Straßenblockaden durch Klimaaktivist-inn-en: Strafbare Nötigung, gegen die Notwehr geübt werden kann?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.11.2022
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieMaterielles Strafrecht43|33967 Aufrufe

Klimaaktivisten, insbesondere diejenigen der Gruppierung „Letzte Generation“ sind in jüngerer Zeit häufig durch Blockaden von wichtigen Straßen in Großstädten aufgefallen.

Damit soll Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten und bedrohlichsten weltweiten Krisen gerichtet werden. Die Politik soll konsequenter handeln und die mit den Blockaden belästigten Autofahrer-innen sollen ggf. in diesem Sinne Druck auf die Politik ausüben. Ob diese Aktionen, die ja nicht die damit angesprochenen Politiker hauptsächlich treffen, politisch sinnvoll bzw. vernünftig sind, soll hier nicht Thema sein. Ich habe mich an verschiedenen Stellen dazu geäußert, dass ich ungezielten Protest für weniger sinnvoll halte, obwohl ich das Ziel der Blockierer, wie wohl die meisten Menschen, durchaus teile. Aber mittlerweile gibt es auch andere, kaum weniger überzeugende Stimmen zum Sinn bzw. Erfolg dieser Art von Protest

An dieser Stelle soll es allerdings um das Strafrecht gehen, wobei in jüngster Zeit die beiden im Titel angedeuteten Fragen in die Diskussion geraten sind, einerseits durch verschiedene sich widersprechende gerichtliche Entscheidungen, andererseits durch Äußerungen aus der Strafrechtswissenschaft.

I. Die Frage der Strafbarkeit nach § 240 StGB

Bei der Strafbarkeit von Sitzblockaden handelt es sich um eine schon seit den 1960ern im Streit stehende und immer wieder diskutierte Problematik. Ein erstes Fazit möchte ich schon vorausschicken: Unser StGB von 1871 ist trotz vieler seitheriger Reformen nicht besonders gut geeignet, auf Akte des zivilen Ungehorsams angemessen differenzierte bzw. einigermaßen nachvollziehbare klare Antworten zu geben.

Zur Erinnerung: Im Jahr 1966 hatten Kölner Studierende aus Protest gegen Fahrpreiserhöhungen die Straßenbahn blockiert, indem sie sich auf die Gleise gesetzt hatten. Der BGH konstatierte, es handele sich um Nötigung „mit Gewalt“, obwohl die auf diese Weise genötigten Straßenbahnführer keine Einwirkung auf ihren Körper zu beklagen hatten. Gewalt könne nämlich auch durch psychischen Zwang ausgeübt werden, wenn dieser „unwiderstehlich“ sei, weil der Fahrer der Straßenbahn keinen Totschlag begehen wolle. Zitat:

„Die Studenten, die sich auf den Gleiskörper der Straßenbahn setzten, um damit den Straßenbahnverkehr zu blockieren, nötigten die Führer der Straßenbahn mit Gewalt, ihre Fahrzeuge anzuhalten (…) Entscheidend ist, welches Gewicht der von ihnen ausgeübten psychischen Einwirkung zukam. (…)
Stellt sich ein Mensch der Bahn auf den Schienen entgegen, so liegt darin die Ausübung eines Zwanges, der für den Fahrer sogar unwiderstehlich ist, denn er muss halten, weil er sonst einen Totschlag beginge.“

(BGHSt 23, 46, 54)

Der damals ganz h.M. entsprechend führt die Annahme von „Gewalt“ in § 240 Abs.1 StGB  umstandslos auch zur Verwerflichkeit nach Abs.2 derselben Norm.

Ein solcher unwiderstehlicher und daher gewaltsamer Zwang wurde von den Gerichten dann routinemäßig bei Verkehrs-/Sitzblockaden angenommen. Der Zweck der jeweiligen Aktion blieb außer Betracht, denn politische „Fernziele“ werden auch in der Abwägung nach Absatz 2 nicht berücksichtigt, ebenso wenig der Umstand, dass es sich um Akte moderner politischer Kommunikation handelt.

Viele Strafrechtswissenschaftler kritisierten allerdings die „Vergeistigung“ des Gewaltbegriffs, die sie hier sahen. Konnte man es wirklich umstandslos als „Gewalt“ subsumieren, wenn Protestierende Gleise oder Zugangsstraßen, Gebäudeeingänge,  Brücken  oder politisch gegnerische Demonstrationen lediglich blockierten, aber weder körperliche Angriffe auf Personen unternahmen, noch Schäden an Personen oder Sachen verursachten?

Das BVerfG hat es im Jahr 1995 (BVerfGE 92, 1) schließlich abgelehnt, psychische Beeinträchtigungen als Gewaltausübung zu subsumieren, denn die psychische Zwangsausübung sei ja bereits "nötigen".  Zentral war folgendes Argument:

„Da die Ausübung von Zwang auf den Willen Dritter bereits im Begriff der Nötigung enthalten ist (…) kann die Gewalt nicht mit dem Zwang zusammenfallen, sondern muss über diesen hinausgehen “

Die Folge war, dass Protestierende, die – nur – den eigenen Körper als Mittel zur Blockade einsetzen,  nicht wegen gewaltsamer Nötigung bestraft werden konnten. Dies veranlasste die Instanzgerichte – und den BGH – nun dazu, bei jeglicher Blockade darauf zu achten, ob die Protestierenden möglicherweise neben ihrem bloßen Körper doch weitere Mittel zur Blockade verwendet hatten. Sobald dies der Fall war, konnte „Gewalt“ und damit zugleich auch Verwerflichkeit bejaht werden. Dazu gehörte auch etwa das Anketten an den Gleiskörper oder, und das war diejenige Interpretation, die die vorherige Entscheidung des BVerfG für Straßenblockaden nahezu ad absurdum führte: Das bewusste Ausnutzen der Fahrzeuge, die in der ersten Reihe stünden zur Blockade der zweiten und aller weiteren sei ebenso gewaltsam. Denn jene Fahrzeuge bzw. ihre Fahrer-innen würden von den Protestierenden quasi als Werkzeug eingesetzt, die weiter entfernten Fahrzeuge in mittelbarer Täterschaft zu blockieren.

Auf diese Art wurde bei einer der häufigsten politischen Blockadeformen, nämlich der Blockade des Kraftfahrzeugverkehrs, das Merkmal Gewalt reetabliert.

Das BVerfG hat im Jahr 2011 diese Subsumtion des BGH als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft, zugleich aber für die Fälle, in denen eine solche Blockade durchgeführt wird, um ein die Aufmerksamkeit für ein politisches Ziel zu befördern, § 240 Abs.2 StGB als Ort der Verhandlung über die Rechtswidrigkeit betont. Der Schluss von (begrenzter psychischer) Gewaltausübung durch eine Sitzblockade auf die Verwerflichkeit der Nötigung erscheint seither verfassungsrechtlich nicht mehr zulässig.

Diese verfassungsrechtliche Argumentation scheint aber in der Praxis – teilweise auch in Politik und Rechtswissenschaft –  nicht durchgängig angekommen zu sein. So wird nach wie vor argumentiert, die Subsumtion des Verhaltens als Gewalt führe mehr oder weniger automatisch zur Rechtswidrigkeit der Nötigung.

Zwei nahezu zeitgleiche Beispiele aus der aktuellen Rechtsprechung seien benannt. Sie kommen bei Klimaaktivisten, die, auch mittels Klebstoff, die Straße blockiert hatten, zu unterschiedlichen Ergebnissen.

1. AG Tiergarten, Beschluss  vom 5.10.2022 (Ablehnung eines Strafbefehls)

Zitat:

„Deshalb sind im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden.

Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion (a), deren vorherige Bekanntgabe (b), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (c), die Dringlichkeit des blockierten Transports (d), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (e). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt.“

Das Gericht kommt nach ausführlichem Blick auf die Abwägungskriterien im konkreten Fall zu folgendem Ergebnis:

„Angesichts der die von den Blockaden betroffenen Fahrzeugführer positiv wie negativ und überhaupt die Menschheit dringlich betreffenden Ziele der Demonstrationsteilnehmer und also auch der Angeschuldigten, angesichts der Tatsache, dass dringende Transporte wie namentlich Krankentransporte das Demonstrationsgebiet passieren konnten, angesichts der Tatsache, dass die Demonstration die Betroffenen kaum länger als eine Vielzahl sonstiger (angemeldeter) Demonstrationen im Stadtgebiet beeinträchtigt hat und (mutmaßlich, da von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht umfasst) angesichts der vorangehenden Ankündigungen weiterer Demonstrationen zumindest einige der betroffenen Fahrzeugführer im Vorfeld auch auf öffentliche Verkehrsmittel hätten umsteigen können, ist das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiegt vorliegend bei weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.“

Quelle: AG Tiergarten, Beschluss vom 5.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22)

 

2. AG Tiergarten, Urteil vom 30.08.2022

Die Gegenposition lässt sich in einer anderen der Entscheidung des  AG Tiergarten (Jugendgericht)  erkennen. Der 20jährige Angeklagte wurde zu 60 Stunden Freizeitarbeiten angewiesen. Eine Abwägung, wie sie das BVerfG für angemessen erachtet, ist nach Ansicht des Jugendrichters nicht erforderlich.

„Das Gericht hält demgegenüber in Übereinstimmung mit dem seinerzeit zur „Wackersdorf-Entscheidung“ abgegebenen Sondervotum der Bundesverfassungsrichterin H. den Schutzbereich des Artikel 8 Grundgesetz für nicht eröffnet. Grundrechte verbürgen grundsätzlich Rechte gegenüber dem Staat, bilden aber keine Grundlage für Eingriffe in die Rechte anderer Grundrechtsträger, und können daher Ausübung von Gewalt diesen gegenüber nicht legitimieren (Haas NJW 2002, 1035). Es ist vorliegend ja auch nicht so, dass die Behinderung Dritter die unvermeidliche Nebenfolge einer Versammlung gewesen wäre, vielmehr wurde hier ja gezielt ein langer Stau auf dem Berliner Stadtring verursacht, um die Bundesregierung zu den angeblich unumgänglich notwendigen Schritten zu veranlassen, Aufmerksamkeit zu erregen und auch die im Stau Stehenden mit dem Anliegen der Blockade-Teilnehmer zu konfrontieren. Diese wiederum konnten dieser Konfrontation auch nicht ausweichen, hatten diese vielmehr zu erdulden aufgrund der von den Blockade-Teilnehmern ausgehenden Gewalt. Die Freiheit zur Meinungsäußerung Einzelner (Artikel 5 Grundgesetz) wie auch derjenigen, die zum Zwecke kollektiver Meinungsäußerung eine Versammlung durchführen (Artikel 8 Grundgesetz), geht aber nicht einher mit dem Recht, von einzelnen oder auch einer Vielzahl Personen gehört zu werden (vergleiche Haas am angegebenen Ort, Seite 1035 f., mit weiteren Nachweisen). Es gibt kein verfassungsmäßiges Recht auf Gehör oder auch nur Aufmerksamkeit, jeder hat auch das Recht, nicht zuzuhören, seine Aufmerksamkeit nicht zu schenken und in Ruhe gelassen zu werden. Artikel 8 des Grundgesetzes gewährleistet kein Recht, sich Gehör und Aufmerksamkeit gewaltsam zu verschaffen.

Die vom Angeklagten und seinen Mittätern durchgeführte Blockade ist verwerflich, sie haben gewaltsam Verkehrsteilnehmer daran gehindert, ihren Weg fortzusetzen und die diesen grundrechtlich verbürgte Handlungsfreiheit auszuüben, indem diese den Weg zu ihren Zielen, die sie erreichen wollten und in vielen Fällen sicher auch dringend mussten, nicht fortsetzen konnten.“

Quelle: AG Tiergarten, Urteil vom 30.08.2022 – (422 Cs) 231 Js 1831/22 (11/22) Jug

Hier wird praktisch mit der (angeblichen) Evidenz argumentiert, eine Rechtfertigung aufgrund politischer Zielsetzung komme nicht in Frage, da die politische Teilhabe ihre Grenze in der Strafbarkeit der Handlung, insbesondere in der Gewalttätigkeit finde. Und die Gewalttätigkeit führt dann mehr oder weniger unmittelbar auch zur Verwerflichkeit der Nötigung.

Allenfalls auf den ersten Blick überzeugend wirkt auch die Twitternachricht des Bundesjustizministers Marco Buschmann:

„Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldet Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig, Prostest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“

Auch er scheint die Rechtsprechung des BVerfG für irrelevant zu halten.

Überboten wird dies noch durch den Ex-Verkehrsminister Scheuer (CSU), der – offenbar unter Verkennung rechtsstaatlicher Grundsätze, Innenministerin Faeser und Justizminister Buschmann nach einer Blockadeaktion am Berliner Flughafen in einem Tweet direkt auffordert:

„Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg! #BER #LetzteGeneration Die Täter müssen Konsequenzen spüren.“

Auch ein Beschluss des OLG Celle scheint – jedenfalls nach der Information der Pressemitteilung – eher unterkomplex pauschal:

„Die Beschädigung des Universitätsgebäudes ist darüber hinaus auch nicht durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt. Niemand sei berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, könne dies in Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, seines Petitionsrechts und seines Rechts auf Bildung politischer Parteien tun, nicht aber durch die Begehung von Straftaten. Würde die Rechtsordnung einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruhte, liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus.“

Quelle: OLG Celle, Beschluss vom 29.07.2022 – 2 Ss 91/22

Aber hier ging es um Sachbeschädigung. Der Tatbestand der Sachbeschädigung unterscheidet sich fundamental von demjenigen der Nötigung. Das Gesetz knüpft die Strafbarkeit der Sachbeschädigung eben nicht an die Verwerflichkeit und damit außerhalb des Tatbestands liegende grundsätzliche Abwägungen.

II. Die Frage der Notwehr gegen Straßenblockaden

Quasi die nächste Eskalationsstufe wird aufgerufen, wenn man darüber diskutiert, ob blockierten Autofahrern Notwehr gegen die Klimaprotestierenden zusteht.

Es geht also um die Frage, ob in der Auseinandersetzung die eigene Fortbewegungsfreiheit durch eine – diesmal tatsächlich gewalttätige – Notwehrhandlung gegen die Protestierenden rechtmäßig verteidigt werden darf.

Auf den ersten Blick gilt hier der (nach geltendem deutschem Strafrecht) ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung durchsetzbare Grundsatz: „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“.

Zutreffend haben einige Kolleg-inn-en darauf hingewiesen, dass eine Abwägung der (zeitlich ja nur mäßig eingeschränkten) Freiheit  der Blockierten gegen die Freiheit zum Protest oder gar gegen die (hehren) inhaltlichen Ziele des Protests in § 32 StGB gerade nicht vorgesehen ist.

Allerdings ist bei der Verteidigung gegen eine Nötigung die Verhältnismäßigkeitsprüfung eben doch nicht verzichtbar, denn sie ist in die Rechtswidrigkeit der Nötigung nach § 240 Abs.2  (und damit in die Rechtswidrigkeit des „Angriffs“ iSd § 32 StGB)  „eingebaut“. Die dort zu prüfende Verwerflichkeit ist kaum etwas anderes als eine (verschärfte) Form der (Un-)Verhältnismäßigkeit. Und somit ist das Recht zur Verteidigung keineswegs wie bei anderen Rechtsgutbeeinträchtigungen durch die Tatbestandsmäßigkeit des Angriffs indiziert. Und die subsumierte Gewalttätigkeit des Protests, gleich ob man diese aus der „zweiten Reihe“-Rechtsprechung oder aus dem Festkleben an die Fahrbahn herleitet, führt auch nicht, wie oben gezeigt, zur Vereinfachung dieser Verwerflichkeitsprüfung.

Wenn also ein Gericht – entgegen der deutlichen „Empfehlung“ des BVerfG – eine Verwerflichkeitsprüfung einfach „verwirft“ ­oder für überflüssig erachtet,  verkennt es die Komplexität des erforderlichen Prüfumfangs, und dies würde sich ggf. auch auf die Bewertung einer Notwehrhandlung auswirken.

Wenn Kolleg-inn-en aus der Rechtswissenschaft die Notwehrfrage ebenfalls meinen „einfach“ auflösen zu können, dann verkennen sie die Komplexität der Situation. Aber sie zeigen mit ihrer Argumentation, was eigentlich schon länger klar sein sollte: Die Notwehrnorm selbst gibt, gerade in Fällen des zivilen Ungehorsams, keine eindeutige Orientierung. Konkret: Die Antwort auf diese Frage, stößt in Situationen, in denen die Rechtswidrigkeit von einer komplexen Verwerflichkeitsprüfung abhängig ist, auf immense Schwierigkeiten. Was, entgegen der Intention einer „schneidigen“ Notwehr, eigentlich zu dem Ratschlag führen sollte: „Übe keine (vermeintliche) Notwehr, wenn du selbst nicht die Komplexität der vom BVerfG geforderten Verwerflichkeitsprüfung durchführen kannst.“

Und auch sub specie „Erforderlichkeit“ der Notwehrhandlung erscheint es fraglich, ob nicht die im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich einsatzfähige Polizei es regelmäßig gebietet, deren Einsatz abzuwarten, auch wenn damit eine (zeitlich allerdings begrenzte) Preisgabe des Rechts einhergeht. Dabei gilt es auch zu beachten, dass bei der  Teilnahme am Straßenverkehr heutzutage ohnehin keine unbeschränkte  Fortbewegungsfreiheit garantiert ist: Zu viele andere Interessen und Ereignisse  (von Demonstrationen einmal abgesehen auch: Volksfeste, Sportereignisse, religiöse Prozessionen, Baustellen, Verkehrsüberlastung) sorgen dafür, dass die unbelastete Fortbewegung ohnehin kein durchsetzbares „Recht“ des Verkehrsteilnehmers ist. Ganz regelmäßig wird es für die  im hinteren Teil des Staus platzierten Autofahrer der zweiten bis x-ten Reihe das gleich wirksame bzw. sogar wirksamere Mittel sein, eine Räumung der Blockade durch die Polizei abzuwarten als selbst die Klimablockierenden gewaltsam „abzuräumen“.

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43 Kommentare

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Der Bürger darf sich gegen die Sitzblockade nicht wehren, die nach Ihrer Rechtsansicht möglicherweiser nicht strafbar ist?

Falscher Ansatz: Es geht nicht um alternative Gründe der Nichtfortbewegung. Es geht darum, dass gerade diese Truppe mein Recht beeinträchtigt. Ich werde die Jung:innen das nächste Mal von der Straße reißen und mal schauen, welchen Amtsrichter ich treffe.

Beste kollegiale Grüße

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

ich habe nirgends behauptet, der Bürger dürfe sich nicht wehren.

Und ja, probieren Sie es aus. Ich denke nur, bei Ihrer hier schon angekündigten aggressiven Grundhaltung wird man ziemlich genau hinschauen, ob Notwehr tatsächlich erforderlich und geboten war.

Meine Erfahrung durch Beobachtung der Praxis: § 32 StGB wird von der Rechtsprechung recht deutlich enger verstanden als es die Lehrbücher glauben lassen. Körperliche Gegenwehr ohne vorherigen körperlichen Angriff wird im Ergebnis nur sehr eingeschränkt zugelassen. Aber das wissen Sie ja auch selbst.

Besten Gruß

 

 

 

 

Diese Praxisbeobachtung dürfte zutreffen, wobei das mE sehr zu Lasten des Notwehrrechtes geht. Ich denke, da spielt oft eine Rolle, dass am Ende der Angreifer als Einziger verletzt oder tot ist, der Notwehr Übende dann als der ggf. auch noch unverletzte siegreiche Aggressor dasteht, und dann vom Ergebnis her gedacht wird, "das kann doch nicht sein" und daher dem Notwehr-"Täter" irgendwelche zumutbare Handlungsalternativen zugedichtet werden (s. zB die Kritik von Erb NStZ 2011,186).

Geht aber auch anders, in Rheinland-Pfalz hat man ja dem HellsAngel seinen Irrtum über die vermeintlichen Angreifer abgenommen. 

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Es stellt sich die Frage, welche Notwehrmaßnahme denn die aktuelle Beeinträchtigung der eigenen Rechte bei so einer (strafbaren) Nötigung beseitigt.

Wenn ich beschossen werde und eine geladene Pistole in der Hand habe, ist die Antwort einfach. Aber bei Nötigung, wie die Aktivisten sie bewirken, ist die Antwort eben alles andere als einfach - zumal der/die Beeinträchtigte da ganz schnell die Schwelle zur Selbstjustiz erreicht. Er/sie kann zwar bestrafen, aber die Beeinträchtigung nicht einfach beseitigen, weil der Nötiger sich auf der Fahrbahn festgeklebt hat. Und ist ein Stau entstanden, wird er sich im Stadtverkehr auch nicht so schnell wieder auflösen.

Vor allem die Wehrlosigkeit gegen solche Beeinträchtigten und nicht (nur) die Strafbarkeit der Nötigung ist das Problem.

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Klingt für mich eher, als suchten Sie nach einer Ausrede, mal Gewalt gegen den politischen Gegner ausüben zu können. Wird den*die Amtsrichter*in dann sicher auch interessieren; ich fürchte, § 32 StGB können Sie sich dann abschminken ;). 

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Sehr geehrter Herr Müller,

eigentlich eine schön differenzierte Darstellung. Allerdings scheint mir die Dynamik des zeitlichen Verlaufs zu kurz zu kommen. D.h., inwieweit spielt es eine Rolle, dass die Klima-Blockaden weiter fortgesetzt werden, obwohl man vielleicht unterstellen kann, dass der überwiegende Anteil der noch am öffentlichen Leben teilnehmenden Personen, das Anliegen der sog. "Letzten Generation" bekannt ist? Wobei das eigentliche Ziel ja wohl nicht nur ist, über irgendetwas aufzuklären, sondern zum Handeln zu zwingen. Entweder die Politiker oder die Bürger, damit sie auf die Politiker einwirken. Kann man das nicht eigentlich auch schon aus Prinzip unzulässig finden? Oder anders ausgedrückt: 

Gilt die Aussage im 1. Urteil auch noch bei dem Ziel des "Erzwinges", (fortgesetze Eskalation bis Forderung umgesetzt wird)? 
"Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt." (Vergleich: erzwingen von Gefangenen-Freilassung für zu unrecht Inhaftierte).

Damit verbunden stellt sich der potentielle Notwehr-Tatbestand (für mich) auch so dar, dass es den Aktivistinnen nicht darauf ankommt, für wenige Ampelphasen die Verkehrsteilnehmerinnen zum Nachdenken anzuregen bzw. den üblichen Trott nur etwas zu verlangsamen, sondern erklärtes Ziel/Mittel ist "maximales Chaos" anzurichten. Ist ja vielleicht nicht ganz unwichtig für eine Prognoseeinschätung der Lage der Notwehrausübenden. Wichtig wäre vielleicht auch, dass es neben dem Notwehrrrecht auch noch ein Nothilferecht unbeteiligter Dritter bzw. von Verkehrsteilnehmerinnen gibt, denen das Notwehrrecht nicht zusteht (Erste Reihe).

Zum Abwarten der "jederzeit einsatzbereiten" Polizei: Meine Wahrnehmung ist die, dass die Aktionen soweit eskaliert werden sollen, dass die Polizei nicht mehr hinterherkommt. In einem Strafrechtskommentar habe ich das interessante Argument gefunden, dass ein Ladenbesitzer es nicht akzeptieren muss, wenn die Polizei aus "Deeskalationstaktischen Gründen" sich dafür entschieden hat, seinen Laden plündern zu lassen. (OK, da fehlt es schon an der Komplexität bzw. der Verwerflichkeitsprüfung.)

Sie schreiben:
"Dabei gilt es auch zu beachten, dass bei der  Teilnahme am Straßenverkehr heutzutage ohnehin keine unbeschränkte  Fortbewegungsfreiheit garantiert ist: Zu viele andere Interessen und Ereignisse  (von Demonstrationen einmal abgesehen auch: Volksfeste, Sportereignisse, religiöse Prozessionen, Baustellen, Verkehrsüberlastung) sorgen dafür, dass die unbelastete Fortbewegung ohnehin kein durchsetzbares „Recht“ des Verkehrsteilnehmers ist."

Das passt alles nicht. Bei den Blockaden geht es meiner Wahrnehmung ja nicht darum, dass man eine bestimmte Stelle X (für kurze Zeit) nicht mehr passieren kann und Alternativen nutzen muss, sondern dass man komplett eingeschränkt, also mit seinem Fortbewegungsmittel komplett gefangen ist (mit der realistischen Aussicht, dass es sich um mehrere Stunden handeln kann). 

Von den Klima-Aktivistinnen wird ja zum Teil entgegengehalten, sie würden Rettungsgassen einhalten. Gemeint ist aber wohl: wenn die Autofahrerinnen eine Rettungsgasse einhalten würden, dann könnte ein Rettungsfahrzeug diese bei Bedarf auch nutzen und die Blockade sei so organisert, dass der entsprechende Klimaaktivist am Ausgang der Rettungsgasse nicht angeklebt ist und sofort Platz macht.
Ich habe auch schon Videoaufnahmen von blockierten Autobahnabfahrten gesehen, die so eng waren, dass man keine Rettungsgasse hätte bilden können. Und bei der die Blockade über 4h gedauert hat.

Zur Komplexität der Situation: 
Würden Sie mir zustimmen, dass die Zeit gegen die Klima-Aktivistinnen läuft? (Es gibt immer weniger bzw. nichts, was man in die Waagschale der Klima-Aktivistinnen für jetzt noch stattfindende Blockaden werfen könnte.)

Oder anders: Was würde denn aus der Komplexität folgen, also für diejenigen, die nicht auf Ihren sehr richtigen Ratschlag hören: Wenn medienwirksam Juristen aus allen Bereichen einen Freibrief zur Notwehr geben, kann man sich dann nicht vielleicht zumindest auf einen Erlaubnisirrtum berufen, oder? "Nur die Auskunft einer verlässlichen Person kann die Vermeidbarkeit des Irrtums ausschließen."
(Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 17 Rn. 18) Also 1 verlässliche Person (=Jura-Professorin) würde reichen, auf eventuelle Gegenmeinungen käme es also nicht an. D.h. man muss nicht noch andere Professorinnen befragen müssen, sondern kann sich darauf verlassen, dass das in der 1 Äußerung enthalten wäre.

Disclaimer: Ich bin seit 9 Jahren kein Autofahrer mehr.

Zur Strategie den Amtsrichter entscheiden zu lassen, passt ganz gut folgender Witz: a. https://www.felser.de/witze-fun/juristenwitze-die-10-besten-nr-3-zwei-bundesrichter/

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Sehr geehrter Herr Höpfner,

vielen Dank für Ihren kritischen Kommentar, durch den ich meinen Beitrag zum Teil aber auch bestätigt sehe. Ich habe weder die Klimablockaden generell für rechtmäßig erklärt, noch generell ein Notwehrrecht verneint. Sondern lediglich eingefordert, dass hier im Einzelfall (!) eine Abwägung erfolgen muss und alles nicht so einfach ist, wie es manche der Kolleg-inn-en darstellen.

Welche Faktoren bei einer Abwägung eine Rolle spielen können, dazu steht einiges sehr Beachtliches in Ihrem Kommentar. Allerdings wird man nicht von den  Zielen der Klimabewegung Letzte Generation ("Chaos stiften") auf das Notwehrrecht im Einzelfall schließen können, denn ebensowenig wie generelle politsche Ziele GEGEN die Verwerflichkeit ins Feld geführt werden können, wird man sie FÜR die Verwerflichkeit ins Feld führen können.

Die Auskunft einer verlässlichen Person, die ggf einen Erlaubnisirrtum unvermeidbar macht, dürfte sich übrigens nicht auf Aufsätze, Interviewäußerungen oder Zeitungsartikel beziehen, sondern nur auf solche Auskünfte, die die konkrete Situation einbeziehen.

Abgesehen davon halte ich es für fragwürdig, wie sich einige Kolleg-inn-en (einschl. Herrn Thomas Fischer) öffentlich äußern und dabei verkennen, wie ihre Äußerungen zu einem (generellen) Notwehrrecht (miss-)verstanden werden können, nämlich als  Aufforderung zur gewalttätigen Eskalation. Sorry, das entspricht nicht meinem Ethos.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sagen wir mal so: wer sich mitten auf der Straße festklebt, muss u.U. auch mit "Unfällen" rechnen. Da braucht es gar keine Notwehr. Sitzen auf der Straße ist nun mal immer gefährlich, aus welchen Gründen auch immer.

Wenn das ein paar mal vorkommt, so werden es sich die nächsten Demonstranten schon überlegen, ob sie dieses Unfallrisiko wirklich eingehen wollen. 

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Besten Dank für das Stehenlassen. Sie haben meinen Kommentar ganz richtig verstanden: eine "subtile Drohung". Aber in erster Linie natürlich ein Hinweis auf die Gefahren im Straßenverkehr und darauf, was alles passieren kann, wenn man sich als Fußgänger auf einer Bundesstraße oder gar Autobahn bewegt oder vielmehr hinsetzt. Die Gefahren sind real.

Die Demonstranten hingegen arbeiten weniger subtil. Sie drohen nicht nur handfest mit einem Übel (mehrere Stunden im Stau), sondern nötigen ganz real. Das Gegenteil von subtil jedenfalls.

Ich denke, solange es bei subtilen Drohungen bleibt und das nicht in die Realität umgesetzt wird, ist das doch wirklich eine angemessene Reaktion zur Abwehr von Straftaten. Besser jedenfalls, subtil zu drohen als wirklich handgreiflich zu werden.

Handfeste Drohung mit einem Übel und Nötigung auf der Seite der Demonstranten, subtile Drohung mit den Gefahren des Straßenverkehrs auf der anderen Seite, das ist doch wirklich eine verhältnismäßige, wohlabgewogene Antwort, oder etwa nicht? Ein bisschen Einschüchterung tut den Demonstranten ganz gut, sie schüchtern ja auch die große Mehrheit der Autofahrer skrupellos ein.

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Was ist an der Drohung bitteschön "subtiell"? Ich weiß zwar nicht, wie die Blockierer vorgehen, nehme aber an, dass sie sich setzen und festkleben, wenn der Verkehr (z.B. an einer Ampel) eh' schon steht. Dann gibt es keine "Gefahren des Straßenverkehrs" mehr. Wer meint, dann noch anfahren zu müssen, dürfte auf dem Weg zu einer schweren, kaum zu rechtfertigenden Straftat sein. Was sollte der Rechtfertigungsgrund sein, der dafür schwer genug wiegt? Deshalb bleiben auch alle brav stehen und die Polizei sammelt die "Kleber" ein und schreibt die Anzeigen.

Allen, die die Klebe-Aktionen ärgern, sei zum Trost mitgeteilt, dass lt. Meldung des Tagesspiegels von eben das Landgericht Berlin den einen Amtsrichter, der die Strafbefehle im Oktober mit umfangreicher Begründung ablehnte, zurückpfiff.

Berliner Gericht pfeift Amtsrichter zurück: Doch kein Freispruch für Klimaaktivisten (tagesspiegel.de)

Jetzt werden halt alle Verfahren bis zum bitteren Ende durchgezogen und am Ende sollte der Rechtsfrieden auf diesem Weg erlangt werden, während Selbstjustiz in der Regel genau das Gegenteil bewirkt.

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"Sie drohen nicht nur handfest mit einem Übel (mehrere Stunden im Stau), sondern nötigen ganz real. "

Ein Übel im strafrechtlichen Sinne ist stundenlanger Stau sicherlich nicht. Oder sollen jetzt alle, die im Winter mit Sommerreifen die Kassler Berge runterrutschen und deswegen einen Stau verursachen, nach § 240 StGB strafrechtlich verfolgt und sanktioniert werden?

"Ich denke, solange es bei subtilen Drohungen bleibt und das nicht in die Realität umgesetzt wird, ist das doch wirklich eine angemessene Reaktion zur Abwehr von Straftaten. Besser jedenfalls, subtil zu drohen als wirklich handgreiflich zu werden."

Gedanken haben Konsequenzen. Sie führen zu Äußerungen. Äußerungen haben Konsequenzen. Je mehr Menschen sich so äußern wie Sie, desto höher der Grad an Wahrscheinlichkeit für physische Gewalt. Ist doch nun wirklich eine ganz einfache Sache. Daher nein: Nicht "besser jedenfalls, subtil zu drohen als wirklich handgreiflich zu werden."

"Handfeste Drohung mit einem Übel und Nötigung auf der Seite der Demonstranten, subtile Drohung mit den Gefahren des Straßenverkehrs auf der anderen Seite, das ist doch wirklich eine verhältnismäßige, wohlabgewogene Antwort, oder etwa nicht?"

Nein. Es ist ein offener Aufruf zu Gewalt. Dass Leute aus ihren Autos aussteigen und auf einem Klima-Aktivisten rumprügeln und/oder ihn dann gewaltsam von der Straße zerren, ist im Übrigen keine "Gefahr des Straßenverkehrs". Eher ein allgemeines Lebensrisiko. Denn die Gewaltbereitschaft der Menschheit steigt anscheinend von Tag zu Tag. Zivilisation rückwärts. Back to the roots.

"Ein bisschen Einschüchterung tut den Demonstranten ganz gut, sie schüchtern ja auch die große Mehrheit der Autofahrer skrupellos ein."

Aha. Auge um Auge, Zahn um Zahn.

"Ein bisschen Einschüchterung tut den Demonstranten ganz gut ..."

Weil Einschüchterung einem Menschen ja auch so gut tut. Und ein bisschen Vergewaltigung ja auch keine Vergewaltigung ist....

"sie schüchtern ja auch die große Mehrheit der Autofahrer skrupellos ein."

Skrupellos? Woher wollen Sie das wissen? Andere Sichtweise: mit den besten Absichten, die Menschheit zu retten. Und nun?

Und welcher Autofahrer bitte fühlt sich denn durch eine Sitzblockade persönlich eingeschüchtert? Wer sich durch sowas "eingeschüchert" fühlt, hat wohl eher ein grundlegendes Problem mit der allgemeinen Lebensbewältigung.

Aber ich vermute, Ihnen ist einfach nur langweilig und Sie wollen mit Ihren Äußerungen nur provozieren.

Ihre Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe. Ihre Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit.

Klar, Aufruf zu oder Ankündigung von vorsätzlicher Körperverletzung oder Tötung ist ganz sicher eine angemessene, erwachsene, legale Reaktion auf politischen Protest.

Man kann der "Letzten Generation" vorwerfen, mit ihrem Verhalten Sympathien für ihr Anliegen zu verspielen. Dasselbe gilt um so mehr für Menschen, die sich noch radikaler äußern.

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Faktenorientiert gesagt, geht es nicht bloß um das Anliegen der sog. Klima-Aktivisten. Es geht um Ihr und mein Überleben oder spätestens das "unserer" Nachkommen.

Finde ich es gut, wenn ich vier Stunden im Stau stehe, weil sich einer oder mehrere an der Straße festgeklebt haben ? Nein ! Ich würde nicht einmal sagen, dass ich Verständnis für diese Aktionen habe (ich möchte mich dazu gar nicht verhalten, weil ich mir da keine fundierte Meinung zu gebildet habe und dazu auch keinen Anlass sehe).

Es geht hier aber um Toleranz. Hier üben Bürger ihr Recht zum Widerstand gemäß Art. 20 Abs. 4 GG aus. Gehen offensichtlich insbesondere von dem Vorliegen der Bedingung "wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." aus.

Das mag ich blödsinnig finden, böse, gemein, überzogen, nicht zielführend. Aber es ist ihr Recht. Und das habe ich - wie jeder andere Bürger auch - zu akzeptieren.

Das wird hoffentlich auch das Bundesverfassungsgericht so sehen.

 

Unfug! Wer Auto fährt, unternimmt es nicht, die FDGO zu beseitigen (Art. 20 Abs. 4 GG). Was Sie da treiben, ist keine Juristerei; es ist Ausdruck einer Therapie-Gesellschaft, in der Gefühle schon Argumente sind. Was brauch ich Fakten, ich hab doch Gefühle! (ZEIT vom 12.1.2023). Immer wieder diese Gefühlsjuristen. Kaum hat man sie glücklicherweise einmal überlebt, feiern sie schön wieder fröhliche Urständ.

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Ich habe schonmal nicht gesagt, wer Auto fährt, beseitigt die FDGO !

In der Tat kann man sich trefflich streiten, ob bei einer Klimakatastrophe überhaupt der Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG (als Voraussetzung für Abs. 4) gegeben ist. Man könnte sagen, dass durch die staatlich unterlassene Abwendung der Klimakatastrophe die FDGO gefährdet wird. Vielleicht drehen ja bald auch in Deutschland alle durch wegen der Klimakatastrophe. War ja angeblich schon wegen den Coronamaßnahmen am Kippen. Das wäre dann aber "nur" eine mittelbare Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 20 GG. Bis heute scheint mir ungeklärt, ob nur direkte oder auch mittelbare Gefährdungen der FDGO den Anwendungsbereich eröffnen. Ich tendiere dazu zu sagen, nur direkte Gefährdungen.

Dann ist ja noch problematisch, ob schon Gefährdungen ausreichen und wie konkret die Gefahr sein muss.

Ich denke, wenn Gefährdungen der FDGO ausreichen, dann muss die Gefahr schon sehr konkret sein, umso mehr, wenn es um mittelbare Gefährdungslagen geht.

Und unterm Strich wird das Thema meiner Meinung nach sowieso total aufgebauscht. Die Stunden an Stau und die Kosten, die durch Klima-Aktivisten-Klebeaktionen bislang verursacht worden sind, scheinen mir sehr gering und kaum ins Gewicht fallend im Vergleich etwa zu LKW-Unfällen durch überhöhtes Tempo, schlecht gesicherte Ladung, übermüdete oder abgelenkte Fahrer, abgefahrene und geplatzte Reifen usw usf.

Die Kosten steigen natürlich, wenn jetzt unzählige Strafprozesse geführt werden, vor allem durch alle Instanzen.

Erst das hebt (zusammen mit der medialen Aufmerksamkeit) solche Aktionen erst auf die große Bühne. Könnte man ja auch einfach lassen.

"Ich habe schonmal nicht gesagt, wer Auto fährt, beseitigt die FDGO !"

Dann fehlt aber der Tatbestand für die Anwendung des Art. 20 Abs. 4 GG, jedenfalls für herkömmliche Juristen. Für Gefühlsjuristen ist das natürlich anders.

"Man könnte sagen, dass durch die staatlich unterlassene Abwendung der Klimakatastrophe die FDGO gefährdet wird."

Das rechtfertigt aber nicht, gegen Autofahrer Widerstand zu leisten. Ein Autofahrer ist kein Gefährder, sondern ein Dritter und niemand, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen (Art. 20 Abs. 4 GG), jedenfalls für herkömmliche Juristen. Für Gefühlsjuristen ist das natürlich anders. Gefühlsjuristen sollten hier schweigen und auf ihren ideologische Spielwiesen ihr Ringelreihen treiben.

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Ich dachte, sie seien ein Gefühflsjurist. Aber ich stelle fest, sie sind überhaupt kein Jurist, oder wie man früher gesagt hätte, ein Kannitjurist.

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Nehmen Sie halt die Versammlungsfreiheit. Hat vor dem Bundesverfassungsgericht 2011 schonmal geklappt bei Blockade (US-Luftwaffenstützpunkt Frankfurt am Main).

Die Leute hatten sich damals aber nicht festgekebt und der Protest richtete sich konkret gegen den Stützpunkt. Lesen Sie mal die LTO, wenn sie sich sachgerecht vom Kannitjuristen sinnvoll weiterbilden wollen. Das BVerfG sagt: "Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand." (Rn. 39)

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Das meinte ich mit "LTO": https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/autobahnblockade-sitzblockade-berlin-legal-strafbar-verfassungskonform-noetigung-versammlungsfreheit/

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Ist am Ende völlig egal, ob ich ein Kannitjurist bin oder Sie. Am Ende zählt, was das BVerfG dazu sagt. Ich kann mir gut vorstellen, dass die keine Nötigung darin sehen und ein Notwehrrecht schonmal gar nicht.

Gerade mit den Kriterien "Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.".

So hatte der verurteile Medizinstudent Johann O. die Aktion angemeldet. Lange sind die in der Regel nicht festgeklebt. Ausweichmöglichkeiten gibt es genug. Ist wie beim üblichen Stau. Verkehrsstörung umfahren hängt auch von der rechtzeitigen Bekanntgabe im Radio oder per TMC ab. Der Sachbezug zwischen den Autofahrern und dem Protestgegenstand ist ersichtlich eng  (Fahrzeugverkehr ist "böse", weil in vielerlei Hinsicht schlecht fürs Klima).

So what?!

Ich tippe drauf, dass das BVerfG den Klimaaktivisten das durchgehen lässt. Ich finde es mindestens ok.

"Fahrzeugverkehr ist "böse", weil in vielerlei Hinsicht schlecht fürs Klima"

Die Klimakleber sind doch gar nicht gegen „Fahrzeugverkehr“. Sie wollen nur Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket, vgl. BR24. Sie haben offenbar nicht nur von der Juristerei, sondern auch von den Tatsachen keinerlei Kenntnis, sondern nur von ihren eigenen selbstzusammengeklebten und -fantasierten Vorstellungen davon.

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"Die Klimakleber sind doch gar nicht gegen „Fahrzeugverkehr“. "

Das war ja auch bloß eine Aussage auf der Meta-Ebene zur Vereinfachung.

Und wenn Sie der Meinung sind, meine Beiträge sind nicht brauchbar, dann gehen Sie doch darauf einfach nicht ein.
Aber dermaßen die Sachebene zu verlassen, muss wirklich nicht sein !

Wenn hier einer die „Sachebene verläßt“, dann Sie, weil sie ausdrücklich „zur Vereinfachung auf der Meta-Ebene“ palavern, und zwar ohne Kenntnis vom Recht und ohne Kenntnis von der Sache. Mein Rat: Informieren Sie sich über die einschlägigen Rechtsnormen und lesen Sie sich Sachkenntnisse an. Niemand zwingt Sie, sich vorab schampflichtig zu äußern.

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Wenn hier einer die „Sachebene verläßt“, dann Sie, weil sie ausdrücklich „zur Vereinfachung auf der Meta-Ebene“ palavern, und zwar ohne Kenntnis vom Recht und ohne Kenntnis von der Sache. Mein Rat: Informieren Sie sich über die einschlägigen Rechtsnormen und lesen Sie sich Sachkenntnisse an. Niemand zwingt Sie, sich vorab schampflichtig zu äußern.

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Ich äußere mich wo, wann, wie und wozu ich will. Wie gesagt: Wenn's Ihnen nicht passt, einfach ignorieren. Aber der Tonfall steht Ihnen einfach nicht zu !

Herr Professor, was genau ist denn jetzt Ihre Frage oder wozu sollten sich die Leser Ihrer Einschätzung nach hier inhaltlich verhalten?

Ich als Betroffene von 2 BvR 1763/16 und weitere (falls Sie sich noch erinnern), möchte hier mal aus der

BZ (Artikel zur Gerichtsverhandlung, https://www.bz-berlin.de/polizei/menschen-vor-gericht/online-okrichter-b...) zitieren:

"Deutliche Worte des Staatsanwalts im Plädoyer: „Über die hehren Ziele sind wir uns einig. Aber so geht’s nicht. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“

Noch deutlicher wurde der Richter im Urteil: „Die Aktion diente gezielt der Lahmlegung des Berufsverkehrs… Der Angeklagte handelte als Mittäter… Er hat Gewalt angewendet – in Form von psychischem Druck auf Dritte.“

Spannend.

"Der Zweck heiligt nicht die Mittel".

Naja. Außer, Ärzte, Polizisten und Amtsträger wollten nur helfen. Dann ist das schon ok, wenn von vorne bis hinten durch und durch gegen geltendes Rechts verstoßen wird. Zur Erinnerung u.a. OLG SH in den Beschlüssen über die Klageerzwingungsverfahren, die dann zu 2 BvR 498/15 und 2 BvR 1763/16 führten: "Das gesamte Handeln jedes einzelnen Akteurs war vom Gedanken getragen gewesen, die Gesundheit der Antragstellerin zu schützen." Deswegen wurde eine rechtswidrige und sogar eine selbst für strafbar angenommene Freiheitsberaubung und Körperverletzung (eigentlich: schwere Freiheitsberaubung, gefährliche und schwere Körperverletzung, schwere Aussetzung) als Bagatelldelikt gemäß § 153 Abs. 1 S. 2 StPO eingestellt bzw. gegen die Polizeibeamten gar nicht erst ein Ermittlungsverfahren eröffnet, sodass für die inzwischen absolute Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

"Der Angeklagte handelte als Mittäter… Er hat Gewalt angewendet – in Form von psychischem Druck auf Dritte."

Ah ja. Selbst wenn Polizeibeamte, ein Arzt und ein Pfleger massive physische Gewalt anwenden, dadurch nach selbst eingestandener subjektiver Vorstellungswelt sogar lebensgefährliche, jedenfalls signifikant eine solche Grundgefahr erhöhen, dann ist das nicht strafwürdig, nicht einmal als 224 er Tat, nicht von öffentlichem Interesse und eine Bagatellhandlung § 153 Abs. 1 S. 2 StPO.

Was ich damit sagen will: Was strafbar ist und was nicht, was sanktionswürdig ist und was nicht, bemisst sich heutzutage nicht mehr danach, was im Gesetz steht, sondern danach, wer die Tat begeht und wen sie trifft.

Begeht ein sog. "Systemrelevanter" und Companion die Tat (Arzt, Polizist, Amtsträger, jemand, mit dem man regelmäßig Hand in Hand arbeitet), ist alles ganz harmlos. Trifft die Tat derer dazu noch eine einzelne Person, noch harmloser. Trifft die Tat einen Menschen mit vorbestehender psychischer Erkrankung (PTBS), ohnehin nicht strafwürdig.

Begeht ein einfacher Bürger eine Tat, kann man sogar einfachsten Drogenbesitzdelikten nachgehen und übelst draufkloppen.
Trifft die Tat viele Menschen, so wie eben im Berufsverkehr, ist alles ganz schlimm und böse.

Pupst ein Jugendlicher in Gegenwart eines Polizeibeamten: 500 EUR Geldbuße.

Wird eine Frau Künast als Schlampe, Fotze u.Ä. betitelt: alles ok.

Frauen, denen gesagt wird, entweder Du hälst still oder ich schlag Dir in die Fresse, dass die Zähne alle rausfallen, dürfen nicht aus Angst einen sexuellen Übergriff über sich ergehen lassen. Das ist dann mangels (heftiger) körperlicher Gegenwehr, die nach allgemeiner Lebensrealität die Drohung zum Zähne ausgeschlagen bekommen gerade erst realisiert, keine Vergewaltigung im strafrechtlichen Sinne.

Gerichtliche Justiz ist schon lange nicht mehr geprägt durch rechtswissenschaftliche Arbeitsweisen oder die Bindung an Recht und Gesetz, schon gar nicht von der staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen inneren Tatseite her.

Hier geht es (mal wieder) nicht um Recht und Gesetz. Hier geht es um staatliche Machtdemonstration.

Ziviler Ungehorsam ist darüber hinaus das Recht des Bürgers oder sogar seine Pflicht, wenn der Staat seine aus dem Gewaltmonopol resultierenden Pflichten nicht erfüllt.

Zudem gilt das Folterverbot absolut. Einen Klima-Aktivisten zu misshandeln, weil er sein (tatsächliches oder vermeintliches) Recht durch Kleben an die Straße versucht zu verwirklichen, ist daher in keinem Fall zulässig.

Im Internet kursiert ein Video, wo ein Herr den Arm eines mit der Hand an der Straße festgeklebten sog. Klima-Aktivisten - wohl in einem osteuropäischen Land oder Frankreich ? - einfach wegreißt. Der Klima-Aktivist schreit daraufhin wie am Spieß, weil ihm dadurch vermutlich die Haut der gesamten Handfläche abgerissen wurde.

Dann wird gezeigt, wie bei einem solchen Klima-Aktivisten in Deutschland seitens eines Polizisten versucht wird, die Hand durch Unterspritzen mit einer Flüssigkeit (Kochsalzlösung) von der Straße zu lösen. Es wird sich über die deutsche Polizei lustig gemacht und unter Verweis auf den anderen Fall (in Osteuropa oder Frankreich) gesagt: "So ! macht man das!" und das als heroisch und durchsetzungsstark hingestellt.

Was lehrt uns das? Der Zweck heiligt eben doch die Mittel. Das Folterverbot gilt nicht absolut.

Menschenrechts-Theorie und justizielle Praxis, was die praktsiche Umsetzung und Wirksamkeit der Menschenrechtsgarantien angeht, liegen weit auseinander.

Nun kann man sich fragen, was ist Henne und was Ei? Ist es vielleicht der Staat, der durch seine Heuchelei die Menschen verbittern und verrohen lässt und sich das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung und gleiche Regeln für alle verspielt hat? Ich würde meinen, auch diese sog. Klima-Aktivisten agieren - jedenfalls die meisten von jenen - so, weil sie davon überzeugt sind, dass der Staat in seiner unterlassenen Pflichterfüllung anders einfach nicht mehr zu erreichen ist !

 

 

Eines wird aber übersehen, daß Notwehr nicht nur gegen Straftaten möglich ist, sondern gegen jede Art von rechtswidrigem Angriff. Also hier - abseits jeglicher Fragen der Verwerflichkeit einer Nötigung - der nicht gerechtfertigte Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit:Da ein „Angriff“ iSv § 32 nach nahezu allgM keinen Straftatbestand zu verwirklichen braucht, kann auch seine „Rechtswidrigkeit“ nicht danach bestimmt werden, ob ein tatbestandsmäßig-rechtswidriges Verhalten vorliegt; diese entfällt vielmehr erst dann, wenn das Verhalten auch bei außerstrafrechtlicher Betrachtung in vollem Umfang rechtlich zu billigen ist.(MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2020, StGB § 32 Rn. 53)

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Es ist ja aber schon unklar, ob es sich um einen rechtswidrigem Angriff oder eine rechtswidrige Handlung handelt. Sie unterstellen einfach, der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Vielleicht ja aber doch?!

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

könnte sich nicht eine Straflosigkeit des evtl. zu Unrecht Notwehr Ausübenden aus dem Bereich des Irrtums ergeben?

Schließlich irrt der Autofahrer, der einen Klimakleber von der Straße entfernt, doch in einer Form des Erlaubnistratbestandsirrtums...

Mit bestem Gruß

AS

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Ich bin nicht Herr Professor Müller. Aber ich würde trotzdem gern mal anmerken, dass ich es erstaunlich finde, was heutzutage alles unter den Erlaubnistatbestandsirrtum gezogen werden und dann straffrei gemacht werden soll (oder sind Sie kein Jurist?).

Ein Erlaubnistatbestandsirrtum ist ein Irrtum über Tatsachen. Um Ihre Frage beantworten zu können, wäre also eine Darstellung der Tatsachen, die, wenn sie sich irrig vorgestellt würden, zu einem anerkannten Rechtfertigungsgrund (und damit zu Straffreiheit) führen würden, erforderlich.

Welche Tatsachen sollen dies denn Ihrer Meinung nach sein ?

Im Übrigen muss dieser Tatsachenirrtum unvermeidbar sein.

Es muss also für einen Autofahrer unvermeidbar sein, sich etwa darüber zu irren, dass er jemanden, der auf der Straße sitzt oder der sich da festklebt, eben nicht mit Gewalt und Körperverletzung von der Straße wegholen darf, sondern höchstenfalls die Polizei um Beseitigung der angenommenen Störung der öffentlichen Ordnung bitten kann.

Oder meinen Sie vielleicht eher den Erlaubnisirrtum bzw. Verbotsirrtum? Auch der muss unvermeidbar sein. Auch hier: Wie soll das gehen? Wo doch Klimakleber in aller Munde sind und sich nicht einmal die Gerichte klar sind, wie sie deren Aktionen rechtlich bewerten wollen? Wie soll sich da ein Bürger, der über die mediale Berichterstattung darüber informiert ist oder informiert sein muss, auf einen anerkannten Rechtfertigungsgrund berufen können?

Was soll denn Ihrer Meinung nach überhaupt der anerkannte Rechtfertigungsgrund sein?

 

Nein, wenn es um die Bewertung des Angriffs als rechtswidrig geht, und der Autofahrer nur darüber irrt, ist es ein Erlaubnisirrtum, der als Form des Verbotsirrtums nur bei Unvermeidbarkeit Straflosigkeit nach sich zieht.

Notwehr und Nothilfe kommen auch in Betracht gegen rechtswidriges Handeln, das nicht zugleich einen Straftatbestand verwirklicht. Dieser Aspekt kommt im Beitrag viel zu kurz. Das Verweilen auf der Fahrbahn bedeutet sicherlich einen Verstoß gegen die StVO, unabhängig davon, ob das nun Nötigung ist oder nicht.

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Straßenverkehrsrechte sind für sich allein genommen nicht notwehrfähig. Eine Notwehrlage kommt erst dann in Betracht, wenn durch den Verstoß des Gegners gegen die StVO absolut geschützte rechtsgüter Verletzt werden oder bedroht werden. Wer z.B. seine hochschwangere Ehefrau zur Entbindung ins Krankenhaus fährt, oder wer seinen von einem akuten Schlaganfall betroffenen Vater oder Opa ins Krankenhaus fährt, der kann gegen die rechtswidrige Straßenblockade bzw. gegen die Störer möglicherweise Notwehrrechte oder Notwehr- oder Notstands-ähnliche Rechte, bzw. Selbsthilferechte, haben. Den Tätern steht auch nicht etwa, (auch nicht wenn manche Klimaaktivisten sich sowas vielleicht einbilden,) eine Art "Vertrauenschutz" zu, der etwa die Opfer dazu zwingen würde, sich nicht zu wehren, sondern die Tat zu dulden und die Täter gewähren zu lassen.

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Auch wenn dieser sich mit absicht genau dich zu blockieren? So einfach stell ich mir das nicht ganz vor. Nach der Logik könnte ich ja entweder mich oder mein Auto benutzen um jemand festzusetzen (mich in der Tür festkleben oder einfach das Auto davor stellen) und es wäre nicht möglich sich dagegen mit Gewalt zu wehren...

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Auch gegen eine Nötigung, bzw. gegen Nötigung ausübende Personen, ist eine Notwehr möglich, wenn denn dabei die  Voraussetzungen des § 32 StGB vorliegen. Je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls könnte auch im Falle einer Nötigung eine Anwnedung von § 34 oder § 35 StGB in Betracht kommen, wenn denn deren Voraussetzungen vorliegen. Allerdings werden in den meisten Fällen in denen sich Betroffene über Nötigungen ärgern die Voraussetzungen der §§ 32, 34, 35 StGB wohl nicht vorliegen, und die meisten Bürger sind wohl auch nicht in der Lage das Vorliegen der Vorausetzungen festzustellen. Und die Behörden (darunter die Justizbehörden und Polizeibehörden), die ihr sogenanntes Gewaltmonpol gerne geltend machen und leidenschaftlich und eifersüchtig verteidigen, wollen auch absolut keine Situationen die irgendwie auch nur im entferntesten an Wild-West-Methoden erinnern. Auch die Mehrheiten in der Politik wollen nicht, daß Bürger sich selber helfen, sondern sie wollen, daß der Bürger sich um Hilfe bittend an den Staat und seine Organe wenden soll (was politisch und moralisch nicht unbedingt als edel motiviert betrachtet werden muß, aber im Ergebnis doch meist vernünftig bzw. zu für die Allgemeinheit meist am ehesten hinzunehmenden Zuständen führt. Für die konkret Betroffenen ist das aber wohl oft unbefriedegend und frustrierend, und zu viel Bevormundung kann langfristig vielleicht auch zu (gesamtgesellschaftlich nicht wünschenswerter) Politikverdrosssenheit oder Staatsverdrossenheit führen. Will man alles bedenken, dann sieht man es wohl erheblich komplexer und komplizierter, als es die Vertreter der unterschiedlichen Lager (Mainstream contra Populisten) öffentlich darstellen. Außerdem würde Gewalt, selbst wenn sie denn einmal in einem Einzelfall streng genommen gerechtfertigt wäre (wobei diese Möglichkeit hier ja teils als stets von vornehrein ausgeschlossen betrachte bzw. völlig kategorisch bestritten wird) die Probleme wahrscheinlich nur noch größer werden lassen, und zu einer Radikalisierung der sich streitenden Langer führern, was nicht im gesamtgesellschaftlichen Interesse sein kann.

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Hallo zusammen,

als "betroffener Hauptstadtbürger" möchte ich hier generell etwas anmerken. 

Wenn hier in den Beiträgen von Selbstjustiz gesprochen wird, dann kann ich das insofern nachvollziehen, als dass man sich der Situation ohnmächtig gegenüber sieht, da von seiten er Polizei nicht durchgegriffen wird. Es ist auch in den Medienberichten zu sehen, dass die Polizisten in den meisten Fällen daneben stehen und Videos drehen (wozu eigentlich?), und in mühevoller Kleinstarbeit mit Pinselchen und Kleberlösern versuchen, die Unruhestifter zu entfernen, die sich dann währenddesssen schon wieder wo anders festkleben. 

Klar, dass dann der ein oder andere sich in seinen - ebenfalls gleichwertig geltenden Grundrechten - wie Freiheit, beeinträchtigt bzw. sich derer beraubt fühlt. 

Mich wundert vielmehr, dass noch kein Autofahrer wirklich rot gesehen hat, und es zu ernsthaften Verletzungen oder Schlimmerem geführt hat. Ich sehe aber auch, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, wenn die Staatsorgane hier nicht ernsthaft durchgreifen und zeigen, dass es genau so nicht geht, dass das die Lösung nicht sein kann.

Den Fall der Selbstjustiz sehe ich hier eher bei den Klimaklebern, die neben den zusätzlichen Staus und somit Abgasen nicht nur die Umwelt unnötigerweise zusätzlich belasten, sondern auch Einsatzfahrzeuge blockieren sowie anstatt einer geregelten Arbeit nachzugehen, der Gesellschaft in vollem Umfang schaden. Selbstjustiz zu üben, um politische Aktionen zu erpressen, ist keine Demokratie. Den Klimaklebern steht es genauso frei, eine politische Partei zu gründen, um etwas zu bewegen, wie jede andere - friedliche Organisation - auch. 

Wenn dieser Unsinn Schule macht, und bald jede kleine mehr oder weniger sinnvolle Demonstration sich derart auf die Strassen verlagert, sehe ich bürgerkriegsähnliche Zustände voraus, und die Letzte Generation wird tatsächlich die Letzte Generation sein, aber aus anderen Gründen.

Zurück zum Thema:

Der Staat muss die Grundrechte aller Bürger schützen, also auch die Freiheit derselben. Klimaaktivisten sind herzlich eingeladen, sich am Strassenrand bemerkbar zu machen, aber es muss klar sein, dass die "doppelte Negation der Freiheit" auch hier ihre Anwendung finden muss. 

Die Staatsorgane wiederum müssen durchgreifen, es muss ein Portal eingerichtet werden, bei dem jeder Bürger seinen Schadenersatz an die Letzte Generation stellen kann, welche dann auch durchsetzbar sind im Rahmen von Sammelklagen, sowie die Polizeieinsätze und weitere Kosten, die dadurch enstehen, den Aktivisten in Rechnung gestellt werden. Jeder strafrechtliche Tatbestand muss rigoros verfolgt werden, Wiederholungstäter dann auch entsprechend der rechtlichen Möglichkeiten verschärft bestraft werden. Durch diese Mehreinnahmen kann dann auch die entsprechende Verfolgung der Straftaten und Eintreibung der Gelder künftig finanziert werden.

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Mir scheint es hier bereits an der Gegenwärtigkeit des Angriffs zu fehlen.

Mit dem Erfolg des Festkleben ist der Angriff abgeschlossen. Die feste Verbindung mit dem Boden beseitigt die Möglichkeit der intentionalen Ausdeutung des Verharrens als andauernden "Angriff durch Unterlassung".

Der Fall ohne Kleber ist allerdings komplexer.

Man könnte sicher vertreten, dass der Angriff mit der Okkupation des Raumes abgeschlossen ist.

Andernfalls müsste die Nichträumung ein "Angriff durch Unterlassung" sein, was die Frage der Eignung und Erforderlichkeit der Notwehrhandlungen aufwirft.

Und auch sub specie „Erforderlichkeit“ der Notwehrhandlung erscheint es fraglich, ob nicht die im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich einsatzfähige Polizei es regelmäßig gebietet, deren Einsatz abzuwarten, auch wenn damit eine (zeitlich allerdings begrenzte) Preisgabe des Rechts einhergeht.

Ich würde sagen, dass das hinreichend sanfte Wegtragen von Aktivisten die nicht widersprechen ("einfaches Wegtragen") überhaupt keine Notwehr darstellt, weil kein Tatbestand erfüllt wird. Die letzte Generation verzichtet bekanntlich auch auf Strafanzeigen, Strafanträge und Widerstandshandlungen, was wohl mit Energiesparen begründet wird.

Wegen der Möglichkeit des Wegtragens entfällt normalerweise also wohl die Erforderlichkeit der Notwehr.

In den Videos sieht man allerdings folgende Probleme:

  • die räumungs-orientierte Person ist aus körperlichen Gründen (etwa Übergewicht) nicht in der Lage die Räumung selbst durchzuführen
  • geräumte Aktivist:innen krabbeln auf die Fahrbahn zurück, bevor der Räumende in sein KFZ gelangen kann (das regelmässig auch nur zweiter oder fernerer Reihe steht)
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In die Verwerflichkeitsprüfung zu Gunsten der Aktivisten wären nicht bloß irgendwelche hehren Ziele einzustellen, sondern eines der Staatsziele nach Art. 20a GG. Der Klimaschutz ist eines davon. Eine Flensburger Amtsrichterin sah in der Besetzung eines Baumes zum Zwecke des Klimaschutzes einen rechtfertigenden Notstand und sprach den Angeklagten von dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs frei (AG Flensburg, Urteil vom 07.11.2022 - 440 Cs 107 Js 7252/22).

Zu Ungunsten der Aktivisten wird man aber möglicherweise nicht bloß Behinderung in beträchtlichem Umfang einstellen müssen. Möglicherweise begehen sie auch Freiheitsberaubung mit ihren Klebeaktionen. Professor Müller schreibt in seinem Leitbeitrag, "dass bei der  Teilnahme am Straßenverkehr heutzutage ohnehin keine unbeschränkte  Fortbewegungsfreiheit garantiert ist: Zu viele andere Interessen und Ereignisse  (von Demonstrationen einmal abgesehen auch: Volksfeste, Sportereignisse, religiöse Prozessionen, Baustellen, Verkehrsüberlastung) sorgen dafür, dass die unbelastete Fortbewegung ohnehin kein durchsetzbares „Recht“ des Verkehrsteilnehmers ist". Sperrungen bei Volksfesten und Sportereignissen führen in der Regel nicht dazu, dass Autofahrer stundenlang feststecken. In der Regel werden sie nicht daran gehindert zu wenden und eine andere Strecke zu nehmen, auch wenn keine Umleitung ausgeschildert sein sollte. Auf der Autobahn geht das aber nicht. Baustellen auf der Autobahn können auch dazu führen, dass Autofahrer stundenlang im Stau feststecken. Wer Baustellen auf der Autobahn errichtet, der nimmt das zumindest einmal billigend in Kauf. Durch die behördliche Genehmigung könnte die Freiheitsberaubung aber gerechtfertigt sein (rechtfertigender Notstand). Könnten sich nicht auch die Klimaaktivisten auf rechtfertigenden Notstand berufen, wie beim AG Flensburg? Schließlich verfolgen sie verfassungsrechtliche Staatsziele. Michael Knape sagte der Berliner Zeitung: Findet dies zudem auf einer Autobahn statt, dann müsse man zusätzlich von Freiheitsberaubung sprechen.

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/letzte-generation-freiheitsberaubung-noetigung-warum-ermittelt-die-polizei-berlin-so-lasch-gegen-die-klimakleber-li.352897

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Bei lebensnaher Betrachtung muss man festellen, dass die Verkehrsteilnehmer in den hier in Rede stehenden Blockaden gegen die "Angeklebten" immer aggresiver reagieren. Hier muss man nur die Berichterstattung in den Medien verfolgen. Dies zeigt meines Erachtens, das die VK das Ankleben und Blockieren als eine erhebliche Einschränkung ihrer Rechte empfinden und ein Gewaltbegriff durchaus anzunehmen ist und damit auch eine Notwehrsituation angenommen werden kann. Die Frage wäre hier nur die Art des Mittels, das zur Abwehr der Gewalteinwirkung eingesetzt wird. Es muss geeignet und das Mildeste sein. Wegtragen ist hier sicher geeignet und auch das mildeste Mittel, um die Gewalteinwirkung zu beseitigen, treten und schlagen natürlich nicht, sofern sich der Angreifer sich nicht sperrt. Sollte dies erfolgen, wären weitergehende Mittel sicher anzudenken.

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