Verschärfung des § 108e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) als Folge der Maskenaffäre?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.08.2022
Rechtsgebiete: KriminologieMaterielles Strafrecht2|3991 Aufrufe

Der Beschluss

Wie in meinem Beitrag vom November 2021 ausgeführt, haben sich die beiden ehem. CSU-Abgeordnete Nüsslein (Bundestag) und Sauter (Bayerischer Landtag), die im Jahr 2020 an Provisionen für behördliche Maskeneinkäufe hohe Summen verdient haben, keine strafrechtliche Konsequenzen. Der X. Senat des BGH hat in seinem Beschluss vom 5. Juli 2022 – StB 7-9/22  im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die vorherige Entscheidung des OLG München bestätigt: Aus dem Wortlaut des § 108e StGB  ergebe sich keine Strafbarkeit von privaten Provisionsgeschäften für die nicht-parlamentarische Einflussnahme auf Regierung bzw. Behörden. Die Gewinnmaximierung von „Vitamin B“ ist im geltenden Straftatbestand des § 108e StGB nämlich nicht erfasst.

Wenn man die Geschichte des Straftatbestands betrachtet, stellt man fest, dass es sich dabei keineswegs um eine ungeplante Lücke handelt, sondern um eine Frage, die der Gesetzgeber – also die Mehrheit der Parlamentarier-innen selbst als potentielle Täter-innen – bewusst aus dem Tatbestand herausgehalten hat. Schon bei Einführung des § 108e StGB im Jahr 1994 (nach 40 Jahren vollständiger Straflosigkeit) haben die damaligen Abgeordneten darauf geachtet, dass sie nicht etwa wie Beamte allgemein zur Zurückhaltung verpflichtet seien, sondern dass sie durchaus eigene „Neben“-Interessen verfolgen können, ohne dafür strafrechtlich in Anspruch genommen zu werden.

Einerseits diente dies dem berechtigten Interesse, wegen einer Abgeordnetentätigkeit, die ja zumindest durch die nächste Wahl beendet werden kann, nicht vollständig aus dem ggf. selbstständigen Berufsleben ausscheiden zu müssen. Andererseits ging es aber immer auch um den Schutz lukrativer parlamentarischer „Gepflogenheiten“, die man sich nicht abgewöhnen wollte.

Der erste § 108e StGB war so beschränkt, dass nur der direkte Kauf oder Verkauf von Stimmen bei Abstimmungen im Parlament Strafbarkeit nach sich zog. Alles, was außerhalb der konkreten Abstimmungen lief, blieb straflos.

Diese praktisch unanwendbare Norm wurde dann 2014 zum jetzigen Wortlaut verändert; die jüngste Änderung von 2021 betraf die Strafdrohung, die auf mind. ein Jahr Freiheitsstrafe angehoben wurde, und damit auch die Einführung der Versuchsstrafbarkeit.

Die Dreistigkeit der Abgeordneten Nüsslein und Sauter bestand darin, ihre Mandatsträgereigenschaft quasi als Aushängeschild benutzt zu haben, um  ihre Kontakte zur jeweiligen Regierung bzw. Beschaffungsbehörden auszunutzen. Das hat zwar, man mag es drehen und wenden, wie man will,  strukturell den Charakter klassischer Korruption. Es betrifft aber eben kein Tätigwerden eines Mandatsträgers „bei der Wahrnehmung seines Mandates“. Die eingehende Begründung des BGH, die sich auf die klare Mehrheit im Schrifttum stützen kann, überzeugt (Pressemitteilung BGH vom 12. Juli 2022):

Die Tatbestände des § 108e Abs. 1 und 2 StGB setzen unter anderem eine (erstrebte bzw. getroffene) Unrechtsvereinbarung zwischen dem Bestechenden und dem bestochenen Parlamentsmitglied mit dem Inhalt voraus, dass dieses "bei der Wahrnehmung seines Mandates" eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder unterlässt. Die Beschuldigten N. und S. nahmen indes, indem sie die Gegenleistungen für die Gewinnbeteiligungen erbrachten, nicht ihr Mandat im Sinne dieses Strafgesetzes wahr; die Übereinkunft der Beteiligten war hier von vorneherein nicht auf ein derartiges Verhalten gerichtet.

Das Merkmal der Wahrnehmung des Mandats ist dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen, erfasst ist. Allein die Vereinbarung zwischen den Beteiligten, dass sich der Mandatsträger bei außerparlamentarischen Betätigungen auf seinen Status beruft, um im Interesse eines Privatunternehmers Behördenentscheidungen zu beeinflussen, erfüllt dieses Merkmal nicht. Ebenso wenig genügt es, wenn das Parlamentsmitglied dazu die in dieser Funktion geknüpften Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Exekutive ausnutzen oder sich seiner Amtsausstattung bedienen soll.

 

Verschärfung des § 108e StGB – aber wie?

Während der aktuelle Fall damit wohl strafrechtlich geklärt ist, stellt sich nun die Frage, ob und wie man den § 108e StGB so formulieren kann, dass künftig solche Verhaltensweisen auch in die Strafbarkeit fallen. Das ist jedenfalls der Plan der Ampelkoalition. (LTO-Bericht)

Die einfachste Lösung wäre es, die Worte „bei Wahrnehmung seines Mandates“ aus dem Tatbestand zu streichen. Dies würde allerdings den Mandatsträger bei jeglicher Handlungsvornahme bzw. -unterlassung, für die er einen Vorteil annimmt (sich versprechen lässt oder annimmt) unter Strafe stellen. Damit würde die strafrechtliche Haftung der Abgeordneten so weit reichen, dass schon jede bezahlte  Nebentätigkeit des Abgeordneten einen Straftatverdacht auslösen könnte. Es würde ihn schlechter stellen als einen Amtsträger, denn bei diesen ist immerhin auch ein Dienstbezug der betreffenden Handlung erforderlich. Eine bloße Streichung der einschränkenden Formulierung würde deshalb schon aus systematischen Gründen ausscheiden.

Also wird man eine Formulierung suchen, die die bloße „Wahrnehmung des Mandates“ so um Verhaltensweisen außerhalb der Mandatswahrnehmung ergänzt, dass ein Mandatsbezug des inkriminierten Verhaltens bestehen bleibt.

Der auch im BGH-Beschluss erwähnte,  in zwei Gesetzesinitiativen Fraktion der Linken ausformulierte Vorschlag ging dahin, jegliches Verhalten „im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats“ zu erfassen. Der Vorteil wäre, dass dann auch künftige, bisher noch nicht aufgetretene Verhaltensweisen von Abgeordneten außerhalb des Mandats, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mandat stehen, einbezogen werden könnten. Dagegen spricht die mangelnde Bestimmtheit der abstrakten Formulierung „Zusammenhang“.

Alternativ dazu könnte neben den bisherigen Satz 1 ein neuer Satz 2 formuliert werden, der konkreter bestimmte Verhaltensweisen außerhalb der Mandatswahrnehmung unter Strafe stellt. Nach Konstantin von Notz (Rechtspolitiker der Grünen) soll es dabei wohl insbesondere um den „Missbrauch“ der Mandatsstellung:

"Wir setzen uns dafür ein, dass auch der Missbrauch von Rang und Ansehen eines Abgeordneten und eine damit verbundene Vorteilsnahme zukünftig strafbar ist." (lto-Zitat)

Damit wäre immerhin klargestellt, dass es sich bei der Aktivität, für die ein Vorteil angenommen wird, um eine  solche handelt, bei der nicht die Art der Tätigkeit sondern die Stellung als Mandatsträger ausschlaggebend sein soll. Allerdings würde ein „Missbrauch“ wohl eine explizite  Bezugnahme auf das Mandat bei der in Frage stehenden Tätigkeit voraussetzen. Ansonsten würde man vor einer ähnlichen Situation stehen wie bei der Auslegung des „Zusammenhangs“ und immer dann Missbrauch feststellen, wenn die Tätigkeit des Abgeordneten außerhalb des Mandats anrüchig erscheint. Verlangt man aber zumindest die ausdrückliche Bezugnahme auf das Mandat (z.B. in Briefkopf oder E-Mail), wären damit prominentere Abgeordnete, die nicht auf ihre Mandatsstellung hinweisen müssen, um ihren Einfluss „als Abgeordnete“ geltend zu machen, vor Verfolgung relativ geschützt. Man wird ihnen kein Handlungsverbot aufgrund Prominenz auferlegen können.

Will man sich allerdings auf Fälle konzentrieren, wie sie in der Maskenaffäre auftraten, dann bietet sich an, Abgeordneten generell die Einfädelung von privaten Geschäften mit staatlichen Stellen zu untersagen, zumindest sofern sie davon selbst (bzw. ihre Angehörigen) profitieren. Denn hierin besteht ja der Kern des konkreten Missbrauchs der Mandatsträgerstellung durch die beiden CSU-Abgeordneten: Die Beschuldigten machten aus ihren Kontakten zum Staat, die sie (v.a.) ihrer Mandatsstellung verdankten, ein Geschäft.

Dies würde wiederum eine gewisse Einschränkung der Strafbarkeit bedeuten, so dass rein private Geschäftsbeziehungen, auch dann, wenn sie durch die Mandatsträgereigenschaft begünstigt werden, im Allgemeinen weiterhin straffrei blieben. Das ist jedoch die Konsequenz daraus, dass Abgeordneten überhaupt  Nebentätigkeiten in erheblichem Umfang erlaubt werden. Die Alternative, künftig nur noch allein hauptberuflich tätige Mandatsträger zuzulassen, wäre mit dem bisherigen Verständnis des deutschen Parlamentarismus kaum vereinbar. Skandalöses Verhalten z.B. bei Ausübung von Nebentätigkeiten dürfte, bei entsprechender Transparenz dennoch „bestraft“ werden  – politisch (wie bisher).

Während der Gesetzgeber grundsätzlich (bis zur Grenze der Verfassung) frei darin ist, neue Strafbarkeitsgründe zu schaffen, kann die Rechtswissenschaft immerhin darüber Auskunft geben, ob eine Tatbestandsänderung mit der (bisherigen) Schutzrichtung bzw. dem geschützten Rechtsgut des Straftatbestands übereinstimmt.

Schutzgut des § 108e StGB ist nach meiner Auffassung die „Integrität und Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems“ (H.E.Müller Münchener Kommentar zum StGB, zu § 108e). § 108e StGB schützt bislang unsere repräsentative Demokratie, indem „die Sachlichkeit und Unabhängigkeit der Ausübung des Mandats“ sichergestellt werden soll. Diese Beziehung zur „Ausübung des Mandats“ ist jedenfalls dem bisherigen Tatbestand eingeschrieben.

Dass die Abgeordneten zu Beginn der Pandemie, als weltweit Gesundheitsbehörden händeringend nach Masken suchten, den Kontakt von Maskenlieferanten zu den deutschen bzw. bayerischen Gesundheitsbehörden herstellten, war durchaus erwartungsgerecht. Das Verhalten wäre – auch unter Ausnutzung der Abgeordnetenstellung – grundsätzlich anerkennenswert, wenn die Beschuldigten dafür keine Provision verlangt bzw. erhalten hätten. Was an der Maskenaffäre empörenswert ist, ist die der Erwartung widersprechende persönliche Bereicherung, die hier mit Bezug auf die Mandatsstellung verfolgt wurde. Damit wird aber deutlich, dass es nicht mehr um eine Frage der  Integrität der „Ausübung des Mandats“ gehen soll, sondern um die Integrität der dieses Mandat „Ausübenden“ selbst. Die Einbeziehung des Integritätsschutz der Mandatsstellung der Person  selbst bedeutet zugleich eine Erweiterung auch des Schutzzwecks der Norm: Der Mandatsträger (wenn er als solcher auftritt) soll sich auch außerhalb der Mandatsausübung „korrekt“ verhalten, um nicht das Mandat bzw. dessen Ansehen selbst zu beschädigen, wobei „korrekt“ auch – und jedenfalls im vorliegenden Fall ­– ein Maßstab für die Motive seines Verhaltens sein soll.

Der Gesetzgeber, und damit die Mandatsträger selbst, wird sich gut überlegen, ob das Ansehen ihres bzw. „des“ Mandats auf diese Weise geschützt werden soll und sich dafür auch selbst für die Zukunft "binden". Jedenfalls würden viele der bisherigen "Gepflogenheiten" von Parlamentariern in dieser Perspektive nicht mehr nur politsch anrüchig, sondern auch strafrechtlich relevant werden.

 

 

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2 Kommentare

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So richtig befriedigend wird sich die Angelegenheit ohnehin nicht lösen lassen. Mich überzeugen weder der Vorschlag von Herrn von Notz, noch der deutlich weitergehende von Transparency Deutschland. Konsequenter wäre es wohl Regelungen aus dem Beamtenrecht zu übernehmen. Danach wären Nebentätigkeiten (im Grundsatz) genehmigungspflichtig und Ausnahmen dahingehend geregelt das entweder eine geringfügige Nebentätigkeit allgemein als genehmigt gilt oder bestimmte Nebentätigkeiten nicht der Genehmigungspflicht unterliegen.

Zum vorletzten Absatz Ihrer Ausführungen: Bei Mandatsträgern, speziell im BT, ergeben sich ja schon aufgrund einer gewissen Prominenz erhöhte Maßstäbe in Bezug auf die Moral des Handelns. Die Frage die sich hier stellt und die sich auch die Politik stellen lassen muss ist, ob denn nicht die speziellen Ausprägungen des deutschen Systems, u.a. das keine Grenzen hinsichtlich der (Wieder)Wahlbarkeit bestehen ("Berufspolitker") Korruptionprobleme nicht noch weiter befördern. Insofern also die Frage ob das wirklich über das Strafrecht zu lösen ist, oder hier nicht viel eher an anderer Stelle angesetzt werden muss.

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Hinweis: Herr Peus (einschl. Pseudonym Athanasius) ist von der Kommentierung meiner Beiträge suspendiert, da er nicht davor zurückschreckt, strafrechtlich relevante Volksverhetzung zu betreiben. Ich werde mich auch durch seine Beleidigungen nicht davon abhalten lassen, seine Kommentare unter meinen Beiträgen generell zu sperren. Ich bedanke mich bei den Lesern für das Verständnis.

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