehen den Lesch gehört habe...

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Aber zu Statistiken glaubten Sie sich "fachmännisch" so äußern zu können:

(im Zweifel bekanntlich immer gefälschte) "Statistiken"

Eine einfache Statistik über Ministerweisungen an den Generalstaatsanwalt in jedem Bundesland der BRD ist für den "Gast" demnach also  völlig ohne Bedeutung.

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"Das "Stammbuch" des Juristen ist das Recht ....."

Das "Recht" ist ja immer so eindeutig und klar, daß es niemals Zweifel über Anwendung und Auslegung gibt, auch nicht im Wandel der Zeiten ....

Wollte der "Gast" hier eigentlich eine Märchenstunde abhalten?

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Die Auslegung eines Vertrags durch einen europäischen Gerichtshof ist auch von seinen Personen abhängig.

Oder bestreitet das der "Gast"?

Juristen erinnern mich immer an Theologen, die das auslegen, was andere ihnen vorlegen oder vorgelegt haben.

Mal ist es ein Gott bei den Theologen, dessen Willen sie zu galuben kennen, bei den Juristen ist es ein Gesetzgeber oder es sind vertragsschließende Parteien, auch da wird oft gerätselt, was der Gesetzgeber eigentlich gewollt hatte, oder wie ein Text zu verstehen ist.

Besten Gruß

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Damit der "Gast" aber nicht wieder rätseln muß, korrigiere ich wie folgt im letzten Absatz:

..... dessen Willen sie zu kennen glauben ....

Weiter ergänze ich: Was an der notwendigen Abstimmung innerhalb der deutschen Justiz in der föderalen BRD schon nicht richtig klappt bei der Bekämpfung der Kriminalität, die Bundesländer-übergreifend agiert, siehe Anis Amri, das klappt innerhalb der EU noch weniger, wenn die dann auch noch Staaten-übergreifend agiert!

Und nun warte ich wieder auf den "Gast".

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Um es für den "Gast" aber nicht allzu einfach zu machen, wie erklärt er denn sein eigenes Zitat:

Vom "litauischen Generalstaatsanwalt", den Herr Prof. von Heintschel-Heinegg in Bezug nimmt, lese ich übrigens nichts im Urteil. Der taucht merkwürdigerweise nur in der Pressemitteilung auf, aber nicht im Urteil. Das durchblicke ich irgendwie nicht...

Liegt es an Begriffen oder an Personen, daß der "Gast" das nicht durchblickte?

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Der "Gast" muss sich doch nur noch mit den Unterlagen und Vorverfahren für das Urteil und mit den Schriftsätzen der Beteiligten beschäftigen, um Durchblick zu erhalten.

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Noch eine kurze Überlegung zur Unabhängigkeit von Staatsanwälten:

Bedenken gegen Unabhängigkeit eines Richters kann die Prozesspartei im Wege des Ablehnungsantrags wegen Besorgnis der Befangenheit geltend machen. Es ist zwar nicht viel, was mit Erfolg in der Regel wird vorgetragen werden können. Nicht alle Eingriffe des Dienstherrn und der Justizverwaltung gegen die richterliche Unabhängigkeit des gesetzlichen Richters im konkreten Fall und, falls bekannt, werden mit dem Befangenheitsantrag abgedeckt werden können, schätze ich. Hier steht aber - wenn wohl nur theoretisch - noch die Möglichkeit, die Unabhängigkeit des Richters im Wege der Verfassungsbeschwerde vom BVerfG überprüfen zu lassen. Der gesetzliche Richter muss unabhängig sein, andernfalls kann er nicht der gesetzliche Richter sein.

Nichts dagegen steht zur Verfügung, wenn Bedenken gegen die Unabhängigkeit des Staatsanwalts geltend gemacht werden wollten, sollte die Unabhängigkeit denn auch eingeführt werden. Einen Ablehnungsantrag gegen einen ermittelnden Staatsanwalt gibt es nicht. Auch die gesetzliche Einführung eines solchen Antrags dürfte schwierig sein. Denn das Ermittlungsverfahren sollte sich nur schwierig dafür eignen. Nicht selten weiß der Betroffene - aus guten Gründen - nichts von den laufenden Ermittlungen gegen ihn. Und nicht selten muss sein Verteidiger lange warten, dass ihm Akteneinsicht gewährt wird. Und was sollte dann überhaupt die rechtliche Folge sein, wenn sich hinterher herausstellen sollte, dass gegen die eingeführte Unabhängigkeit des Staatsanwalts verstoßen sei oder Besorgnis der Befangenheit bestünde? Einen gesetzlichen Staatsanwalt (nach dem Vorbild des gesetzlichen Richters) gibt es nicht. Von einem Verfassungsverstoß kann dann also keine Rede sein.

Für den Beschuldigten oder den Nebenkläger ändert eine Einführung der Unabhängigkeit
von Staatsanwälten nichts zu seinem Vorteil. Dagegen fiele die Kontrolle des Staatsanwalts im Wege der Fachaufsicht weg und - mit dem Argument von Professor Müller - die politische Verantwortlichkeit für das Treiben eines übereifrigen Staatsanwalts, aber auch für seine (regelmäßige) Untätigkeit vor allem in ganz bestimmten Verfahren (z.B. in Wiederaufnahmeverfahren).

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Natürlich merken Sie, worauf ich im Endeffekt rauswill: Die StA ist nach der geltenden Rechtslage schlicht und ergreifend eine Behörde wie jede andere. An dieser Feststellung ändert sich auch dadurch nichts, dass das eine Bundesland von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht und das andere Bundesland von vornherein erklärt, von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen. Auf Anhieb kann ich noch nicht so recht erkennen, welcher Vorteil darin liegen soll, de lege ferenda diese klare Grenzziehung zwischen der Behörde StA einerseits und dem Gericht (AG, LG) andererseits verwischen zu wollen. Und noch eine Anmerkung: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Verbot eines "fliegenden Wechsels" zwischen StA und Gericht irgend etwas daran ändern würde, dass die einen Justizangehörigen Korpsgeist entwickeln und die anderen nicht. Es wäre naiv anzunehmen, dass man damit eine bestehende "Kultur" quasi über Nacht verändern könnte.    

Eine Kultur prägen auch markante Richter oder Hochschullehrer als Mentoren.

Dazu zitiere ich mal mit einer Passage aus SPON den Vorsitzenden Richter am LG V. Wagner aus Darmstadt:

Richter Wagner ist ein Mann klarer Worte. Er gehört zu den Vorsitzenden, die das Urteil ihrer Kammer in freier Rede vortragen, die die Angeklagten direkt ansprechen. "Das Gericht erhebt sich mit dem Urteil über die Angeklagten - daher muss man sie nicht noch erniedrigen", habe er als junger Richter von seinem Mentor gelernt, sagt Wagner. Doch in diesem Fall scheint es ihn Mühe zu kosten, den Rat zu beherzigen.

Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/urteil-gegen-aerztepaar-in-moerlenbach-toedlicher-deal-a-1273283.html

Ein lange bei ihm Beisitzender Richter liess dann später bei einer HV deutlich in der Verhandlungsführung erkennen, bei der er dann selber den Vorsitz hatte, wer sein eigener Mentor war: V. Wagner, der auch mal mit ironischen Bemerkungen gegenüber Staatsanwälten, Gutachtern und Verteidigern zu erkennen gibt, wer der "Chef im Ring" in einer HV ist.

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Was reden Sie nur für einen himmelschreienden Unsinn!

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Sie kennen die Verhandlungen in Darmstadt selber?

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Und wissen Sie auch, dass "Mentor" viele Bedeutungen hat?

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Dem "Gast" empfehle ich mal eine Suchmaschine damit zu füttern: Selbstdarsteller in Robe

Ergebnis:

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Selbstdarsteller in Robe - Main-Echo https://www.main-echo.de › Überregional › Politik08.02.2018 - Das Amt des Richters ist immer verknüpft mit seiner Persönlichkeit, schließlich ist er oder sie auch nur ein Mensch. Doch wie sich der ...--------------------------------------------Cum grano salis ......

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Die LTO-Presseschau:

EuGH zu EU-Haftbefehl: Nach einer am gestrigen Mittwoch in einem Eilverfahren ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs können auch Staatsanwaltschaften, die Anordnungen oder Einzelweisungen der Exekutive unterliegen, unabhängig genug sein, um EU-Haftbefehle auszustellen. Maßgeblich ist, ob der Haftbefehl von einem Gericht bewilligt wird, das in Kenntnis der gesamten Sachlage eine eigene, unabhängige und objektive Entscheidung trifft, die dem Haftbefehl seine endgültige Form gibt. Die österreichische Staatsanwaltschaft, die Anlass des Verfahrens war, ist demnach hinreichend unabhängig. Über das Urteil berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de (Pia Lorenz).

Einen markanten Fall abhängiger Staatsanwaltschaften (in den USA) schildert heute die FAZ. Staatsanwälte hatten beantragt, einen Mitarbeiter Trumps wegen seiner Verwicklung in die "Russland-Affäre" mit bis zu neun Jahren zu bestrafen, die Trump dann öffentlich als "Schurken-Staatsanwälte" beschimpfte, worauf diese "sich aus dem Fall zurückzogen". Dann hat sich das Justizministerium für eine mildere Strafe ausgesprochen, woraufhin der neue Staatsanwalt nur noch drei bis vier Jahre Haft beantragte, also die Hälfte. Das Trump'sche Amerika hat wahrlich nur noch den äußeren Anschein eines Rechtsstaats! Vgl. zu diesem Vorgang übrigens auch die Presseschau der heutigen LTO.

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Danke für den Hinweis. Die LTO-Presseschau schreibt:

USA – Trump-Berater: Die vier mit dem Fall um den Trump-Berater Roger Stone befassten Staatsanwälte kündigten nun aus Protest gegen die Einmischung Trumps an, den Fall niederzulegen, so u.a. die FAZ (Majid Sattar) und SZ (Christian Zaschke). Trump hatte ein niedrigeres Strafmaß gefordert, Justizminister Barr hob daraufhin die Forderung der Staatsanwälte auf. In einem Kommentar kritisiert Carsten Luther (zeit.de), dass dieser Vorgang Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen lasse. 

Die FAZ berichtet heute, dass der US-Justizminister Barr in einem Interview Trump für seine Einmischung in Justizangelegenheiten öffentlich gerüffelt hat, und zwar, ohne dass Barr bisher von Trump zurückgerüffelt worden wäre:

„Ich denke, es ist an der Zeit, damit aufzuhören, Strafverfahren des Justizministeriums auf Twitter zu kommentieren“, sagte Barr. Und: Derlei Äußerungen über das Ministerium, die Ministerialbeamten, laufende Verfahren und über Richter „machen es mir unmöglich, meine Arbeit zu tun und den Gerichten und Staatsanwälten und dem Ministerium zu versichern, dass ich meine Arbeit mit Integrität ausübe“. Auf die Frage, ob er sich dessen bewusst sei, dass der Präsident Kritik gemeinhin nicht schätze, hob der Justizminister hervor: „Ich werde mich von niemandem herumkommandieren oder beeinflussen lassen“ - nicht vom Kongress, nicht von Zeitungen und auch nicht vom Präsidenten.

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Die LTO-Presseschau:

Justiz und Weisungsrecht: Der Deutsche Richterbund fordert nach Meldung von LTO die Abschaffung des Weisungsrechts von Landesjustizministern gegenüber Staatsanwälten. Allein der böse Anschein, dass die Minister Ermittlungen in die eine oder andere Richtung lenken könnten, beschädige das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Strafjustiz. Hintergrund ist die Kritik der Europäischen Kommission an der deutschen Rechtslage. 

Konsequent wäre dann wohl auch Weisungsfreiheit der Polizei, die ja auch ermittelt - oder eben nicht ermittelt. Für NRW und Hessen eine interessante Erwägung!

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Mir hat es nie eingeleuchtet, warum der Deutsche Richterbund auch Staatsanwälte organisiert. Man sollte auch da klare Grenzen ziehen. Es sind mit Sicherheit nicht die Richter, sondern die Staatsanwälte, im Deutschen Richterbund die die Abschaffung des Weisungsrechts, bzw. die "Unabhängigkeit", für Staatsanwälte fordern.

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