Klarnamenpflicht (Facebook) – DSGVO „schlägt“ TMG – AGBs und Grundrechte II

von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M., veröffentlicht am 22.12.2020

Das OLG München (v. 08.12.2020 – 18 U 5493/19 Pre) hat sich intensiv mit der Klarnamenpflicht nach § 13 VI TMG von social-media-Betreibern (hier facebook) auseinandergesetzt.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-34322?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1

Wieder einmal scheint das Vertragsrecht eine (auch präventive) wirksame Waffe gegen rechtswidrige Äußerungen von Nutzern zu sein.

In diesem Zusammenhang verweise ich vorab auch auf meinen Beitrag von gestern (https://community.beck.de/2020/12/21/hasskommentare-auf-plattformen-zur-rolle-von-agbs-und-grundrechten) und den sehr instruktiven Blogbeitrag der Kollegin Dr. Kaufhold zu „Anonymität, Klarnamenpflicht und Meinungsvielfalt im Internet“ https://community.beck.de/2019/07/30/anonymitaet-klarnamenpflicht-und-meinungsvielfalt-im-internet-alles-eine-frage-der-vertragsfreiheit

 

Wir werden sehen, ob das Urteil bestand hat. Das OLG bezieht sich diverse Male auf die Rechtsprechung des BGH und BVerfG, wonach dem „Internet eine anonyme Nutzung immanent“ (Rdn. 61, 67) sei. Es kommt dann aber mit einer Mischung aus unionsrechtskonformer Auslegung, „verkehrsüblicher Gestaltung von Plattformen“ dominierender Beitreiber und ihrer „Klarnamenpolitik“ und der Möglichkeit des Ausweichens auf andere (anonym nutzbare) Plattformen zum Ergebnis, dass die Klarnamenpflicht aufgrund von Nutzungsbedingungen in Ordnung geht. Das OLG hat die Revision zugelassen.

 

What happened?

Die Klägerin (Nutzerin/User) macht gegen die Beklagte (facebook) Ansprüche auf Freischaltung ihres unter dem Pseudonym „… angelegten Nutzerkontos auf der von der Beklagten betriebenen Plattform geltend. Das Nutzerkonto der Klägerin wurde von der Beklagten gesperrt, nachdem die Klägerin der Aufforderung der Beklagten, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin hatte zuvor Nutzungsbedingungen zugestimmt, wonach facebook-Nutzer ihre wahren Namen und Daten angeben müssten.

 

Grobe Argumentationslinien:

User: Ohne anonyme oder pseudonyme Nutzung keine Meinungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung (sog. Hemmungseffekt); § 13 VI TMG beinhaltet Anspruch auf anonyme oder pseudonyme Nutzung;

Facebook:  § 13 VI TMG ist durch die DSGVO überholt

 

Das OLG München urteilt (im Gegensatz zur Vorinstanz),

dass die o.g. Nutzungsbedingungen keine unangemessene Benachteiligung (§ 307 II BGB) des Klägers sind:

  1. § 13 VI TMG ist eine „gesetzliche Regelung“ iSv. § 307 II Nr. 1 BGB. Eine Unterscheidung zwischen „datenschutzrechtlichen und vertraglichen Gesetzesbestimmungen“ sei aufgrund der getroffenen Rechtswahl und vereinbarten Nutzungsbedingungen nicht statthaft (Rdn. 44)
  1. § 13 VI TMG ist als datenschutzrechtliche Norm zu qualifizieren, die im Konflikt mit der in dieser Frage abschließenden DSGVO steht, die keine anonyme oder pseudonyme Nutzung von Telemedien vorschreibt. (Rdn. 48, 52, 56)
  1. Der Konflikt wird über die unionsrechtskonforme Auslegung von § 13 VI TMG gelöst und zwar über das Merkmal der Zumutbarkeit, wobei im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind (Rdn. 58).
  1. Die Abwägung fällt zugunsten von facebook aus, da sich das Interesse von facebook nicht allein auf die leichtere Identifizierbarkeit beschränkt sondern auch präventiv geeignet ist, Nutzer von rechtswidrigem Verhalten abzuhalten. (Rdn. 60)
    Ähnlich wie bei der oben genannten Entscheidung zu Hasskommentaren führt die starke Stellung von facebook nicht zur Verneinung der Verhältnismäßigkeit, denn es gibt noch andere soziale Netzwerke, die keine offene Kommunikation verlangen, z.B. Instagram – auch facebook Unternehmensgruppe (Rdn. 61)
     
  2. Die Nutzungsbedingungen verstoßen auch nicht gegen § 307 II Nr. 2 BGB (Gefährdung der Erreichung des Vertragszwecks). Der Nutzungsvertrag sui generis räume dem User die kostenlose Nutzung der angebotenen Dienste ein. Demgegenüber räumt der User facebook nicht-exklusive, übertragbare, unterlizensierbare und weltweite Lizenz für eine Nutzung jedweder geposteter IP-Inhalte ein. (Rdn. 66)
    „Dem Internet ist zwar nach der bereits mehrfach zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine anonyme Nutzung grundsätzlich immanent (BGH, Urteil vom 23.06.2009 - VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328, juris Rn. 38). Aufgrund der dominierenden Stellung der Beklagten als Betreiberin von „Facebook“, der mit Abstand größten Social-Media-Plattform, wird die verkehrsübliche Gestaltung solcher Plattformen allerdings auch durch die von der Beklagten auf dieser Plattform verfolgte Klarnamenpolitik geprägt. Die Inanspruchnahme der von der Beklagten angebotenen spezifischen „Facebook“-Dienste ist auch nicht nur unter Verwendung eines Pseudonyms sinnvoll möglich. Bei der Prüfung der Frage, ob die verkehrsübliche Gestaltung mit den Grundwerten der Rechtsordnung im Einklang steht, sind wiederum die Vorgaben der unmittelbar geltenden Datenschutzgrundverordnung zu berücksichtigen, die gerade keine Verpflichtung des Diensteanbieters zur Ermöglichung der pseudonymen Nutzung von Telemedien kennt.“ (Rdn. 67 ff.)

 

 

 

 

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13 Kommentare

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Die Vertragsfreiheit ist für die Bürger nicht viel wert, wenn sie nicht die macht haben, mit dem Vertragspartner ernsthaft zu verhandeln bzw. die Vertragsbestimmungen individualvertraglich auszuhandeln.

Insbesondere so große Medien- und Internetkonzerne wie die Beklagte habe eine ganz eindeutig größere Machtstellung als ein einzelner Bürger bzw. Privatmann.

Manche Konzerne haben eine fast Monopolartige Stellung,.

Und auch Konzerne, die keine monopolartige Stellung innehaben, verständigen sich nicht selten formell oder informell mit ihren wichtigsten Konkurrenten über ähnlich Modalitäten, so daß eine Art Poly-Monopol oder Pluto-Monopol oder Oligarchen-Monopol entsteht.

Die Vertragsfreiheit ist für den Bürger nur dann etwas wert, wenn er ungefähr gleichberechtigt verhandeln kann.

Wenn der Bürger nicht ungefähr gleichberechtigt verhandeln kann, dann beschert ihm die sogenannte "Vertragsfreiheit" womöglich bzw. sogar wahrscheinlich sogar eine Schlechterstellung gegenüber den Vorstellungen des Gesetzgebers.

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Ist richtig. Nur ein Hinweis: Man kann ohne Facebook leben. Dann muss man sich auch nicht mit dem Unternehmen um Inhalt und Wirksamkeit seiner AGB streiten.

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Sie haben insoweit Recht, als die Mehrheit der Menschen keinen Drang spürt, sich zu politischen Themen oder überhaupt öffentlich zu äußern, so daß also die Mehrheit der einzelnen Menschen wohl auch ohne Facebook oder ähnliche Internetplattformen gut leben kann.

Unser Grundgesetz schütz aber nicht alleine nur die einzelnen Individuen, sondern auch Staat und Gesellschaft (früher sagte man auch "Volk", und heutzutage möchten manche Politiker liebr von "Bevölkerung" sprechen.

Es ist nicht nur im Interesse des einzelnen Bürgers und seiner Grundrechte (zum Beispiel im Interesse seiner Meinungsfreiheit), daß er sich öffentlich äußern darf und kann, und eine möglichst gleichberechtigte Chance hat, dabei auch Zuhörer oder Leser zu finden, sondern die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit und öffentliche Pro- und Contra-Debatten sind auch im Interesse des Funktionerens der Staates und der Gesellschaft und des Fortschrittes.

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Es kommt nicht darauf an, ob ein Mensch ohne etwas leben / Überleben kann.

In einem Rechtsstaat gelten Grundrechte und Bürgerrechte auch, wenn der Betroffene auch ohn die jeweiligen rechte nicht sterben würde.

Die Grundrechte wurden von den Vätern des Grundgesetzes überlegt und bewußt nicht etwa als etwas installiert, was man großzügig in einer Art Gnadenweg oder nach Gutdünken oder etwa nur in Notfällen gewährt erhält, sondern als etwas, daß den Bürgern automatisch zusteht (, und was einer funktionierenden Demokratie zuträglich ist)..

Unmittelbar gelten die Grundrechte im Verhältnis von Bürger und Staat, aber sie haben auch eine Ausstrahlungswirkung ins Privatrecht.

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Mathias Bröckers schrieb angesichts der in den USA zunehmenden Löschungen von Internet-Foren-Beiträgen und Sperrungen von Accounts:

"Die verfassungsgemäße Freiheit der Rede ist freilich weiter gewährleistet: Jede/r - auch ein Präsident Trump - kann seine Meinung weiterhin frei äußern. Ob sie aber noch von irgendwem gehört wird, entscheidet Big-Tech."

(Mit Big-Tech sind bei Mathias Bröckers große Medien- und Kommunikations-Unternehmen wie Facebook, Twitter, und so weiter, gemeint.)

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Derartige "leere" Leserkommentare gibt es leider öfters.

Zuerst hatte ich gedacht, dem Moderator würde der Kommentar nicht gefallen, und deswegen wär er gelöscht worden, aber als ich ein par Minuten später den selben Text nochmal abschickte, ging es dann,

Die Kommentarfunktion der Webseite funktioniert leider nicht immer technisch einwandfrei.

Manchmal muß man es also mehrmals versuchen den text abzuschicken.

Es ist nicht die Schuld des Moderators, sondern technische unperfektheit.

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Wer öffentlich Hinweise oder Meinungen oder Anschauungen oder Ideen oder Wertungen oder Kritik äußert, kann, je nachdem wie seine berufliche und private Situation ist, dadurch Nachteile erleiden, und zwar nicht etwa nmur dann, wenn er sich strafbar macht, sondern auch bereits dann, wenn Jemanden, der mächtiger ist als er selbst (zu Beispiel sein Vorgesetzter, sein Chef, seine Ehefrau, seine Schwiegermutter, sein Vereinsvorsitzender, ...), die Sache nicht gefällt.

Wenn an nicht gerade völlig unabhängig und völlig isoliert als einsamer Eremit auf einer einsamen Insel lebt, muß an immer damit rechnen, Nachteile zu erleiden, wenn man sich öffentlich äußert.

Freilich spüren nicht Alle die Nachteile, die sie erleiden (viele sind auch unsensibel oder gar schmerzfrei).

Und wer sagt, was gewünscht ist, erleidet ja auch keine Nachteile.

Es gibt also durchaus berechtigte Bedürfnisse, anonym zu bleiben.

Und solche Leute die Straftaten begehen, können von der Polizei auch ohne Klarnamenkennzeichnung ermittelt werden.

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Konfuzius, Hobbes, Calvin, Bentham, Mill, Hegel, Marx, Mao, und andere Strenge, Zucht, Diziplin, Gehorsam, Ordnung, und Kontrolle befuerwortende Etaisten, haetten es wohl begrueßt, wenn sie heute gehoert haetten, wie heute Herr Pistorius einen neuen Anlauf unternimmt zur von ihm angestrebten, und dann wohl alle Buerger betreffenden, "Identifikationspflicht" in sozialen Netzwerken.

https://www.presseportal.de/pm/58964/4940456

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Die Homepage der ARD-Tagesschau weist heute auf ein neues Urteil des BGH zur Klarnamenprobelmatik bei Facebook hin.

Siehe:

https://www.tagesschau.de/inland/facebook-bgh-klarnamenpflicht-101.html

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Ja, gesehen. Die PM des BGH ist für Juristen sicher ergiebiger/präziser:

https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2...

Die Urteile sind noch nicht raus. Lt. PM hat sich der BGH für die im Verfahren zu behandelnden "Altfälle" ganz auf § 13 TMG bezogen und sich an der erst später geltende DSGVO nicht abgearbeitet. § 13 TMG inzwischen aufgehoben wurde und nun ist m.E. ausschließlich die DSGVO in datenschutzrechtlicher Hinsicht maßgeblich. Sobald das Urteil raus ist und einen blogbeitrag rechtfertigt, melde ich mich wieder...

Die LTO-Presseschau:

BGH zu Facebook-Klarnamenpflicht: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Facebook-AGB von Februar 2018 unwirksam sind, soweit sie die Nutzer:innen verpflichten, unter ihrem Klarnamen aufzutreten. Facebook muss nun hinnehmen, dass seit langem angemeldete Kontoinhaber:innen Pseudonyme verwenden. Laut BGH weichen die AGB unzumutbar von der bis Jahresende geltenden Regelung des Telemediengesetzes (TMG) ab. Geklagt hatten zwei Nutzer:innen, die sich mit einem falschen Namen angemeldet hatten und deren Accounts daraufhin gesperrt wurden. Wegen einer Änderung des TMG und der seit Mai 2018 geltenden und weiter gefassten Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt die Entscheidung jedoch nur für Altverträge. Für neue Verträge ist die Rechtslage umstritten. Es berichten SZ (Helmut Martin-Jung)FAZ (Corinna Budras)tagesschau.de (Klaus Hempel)LTObeck-aktuell (Joachim Jahn) und spiegel.de.

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