OLG Hamm: 91 km/h statt zulässiger 60 km/h >>> Vorsatz

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.02.2020
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht5|3684 Aufrufe

Der Vorsatz bei Geschwindigkeitsverstößen ist ein Klassiker des OWi-Rechts. Das OLG Hamm musste sich mit einer Entscheidung des AG Schwerte befassen, in der das AG Vorsatz annahm. Offenbar war die 60er-Beschilderung wegen einer deutlich erkennbaren Baustelle eingerichtet:

 

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen – hier nicht gegebener – Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 u. 2 OWiG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).

 

Zusatz:

Zur Begründung nimmt  der Senat zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Hamm in ihrer dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger bekannt gegebenen Stellungnahme vom 15.11.2019.

Vor dem Hintergrund des Ausmaßes der festgestellten Geschwindigkeit von mindestens 91 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h – und das auch noch vor einer „großräumig im Vorfeld ausgeschilderten Baustelle“ - hätte allerdings eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes nahe gelegen, was nach § 3 Abs. 4a BKatV grundsätzlich bereits eine Verdoppelung des Regelsatzes zur Folge gehabt hätte.

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handelt vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und bewusst dagegen verstoßen hat. Dabei drängt sich insbesondere bei grober Überschreitung der einzuhaltenden Höchstgeschwindigkeit die Annahme einer vorsätzlichen Begehung auf (BGH NJW 1997, 3252). Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Es ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschlüsse vom 13.05.2019, Az. III-2 RBs 81/19; 14.03.2019, Az. III-2 RBs 16/19; 17.05.2018, Az. III–2 RBs 73/18;  01.08.2017, Az. III-2 RBs 123/17; und vom 12.01.2017, Az. III-2 RBs 224/16; OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2016, Az. III - 4 RBs 91/16; KG Berlin, Beschluss vom 25.03.2015, Az. 3 Ws (B) 19/15).

So verhält es sich auch hier, da der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nach den Urteilsfeststellungen um nicht weniger als 51 % überschritten hat.

Allerdings ist der Betroffene durch die – ohne jede Begründung vorgenommene - Annahme der fahrlässigen Begehungsweise in dem angefochtenen Urteil nicht beschwert.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 28.11.2019 lag dem Senat bei Beschlussfassung vor, rechtfertigt aber keine abweichende Entscheidung.

OLG Hamm, Beschl. v. 5.12.2019 - 2 RBs 267/19

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5 Kommentare

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Ich fürchte, das AG hat gerade keinen Vorsatz angenommen, und genau das hat den OLG nicht gepasst. Da die Rechtsbeschwerde aber nicht von der StA kam, konnte der Senat nichts ändern, sondern nur drauf hinweisen.

Die 40% werden auch einfach einprägen müssen. Will man drüber noch Fahrlässigkeit annehmen, muss man das begründen.

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In der Sache mag das OLG Recht haben. Aber für diesen Fall hatte das ja keine Bedeutung. Das ist mindestens nahe dran am berühmt- berüchtigten obiter dictum, welches Richter möglichst sparsam verwenden sollten. Sollte es wirklich keinen einzigen Fall beim OLG geben, wo man diese weisen Sätze in eine Entscheidung einbauen kann, wo sie die Entscheidung auf tragen?
 

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Doch, es gibt eine Menge Fälle, und das ist ständige Rechtsprechung des OLG. Und genau deshalb auch dieser Hinweis: Aufgabe des OLG ist es, für eine einheitliche Rechtsordnung zu sorgen. Und auf diese Weise wird das AG nochmals aus die ständige Rechtsprechung hingewiesen.

Das OLG stellt damit die Weichen für eine etwaige Zulassung der Rechtsbeschwerde in einem späteren, vergleichbaren Fall, weil dann jedenfalls das Argument, es sei davon auszugehen, dass das Gericht in künftigen Fällen anders entscheiden würde, wegfällt.

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Und warum hat dann nur der Kläger das Urteil angegriffen? Das wäre für die Staatsanwaltschaft, die einen Überblick über die ständige Rechtsprechung des OLG haben sollte, doch ein Heimspiel gewesen.

Ferner: wenn das OLG in ständiger Rechtsprechung so urteilt, warum wird dann gerade so ein eher schwacher Beschluss, den die Welt dann ja wirklich nicht braucht, öffentlich? Ich bezweifele übrigens auch, dass die Richter des AG darauf hingewiesen werden müssen, wenn es ständige Rechtsprechung ist, zumal sie die Begründung vermutlich nicht lesen werden, wenn der Fall vom OLG wie dieser hier endgültig - und lt. Tenor in ihrem Sinne - entschieden wurde. Oder haben die Richter im OLG-Bezirk Hamm zu viel Zeit? Das ein OLG zu einem Thema, das überhaupt nicht aufgerufen ist, nicht Stellung nimmt ist übrigens kein Anlass, sich später auf diese Nichtäußerung zu berufen, zumal eine solche Entscheidung mit einigen Promille Wahrscheinlichkeit öffentlich wird. Entsprechenden Vortrag der Betroffenen können die Richter der AG ggf. mit einem Satz zur Seite schieben.

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Ich bin selbst Richter im dortigen Bezirk. Es ist ständige Rechtsprechung, ob Sie es glauben, oder nicht. Sie finden hier bei BeckOnline auch diverse veröffentlichte Entscheidungen dazu.

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