Die Triage-Empfehlung beim Bundesverfassungsgericht

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 23.07.2020
Rechtsgebiete: Weitere ThemenCoronaMedizinrecht18|7616 Aufrufe

Mit einer Verfassungsbeschwerde (1 BvR 1541/20) machen neun Personen mit Behinderungen, die Triage-Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zum Gegenstand einer Überprüfung. Schon früh in der Corona-Krise haben 7 medizinische Fachgesellschaften eine Handreichung verfasst.  Dabei handelt es sich um Leitlinien, die Orientierung geben sollen, wer bei knappsten Ressourcen intensivmedizinisch behandelt werden soll und wer nicht. Vor Augen hatten die Fachgesellschaften die Situation in den italienischen Krankenhäusern. Dort standen für Covid-19 Patienten weder ausreichend Intensivbetten noch Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das Stichwort Triage beschreibt dabei die Herausforderung für die Ärzte, bei echter Knappheit eine Verteilungsentscheidung zwischen den Patienten zu treffen. Die Fachgesellschaften gaben den Ärzten die Empfehlung, nach den klinischen Erfolgsaussichten zu entscheiden. Die Triage-Situation blieb den Ärzten in Deutschland bisher erspart.

Unterstützt werden die Kläger durch die Initiative AbilityWatch. Die Initiative befürchtet, dass durch die  Empfehlungen die Gefahr, einer „medizinischen Aussortierung“ droht.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich nicht direkt gegen die Empfehlungen der Fachgesellschaften, da es sich dabei um eine reine Empfehlung an Ärzte handelt. Deshalb wenden sich die Kläger mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers. Sie halten eine Lösung, die Menschen mit Behinderungen in einer derartigen Situation benachteiligen könnte, nicht für verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber dürfe nicht einer privaten Fachgesellschaft die Entscheidung überlassen, wer bei Überlastung der Krankenhäuser priorisiert wird, ist die Auffassung von AbilityWatch. Hier müsse der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht den betroffenen Bürgern gegenüber nachkommen und durch verfassungsrechtlich nachprüfbare Prinzipien regeln, wie im Fall einer Triage zu entscheiden sei.

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung

Die Problematik erfordert komplexe medizinische, ethische und rechtliche Überlegungen.

Das Ringen um ethische Orientierung ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Ursächlich hierfür ist, dass fundamentale Fragen des Menschseins berührt werden. Die Medizin kann nur sagen, ob die Anwendung eines Arzneimittels bei einem Patienten „sinnvoll“ ist. Beim Vergleich von Patienten und bei der Abwägung von Zielkonflikten ist die Medizin auf ethische und rechtliche Vorgaben angewiesen. Eine Rechtsnorm, die das Problem der Zuteilung knapper medizinischer Güter im Pandemiefall regelt, sucht man vergebens.

Der Deutsche Ethikrat hat in einer Ad-hoc-Stellungnahme auf die Triage-Empfehlung der Fachgesellschaften mitgeteilt: „Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten, und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist.“

Zuteilungsentscheidungen aufgrund knapper medizinischer Ressourcen haben eine hohe Bedeutung für die Allgemeinheit und weisen eine hohe Grundrechtsrelevanz auf. Nach der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts wäre eine Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber notwendig. Dabei kann nicht „die“ gerechte oder „richtige“ Zuteilung von Medikamenten und intensivmedizinischen Ressourcen im Pandemiefall bestimmt werden.

Ziel der Rechtsordnung ist es, ein Optimum an Rechtsgüterschutz zu erreichen. Bei kollidierenden Grundrechten verschiedener Bürger ist jedem Grundrecht zu möglichst weitreichender Geltung zu verhelfen. Wenn in einer Situation nicht alle Interessen geschützt werden können, wie es im Pandemiefall mit knappen Ressourcen passieren kann, ist dieser maximale Rechtsgüterschutz nur zu erreichen, wenn knappe medizinische Güter so eingesetzt werden, dass so viele Leben wie möglich gerettet werden können.

Der Gesetzgeber ist hier gefordert, grundlegende Entscheidungen selbst zu treffen. Die Regelungsverantwortung kann er nicht auf Patienten, Ärzte oder Richter abwälzen.

Zu den Triage-Kriterien siehe auch den Blog-Beitrag:https://community.beck.de/2020/03/26/corona-ethik-wer-darf-weiterleben.

 

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18 Kommentare

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Ziel der Rechtsordnung ist es, ein Optimum an Rechtsgüterschutz zu erreichen. Bei kollidierenden Grundrechten verschiedener Bürger ist jedem Grundrecht zu möglichst weitreichender Geltung zu verhelfen. Wenn in einer Situation nicht alle Interessen geschützt werden können, wie es im Pandemiefall mit knappen Ressourcen passieren kann, ist dieser maximale Rechtsgüterschutz nur zu erreichen, wenn knappe medizinische Güter so eingesetzt werden, dass so viele Leben wie möglich gerettet werden können.

Mit Verlaub, genau diese Formulierung ist absolut menschenverachtend, das von Ihnen genannte Ziel muss mit allen rechtlichen Mitteln bekämpft werden und Menschen bzw. Mediziner und Fachgesellschaften, die diese Ziele vertreten, auch!

Eine Triage ist sicher sinnvoll und indiziert bei schweren Massenunfällen. Bei begrenzten Möglichkeiten muss es Ziel sein, soviele Menschenleben wie möglich zu retten. Kriterien sind dann der Grad der Verletzung: Schwerstverletzte (ohne Chancen auf Überleben) und Leichtverletzte werden aussortiert, die Behandlung der Helfer konzentriert sich auf die mittelschwer Verletzten. Das ist begründbar, denn es hatte ja jeder die Chance, zu den mittelschwer Verletzten zu gehören. Auch dürfen dabei etwaige Vorerkrankungen und auch Alter keine Rolle spielen, es zählt nur die Verletzung. Dann wird ein körperlich Behinderter, ein verletzter Diabetiker, ein alter Mensch genauso behandelt wie jeder andere auch. Das Alter spielt bei schweren Unfällen zunächst auch keine ganz so große Rolle.

Bei Corona haben nun diese medizinischen Fachgesellschaften frei nach altem Nazi-Gedankengut das ohnehin Kranke und Schwache und Gebrechliche aussortieren wollen (anders als bei der normalen Triage). Das geht so nicht. Natürlich werden möglicherweise die Starken, Jungen, Gesunden mehr von ärztlicher Hilfe profitieren und dann Corona häufiger und besser überleben, aber deshalb kann man eine 80-jährige Patientin mit Corona nicht aussortieren. Hier darf es gerade KEINE Triage geben! Jedenfalls nicht in der Form, dass Vorerkrankungen, Gebrechlichkeit, Behinderung, Alter irgendeine Rolle spielen. Genau das wollten die Fachgesellschaften aber bei ihrer Auswahl berücksichtigen. Die junge, gesunde Mutter wäre also ins Krankenhaus gekommen und man hätte statt dessen einer 80-jährigen gebrechlichen, schwachen Frau die Beatmung abgeklemmt oder aber (wahrscheinlicher) der alten Frau erst gar keinen Beatmungsplatz zugewiesen, weil diese ohnehin kaum eine Chance habe und der Beatmungsplatz freigehalten werden müsse für die junge gesunde Mutter, die vermutlich bald kommen wird.

Exakt hier muss der Gesetzgeber eingreifen und diese Selektion von Leben verhindern. Es kann nicht sein, dass unter dem Alibi-Deckmäntelchen "möglichst viele Leben retten" die Alten, Kranken, Behinderten, Gebrechlichen von den Ärzten aussortiert werden.

Das sage ich übrigens als Leitender Arzt eines großen Krankenhauses.

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Ihre Kritik ist aber starker Tobak ("absolut menschenverachtend"?!). Gerade weil die Abwägung so schwierig ist, muss doch der Gesetzgeber "ran." Gerade unter dem Krankenhausstress, den Sie aus dem ff kennen müssen, bedarf es klarer Vorgaben. Warum kritisieren Sie Ihre Kollegen ("Alibi-Deckmäntelchen")? Die haben es schon schwer genug in diesen Grenzsituationen. Wer sagt denn das, was Sie so einfacht daher schreiben?

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Ich habe das natürlich sehr harsch und überspitzt formuliert, jedoch ganz im Sinne der nunmehr eingereichten Klage. Darum geht es nämlich.

Die Vorgabe ist doch klar, nämlich unsere Verfassung: jedes Leben ist gleich viel wert. Leben darf nicht gegeneinander abgewogen werden. Deshalb darf es eine Triage eigentlich nur bei Unfällen in der Notfallmedizin geben. Da zählt dann allein die Schwere der Verletzungen. Bei Krankheiten, Seuchen, Pandemien hat die Triage nichts zu suchen. Hier hat jeder Mensch einen Anspruch auf Behandlung. Es geht bei Krankheiten auch nicht um Minuten oder Stunden. Die Ablehnung einer intensivmedizinischen Behandlung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn diese ganz offenkundig sinnlos ist. Die Vorhersage, dass ein Mensch wegen seiner Covid-19 Erkrankung selbst mit Intensivmedizin keine Chancen hat, dürfte aber im Regelfall fast unmöglich sein.

Menschen auszusortieren, ist nur bei Unfallszenarien zulässig, wenn sie aufgrund ihrer schwersten Verletzungen (und nicht ihres Alters oder ihrer Begleiterkrankungen!) so gut wie keine Überlebenschance haben. Bei Krankheiten ist aber eine Triage absolut unethisch und nicht zu vertreten. Kritik wird lauter, und kommt nicht nur vom Ethikrat oder von ärztlicher Seite.

Wenn Sie mich nun fragen, wie man dann vorgehen soll: Die Menschen so behandeln, wie sie kommen. Wenn dann irgendwann ein Krankenhaus überfüllt ist, dann mit Hubschrauber oder speziellen Rettungswagen in umliegende Krankenhäuser verlegen. Wenn ein Bundesland voll ist, dann ins nächste. Und wenn Deutschland voll ist, dann auch ins europäische Ausland (wie es die Franzosen punktuell gemacht haben). Die Verlegung kostet natürlich. Mag sein, dass dann irgendwann Schluss ist, weil auch Europa voll ist. Aber das ist ein anderes Problem, auf das ich nachfolgend kurz eingehe:

Der Staat hat jahrelang am Gesundheitsgewesen gespart und dieses sogar auf Profit ausgerichtet (privatisiert, Aktionäre verdienen an Krankenhäusern!). Wirtschaftsberater haben den Kliniken geraten, keine Vorratshaltung zu betreiben. Es gab deshalb in Deutschland kaum Schutzkleidung, kaum Masken, auch keine Reserven an Beatmungsgeräten, auch kaum Reserven an Intensivbetten. Im Gegenteil: Beinahe wären tausende Betten in "unnötigen" Krankenhäusern wegrationalisiert worden, hätten sich die Unternehmensberater und Wirtschaftswissenschaftler durchgesetzt. Geiz ist geil.

Der Staat muss gezwungen werden, sich von dieser Sparmentalität im Gesundheitswesen zu verabschieden. Wir brauchen Reserven, wenn es um die Volksgesundheit geht. Große Reserven an Material, auch an Reservekrankenhäusern und Reservegeräten. Der Unterhalt kostet natürlich, auch wenn diese zwischenzeitlich eingemottet sind, so wie auch der Unterhalt von Reserven an Panzern viel Geld kostet.

Ich gebe das Geld aber lieber für erstgenannten Zweck aus, weil häufigere Pandemien in nächster Zeit sehr wahrscheinlich sind, die Notwendigkeit von Vorräten an Panzern aber sehr gering. Wenn man nur begrenzte Ressourcen hat, dann muss man Prioritäten setzen, richtig. Aber die Prioritäten dürfen nicht gesetzt werden bei der Auswahl der Menschen, die überleben dürfen. Die Prioritäten müssen weitsichtiger vorher gesetzt werden. Es muss abgewogen werden zwischen Panzern oder Beatmungsgeräten, die in Reserve vorrätig gehalten werden und von Steuergeldern bezahlt werden. Hier müssen vom Staat Weichen gestellt werden. Sofern man als Lösung auf Triage setzt und diese für zulässig erklärt, besteht für den Staat kein Handlungsbedarf. Ich hoffe, das Bundesverfassungsgericht widerspricht hier und erklärt eine Triage im Falle von Krankheiten für unzulässig und nimmt den Staat in die Pflicht. Die Privatisierung des Gesundheitswesens und die damit verbundene Profitorientierung war ein Fehler. Krankenschwestern müssen besser bezahlt werden, es muss Geld investiert werden in Vorratshaltung (von Reservebetten, Reservemedikamenten, Reserveschutzkleidung und Reservebeatmungsgeräten). Und menschenverachtende Triage darf keine Alternative sein, um mit solchen Situationen umzugehen. Ich hoffe, Sie verstehen, warum ich in diesem Zusammenhang mit Triage das Wort "menschenverachtend" bewusst gewählt habe. Die Klage begrüße ich sehr.

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Eine Auswahl der Patienten darf es nicht geben. Punkt. Es kann nicht sein, dass Behinderte, Patienten mit erblichen Lungenkrankheiten, Alte wegen schlechterer Chancen aussortiert werden. Jedes Leben ist gleich viel wert. Jeder hat Anspruch auf Behandlung und wird aufgenommen, wenn erforderlich. Wenn das Krankenhaus irgendwann voll ist, muss verlegt werden, notfalls auch ins Ausland. Wenn auch dort kein Platz mehr frei ist, dann werden die Patienten von den Politikern daheim gepflegt, die für den Abbau von Ressourcen im Gesundheitswesen verantwortlich sind.

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Sehr geehrter Herr Würdinger,

Dieser Link ist in diesem Zusammenhang völliger medizinischer Schwachsinn. Er beschreibt die evidenzbasierte Ersteinschätzung in der Notaufnahme unter der Annahme unbegrenzter (jedenfalls ausreichender) Resourcen und sollte eigentlich nicht als "Triage" bezeichnet werden. "Ersteinschätzung" ist dafür im deutschsprachigen Raum üblicher und auch wesentlich besser, weil er nicht zu Verwechslungen mit der hier zur Diskussion stehenden Aussortierung von Menschen in die Gruppe der nicht mehr Behandelbaren führt. 

Mit zunehmender Resourcenknappheit wird diese Gruppe der Nicht-Mehr-Behandelbaren natürgemäß immer größer, da im Zweifel nur der Anspruch auf Behandlung hat, der vermutlich am meisten profitiert. Ältere und Multimorbide (auch durch Behinderung bedingt!) gehören nicht dazu. Sie kommen in die palliative Gruppe.

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Ich habe lediglich, ohne damit eine eigene Wertung vornehmen zu wollen, den unten (in dem nachfolgenden Kommentar) angegebenen Link so wiedergegeben, dass man beim Draufklicken sofort an das gewünschte Ziel kommt. 

Selbst Wikipedia ist da besser: https://de.wikipedia.org/wiki/Sichtungskategorie

Man beachte die Kategorie T4, IV: "ohne Überlebenschance". Insbesondere bei knappen Ressourcen werden Multimorbide, Alte und Behinderte vorzugsweise in diese Kategorie kommen!

Die Einteilung von Patienten in Sichtungskategorien ist das Ergebnis der Sichtung (auch Triage genannt) bei einem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten.

Diese Kategorisierung ermöglicht die Planung und den gezielten Einsatz der notfallmedizinischen Ressourcen, die zur Bewältigung des Einsatzes notwendig sind. Damit werden zum Beispiel Rettungsmittel angefordert, nachfolgende Einsatzkräfte schnell eingewiesen und die Versorgung (z. B. innerhalb eines Behandlungsplatzes) strukturiert.

Die Einteilung in Sichtungskategorien berücksichtigt neben der Verletzung/Erkrankung auch die Ressourcen, die zur Behandlung zur Verfügung stehen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Scoring-Systemen für die medizinische Klassifikationen/Prognosen von Verletzungen oder Erkrankungen, die eher auf den individuellen Bedarf eines Patienten zugeschnitten sind.

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Triage ist etwas völlig anderes als das was hier beschrieben oder befürchtet wird. Es geht eben nicht um die Entscheidung, Patienten nicht zu behandeln. Es wird entschieden, wann ein Patient behandelt wird. Die beste Quelle ist das Fachbuch: "Emergency Triage 3rd edition, Manchester Triage Group, ISBN-13: 978-1118299067.  Einen ersten Eindruck verschafft dieses Diagramm: https://www.klinikum-westfalen.de/Inhalt/Kliniken_Zentren_Bereiche_Kooperationen/Funktionsabteilungen/Dortmund/ZNA/Manchester_Triage_System_MTS.php

Das System hat sich millionenfach bewährt und erhöht signifikant das Überleben und Genesen aller Patienten. Alle Patienten werden gesichtet und kategorisiert nach möglichen Wartezeiten. Personen mit Atemstillstand, Herzstillstand, Schock, kebensgefährlichen Blutungen müssen sofort behandelt werden weil sie ansonsten versterben. Personen mit leichten Verletzungen z.B. Schürfwunde können durchaus stundenlang warten ohne jede Einschränkung der Heilung. Das System dient also der optimalen Nutzung der Ressourcen. Deswegen wird das Manchester Triage System inzwischen in jeder Notaufnahme und bei Katastrophen angewandt. Ein besonders großer unerwarteter Anstrom bei Patienten führt also nicht dazu, dass Patienten nicht behandelt werden, sondern dass Patienten mit leichteren und weniger dringenden Verletzungen später behandelt werden. Bei Katastrophen mit sehr vielen Verletzten wird umgehend MANV-Alarm ausgelöst (Massenanfall von Verletzten) und erst lokal, danach auf Kreisebene, danach auf Landesebene und danach auf Bundesebene weitere Kräfte angefordert, bis Personal und Material zur Versorgung aller Verletzten ausreicht.

Triage heißt: Wer sofort medizinische Hilfe braucht, wird auch sofort behandelt. Genau dafür braucht es die Sichtung. Leichtverletzte können sich lautstark bemerkbar machen, Personen mit Atemstillstand/ Schock/ Herzstillstand nicht. Die Sichtung dient dazu, die Patienten zu identifizieren, die dringendst und sofort Hilfe benötigen. Ein Verzicht auf Triage führt fast sicher zum Tod aller Schwerverletzten, die mit Triage gerettet werden können. Triage führt nicht zur schlechteren Behandlung weniger verletzter Personen. Alles andere hat mit dem bewährten Manchester Triage System nichts zu tun.

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Wie Frau Hermes völlig zutreffend in der Einleitung schrieb, geht es hier um etwas völlig anderes: "Das Stichwort Triage beschreibt dabei die Herausforderung für die Ärzte, bei echter Knappheit eine Verteilungsentscheidung zwischen den Patienten zu treffen. Die Fachgesellschaften gaben den Ärzten die Empfehlung, nach den klinischen Erfolgsaussichten zu entscheiden. Die Triage-Situation blieb den Ärzten in Deutschland bisher erspart".

Sie schreiben hingegen: "Triage heißt: Wer sofort medizinische Hilfe braucht, wird auch sofort behandelt."

Wäre es so, so hätte kein Behindertenverband eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. 

Gerade in Zusammenhang mit einem Massenanfall von Erkrankten und begrenzten Ressourcen (! z.B. Beatmungsgeräten wie in Italien!) kommt es selbstverständlich zu einer Aussortierung von Patienten, die man allenfalls noch palliativ behandelt.

Im normalen Betrieb einer Notaufnahme wird tatsächlich jeder nach Dringlichkeit behandelt. Gerade diesen normalen Betrieb einer Notaufnahme gibt es aber in Fällen von Massenerkrankungen an Covid-19 nicht. Deshalb wird, wie in einer wirklichen "Kriegs-Triage", eine Gruppe "Sterbender" hinzugefügt, die insgesamt so schlechte Behandlungschancen hat (aufgrund der Schwere der Erkrankung in Kombination mit anderen Risikofaktoren und Vorerkrankungen), die dann tatsächlich nicht mehr behandelt wird bzw. nur noch palliativ (Sedierung mit Opiaten zur Linderung der Todesangst bei Ersticken u.a.m.). Und je mehr Erkrankte um wenige Beatmungsgeräte konkurrieren, desto mehr Menschen müssen eben in die Gruppe der "Nichtbehandelbaren" aussortiert werden. Hier wird dann nur noch Sterbebegleitung gemacht, wie in Italien.

Die Behinderten haben nun - meiner Ansicht nach völlig zu Recht - Angst, aufgrund ihrer Vorerkankungen und Begleiterkrankungen keine ausreichende Behandlung zu erhalten (insbesondere Intensivbetten und Beatmungsplätze), da sie im Vergleich zu anderen weit geringere Überlebenschancen haben und es eben nur begrenzte Ressourcen gibt, die nicht für alle reichen.

Das von Ihnen verlinkte Diagramm zeigt nur den Normalbetrieb einer Notaufnahme und hat mit dem Thema hier nichts zu tun.

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Meinen Sie wirklich, das Bundesverfassungsgericht hätte sich dieser Sache angenommen, wenn wirklich niemand aussortiert werden soll? Sie schreiben Unsinn, wenn Sie diese Ersteinschätzung im Normalbetrieb einer Notaufnahme gleichsetzen mit der hier zur Diskussion stehenden Triage.

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Die LTO-Presseschau:

BVerfG zur Corona-Triage: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag abgelehnt, mit dem die Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung der Behandlungsentscheidung im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage erzwungen werden sollte. Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, heißt es, wie Sa-FAZ (Marlene Grunert) und LTO melden. Sie werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche. Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Eilverfahren aber nicht möglich sei.

Die LTO-Presseschau:

BVerG zur Corona-Triage: Nun schreiben auch der Habilitant Alexander Brade und Maxi Müller im JuWissBlog über den vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten Eilantrag zur Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung der Behandlungsentscheidung im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage. Die Autoren hoffen nun, dass sich das Bundesverfassungsgericht spätestens in der ausstehenden Hauptsacheentscheidung der existenziellen Fragen annehmen wird. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sei dazu aufgerufen, Rechtssicherheit für Patienten, Angehörige und nicht zuletzt für Ärzte zu schaffen.

Die LTO-Presseschau:

BVerG zur Corona-Triage: Nun schreiben auch der Habilitant Alexander Brade und Maxi Müller im JuWissBlog über den vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten Eilantrag zur Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung der Behandlungsentscheidung im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage. Die Autoren hoffen nun, dass sich das Bundesverfassungsgericht spätestens in der ausstehenden Hauptsacheentscheidung der existenziellen Fragen annehmen wird. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sei dazu aufgerufen, Rechtssicherheit für Patienten, Angehörige und nicht zuletzt für Ärzte zu schaffen.

Die LTO-Presseschau:

Triage: Wie LTO (Pia Lorenz) berichtet, hat sich am Mittwoch das Who-is-Who der deutschen Strafrechtslehre getroffen, um über das Problem der Triage im Gesundheitssektor zu diskutieren. Es wurde zum Beispiel diskutiert, ob das Lebensalter ein entscheidendes Kriterium darstellen könne, wenn ein Arzt auswählen müsse, ob er einem alten oder einem jungen Patienten das Leben rette. 

Die LTO-Presseschau:

BVerfG – Triage: Das Bundesverfassungsgericht befasst sich derzeit mit der Frage, ob der Gesetzgeber verpflichtet ist, Regelungen zu medizinischen Priorisierungsentscheidungen bei der Behandlung von Corona-Patienten zu erlassen. Wie die FAZ (Marlene Grunert) berichtet, klagten mehrere zur Corona-Risikogruppe gehörende Menschen auf Erlass solcher Regelungen, da sie befürchten im Falle knapper medizinischer Ressourcen schlechter behandelt zu werden als weniger gefährdete Patienten.

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