„Der zerbrochne Krug“ oder: Die Öffentlichkeitsarbeit der Bremer Staatsanwaltschaft im Fall „BAMF“

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 07.05.2021
17|6109 Aufrufe

Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft - wie soll und darf das gehen?

Schon in der Vergangenheit gerieten Staatsanwälte in die Kritik, weil sie während laufender Ermittlungsverfahren statt sich an ihren primären gesetzlichen Auftrag strafrechtlicher Ermittlungen und Anklagen zu halten, den Weg über die Presse suchten, um ihre Sicht der Dinge noch vor einer Anklageerhebung öffentlich zu präsentieren (Stichworte: Kachelmann-Fall, No Angels-Fall).

Hier finden Sie Links zu von mir in der Vergangenheit im Beck-Blog besprochenen derartigen Fällen und auch hier

Im Nachspiel dieser und ähnlicher spektakulärer Fälle wurden solche Vorgehensweisen kritisch untersucht und auch intensiv diskutiert, sowohl justizintern als auch extern. Der Gesetzgeber hat allerdings bislang keinen Anlass gesehen, die Frage, ob und welche Informationspolitik während laufender Ermittlungsverfahren zulässig ist, klar zu regeln. Verwiesen wird meist auf die Pressegesetze der Länder, die der Presse einen allg. Auskunftsanspruch gegen Behörden gewähren. Dabei finden jedoch die speziellen Umstände staatsanwaltlicher Ermittlungen weniger Berücksichtigung. Zudem wird auf (untergesetzliche) Regelungen der Richtlinien zum Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) verwiesen.

Bislang steht es den Staatsanwaltschaften daher formal weitgehend frei, auf Presseanfragen abweisend zu reagieren oder unterschiedlich tiefe Einblicke in die Ermittlungsarbeit und deren vorläufige Ergebnisse zu gewähren. Ob und welche Informationen oder Einschätzungen zu welchem Zeitpunkt eines Ermittlungsverfahrens der Öffentlichkeit in Pressekonferenzen oder „Hintergrundgesprächen“ präsentiert werden dürfen, ist nirgends gesetzlich geregelt.

Praktisch wird heute dem Phänomen plaudernder Staatsanwälte in den Staatsanwaltschaften dadurch begegnet, dass ein Pressesprecher ernannt wird, an den grundsätzlich alle Presseanfragen zu richten sind und über den auch die Antworten laufen (sollen). Dieser Pressesprecher sorgt dann z.B. dafür, dass Anfragen verschiedener Journalisten in gleicher Weise beantwortet werden und dass dabei die Anforderungen der Unschuldsvermutung, der §§ 201, 203 und 353b StGB, des Datenschutzes sowie die der Nrn. 4, 4a und 23 RiStBV eingehalten werden. Besonders ist darauf zu achten, dass nicht personenbezogene Daten aus den Ermittlungsakten, insbesondere solche, die die Intimsphäre der Beschuldigten oder anderer Beteiligter betreffen, an die Öffentlichkeit gelangen. Dadurch, dass der Pressesprecher ein nicht unmittelbar mit den Ermittlungen betrauter Staatsanwalt ist, soll wohl auch der Selbstbefangenheit der Ermittler entgegengewirkt werden: Hat man sich – so meine Einschätzung – erst einmal in der Öffentlichkeit festgelegt, bleibt von der Objektivität bei den weiteren Ermittlungen meist nicht mehr viel übrig.

Auch ohne gesetzliche Regelung scheint diese grundsätzliche Verfahrensweise in den meisten Fällen zu funktionieren. Staatsanwälte sollten als Volljuristen ja auch grundsätzlich selbst zumindest die rechtlichen Grenzen ihrer eigenen Verhaltensweisen gut einschätzen können.

Der Extremfall Bremen

Wie man nun aus Bremen erfährt, wurden dort aber offenbar im Zuge der BAMF-Ermittlungen vernünftige und rechtskonforme Selbstbeschränkungen bei der Öffentlichkeitsarbeit krass unterlaufen: Im März 2019 sollen an einem „Hintergrundgespräch“ mit einem Journalisten der „Zeit“ vier Staatsanwälte mitgewirkt haben, darunter der Pressesprecher und sogar der leitende OStA. Dabei sollen auch - als angeblicher Teil der bisherigen Ermittlungsergebnisse – ehrenrührige bzw. persönlichkeitsverletzende Thesen zur (angeblichen) Tatmotivation der Hauptbeschuldigten verbreitet worden sein. Aus heutiger Sicht könnte  die Motivation zu einem solchen Hintergrundgespräch gewesen sein, dass man im bislang größten Bremer Ermittlungsverfahren bis dahin nicht viel von den im Frühjahr 2018 von Politik und Medien hinausposaunten „hochkriminellen  korrupten Strukturen“ im Bremer BAMF gefunden hatte.

Das Ergebnis war dann in einem Artikel auf ZEIT-Online nachzulesen. Nachdem der Artikel im März 2019 erschien, ist die von der Veröffentlichung betroffene Beschuldigte (erfolgreich!) beim VG gegen die Staatsanwaltschaft vorgegangen und hat Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Diese Strafanzeige wurde zunächst nicht weiterverfolgt. Kein Wunder, hätten doch Staatsanwälte ggf. gegen ihren Chef oder, dem Dorfrichter Adam sei hiermit Respekt gezollt, gegen sich selbst ermitteln müssen.

Ob die beteiligten Staatsanwälte sich strafbar gemacht haben, ist deshalb nun Gegenstand der Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Bremen, die nach Beendigung des Verfahrens im BAMF-Fall, also zwei Jahre später, die Ermittlungen aufgegriffen hat.

Es war übrigens nicht der einzige derartige „Vorfall“. Schon im Juli 2018 hatte der Spiegel aus den Ermittlungsakten und der  Personalakte der Beschuldigten zitiert, noch bevor die Verteidigung Akteneinsicht hatte. Auch hierzu erging eine Strafanzeige gegen – bis heute – unbekannte Person(en) aus Ermittlerkreisen. Wer genau damals schon rechtswidrig agierte, ließ sich nicht feststellen, weil der Ermittlungsgruppe ca. 50 Personen angehörten. Aber das Motiv scheint offenkundig: Im Juni 2018 waren erste Zweifel an der Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Hauptbeschuldigte aufgekommen, und durch das gezielte Leak an den Spiegel konnte man gegensteuern und die öffentliche Skandalisierung (vorerst) aufrechterhalten.  

Aber selbst wenn am Ende den Staatsanwälten keine strafrechtlichen Folgen drohen sollten – ein grober Verstoß gegen Berufsethos, Vernunft und Anstand wäre diese Art der Öffentlichkeitsarbeit allemal. Fast schon humorvoll: Die StA klagte die Beschuldigte ausgerechnet auch wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses“ nach § 353b StGB an.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft in Bremen ist auch unabhängig von der Strafbarkeit eine Angelegenheit der dortigen Justizsenatorin Schilling (SPD), die die politische Verantwortung trägt und weisungsbefugt ist.

Und was sagen die Medien jetzt?

Anders als die BAMF-Ermittlungen selbst, die ein für die Staatsanwaltschaft eher unrühmliches Ende fanden, sind die Vorgänge in der Bremer Staatsanwaltschaft nicht Gegenstand größerer medialer Empörung. Besonders die Taz  und ein bisschen auch die Frankfurter Rundschau berichten detaillierter, Spiegel und „Buten und Binnen“ (RB) berichten sachlich knapp, wie man es sich 2018 zur BAMF-Affäre gewünscht hätte.

Aber wenn gerade hier mangels öffentlichen Drucks keine transparente Aufklärung erfolgt, könnte dies das Vertrauen in die Objektivität der Staatsanwaltschaften weit über Bremen hinaus empfindlich stören. Der Nimbus der „objektiven Ermittler“, auf deren Informationen sich die Presse unproblematisch verlassen dürfte, ist ohnehin angekratzt.

Update 8.5.2021

Ich muss etwas nachtragen. Wie mir mitgeteilt wurde, hat auch der "Weser-Kurier" (Bremer Regionalzeitung),  detailliert über den Fall berichtet. Hier ein Auszug:

Wie und ob überhaupt der Vorgang von strafrechtlicher Relevanz ist, überprüft seit zwei Wochen nicht mehr die Staatsanwaltschaft, sondern ihre vorgesetzte Behörde. „Wir haben entschieden, das Ermittlungsverfahren an uns zu ziehen“, erklärte am Montag Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer.

Vorangegangen waren eigene Recherchen der nachgeordneten Behörde, die mal eingestellt, mal wieder aufgenommen wurden. Es gab zwei Jahre lang ein regelrechtes Pingpong zwischen Staatsanwaltschaft und Innerer Revision. Dass Graalmann-Scheerer nun zuständig ist, hat nach ihrer Darstellung nichts mit der bisherigen Ermittlungsarbeit in dem Fall zu tun. „Maßgeblich ist der Kreis der Beschuldigten“, so die Generalstaatsanwältin. Neben dem Behördenleiter Kuhn sind das zwei Oberstaatsanwälte, darunter der Pressesprecher der Behörde, und ein Staatsanwalt, der damals als Dezernent für das Bamf-Verfahren zuständig war und Bremen mittlerweile wegen einer anderen Verwendung verlassen hat.(...)Dass die Generalstaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren an sich ziehe, komme extrem selten vor, sagte Graalmann-Scheerer. Ihre Behörde werde versuchen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, und zwar in allen Richtungen. Auf viel Kooperation darf sie dabei offenbar nicht hoffen: Zwei der vier Beschuldigten haben bereits von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die Aussage zu verweigern. Bei den anderen beiden sei das noch offen, erklärte die Generalstaatsanwältin. Der Journalist habe sich entschieden, ebenfalls nichts von dem Hintergrundgespräch im März 2019 preiszugeben. Vor ein paar Tagen seien aber zwei weitere Zeugen aufgetaucht, „da bin ich zuversichtlich, dass sie zur Aussage bereit sind“.

Update 14.06.2021

Die Taz von heute (Benno Schirrmeister) nimmt sich des Themas noch einmal an, nachdem es in den letzten Wochen still geworden ist um den Bremer Staatsanwaltschaftsskandal, und es werden noch einmal einige erstaunliche Details mitgeteilt (Auszüge)

Aufs Ausländerrecht bezogen waren es im Prozess gegen Irfan Ç. nur noch sieben Anklagepunkte gewesen, die sich als nichtig erwiesen. Er hätte Man­dan­t*in­nen angestiftet, sich als Iraker auszugeben, lautete ein Vorwurf. Zwar halten die sich selbst für Iraker und laut Pass sind sie es auch. Für die 48-köpfige „Ermittlungsgruppe Antrag“, der größten in der Geschichte des Bundeslandes Bremen, war hingegen ein soziolinguistisches Schnellgutachten des Bamf der schlagende Beweis dafür, dass sie aus der postsowjetischen Staatengemeinschaft stammen müssten.

Während die Ermittlungsgruppe es also sprachwissenschaftlich krachen ließ, waren ihr andere linguistische Differenzen mumpe: So wurden nur Arabisch-Dolmetscher*innen beschäftigt, als in Hildesheim Irfan Ç.s Man­dan­t*in­nen auf die Wache zitiert wurden, um gegen ihren Anwalt auszusagen. Allerdings: Irfan Ç. ist jesidischer Kurde. Die meisten seiner damaligen Kli­en­t*in­nen sind es auch. Kurdisch ist ihre Muttersprache – und sie ist mit dem Arabischen nicht verwandt und nicht verschwägert. Die Polizei hätte also ebenso gut Estnisch-Übersetzer*innen die Protokolle anfertigen lassen können.

(...)

Leid tun müssen einem dagegen Spiegel-Abonent*innen. Denn eine Zeit lang hatten in dem Blatt fast montäglich Horrorstorys über dieses linksgrün-versiffte Bremer Schlupfloch gestanden. „Wir haben unsere Leserinnen und Leser über die Einstellung des Verfahrens informiert“, behauptet zwar Spiegel-Sprecher Michael Grabowski, aber die Aussage hat die Struktur einer jesuitischen Lüge: Sie gilt nur fürs Online-Publikum. Das Papier hingegen ist dem Verlag zu schade, um zu verbreiten, dass sich all diese Behauptungen vor Gericht als so belastbar erwiesen haben, wie ein Soufflé, bei dem vorzeitig die Ofentür geöffnet wurde. Im Magazin kommt die Affäre nicht mehr vor seit November 2018.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

17 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Was mich noch interessieren würde, ist die Frage nach dem Rechtsbehelf. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder verschiedene Meinungen und Entscheidungen zum Rechtsweg gesehen. Ist der Rechtsweg jetzt zu den Verwaltungsgerichten oder eher aufgrund eines Justizverwaltungsaktes zur ordentlichen Gerichtsbarkeit eröffnet?

0

In der Tat keine leichte Frage. Ich würde den Rechtsweg über § 23 EGGVG auf Justiz-"Verwaltungsakte" beschränkt sehen. Pressemitteilungen und Informationsweitergaben an einzelne Presseorgane fehlt aber der Regelungscharakter eines Verwaltungsakts. Es handelt sich um Realakte der Staatsanwaltschaften. Also meine Ansicht: Dagegen vorzugehen betrifft eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i.S. des § 40 Abs.1  VwGO, die nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. 

Was können wir denn daraus lernen? Dass es unzulässig ist, als Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Kopien der Ermittlungsakte anzufertigen und diese an die Medien weiterzureichen? Dass es unzulässig ist, die Medien in "Hintergrundgesprächen" mit handfest unzutreffenden Aussagen über den Stand der Ermittlungen zu füttern, um ein längst totes Pferd noch eine Weile länger reiten zu dürfen (warum auch immer jemand so etwas tun sollte)? Nein, denn das brauchen wir nicht zu lernen: Niemand käme auf die Idee, das zu bestreiten, und wenn so etwas hier passiert sein sollte und man die Täter ermitteln kann, sind sie zu maßregeln bzw. zu bestrafen, ohne dass irgendein Diskussionsbedarf bestünde.

Der Punkt, über den sich reden lohnt, ist doch vielmehr der, inwieweit Staatsanwaltschaften überhaupt (offen, zutreffend und redlich) über den tatsächlichen Stand der Ermittlungen berichten dürfen sollten, der eben selbst nach förmlichem Abschluss der Ermittlungen und erst recht in jedem Stadium vorher nur ein unter dem Vorbehalt gerichtlicher Nachprüfung stehendes Zwischenergebnis darstellt. Und die seriösen Massenmedien müssen sich fragen, ob es überhaupt möglich ist, über solche Zwischenergebnisse in einer Weise zu berichten, die nicht zwangsläufig die Unschuldsvermutung mit Füßen tritt  -  selbst dann, wenn auch von dieser Seite ausschließlich zureffend und redlich über den tatsächlichen Stand der Ermittlungen berichtet wird. Hierüber zu diskutieren ist, weil es eben in der Masse der Ermittlungsverfahren relevant wird, viel wichtiger als das Herumreiten auf skandalösen Entgleisungen, die womöglich im Bremer Einzelfall passiert sind oder auch nicht.

0

Sehr geehrter St. Ivo,

ich stimme völlig zu: Die Frage, ob seitens der Strafverfolgungsbehörden überhaupt bzw. wenn ja, wie weit, über den Stand der Ermittlungen berichtet werden darf, DAS ist die entscheidende Frage, die möglichst bald gesetzlich geregelt werden sollte. Deshalb ja auch die lange Einleitung zu meinem Beitrag.

Leider habe ich den Eindruck, dass Politik und Justizangehörige nur dann über einen Regelungsbedarf reden (wollen), wenn es spektakuläre Fälle gibt, über die sich alle (?) einig sind. Und ich wollte der (teilweise) mir manchmal etwas besserwisserischen Art entgegentreten, mit der mir Staatsanwälte auf Tagungen und im persönlcihen Gespräch gegenübergetreten sind: in der heutigen Zeit könne man die Presse leider nicht mehr abfertigen (mit "laufende Ermittlungen", "Datenschutz"), sondern müsse denen etwas anbieten, die Verteidiger würden ja ebenfalls Litigation-PR betreiben, denen müsse man etwas entgegensetzen u.ä. Argumente. Insbesondere habe ja der Pressesprecher "alles im Griff". 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ein wenig zur (un-)zulässigen Pressearbeit der Staatsanwaltschaften bei laufenden Verfahren wurde ja bekanntlich unlängst im Regensburger Wolbergs-Verfahren geklärt, vgl. hier, hier und hier.

0

Wenn es um Privatpersonen geht, dann sollten bitte doch auch durch die Staatsanwaltschaft der Schutz des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre und der Datenschutz hoch gewichtet werden.

Wenn es aber um öffentliche Amtsträger geht, insbesondere um gewählte Volksvertreter oder hohe Beamte, und um deren dienstliche Tätigkeiten bzw. um Verfehlungen im Dienst und um Korruption oder Korruption oder Vetternwirtschaft oder sonstigen machtmißbrauch geht, dann dürfte wohl das öffentliche Interesse am "Whistle-Blowing" bzw. an einer Information in der Regel überwiegen.

Zu oft werden fragwürdige Amtsausübungen unter den Tisch gekehrt.

Fragwürdige Vorgänge, wie etwa im Zusammenhang mit der Kölnermüllverbrennungsanlage oder der Berliner-Landesbank oder der bayrischen Landesbank oder der NSU oder CumEx oder Wirecard oder den Coronmaskenmaklergeschäften oder dem Bremer Space-Park oder der Nürburgring-Erlebniswelt, blieben viel zu Lange für die Öffentlichkeit im Verborgenen.

Tranzparenz bzw. Glasnost brauchen wir nicht erst, wenn Amtsträger gerichtlich verurteilt sind.

Und ohne öffentliche Information und öffentliche Berichterstattung und öffentliches Interesse, gäbe es wahrscheinlich auch weniger Ermittlungen und Anklagen und Verurteilungen, und es würde noch mehr unter den Tisch gekehrt.

Demokratie ist nur dann wirklich ernsthaft etwas Wert, wenn die Wähler über dienstliches Fehlverhalten ihrer Behörden und Politiker auch informiert werden.

Wenn das in Einzelfällen dazu führt, daß Wähler dann zu Wutbürgern werden, und dann populistische Parteien wählen, dann ist das tragsch und bedauernswert, ein Kollateralschaden, den aber nicht die Whistle-Blower zu verantworten haben, sondern diejenigen, die das dienstliche Fehlverhalten begangen haben.

Nicht Chelsea Manning oder Edward Snowden oder Julian Assange oder ein Whistle-blowender Staatsanwalt tragen die Schuld oder die Hauptschuld, sondern diejenigen, die das dienstliche Fehlverhalten begangen haben, über das berichtet wird.

0

Ich muss Ihnen widersprechen. Die hier kritisierte Öffentlichkeitsarbeit der StA hat nichts, rein gar nichts, mit dem Phänomen "Whistleblowing" zu tun. Hier ging es nicht darum, bisher nicht bekannte Missstände in der eigenen Behörde oder im eigenen Unternehmen an die Öffentlichkeit zu bringen, sondern darum, die eigenen Ermittlungen, die ja seit längerem liefen, unter Missachtung von Persönlichkeitsrechten der Beschuldigten an die Presse zu lancieren. Die StA hat die Aufgabe, in Verdachtsfällen zu Straftaten zu ermitteln und ggf. Tatverdächtige anzuklagen. Sie hat nicht die Aufgabe, vertrauliche Informationen aus den eigenen Ermittlungen (jenseits bzw. vor der Anklageerhebung) der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Auch im BAMF-Fall gab es allerdings eine "Whistleblowerin". Diese hat - als Vertreterin der zu dem Zeitpunkt suspendierten früheren Chefin, gegen die damals bereits disziplinarisch und staatsanwaltlich ermittelt wurde - Einzelheiten des angeblichen Skandals an die große Glocke hängen wollen (und hat dies wegen peinlichen journalistischen Fehlern ja auch geschafft), offenbar ohne die faktischen und rehctlichen Hintergründe (Stichwort: Zuständigkeit) überhaupt zu durchschauen. Was sie allerdings von den klassischen Whistleblowern, die Sie nennen, unterscheidet: Sie verfolgte wohl mit ihrem an die Presse lancierten "Dossier" v.a. Eigeninteressen.

Da möchte ich "Gast" sehr deutlich widersprechen: Die Unschuldsvermutung gilt nicht nur für "einfache Bürger" (m/w/d), sondern auch für öffentliche Amtsträger, gewählte Volksvertreter und sonstige Prominente jedweder Art. Vorab-Informationen an die Presse wie schon vor zehn Jahren im Fall Zumwinkel oder unlängst wieder bei Metzelder sind nicht nur Dienstvergehen, sondern beschädigen neben den (zu diesem Zeitpunkt ja nur) Verdächtigen auch den Rechtsstaat schwer. Gerade der Bremer BAMF-Fall zeigt ja, wie sehr Personen öffentlich auch dann beschädigt werden, wenn die Vorwürfe letztlich nicht haltbar sind.

0

Die Frage ist hier wohl auch, was seitens des BAMF oder anderer Interessierter lanciert wurde, da gab es ja eine umtriebige bayerische Bürgermeisterin und BAMF-Beamtin, die recht laut getrommelt hat über Missstände und nach ihrer Versetzung vor das VG gezogen ist. 

Dass die StA wegen des Ergebnisses des Verfahrens so gebasht wird, halte ich für etwas zweifelhaft (anders als bei der Frage der Pressearbeit), denn maßgeblicher Auslöser war ja erst einmal der Innenrevisionsbericht des BAMF selbst, das eine eigene Einschätzung dahingehend abgegeben hatte, dass Bremen nur für ca. 10 % der  über 1300 Bescheide zuständig gewesen sei und es schwerwiegende Fehler gegeben habe. Das BAMF selbst ist bei der Frage der Zuständigkeit Bremens dann wieder zurückgerudert, aber erst nach der Durchsuchungsaktion...

0

Die LTO-Presseschau:

StA Bremen – "Bamf-Skandal": Heribert Prantl (Sa-SZ) widmet sich dem angeblichen Bamf-Skandal vor drei Jahren, den die Staatsanwaltschaft Bremen mit "irrwitzigem Aufwand" und bis zu vier Dutzend Sonderermittlern aufzuklären versuchte. Nichts von den massiven Vorwürfen habe sich bestätigt, der angebliche Blick in die Abgründe des Asylmissbrauchs sei ein Fake gewesen. Dennoch sei die Asyldebatte um Jahre zurückgeworfen worden und auch Fragen zur Wiedergutmachung seien noch offen.

Hier einige Auszüge aus dem Artikel von Heribert Prantl, der mit (erfreulicher) Klarheit die Staatsanwaltschaft kritisiert, nicht nur bezüglich ihrer Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch hinsichtlich der Ermittlungen selbst.

Ungeheuerliches wurde damals von der Staatsanwaltschaft in den öffentlichen Raum gestellt, Ungeheuerliches wurde der Asylbehörde in Bremen vorgeworfen: Mitten in der erregten Debatte um die Zukunft der Flüchtlingspolitik und in einer rauen Stimmung gegen Geflüchtete war von bandenmäßigen Machenschaften bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration die Rede. Sie wurde beschuldigt, "hochkriminell kollusiv und bandenmäßig mit einigen Rechtsanwälten zusammengearbeitet zu haben". Das war ein Satz von Stephan Mayer, CSU-Staatssekretär im Ministerium Seehofer.

(...)
Der Satz wurde ihm zwar gerichtlich verboten, aber das hinderte die bremische Staatsanwaltschaft nicht daran, mit irrwitzigem Aufwand und bis zu vier Dutzend Sonderermittlern auf den Vorwürfen zu beharren; sie fütterte Medien mit angeblich delikaten Details aus der Privat- und Intimsphäre der Beschuldigten. Rechtsanwälten wurde gewerbsmäßiger Asylmissbrauch vorgeworfen. In der Öffentlichkeit stand die Staatsanwaltschaft da wie Herakles beim Ausmisten des Augiasstalls; von einer Flut rechtswidriger Asylbescheide war die Rede, von manipulierten Akten und davon, dass die Außenstelle sich falsche Zuständigkeiten angemaßt habe, um Flüchtlinge ins Land zu bringen. Schimpf und Schande wurde ausgeschüttet; in der Folge die Leiterin der Außenstelle abgelöst; Minister Seehofer stellte ihre ganze Behörde kalt, er entließ die Präsidentin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.

Aber der Ursache-Wirkungszusammenhang wird m.E. nicht ganz richtig dargestellt. Und den Ursachenzusammenhang, den ich in den Mittelpunkt meines früheren Beitrags gestellt habe, erwähnt Prantl gar nicht.

So schreibt er "in der Folge [wurde] die Leiterin der Außenstelle abgelöst". Nein, sie war zum Zeitpunkt der ausgedehnten staatsanwaltlcihen Ermittlungen, die er beschreibt, schon seit mehr als einem Jahr (vorläufig) von ihrem Posten "abgelöst". Und die Ermittlungen liefen auch schon länger. Auslöser der von Prantl als übermäßig dargestellten staatsanwaltlichen Ermittlungen war die Presseberichterstattung im April 2018, mit an erster Stelle dabei die Süddeutsche Zeitung. Diese Medienberichterstattung hatte zur Folge, dass der Fall auf eine bundesweite Skandalebene gehoben wurde und erst danach begann die StA Bremen mit der übertriebenen Ausdehnung der Ermittlungen unter Einbezug aller Bremer Asyl-Akten der letzten Jahre. Auch die mangelnde Zuständigkeit Bremens für viele der Fälle war nicht die Idee der Staatsanwaltschaft, sondern zunächst wohl des BAMF selbst. Sie wurde öffentlich durch Behauptung der Interim-Chefin der Außenstelle, geschickt an die Presse lanciert, wenig sachkundig im Inhalt. Die Journalisten fraßen es aus ihrer Hand, bauten sie teilweise sogar zu einer Art Whistleblower-Heldin auf. Sogar die BAMF-Innenrevision "übersah" im Eifer des Gefechts gegen die eigene unbeliebte (und ja schon suspendierte) Außenstellenleiterin, dass Bremen tatsächlich "zuständig" gewesen war. Und spätestens dann hätte die StA Bremen auch skeptisch wegen der Eigeninteressen der Behörde werden müssen. Aber bis zuletzt vertraute man offenbar der (schon längst widerlegten) Expertise des BAMF, das ja mit seiner Einschätzung regelmäßig vor den Verwaltungsgerichten unterlag, während die Entscheidung ihrer ehemaligen Beamtin sich am Ende meist als rechtlich zutreffend herausstellten. So sehr ich die StA Bremen kritisiere, dieser angebliche Skandal hatte viele Köche. In seinem Fazit stimme ich Herrn Prantl zu:

Und im Fall Bremen - wie schaut hier Wiedergutmachung aus? Die Asyldebatte wurde um Jahre zurückgeworfen; das Rechtsaußen-Wort von der "Anti-Abschiebeindustrie" bekam Aufwind. Wer hält dagegen? Wer ehrt die zu Unrecht Verleumdeten? Welche Konsequenzen zieht die Staatsanwaltschaft, wie organisiert sie künftig Selbstkontrolle? Einst nannte sie sich die objektivste Behörde der Welt.

 

Das ist ja das Schlimme an Prantl, dass er viele Dinge durcheinanderbringt, über die eigene Verantwortung der SZ kein Wörtchen verliert, aber ihm aufgrund seiner vermeintlichen Reputation als ehemaliger Justiz-Insider und Honorarprofessor die Leute das abnehmen,

Zu der whistleblower-Bürgermeisterin und den Fehleinschätzungen des BAMF, die Grundlage der Ermittlungen waren, hatte ich ja oben auch schon etwas geschrieben

0

Na ja, Prantl sieht das doch eigentlich ganz richtig. Richtig ist nur, dass er die Mitverantwortung seiner eigenen Zeitung nicht angemessen thematisiert. Aber das ist auch verständlich. Wer schreibt schon gerne öffentlich gegen seinen Arbeitgeber an? Das wird man dort sicher intern klären.

0

Wie jüngst auch die verdächtigen Vorgänge um die öffentliche Beschaffung von Corona-Schutzmasken zeigen, braucht es in Politik und Verwaltung mehr Eisicht und Kontrollmöglichkeiten für die Bürger und Journalisten, also mehr Transparenz.

Dann würde wohl erheblich es weniger Unregeläßigkeiten und weniger Freundschaftsdienste und weniger Skandale geben.

Weniger tatsächliche Skandale, und auch weniger Vorgänge, die dann aufgrund von Halbwissen zu vermeintlichen Skandalen aufgebauscht werden. Die ganze Wahrheit sollte besser von Anfang an auf den Tisch, und dann gäbe es auch weniger unberechtigte Verdächtigungen.

0

Das Spannungsfeld zwischen den Interessen der Bürger und Wähler auf Information über mögliche Verfehlungen von Amtsträgern einerseits, und den Interessen an Datenschutz andererseits, wird wohl nicht geringer, sondern zukünftig wohl noch eher wachsen, siehe z.B. etwa die sogar strafrechtlichen Konflikte um die Vorwürfe gegen den früheren schottischen Regierungschef und dessen Rechsanwalt, also etwa z.B: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72388

0

Die LTO-Presseschau:

LG Bremen – Bamf-Verfahren/Irfan C.: Am heutigen Donnerstag wird vor dem Landgericht Bremen die Beweisaufnahme im Prozess gegen den Asylrechtsanwalt Irfan C. abgeschlossen. Dieser ist unter anderem wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt angeklagt, da er Mandantinnen und Mandanten systematisch zum Bremer Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gebracht haben soll, wo die damalige Leiterin Ulrike B. hunderte Asylanträge einfach bewilligt haben sollte. Im Interview mit der taz-Nord (Benno Schirrmeister) spricht die stellvertretende Vorsitzende der Strafverteidiger-Vereinigung Christine Vollmer über die – inzwischen eingestellten – Bamf-Ermittlungen gegen Ulrike B., die im vergangenen Jahr von den Medien aufgegriffen und "durch die Justiz massiv befeuert worden" waren.

Kommentar hinzufügen