Neues Urteil zur Mietzahlungspflicht trotz Corona-bedingter Schließung einer Verkaufsstätte
von , veröffentlicht am 21.10.2020Nach dem Landgericht Heidelberg (s. dazu diesen Blogbeitrag mit Nachweisen zum Literaturstand) hat sich nunmehr auch das LG Frankfurt a.M. mit der Frage befasst, ob der Mieter eines Einzelhandelsgeschäfts von der Verpflichtung zur Mietzahlung befreit wird, wenn infolge der Corona-Pandemie eine behördliche Anordnung ergeht, wonach die Verkaufsstätte des Mieters geschlossen werden muss (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 2.10.2020 - 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613). Im Anschluss an das LG Heidelberg kommt auch das LG Frankfurt zu dem Ergebnis, dass weder ein Fall der Unmöglichkeit noch ein Mietmangel vorliege, und lehnt auch eine Reduktion der Mietzahlungspflicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ab.
Der amtliche Leitsatz des Gerichts lautet:
Die staatlich verordnete Schließung der Verkaufsstätte wegen COVID-19 ist weder ein Mietmangel, noch Teil der Unmöglichkeit. Solange der Mieter das Risiko trägt, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können, führen befristete Schließungen nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Gegenstand des Mietvertrags war die Überlassung von Geschäftsräumen zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Die Mieterin betrieb darin ein entsprechendes Einzelhandelsgeschäft. Die Beklagte verzeichnete unternehmensweit gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzrückgang um 54% und im April 2020 einen solchen von 41%. Die Schließung der Filialien führte zu einer erheblichen Liquiditätslücke, so dass ihr die Mietzinszahlung im April 2020 nicht möglich war.
Unter Berufung auf die "Rauchverbot"-Rechtsprechung des BGH lehnte das LG einen Mietmangel ab, weil die Schließungsanordnung nicht mit der Beschaffenheit oder Lage des Mietobjekts im Zusammenhang standen, sondern allein die Geschäftstätigkeit des Mieters betroffen war, die in dessen Risikobereich falle (Verwendungsrisiko). Aus dem gleichen Grund sei die Erfüllung der vertraglichen Leistungspflicht des Vermieters auch nicht vorübergehend unmöglich geworden.
Anders als das LG Heidelberg befand sich in dem streitgegenständlichen Mietvertrag allerdings keine Klausel, wonach die Miethöhe Umsatz abhängig sein sollte; hierauf hatte das LG Heidelberg seine Annahme gestützt, der Mieter habe das Risiko von Einnahmeausfällen vertraglich übernommen und könne sich daher nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Stattdessen steht das LG Frankfurt ausschließlich darauf ab, dass die vorübergehende Schließung der Verkaufsstätte des Mieters während ca. fünf Wochen keine existenzgefährdenden Auswirkungen hatte und daher das Festhalten am Vertrag für den Mieter zumutbar erscheinen ließ. Bereits die allgemeine Zuweisung des Verwendungsrisikos an den Mieter - auch ohne besondere vertragliche Abrede - genüge als vorrangige gesetzliche Risikozuweisung, die eine Berufung auf eine Vertragsanpassung § 313 BGB nur noch im extremen Ausnahmefall existenziell bedeutsamer Folgen für den Mieter zulasse.
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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6 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenDr. Michael Selk kommentiert am Permanenter Link
Danke - das entspricht hinsichtlich der Frage, ob § 536 BGB greift, der wohl momentan h.M. in Rechtsprechung und Literatur. Mich überzeugt diese jedenfalls dann, wenn wie hier im Vertrag der Zweck genannt wird, nach wie vor nicht. Das Abgrenzungskriterium "Beschaffenheit und Lage" ist zu unbestimmt, um derartige Weichen wirklich stellen zu können. Selbst aus der "Rauchverbotsentscheidung" des XII. ZS lassen sich wie auch in der Kommentierung von Günter/Guhlig Formulierungen entnehmen, die einen anderen Schluss zulassen. Noch weniger überzeugend finde ich zudem, dann nicht einmal § 313 BGB auszugehen - hier tendieren zahlreiche Stimmen zu einer 50:50 Quote, m.E. ebenfalls zu Recht.
Prof. Dr. Thomas Riehm kommentiert am Permanenter Link
Ich finde auch, dass das Gericht es sich bei § 313 BGB zu leicht gemacht hat. M.E. dürfte in vielen Fällen das Pandemierisiko außerhalb des klassischen Verwendungsrisikos liegen, das der Gläubiger jeder Sachleistung trägt (dazu näher Riehm/Thomas Jura 2020, 1046 ff.).
Prof. Dr. Thomas Riehm kommentiert am Permanenter Link
Aktueller Nachtrag: Im gleichen Sinne hat auch das LG Zweibrücken entschieden, s. Urt. v. 11.9.2020 - HK O 17/20, COVuR 2020, 693 = BeckRS 2020, 24356
So langsam darf man wohl auf der Ebene der Landgerichte von einer gefestigten Rechtsprechung sprechen...
Dr. Michael Selk kommentiert am Permanenter Link
Danke, die kannte ich auch noch nicht. Die Begründung allerdings ist etwas... "holprig".:-)
alfons peus kommentiert am Permanenter Link
Vor längerem wurde auf beck blog etwa ausgeführt:
Dr. Egon Peus kommentiert am Do, 2020-04-02 18:04 PERMANENTER LINK
Das Schlagwort "Umweltmangel" hilft mE wenig. "Umwelteinwirkung" schon eher, § 906 BGB, § 22 BImschG. Eben als Einwirkung "auf das Grundstück". Erneut eben wieder objektbezogen. Jenseits aller coronisierten Fragen käme es darf an, inStreit über die Rekevan oder Hinahmebsürftigkeit solcer Enwirkungenin einem Rechtsstreit gleichermaßen einerseits Verursacher, andererseits Eigentümer, dritterseits beschwerdeführenden Mieter einzubeziehen. Entweder haben beide, Eigentümer wie auch Mieter, es hinzunehmen, oder können sich dagegen wehren.
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Dr. Egon Peus kommentiert am Fr, 2020-03-27 20:40 PERMANENTER LINK
Ich bezweifele, dass Minderung angezeigt wäre. Das Verbot ist nicht objektbezogen. Was ist bei vermieteten Kfz, wenn etwa eine Oberbürgermeistersonderfahrspur gesperrt ist , man da aber, weil nicht OB, nicht fahren darf?
Auf letztere Frage wurde NIE geantwortet.
Dr. Egon Peus kommentiert am Sa, 2020-03-28 22:21 PERMANENTER LINK
Sonntagsfahrverbote wie 1973 - zeitanteilige Minderung bei Mietwagen?
Jemand bezog sich auf Drygala. Dazu:
Dr. Egon Peus kommentiert am Mo, 2020-03-30 16:45 PERMANENTER LINK
Nun, bei allem Respektvor dem Lutter-Schüler Drygala: Könnte es nicht sein, dass Art. 1104 ABGB sach- und gegenstandsbezogene Defizite aufgreift, die einer "Wiederherstellung" fähig und ggf. bedürftig sind? Nur dies könnte Anlass für die Rechtsfolge der ersten Variante sein. Art. 1104 ABGB: "Wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Mißwachses gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist der Bestandgeber zur Wiederherstellung nicht verpflichtet, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten." Gesetzliche oder behördliche Verbote sind auch keine "Zufälle".
Dr. Egon Peus kommentiert am Mo, 2020-04-06 00:28 PERMANENTER LINK
Darin steckt Überzeugendes. Objektbezogenheit erweist sich im Eigentumsrecht, etwa Baurecht: ein Eigentpmer hat ein Recht darauf, dass sein Grundstück erschlossen ist, also Zugang im Rahmen öffentlichen Gemeingebrauchs hat. Wird er genommen, so iiegt Enteignung vor. § 906 BGB und immissionsschutzrechtliche Abwehrrechte gegenüber Immissionen belegen auch Objektbezug. - Wer mit der Relevanz von "Umweltwirkungen" bzw, behördlichen Verboten weiter gehen will, möge meine obige Frage nach allgemeinen Fahrverboten wie 1973 und Kfz-Vermietung beantworten.
Prof. Dr. Thomas Riehm kommentiert am Permanenter Link
Und noch ein Nachtrag: In der gleichen Richtung urteilte auch das LG Mannheim, Urt. v. 9.7.2020 - 23 O 22/20, GE 2020, 230 (LSK 2020, 26351).