Hasskommentare auf Plattformen – AGBs und Grundrechte I

von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M., veröffentlicht am 21.12.2020

Das OLG Hamm (29 U 6/2020) hat im Zusammenhang mit der Löschung eines Hasskommentars und der Sperrung eines User-Accounts zahlreichen interessante Aussagen gemacht.

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2020/29_U_6_20_Beschluss_20200915.html

Eine Internetplattform in Europa (Beklagter) hatte wegen eines als Hasskommentar eingestuften geteilten Beitrags, den der Kläger mit einem „wütendem Emoji“ kommentierte, den Beitrag gelöscht und das Nutzer-Konto des Klägers für eigene Beiträge und Postings für 6 Tage gesperrt. Den ursprünglichen und später aktualisierten Nutzungsbedingungen hatte der Kläger zugestimmt.

Einbeziehung aktualisierter Nutzungsbedingungen:  

Lt. OLG Hamm sind die Anforderungen von § 305 II BGB bereits erfüllt, (Rdn. 148 ff.):

„wenn der Vertragspartner nach einem solchen Hinweis und der Möglichkeit der Kenntnisnahme das Vertragsverhältnis fortsetzt, ohne gegen die neuen Bedingungen Widerspruch zu erheben (Palandt/Grüneberg, BGB 79. Aufl. 2020, § 305, Rn. 47).“

Im Fall hatte der Kläger sogar seine ausdrückliche Zustimmung zu einer von der Beklagten am 19.04.2018 per Email und Pop-up-Fenster mitgeteilten und zugänglich gemachten Neufassung ihrer Nutzungsbedingungen erklärt.

Und „Soweit der Kläger - mit Blick auf den Wirkungsmechanismus der Zustimmungsfiktion in Ziffer 13 der Altbedingungen - darauf abhebt, dass ihm als Kunden der Beklagten gar keine Option geboten worden sei, sich gegen die Neufassung der Nutzungsbedingungen auszusprechen, weil dann sein Konto gelöscht worden wäre, nimmt dies der von ihm erklärten Zustimmung nicht ihre Wirksamkeit.“

Nutzungsbedingungen, die sich gegen Hasskommentare richten als überraschende Klauseln? (Rdn. 153 ff.)

„Unwirksam sind danach nur Klauseln, die nach den Gesamtumständen des Vertrages als objektiv ungewöhnlich einzuordnen und nach den Erkenntnismöglichkeiten eines Durchschnittskunden nicht zu erwarten sind (Palandt/Grüneberg, BGB 79. Aufl. 2020, § 305 c, Rn. 3, 4). Die von der Beklagten aufgestellten Verhaltensregeln und Sanktionsmöglichkeiten waren hier aber vom Standpunkt eines Durchschnittskunden ohne Weiteres zu erwarten.“, denn:

  • Die Problematik von Hassreden war schon lange Gegenstand umfangreicher und in den Medien breit dargestellter Diskussionen (u.A. wegen Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes)
  • Vergleichbare Nutzungsbedingungen sind seit Jahren auch bei anderen Social-Media-Plattformen gang und gäbe.  

Unangemessene Benachteiligung wegen marktbeherrschende Stellung des Beklagten im Hinblick auf die Meinungsfreiheit des Klägers? (Rdn. 171 ff.)

„Diese Marktmacht [des Beklagten] ist nicht gleichbedeutend mit der echten Monopolstellung von staatlich geführten oder beherrschten Unternehmen der öffentlichen Daseinsfürsorge wie etwa vormals der Post oder Telekommunikationsunternehmen.“ und „Anders als die vom Kläger in den Blick genommenen Unternehmen ist die Beklagte nicht staatlich beherrscht und hat im Hinblick auf die von ihr angebotenen Leistungen auch keine echte Monopolstellung, die sie aus dem Aspekt der Daseinsvorsorge dazu verpflichten könnte, ihre Leistungen möglichst uneingeschränkt zu gewähren. Die öffentliche Meinungsäußerung findet vielmehr nicht allein über die von der Beklagten bereitgestellte Plattform statt, sondern über eine Vielzahl an öffentlichen und privaten Medien, die neben der Beklagten auch im Internet einem allgemeinen Kreis von Nutzern zur Verfügung stehen.“

Grundrechte als objektive Werteordnung auch im Zivilrecht – welche Grundrechte sind in Einklang zu bringen [praktische Konkordanz]? (Rdn. 174 ff.):

  • Meinungsfreiheit des Klägers
  • Eigentumsgarantie (sog. Virtuelles Hausrecht) und Berufsfreiheit der Beklagten

(Zur Grundrechtsberechtigung des Beklagten – ausländische Gesellschaft mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, Rdn. 180)  

„Die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG können für die Beklagte auch betroffen sein, wenn Inhalte auf ihrer Plattform verbreitet werden, die zwar nicht strafbar sind, aber ihrem Geschäftsmodell zuwiderlaufen.“ … „Insbesondere mindern digital verbreitete Hasskommentare die Attraktivität der betroffenen Plattformen sowohl für Nutzer als auch für werbetreibende Unternehmen. So läuft die Beklagte aufgrund der allgemein bekannten aktuellen Boykottmaßnahmen namhafter deutscher und internationaler Konzerne effektiv Gefahr, wichtige Werbekunden zu verlieren, wenn sie gegen Hasskommentare auf ihrer Plattform nicht wirksam vorgeht.“ (Rdn. 181)

„Denn zur Berufsfreiheit gehört neben der von staatlichen Vorgaben und zivilrechtlichen Inanspruchnahmen Dritter freien Geschäftstätigkeit auch die freie Entscheidung über Art und Ausmaß der beruflichen Betätigung, was für den Betreiber auch umfasst selbst zu entscheiden, welche Werbekunden er halten und gewinnen möchte. Die Nutzung und Bereitstellung der für den Betrieb von G notwendigen Soft- und Hardware unterfällt zudem dem Schutz der Eigentumsgarantie, welche dem Inhaber vermögenswerter Rechte grundsätzlich die alleinige Verfügungsmacht über diese Rechte gewährt. Der grundrechtliche Schutz dieses sog. „virtuellen Hausrechts“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig anerkannt (vgl. OLG Stuttgart aaO, Rn. 73; OLG Karlsruhe aaO, Rn. 55).“ (Rdn. 182)

Verhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit? (Rdn. 184 ff.)

Das bejaht das OLG Hamm, da sich die Nutzungsbedingungen an der Schwere des jeweiligen Verstoßes (also Inhalts des Hasskommentars) ausrichten (Rdn. 204).

Verantwortung des Nutzers für Inhalte, die er „nur geteilt…“ hat?

Das OLG lässt diese Art der Schutzbehauptungen nicht zu (Rdn. 199 f.):

„Mit dem Teilen des Beitrags auf seinem G-Profil hat der Kläger sich diesen zu eigen gemacht und ist somit von der Beklagten zu Recht dafür zu Verantwortung gezogen worden.“

„Dies ergibt sich schon daraus, dass auf dem Konto des Klägers nicht allein der Link zu dem Beitrag zu sehen war, sondern ausweislich des mit der Klage übersandten Screenshots … auch die Überschrift mit dem ersten Satz des Artikels, der nach dem Vorstehenden bereits als Hassrede einzuordnen ist. Der Kläger hat auf seinem Konto in diesem Zusammenhang nicht erklärt, wie er selbst zu dem Beitrag steht, insbesondere, ob er sich davon distanziert bzw. über die vom Blog … verbreiteten Inhalte Aufklärung leisten oder für solcherart Kommentare im Netz sensibilisieren wollte. Stattdessen hat der Kläger den Beitrag mit einem sog. „wütenden“ Emoji versehen, der nach den Gesamtumständen für ein verständiges Publikum ersichtlich nicht anders zu deuten war, als dass der Kläger die im Beitrag zur Schau getragene Empörung über Muslime und Migranten teilte.“

 

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5 Kommentare

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Dem Urteil ist zuzustimmen. Die Vertragsfreiheit iVm AGB-Kontrolle regelt das selbst. Zulässig wären auch Uploadfilter. NetzDG mit geplanten, erheblichen Verschärfungen demgegenüber ineffizient und unverhältnismäßig. S. zum Ganzen: https://community.beck.de/2019/07/30/anonymitaet-klarnamenpflicht-und-me...

Hallo Frau Kaufhold,

danke für den Kommentar und Ihren instruktiven Blogbeitrag. Das Thema ist bei den Gerichten gerade hoch im Kurs. Siehe meinen nächsten Blogbeitrag https://community.beck.de/2020/12/22/klarnamenpflicht-facebook-dsgvo-schlaegt-tmg-agbs-und-grundrechte-ii

Frohe WEihnachten!!!

Volksverhetzung sollte selbstverständlich nicht nur mit dem Strafrecht alleine bekämpft werden, sondern auch durch Löschung volksverhetzender Beiträge.

Der Begriff Volksverhetzung ist durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung relativ klar definiert.

Der Begriff "Hass" ist jedoch vergleichsweise unscharf.

Manche sich selbst als Betroffe fühlende oder manche sich als Vormünder oder Fürsprecher oder Schutz-Paten fühlende Aktivisten mancher special-interest-groups, bewerten manchmal Etwas bereits dann als Hassrede, wenn sie sich auf den Schlips getreten fühlen.

Manche andere Aktivisten bestimmter besonders engagierter Gruppen sprechen dann manchmal gleich von angeblicher "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit".

In vielen Fällen mag das wohl tatsächlich vorliegen, aber manchmal handelt es sich auch eher bloß um Überempfindlichkeiten oder gar um Versuche negativer Etikettierungen, oder gar Ausgrenzungsversuche (sogenannte "Cancel-Cultur"), oder um eigene gegen politische Gegner gerichtete Diffamierungngsversuche, oder um Einschüchterungsversuche gegen unliebsame Kritiker.

Politische Korrektheit oder eine Art Sprech-Überwachungs-Polizei können zu einer Gefahr für die Freiheit werden. In den USA ist dafür wohl etwas mehr Problembewußtsein vorhanden als hierzulande.

Allerdings können auch Aufstachelungen und Hetze zu einer Gefahr für die Freiheit werden.

Und zwar nicht nur zu einer Gefahr im Hinblick auf die Freiheit derer, gegen die sich die Aufstachelung oder Hetze unmittelbar richtet, sondern, wie die Geschichte gelehrt hat (1932 wurde in erste Linie gegen Juden und gegen Kommunisten gehetzt, aber entrechtet wurden ab 1933 dann nicht "nur" Juden und Kommunisten, sondern alle im Machtbereich der Hetzer befindlichen Menschen verloren ihre Freiheit, wenn auch in unterschiedlichem Grade), zu einer Gefahr für die Freiheit Aller.

Aufgrund der Massenmedien, und insbesondere auch aufgrund der modernen Massenmedien, ist die Gefahr, das Menschen gezielt aufgestachelt und aufgehetzt oder  werden, bzw. das Empörung geschürt wird, also mit Gefühlen statt mit Argumenten Politik gemacht wird, und das es zu irrationalen, gefühlsgesteuerten Entwicklugen kommt, wohl leider angestiegen.

Diesen Gefahren mus begegnet werden, allerdings nicht seinerseits gefühlsgesteuert, sondern vielnehr rational und sachlich und differenziert und vernünftig und mit Augenmaß.

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Mathias Bröckers schrieb jüngst zu diesen Themenbereich (im Auge hatte er dabei vor allem die jüngst in den USA zunehmende Löschung von Kommentaren und Sperrung von Accounts):

"Die verfassungsgemäße Freiheit der Rede ist freilich weiter gewährleistet: Jede/r - auch ein Präsident Trump - kann seine Meinung weiterhin frei äußern. Ob sie aber noch von irgendwem gehört wird, entscheidet Big-Tech."

(Mit "Big-Tech" meint Mathias Bröckers große Internet-Medien- und Kommunikationsunternehmen wie zum Beispiel Facebook oder Twitter).

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Agitation zum Hass, wir, wenn sie von Musikern kommt, wie etwa Bodycount oder Pablo Hasel oder Böhmermann oder Feine Sahne Fischfilet oder Skrewdriver oder Störkraft, dann meist vom Mainstream in Schutz genommen.

Wenn jeoch im Internet jemand schreibt, daß ein Politiker ein Volksvertreter sein sollte, also wie ein GmbH-Geschäftsführer oder wie ein Rechtsanwalt seinem Geschäftsherren verantwortlich sein sollte, und daß Lobbyismus eigentlich quasi Untreue oder quasi Parteiverrat gegenüber der Mandantschaft (dem Volk, bzw. der Bevölkerung seines Wahlkreises) ist, dann wird derartige Kritik vom Mainstream oft schnell als Hasskommentar bezeichnet, obwohl es dabei nicht im Kern um Hass geht.

Natürlich gibt es im Internet auch viele Kommentare, die wirklich von "Hasspredigern" (rechten, linken, oder religiös motivierten) kommen, und die wirklich bloß ihrem Hass freien Lauf lassen, und die ihre Mitmenschen zu Hass anstacheln wollen.

Aber der Vorwurf des Hasses ist nur in einem Teil der Fälle wirklich begründet, und in einem anderen Teil der Fälle eher Ausdruck einer Empörung.

Hass, wie ihn zum Beispiel während der Weimarer Republik (nnd danach) die Nazis verbreiteten, muß selbstverständlich bekämpft werden, und zwar auch effektiv.

Aber dann sollte auch sorgfältig geprüft werden, ob es im konkreten Einzelfall wirklich um (volksverhetzenden) Hass geht, oder nicht nur um (erlaubte, jedoch oft unhöfliche und unbeliebte) harsche Kritik.

Instrumente zur Hassbekämpfung könnten womöglich auch zur Bekämpfung von Kritik mißbraucht werden.

Medien und Politik schauen oft nicht genau genug hin, und differenzieren oft nicht sorgfältig genug.

Gerichte können das besser, wenngleich auch Gerichte nicht immer automatisch davor gefeit sind, sich von Strömungen und Stimmungen mitreißen zu lassen.

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