Schlussanträge des Generalanwalts im Kopftuchverfahren

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.02.2021
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht1|25958 Aufrufe

Derzeit schauen die Arbeitsrechtler wieder gespannt nach Luxemburg. Denn dort zeichnet sich eine bedeutsame Entscheidung zur Frage ab, ob der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern das Tragen von religiösen Zeichen, insbesondere des muslimischen Kopftuchs, untersagen darf. Diese Problematik hat schon diverse Gerichte beschäftigt. Und auch der EuGH hatte es im Jahre 2017 in den Rechtssachen Sachen Achbita/G4S Secure Solutions (C-157/15, NZA 2017, 373) und Bougnaoui (C-188/15, NZA 2017, 375) bereits mit dieser Problematik zu tun. Damals urteile der Gerichtshof, dass es unter bestimmten Voraussetzungen rechtens sein kann, das Tragen von Bekleidungsstücken zu verbieten, mit denen ein religiöses, politisches oder weltanschauliches Bekenntnis zum Ausdruck gebracht wird. Man darf gespannt sein, wie der Gerichtshof nunmehr seine Rechtsprechung weiterentwickeln wird. Seit kurzem liegen nun die Schlussanträge des Generalanwalts Athanasios Rantos vor:

Das sind die zu einem Verfahren verbundenen Ausgangsfälle:

Rechtssache C-804/18: WABE, ein deutscher gemeinnütziger Verein, betreibt Kindertagesstätten. Er ist neutral gegenüber politischen Parteien und religiösen Konfessionen. IX ist Heilerziehungspflegerin und arbeitet seit 2014 für WABE. Als Muslimin entschied sich IX Anfang 2016, das islamische Kopftuch auch am Arbeitsplatz zu tragen. Von Oktober 2016 bis Mai 2018 war sie in Elternzeit. Im März 2018 erließ WABE eine Dienstanweisung zur Einhaltung des Neutralitätsprinzips. Sie verbietet es Mitarbeitern, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen zu tragen. Dazu gehören das christliche Kreuz, das islamische Kopftuch und die jüdische Kippa. Das Neutralitätsprinzip gilt nicht für Beschäftigte des WABE, die in der Unternehmenszentrale arbeiten, da sie keinen Kundenkontakt haben. Auf die vom WABE erlassene Dienstanweisung hingewiesen, weigerte sich IX, ihr Kopftuch abzunehmen, erhielt deshalb mehrere Abmahnungen und wurde schließlich vorerst freigestellt. Die Arbeitnehmerin erhob gegen die Abmahnungen von WABE Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg.

Rechtssache C-341/19: Die MH Müller Handels GmbH betreibt in Deutschland eine Drogeriekette. MJ, die der islamischen Religion angehört, ist seit 2002 bei dieser Gesellschaft als Verkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt. Als sie 2014 aus der Elternzeit zurückkehrte, trug sie, anders als zuvor, ein islamisches Kopftuch. Konfrontiert mit ihrer Weigerung, ihr Kopftuch bei der Arbeit abzulegen, wurde sie im Juli 2016 von ihrem Arbeitgeber angewiesen, an ihrem Arbeitsplatz ohne auffällige großflächige Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu erscheinen. MJ erhob gegen die Weisung ihres Arbeitgebers Klage. Dieser beantragt beim Bundesarbeitsgericht, die Klage von MJ abzuweisen.

Die beiden Gerichte möchten vom Gerichtshof wissen, ob diese betrieblichen Regelungen mit der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000, L 303, S. 16) zu vereinbaren sind.

In seinen Schlussanträgen weist der Generalanwalt zunächst darauf hin, dass „Gleichbehandlung“ nach dieser Richtlinie bedeute, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen u. a. der Religion geben darf. Er ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Achbita/G4S Secure Solutions und Bougnaoui, der Auffassung, dass das Verbot des Tragens jeglicher sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung von Arbeitnehmern darstelle, die in Anwendung religiöser Gebote, die sie zur Verhüllung verpflichten, bestimmte Bekleidungsvorschriften beachten.

Der Generalanwalt prüft sodann die Frage, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn eine interne Regel im Rahmen einer unternehmerischen Neutralitätspolitik das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz untersagt.

In seinem Urteil G4S Secure Solutions nahm der Gerichtshof auf das sichtbare Tragen von Zeichen religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz Bezug. Er entschied, dass das Verbot des Tragens dieser Zeichen zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität des Unternehmens geeignet ist, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. Die Frage des Verbots des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen wurde vom Gerichtshof noch nicht entschieden.

Der Generalanwalt stellt fest, dass diese Frage darauf hinauslaufe, zu prüfen, ob das sichtbare Tragen von kleinen Zeichen angemessen ist. Er hält insoweit eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität eines Arbeitgebers in seinen Kundenbeziehungen nicht für unvereinbar damit, dass seine Beschäftigten religiöse Zeichen tragen, die zwar sichtbar sein können, aber klein sind, oder anders gesagt diskret, und die nicht auf den ersten Blick bemerkt werden.

Es sei nicht Sache des Gerichtshofs, den Begriff „klein“ zu definieren, da der Zusammenhang, in welchem das Zeichen getragen wird, eine Rolle spielen könne. Allerdings stelle das islamische Kopftuch kein kleines religiöses Zeichen dar. Es sei daher Sache des nationalen Gerichts, die Situation im Einzelfall zu prüfen.

Der Generalanwalt vertritt die Auffassung, dass es, wenn es zulässig sei, das Tragen jeglicher sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu verbieten, dem Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Freiheit auch freistehe, nur das Tragen auffälliger, großflächiger Zeichen zu untersagen.

Im Ergebnis könne eine interne Regel eines privaten Unternehmens, die im Rahmen der Neutralitätspolitik dieses Unternehmens nur das Tragen von auffälligen, großflächigen Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gerechtfertigt sein. Eine solche Verbotspolitik müsse in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, was das nationale Gericht zu überprüfen habe.

Schließlich widmet sich der Generalanwalt der Frage, ob die Mitgliedstaaten eine nationale Rechtsvorschrift zum Schutz der Religionsfreiheit im Rahmen der Überprüfung einer Weisung anwenden können, die sich auf eine interne Regel eines Unternehmens stützt, die das Tragen von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet. Aus den Bestimmungen des deutschen Verfassungsrechts ergibt sich nämlich, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, eine Politik der religiösen Neutralität gegenüber seinen Kunden zu verfolgen, grundsätzlich nur dann rechtmäßig ist, wenn das Fehlen einer solchen Neutralität einen wirtschaftlichen Nachteil für ihn nach sich zieht.

Nach Auffassung des Generalanwalts ist es erforderlich, die Vielfalt der Ansätze in den Mitgliedstaaten in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit zu berücksichtigen. Die innerstaatlichen deutschen Bestimmungen treten aus seiner Sicht nicht mit der Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Konflikt. Sie verböten nämlich nicht, dass ein Arbeitgeber eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität verfolgt, sondern legten nur eine zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung dieser Politik fest, nämlich das Bestehen einer hinreichend konkreten Gefahr eines wirtschaftlichen Nachteils für den Arbeitgeber oder einen betroffenen Dritten.

Der Generalanwalt gelangt daher zu dem Ergebnis, dass ein nationales Gericht bei der Prüfung, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens über das Verbot des Tragens von Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz mit der Richtlinie vereinbar ist, die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Religionsfreiheit anwenden dürfe. Diese Bestimmungen dürften aber nicht gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung der Richtlinie verstoßen, was das nationale Gericht zu prüfen habe.

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Recht könnte so einfach und übersichtlich sein . z.B. a) Privatautonomie, der Arbeitgeber vereinbart entweder zugunsten des AN irgendwelche Rechte, sonst hat er Direktionsrecht ) der Staat ist an Grundrechte gebunden, also Handlungs- und Religionsfreiheit  c) gesetzlich wird umfassend Vollverhüllung des Gesichts in der Öffentichkeit  verboten, wie in Frankreich, Österreich. 

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