Das Bundesverfassungsgericht wird das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kippen

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 27.04.2017
Rechtsgebiete: IT-RechtInternetstrafrecht41|72482 Aufrufe

Der nunmehr von der Bundesregierung mit leichten Änderungen gebilligte Entwurf des Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetzes (MfBG), das mit der irreführenden Bezeichnung „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ versehen worden ist, wird einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch die Karlsruher Richter nicht standhalten. Dies ergibt sich aus Verletzungen aller Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG, aber auch aus einer Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Zudem wurde bei dem Regierungsentwurf offenbar übersehen, dass durch die Inkorporierung des § 184b StGB in § 1 Abs. 3 MfBG die Betreiber sozialer Netzwerke nunmehr verpflichtet werden, sich durch die zehnwöchige Speicherung von Kinderpornographie (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 MfBG) strafbar zu machen (§ 184b Abs. 3 StGB).

I. Vorbemerkungen

1. Zur Bezeichnung des MfBG als „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“

a) Durchsetzung des Strafrechts ist Aufgabe der Justiz

Die in dem Entwurf gewählte Bezeichnung eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) hat mit den dann vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen im Grunde nichts zu tun. Die Bezeichnung suggeriert, dass für die Durchsetzung und Einhaltung des Strafrechts jemand anderes zuständig sei als die Justiz selbst, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte sowie das Bundesjustizministerium.

b) Durchsetzungsdefizit allenfalls bei Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden

Vor diesem Hintergrund ist schon der Regulierungsansatz massiver Repressionen gegenüber Netzwerkbetreibern rechtsstaatlich nicht damit begründbar, diese würden Justizaufgaben der Durchsetzung des Strafrechts nicht oder nur defizitär nachkommen. Indes heißt es in dem Regierungsentwurf:

„Noch  immer  werden  zu  wenige  strafbare  Inhalte  gelöscht.  Ein  von  jugendschutz.net  durchgeführtes  Monitoring  der  Löschpraxis  sozialer Netzwerke vom Januar/Februar 2017 hat ergeben, dass die Beschwerden normaler Nutzer  gegen  Hasskriminalität  und  andere  strafbare  Inhalte  nach  wie  vor  nicht  unverzüglich und ausreichend bearbeitet werden. Zwar werden bei YouTube mittlerweile in 90 Prozent der Fälle  strafbare  Inhalte  gelöscht.  Facebook  hingegen  löschte  nur  in  39  Prozent  der Fälle, Twitter nur in 1 Prozent der Fälle“.

Dies wirft zunächst die Frage auf, mit welcher Kompetenz und welchem Personal eine nur für Jugendschutzfragen zuständige Stelle jugendschutz.net strafrechtliche Bewertungen nach dem StGB rechtssicher vorgenommen hat. Noch vordringlicher ist die Frage, ob hieraufhin die Justiz ihrer Durchsetzungspflicht in 10 Prozent der strafbaren Fälle bei Youtube, 61 Prozent der Fälle bei Facebook und 99 Prozent der Fälle bei Twitter nachgekommen ist. Denn die Konsequenz der Mitteilung „strafbarer Inhalte“ durch jugendschutz.net bewirkt nach Meinung der Bundesregierung und im Übrigen auch nach § 10 TMG ja gerade eine strafrechtliche Verantwortlichkeit. Um ein Durchsetzungsdefizit bei strafbaren Inhalten zu vermeiden, hätte also in allen Fällen die Justiz, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden zumindest Ermittlungsverfahren einleiten müssen.

Da Informationen hierüber nicht in dem MfBG-Entwurf mitgeteilt werden, habe ich mit Schreiben vom 26.4.2017 beim Bundesjustizminister – ordnungshalber gestützt auf das Informationsfreiheitsgesetz – um Auskunft darüber gebeten, in wie vielen Fällen der von jugendschutz.net festgestellten strafbaren und dann nicht gelöschten Inhalte seitens der Justiz Maßnahmen zur Durchsetzung des Strafrechts in Netzwerken ergriffen worden sind, um nicht selbst dem Vorhalt des Durchsetzungsdefizits ausgesetzt zu sein.

c) Bislang keine gesetzliche Pflicht zur Löschung rechtswidriger Inhalte

Es ist auch rechtlich falsch, wenn in der Begründung des Entwurfs des MfBG behauptet wird, dass schon nach dem bisherigen Recht soziale Netzwerke „verpflichtet“ seien, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Insoweit heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs wörtlich:

„Die in  § 3  normierte  Regelung  dient  lediglich  dazu,  dass  den  gesetzlichen  Verpflichtungen,  rechtswidrige  Inhalte  zu  löschen  oder  zu sperren,  schnell  und  umfassend  nachgekommen  wird.  Hierin liegt kein neuer Eingriff  in Artikel 5  Absatz 1  des  Grundgesetzes im Vergleich  zum  geltenden  Recht.  Denn das  Gebot,  rechtswidrige  Inhalte  zu  löschen  oder zu  sperren, ergibt  sich  schon  aus  den  allgemeinen  Gesetzen“.

Dies ist nicht zutreffend. Bislang gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zur Löschung rechtswidriger Inhalte. Vor allem stellt § 10 Telemediengesetz (TMG) keine Löschungsverpflichtung dar. Es handelt sich vielmehr um eine Haftungsprivilegierung, wonach der Plattformbetreiber für Fremdinhalte abweichend von der allgemeinen Verantwortlichkeit „nicht verantwortlich ist“, solange er keine Kenntnis hat. Insoweit sagt § 10 S. 1 Nr. 2 TMG auch nur aus, dass Provider „nicht verantwortlich“ sind, wenn sie „unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen“. Dies ist aber keine gesetzliche Löschverpflichtung. Dem Provider steht es frei, die Löschung nicht unverzüglich vorzunehmen und sich für eine allgemeine Verantwortlichkeit wie für eigene Inhalte nach § 7 TMG zu entscheiden. Das ist rechtlich etwas anderes als die nunmehr durch § 3 MfBG etablierte Pflicht zur Löschung mit einer Bußgeldbewehrung von bis zu 50 Millionen Euro. Letzteres stellt einen „neuen“ und vor allem sehr erheblichen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG dar.

d) Löschungspflicht auch für „nicht strafbare“ Inhalte

Ungeachtet dessen, dass die Behauptung der Bundesregierung, es gebe bereits eine gesetzliche Löschungspflicht für Netzwerkbetreiber, falsch ist, statuiert das MfBG eine Löschungspflicht auch für solche Inhalte, welche nach dem deutschen Strafrecht gar nicht strafbar sind. Die Vorschrift hebelt die Beschränkungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit, etwa der Anwendbarkeit des StGB nach §§ 3, 9 StGB, der Beschränkung auf vorsätzlich, rechtswidriges und schuldhaftes Handeln sowie des Herkunftslandprinzips gemäß § 3 Abs. 2 TMG aus.

e) Negierung der Bezeichnung „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“

Die Bezeichnung des Entwurfs als „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ führt nach den Darlegungen also unter mehreren Aspekten in die Irre. Zum einen ist die Aufgabe der Durchsetzung des Strafrechts alleinige Aufgabe der Strafjustiz, nicht der Netzwerkbetreiber. Zum anderen suggeriert die Bezeichnung fälschlicherweise, dass die Netzwerkbetreiber bereits jetzt zu einer aktiven Rechtsdurchsetzung im Sinne einer Löschung von Inhalten verpflichtet seien, und das vorgeschlagene MfBG dies lediglich „verbessern“ solle. Indes statuiert das neue Gesetz erst eine originäre Löschungspflicht, welche zudem nicht nur „strafbare“ Inhalte umfasst, sondern alle Inhalte, die nur Tatbestandsobjekt der genannten StGB-§§ ungeachtet einer tatsächlichen Strafbarkeit sind.

Überdies wird vor allem die Verknüpfung der Verpflichtung der Netzwerkbetreiber zur Löschung „rechtswidriger Inhalte“ mit Bußgelddrohungen von bis zu 50 Millionen Euro bei wirtschaftlich handelnden Unternehmen zwangsläufig zu der Policy führen müssen, Inhalte auf Beschwerde hin im Zweifel zu löschen, um das Risiko der Bußgeldahndung für den Fall zu minimieren, dass Behörden eine andere Auslegung dessen vornehmen, was nun rechtswidrig bzw. „strafbarer Inhalt“ ist. Auch in diesem Kontext ist klar zu betonen, dass der MfBG-Entwurf suggeriert, es sei in den meisten Fällen klar ersichtlich, was nun strafbarer Inhalt ist und was nicht. Dies ist nicht der Fall. Exemplarisch sei nur auf das "Schmähgedicht" des Moderators Böhmermann verwiesen (siehe hierzu unten 3.b)).

Betreiber von Netzwerken werden durch die Gesamtregelung des MfBG faktisch zu einer „Im Zweifel löschen“-Doktrin gezwungen. Welche Implikationen dies auf Grundrechte des Art. 5 abs. 1 GG mit sich bringt, wird unter Punkt II.1. erläutert.

Um eine Irreführung des Lesers zu vermeiden, wird der von der Bundesregierung als „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ bezeichnete Entwurf im Hinblick auf den Fokus der nachfolgenden Betrachtungen klarstellend als „Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz“ (MfBG) bezeichnet.

2. Regelmäßig keine Erfassung so genannter „Fake News“

In dem Entwurf des Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetzes wird ausgeführt, dass das Gesetz vor allem die Verbreitung von (strafbaren) Fake News und Hate Speech einschränken soll. Insoweit heißt es wörtlich im ersten Absatz der Entwurfsbegründung:

„Nach den Erfahrungen im US-Wahlkampf hat auch in der Bundesrepublik Deutschland die Bekämpfung von strafbaren Falschnachrichten („Fake News“) in sozialen Netzwerken hohe Priorität gewonnen. Es bedarf daher einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, um objektiv strafbare Inhalte wie etwa Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung oder Störung des öffentlichen Friedens durch Vortäuschen von Straftaten unverzüglich zu entfernen“.

Die Ausführungen suggerieren, dass „Fake News“ in sozialen Netzwerken überwiegend oder zumindest zum Gutteil strafrechtlich verboten oder sonst rechtswidrig seien. Dies ist natürlich nicht der Fall. Zunächst ist der Terminus „Fake News“ kein Rechtsbegriff. Was hierunter zu verstehen ist, wird im MfBG-Entwurf nicht erläutert.

Das IT-Nachrichtenportal Golem hat bei der Bundesregierung nachgefragt, ob ein einziger Fall strafbarer Fake News bekannt sei, was freilich verneint wurde. Der Bundesregierung ist hinsichtlich der erteilten Auskunft zuzustimmen. Zwar sind Falschmeldungen – etwa über vermeintlich begangene Gräueltaten von Flüchtlingen – geeignet, Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung zu schüren. Dies ist auch moralisch und durch couragierte Replik einer mündigen Gesellschaft zu verurteilen. Allein: strafbar sind solche Falschmeldungen per se nicht. Damit unterfallen sie auch nicht dem Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz.

3. Nur rudimentäre Erfassung von Hasskommentaren („Hate Speech“)

a) Beschränkung auf wenige straftatbestandliche Fälle

Die Begründung des Regierungsentwurfs nimmt gleich zu Beginn eine phänomenologische Bestandsaufnahme der Entwicklung der „Debattenkultur“ im Internet vor. Insoweit heißt es wörtlich in der Entwurfsbegründung:

„Die Debattenkultur im Netz ist oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt. Durch Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte kann jede und jeder aufgrund der Meinung, Hautfarbe oder Herkunft, der Religion, des Geschlechts oder der Sexualität diffamiert werden“.

Die Vermengung einer „aggressiven Debattenkultur“ (insoweit werden keine Studien oder sonstigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Befund erwähnt) mit dem Terminus „Hasskriminalität“ suggeriert irreführend, dass aggressive Meinungsäußerungen oder Hassreden in der Regel „kriminell“ bzw. strafbar seien. Auch dies ist nicht der Fall.

Direkte Hassreden wie „Ich hasse Politiker!“, „Ich hasse Fahrradfahrer“, Ich hasse…“ unterfallen per se keinem Straftatbestand. Auch der Aggressivitätsgrad einer geäußerten Wertung ist kein Kriterium für deren Strafbarkeit. Tatbestände des Strafgesetzbuchs können nur vereinzelt extreme Ausformungen der Hassrede erfassen, etwa wenn sie volksverhetzend (§ 130 StGB) sind, bedrohenden (§ 141 StGB) oder beleidigenden (§ 185 StGB) Charakter haben.

b) Pflicht zur Löschung des Böhmermann-Schmähgedichtes gegen Erdogan

„Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter der Verfassung“, äußerte Bundesjustizminister Maas noch vor Jahresfrist zum Fall des gegen den türkischen Präsidenten Erdogan gerichteten Schmähgedichts des Moderators Jan Böhmermann.

Das Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz des BMJV wird nun dazu führen, dass solche Inhalte sowie vergleichbare Inhalte auf sozialen Netzwerken verschwinden. Denn die Gerichte haben übereinstimmend festgestellt, dass das Böhmermann´sche Schmähgedicht persönlichkeitsrechtsverletzend ist und den Beleidigungstatbestand des § 185 StGB erfüllt (VG Berlin, Beschl. v. 14.4.2016 – 1 L 268.16; LG Hamburg, Beschl. v. 17.5.2016 – 324 O 255/16).

Würde ein Betreiber eines sozialen Netzwerks künftig bei solchen oder vergleichbaren Inhalten bei einer Nutzerbeschwerde keine Löschung innerhalb von 24 Stunden – bei angenommener Offensichtlichkeit aufgrund der bestehenden Rechtsprechung (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG) – vornehmen, so liefe er Gefahr, eine Bußgeldahndung in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro zu gewärtigen.

II. Verfassungsrechtliche Anmerkungen

1. Verletzung der Meinungsäußerungs-, Informations- sowie der Rundfunk- und Pressefreiheit

Das BVerfG hat zunächst grundsätzlich betont, dass sich der Grundgesetzgeber mit der Schaffung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung „für einen freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden“ hat (BVerfG, Urt. v. 19.7.1966 - 2 BvF 1/65). Dieser Prozess müsse sich „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen“ (BVerfG aaO.) Hierfür hat das BVerfG die Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG als schlechthin konstituierend angesehen.

a) aa) Durch das MfBG wird zunächst in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit eingegriffen, da die Intention des Gesetzes die Löschung von wertenden Äußerungen (Meinungen) durch die Betreiber sozialer Netzwerke ist. Aufgrund der Schaffung einer allgemeinen Löschungsinfrastruktur auf Hinweis eines beliebigen Nutzers sollen Meinungsäußerungen in ihrer Verbreitung durch den Plattformbetreiber unterbunden werden, welche dieser aufgrund einer kurzfristigen Bewertung als „strafbaren Inhalt“ eingestuft hat. Fehleinschätzungen des Netzwerkbetreibers „in dubio pro libertate“ gehen im Konfliktfall zu seinen Lasten; beurteilt die Behörde und ein Gericht nach § 4 Abs. 5 NetzDG den Fall später anders, droht ein Bußgeld in Höhe von mehreren Millionen Euro. Wie bereits ausgeführt worden ist, wird hierdurch faktisch ein System der „Löschung im Zweifelsfall“ zwangsläufig etabliert, da wirtschaftlich handelnde Unternehmen – und nur solche werden durch das MfBG erfasst – gar nicht anders handeln können.

bb) Durch die Löschungen von Meinungen seitens der Betreiber sozialer Netzwerke wird freilich auch die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) aller Nutzer beeinträchtigt. Die Informationsfreiheit steht in der grundgesetzlichen Ordnung gleichwertig neben der Meinungs- und Pressefreiheit. Sie ist kein bloßer Bestandteil des Rechts der freien Meinungsäußerung und -verbreitung. Dieses Recht hat zwar den Schutz des Empfangs der Meinung durch andere mit zum Inhalt; der Schutz wird aber allein den Äußernden um ihrer Meinungsfreiheit willen gewährt. Demgegenüber ist die Informationsfreiheit gerade das Recht, sich selbst zu informieren. Das BVerfG bezeichnet dieses Freiheitsrecht als Voraussetzung der der Meinungsäußerung vorausgehenden Meinungsbildung (BVerfG, Teilurteil vom 5. 8. 1966 – 1 BvR 586/62). Denn nur umfassende Informationen, für die durch ausreichende Informationsquellen Sorge getragen wird, ermöglichen eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft.

Die Löschung von Inhalten in sozialen Netzwerken, welche Meinungen i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG darstellen, beeinträchtigt daher grundsätzlich auch die Informationsfreiheit der Nutzer. Diese werden über den Löschungsvorgang nicht informiert, ihnen bleibt schlicht ein Teil der in den Netzwerken veröffentlichen Inhalte mit Meinungsbildungsbezug vorenthalten. Soweit dies Inhalte betrifft, deren Verbreitung strafbar ist, mag dies zunächst legitim erscheinen (zu den Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG sogleich unten Punkt b). Hinsichtlich Kollateralschäden aufgrund eine „Löschung im Zweifelsfall“ durch den Netzwerkbetreiber werden jedoch gegebenenfalls auch Informationen vorenthalten, welche noch nicht strafbar und in grundsätzlich legitimer Weise Bestandteil des Meinungsbildungsprozesses sind.

cc) Überdies wird durch das MfBG auch in die Medienfreiheiten, namentlich die Presse- und Rundfunkfreiheit eingegriffen. Die Freiheit der Medien wird vom BVerfG als konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung angesehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. 2. 2007 - 1 BvR 538/06 mwN.). Eine freie Presse und ein freier Rundfunk seien hiernach von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat (BVerfG aaO.). Die Frage, ob Beiträge in sozialen Netzwerken als „Presse“ oder „Rundfunk“ i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG einzuordnen sind, kann nicht generell bejaht, aber auch nicht per se verneint werden. Jüngste Bestrebungen der Landesmedienanstalten, Live-Stream-Channels und Web-TV in sozialen Netzwerken als Rundfunk i.S.d. § 2 RStV zu qualifizieren, eröffneten bejahendenfalls den entsprechenden verfassungsrechtlichen Schutzbereich.

Soweit soziale Netzwerke für Beiträge mit politischem Meinungsbezug genutzt werden, kann überdies die Pressfreiheit Platz greifen. Dies gilt in solchen Fällen nicht nur für diejenige Person, welche die Meinung geäußert hat, sondern auch für denjenigen, welcher Dritten die Plattform für eine entsprechende Äußerung bietet. Soweit Meinungsäußerungen Dritter, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, in einem Presseorgan veröffentlicht werden, schließt die Pressefreiheit diesen Schutz mit ein (BVerfG, Urteil vom 12. 12. 2000 - 1 BvR 1762/95 u. 1787/95).

Zu kurz greift hier die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 1 S. 2 MfBG. Danach gelten „Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden“, nicht als soziale Netzwerke im Sinne dieses Gesetzes und sind von den Restriktionen ausgenommen. Im Umkehrschluss werden journalistisch-redaktionell gestaltete Inhalte von Nutzern, welche nicht vom Netzwerkbetreiber stammen, vollumfänglich den Löschungsverpflichtungen des NetzDG unterworfen. Hierdurch wird freilich auch der Schutzbereich der Presse- und Rundfunkfreiheit berührt.

b) aa) Aus Art. 5 Abs. 2 GG ergibt sich, dass die verfassungsrechtlichen Grundfreiheiten des Absatz 1 nicht schrankenlos gewährleistet werden, und insbesondere durch „Allgemeine Gesetze“ beschränkt werden können. Verfassungsdogmatische Erwägungen, ob es sich bei dem Entwurf des NetzDG um ein allgemeines Gesetz in diesem Sinne handelt, sollen hier unterbleiben.

Voraussetzung für einen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG und maßgeblich für dessen Verhältnismäßigkeit ist nach dem BVerfG jedenfalls die Bestimmung eines legitimen Zwecks (BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 mwN.). Legitim ist danach jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist. Welche Zwecke legitim sind, hängt dabei auch vom jeweiligen Grundrecht ab, in das eingegriffen wird.

Nicht legitim ist nach dem BVerfG aber „eine Aufhebung des in dem jeweiligen Grundrecht enthaltenen Freiheitsprinzips als solchen“ (BVerfG, aaO.). Das BVerfG begründet dies für die Meinungsfreiheit mit der Wechselwirkungslehre, wonach die Schranken der Meinungsfreiheit „deren substanziellen Gehalt“ nicht in Frage stellen dürfen. Dies gilt nicht nur für die Normauslegung, sondern schon „für das beschränkende Gesetz und die mit ihm verfolgten Zwecke selbst“ (BVerfG aaO. mwN.).

Für Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG folgt nach dem BVerfG hieraus, dass ihre Zielsetzung nicht darauf gerichtet sein darf, „Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen“ (BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08I). Die „Absicht, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern, hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim“. Entsprechendes gelte „für das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern“. Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass „die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche (…) kein Grund“ sei, diese zu beschränken (BVerfG, aaO. mwN.). Art. 5 Abs. 1 GG erlaube insoweit nicht, die Meinungsfreiheit unter einen generellen Abwägungsvorbehalt zu stellen.

bb) Diesen Anforderungen genügt das NetzDG meines Erachtens nicht. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Gesetzesentwurf keine legitimen Zwecke zu benennen in der Lage ist, die über die grundsätzlich der Strafjustiz zufallende Aufgabe der Einhaltung des Strafrechts bzw. des Vorgehens gegen Verstöße nach dem StGB hinausgehen. Wie bereits ausgeführt worden ist, bedarf es für die wirksame Rechtsdurchsetzung der §§ 86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241, 269 StGB nur einer effektiven Justiz. Nur diese ist hierfür verfassungsrechtlich und gesetzlich berufen. Diese Aufgabe umfasst ausdrücklich auch die Sanktionierung der Betreiber sozialer Netzwerke. Insoweit ist es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden selbst, auch darin begründete Verstöße der Netzwerkbetreiber zu ahnden, dass diese nach Hinweisen und Kenntnissen nicht i.S.d. § 10 S. 1 Nr. 2 TMG unverzüglich tätig geworden sind. Hierfür bedarf es aber keiner neuen Gesetze wie dem NetzDG, sondern einer Anwendung des bestehenden Strafrechts. Vor diesem Hintergrund wird für die verfassungsrechtliche Prüfung auch von Bedeutung sein, in wie vielen Fällen der dem BMJV aufgrund des jugendschutz.net Monitorings bekannt gewordenen Fälle denn überhaupt zur effektiven Rechtsdurchsetzung Strafverfolgungsmaßnahmen angestoßen hat.

Sollte sich aus den vom BMJV hierzu noch zu übermittelnden Informationen ergeben, dass die Strafjustiz selbst keine Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung bei den den Netzwerkbetreibern bekannten strafbaren Inhalten vorgenommen hat, erscheint nicht mehr legitim begründbar, die Durchsetzung des Strafrechts dadurch zu verbessern, dass man sie privaten Unternehmen wie bestimmten Netzwerkbetreibern unter Androhung erheblicher Bußgelder überantwortet.

Soweit die Bundesregierung als Grund für die gesetzgeberische Initiative die „Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz“ anführt, erscheint dies mit Blick auf die Vorgaben des BVerfG ebenso wenig hinreichend für die Begründung einer legitimen Beschränkung des Art. 5 Abs. 1 GG wie die allgemeine Feststellung, die „Debattenkultur“ sei „im Netz (…) oft aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt“. Die hiermit einhergehende Intention, Äußerungen mit schädlichem oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichem Inhalt zu behindern, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG gerade illegitim, da sie das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst aufhebt (BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08).

Dies gilt umso mehr, wenn man die bereits in diesem Artikel beschriebenen zwangsläufigen Auswirkungen der Übererfüllung von Löschungspflichten durch die Netzwerkbetreiber in der Weise mitberücksichtigt, dass „im Zweifelsfall“ zur Vermeidung erheblicher Bußgelddrohungen auch solche Inhalte auf Beschwerden hin gelöscht werden, welche im Rahmen der engen vorgegebenen zeitlichen Fristen (24 Stunden bzw. 7 Tage) nicht eindeutig als „strafbar“ oder „nicht strafbar“ eingeordnet werden können. Darüber hinaus besteht durch die Etablierung der Löschinfrastruktur nach dem MfBG die Gefahr, dass mittelfristig aus ökonomischen Gründen eine Zweifelsfalllöschung schon bei dem bloßen Eingehen von Nutzerhinweisen erfolgen könnte. Zwar muss der Netzwerkbetreiber auch den von der Löschung betroffenen Nutzer über jede Entscheidung unverzüglich informieren und seine Entscheidung begründen. Dies dürfte aber in Abwägung mit einem Risiko der Bußgeldahndnung i.H.v. bis zu 50 Millionen Euro für den Fall einer Nicht-Löschung schon aus ökonomischen Erwägungen heraus im Regelfall der vorzugswürdige Weg eines wirtschaftlich handelnden Netzwerkbetreibers sein.

cc) Soweit der NetzDG-Entwurf an anderer Stelle anführt, man wolle die mit „Hasskriminalität“ und „strafbaren Fake News“ verbundenen „Gefahren für das friedliche Zusammenleben und für die freie, offene und demokratische Gesellschaft“ abwenden, mag zwar abstrakt ein legitimes Regulierungsziel genannt sein. Insoweit bedarf es aber im Weiteren der Prüfung, ob die vorgesehenen Bestimmungen hierfür überhaupt geeignet und erforderlich sind, oder ob sie nicht gegenteilig gerade die Axt an die Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft legen.

Insbesondere ist auch hier zu fragen, ob solchen Gefahren für ein „friedliches Zusammenleben“ aufgrund der – durch das NetzDG allein erfassten – „strafbaren Inhalte“ nicht dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Strafjustiz Verstöße – auch der Netzwerkbetreiber – gegen das StGB einfach verfolgt und damit die Verbesserung der (Straf-)Rechtsdurchsetzung in einer Weise erreicht, wie sie sie durch das MfBG erreichen zu wollen vorgibt.

dd) Hinsichtlich der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird durch das BVerfG auch zu überprüfen sein, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass die Betreiber sozialer Netzwerke das deutsche Strafrecht nicht hinreichend einhalten. Insoweit wird sich in dem NetzDG-Entwurf ausschließlich auf einen Monitoring-Bericht von jugendschutz.net bezogen. Die Länderstelle jugendschutz.net ist bestimmungsgemäß mit der Prüfung von Jugendschutzsachverhalten nach dem JMStV befasst, nicht mit der Prüfung der Strafbarkeit von Anbietern aufgrund der Verbreitung von Inhalten nach dem StGB.

Vor diesem Hintergrund habe ich in meinem IFG-Antrag an das BMJV auch um Mitteilung gebeten, welche Qualifikation die mit Strafrechtsbewertungen befassten Personen bei jugendschutz.net aufgewiesen haben. Überdies habe ich um Übermittlung des Monitoring-Berichts gebeten, um nachvollziehen zu können, welche Inhalte der Netzwerke Youtube, Facebook und Twitter als „strafbar“ angesehen worden sind.

Bei der Einschätzung von potentiell zu regulierenden Gefährdungen kommt dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zu. Nicht zulässig wäre es hingegen, wenn sich der Gesetzgeber auf falsche Erkenntnisgrundlagen stützt, die unzutreffend von einer defizitären Einhaltung des Rechts durch Betreiber sozialer Netzwerke ausgehen.

2. Zensurverbot

a) Das BVerfG wird möglicherweise auch zu prüfen haben, ob die Bestimmungen des NetzDG mit dem Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG zu vereinbaren sind. Die Verfassung verbietet zwar grundsätzlich nur die Vorzensur, also die Vorschaltung eines präventiven Verfahrens, vor dessen Abschluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf (BVerfG, Beschl. v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89 mwN.). Gleichwohl hat das BVerfG bereits ausgeführt, dass praktische Auswirkungen von Maßnahmen faktisch einer Zensur gleichkommen können und gegen Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG verstoßen (BVerfG aaO.). Wird insoweit eine Äußerung durch Maßnahmen verhindert, die nicht auf einer Prüfung ihres Inhalts beruhen, ohne dass eine konkrete Rechtsgutgefährdung hintangehalten oder abgewehrt wird, so unterfallen derartige Maßnahmen dem Zensurverbot (Grabenwarter in: Maunz/Dürig, GG – Kommentar, 78. EL 2016, Art. 5 Rn. 117).

Für Internetinhalte wird zudem angeführt, dass die Grenzen unzulässiger Vor- und grundsätzlich erlaubter Nachzensur verschwimmen. Auch insoweit könne die Schutzfunktion des Zensurverbots – nämlich der Schutz vor der Lähmung des Geisteslebens als „typische Gefahr einer Präventivkontrolle“ beeinträchtigt werden, insbesondere bei staatlichen Maßnahmen, die zB Provider zur Nutzung von Filter-, Lösch- und Sperrsystemen verpflichten (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 1609; Grabenwarter in: Maunz/Dürig, aaO., Rn. 119).

b) Derartige faktische Zensurwirkungen sind indes auch bei dem Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz m.E. nicht auszuschließen. Insbesondere durch die massiven Bußgelddrohungen wird die systemische Implementierung von Löschungsprozessen auf Nutzerbeschwerden „im Zweifelsfall“ befördert. Aufgrund der sehr kurzen Reaktionsfristen für Netzwerkbetreiber innerhalb von 24 Stunden (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG) bzw. 7 Tagen (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG) nach eingehenden Beschwerden wird nicht nur die Gefahr einer Zweifelsfall-Löschung erhöht. Zudem sind im Einzelfall betroffene Inhalte nur sehr kurz abrufbar und entfalten keine – so im NetzDG bezeichnet – „Perpetuierung“. Formell mag es sich daher um eine Nachzensur, faktisch in der Unterbindung der dauerhaften Abrufbarkeit in sozialen Netzwerken vor einer „Perpetuierung“ aber um „Vorzensur“ handeln.

Dass die Löschung nicht unmittelbar durch hoheitliche Stellen erfolgt, könnte im Hinblick auf eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG vom BVerfG als unerheblich angesehen werden, da die zensurähnliche Löschinfrastruktur gerade durch Vorgaben des Gesetzgebers umgesetzt und etabliert wird. Die bloße Überantwortung staatlicher Zensur auf private Netzwerkbetreiber durch gesetzliche Maßnahmen lässt die Anwendung des verfassungsrechtlichen Abwehrrechts nicht entfallen.

3. Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

a) Das Grundrecht des Art. 3 GG ist nach der Rechtsprechung des BVerfG vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Beschl. v. 7.10-1980 – 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79 mwN.). Allerdings kommt dem Gesetzgeber ein Spielraum zu, der erst dort endet, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt und die Unsachlichkeit evident ist (BVerfG aaO.). Strenger als nach dem bloßen Evidenzmaßstab prüft das BVerfG Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder „sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken“, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (BVerfG, Beschl. v. 26.1.1993 – 1 BvL 38/92 mwN.).

b) Nach diesem Maßstab wird das BVerfG voraussichtlich auch die Ungleichbehandlung von Betreibern sozialer Netzwerke ab 2 Millionen Nutzern gegenüber solchen mit z.B. 1,9 Millionen Nutzern prüfen. Letztere sind nach § 1 Abs. 2 NetzDG von der Anwendung der Repressionen des Gesetzes vollumfänglich ausgenommen. Sie müssen namentlich keine Löschungsinfrastruktur für strafbare Inhalte nach §§ 86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241, 269 StGB errichten und haben auch keinerlei Transparenz- und Berichtspflichten zu erfüllen.

aa) Zur Begründung der so genannten „Bagatellgrenze“ wird in dem Entwurf der Bundesregierung zunächst ausgeführt, dass „kleinere soziale Netzwerke von aufwändigen Prüfpflichten befreit werden sollen. Die umfassenden gesetzlichen Anforderungen können nur von sozialen Netzwerken mit entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten bewältigt werden“. Diesbezüglich wird zu prüfen sein, inwieweit die Anzahl im Inland registrierter Nutzer ein Indikator für das Vorhandensein von „Ressourcen und Kapazitäten“ des Netzwerkbetreibers ist. Soziale Netzwerke werden ihren Nutzern in der Regel kostenlos zur Verfügung gestellt. Mangels Entgeltpflicht für Nutzer impliziert die Zahl der Nutzer also nicht, welche Umsätze der Betreiber eines sozialen Netzwerks hat. Insoweit ist etwa denkbar, dass ein Netzwerkbetreiber über 2,1 Millionen Nutzer verfügt, sich aber nur über ein eingeschränktes Sponsoring oder Funding „kommerziell“ finanziert. Demgegenüber könnte ein Anbieter mit weniger als 2 Millionen Nutzern aufgrund der Nutzung von Affiliate-Diensten, Premium-Angeboten und Werbeverträgen ein vielfach höheren Umsatz erzielen als Netzwerkbetreiber mit mehr registrierten Nutzern. Die Nutzerzahl erscheint mithin als sachlicher Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung der Betreiber sozialer Netzwerke unter dem Gesichtspunkt ihrer wirtschaftlichen Ressourcen und Kapazitäten nicht geeignet. Insoweit gibt es im Web 2.0 nicht einmal eine indizielle Wirkung.

Vor diesem Hintergrund die eine Gruppe von Netzwerkbetreibern zusätzlich zu den Berichts- und Löschpflichten einer Bußgelddrohung bis zu einer Höhe von 50 Millionen auszusetzen, demgegenüber die Netzwerkbetreiber mit 1,9 Millionen Nutzern komplett von Repressionen des NetzDG selbst dann freizustellen, wenn diese massiv strafbare Inhalte trotz Nutzerbeschwerden weiterverbreiteten, erscheint fraglich.

bb) Als weiterer Grund wird die „Perpetuierungswirkung der ausgetauschten und geteilten oder der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhalte“ angeführt. Gemeint ist hiermit, dass der Gesetzgeber von der Vermutung ausgeht, dass „bei einer großen Anzahl von Nutzern die Reichweite der Inhalte regelmäßig höher sei“.  Dies gehe „mit einem Anstieg der diffamierenden Wirkung“ einher. Abgesehen davon, dass von den meisten der nach §§ 86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241, 269 StGB erfassten Inhalte gar keine „diffamierende“ Wirkung ausgeht, ist die Gleichsetzung der Gesamtzahl der registrierten Nutzer eines sozialen Netzwerkes mit der Reichweite von Einzelbeiträgen eines Nutzers abwegig. Es ist auch beim BMJV als bekannt vorauszusetzen, dass Einzelinhalte in sozialen Netzwerken nicht von der Gesamtzahl der registrierten Nutzer gelesen werden. Die Möglichkeit der Beschränkung der Einsehbarkeit von Einzelbeiträgen auf sozialen Netzwerken (z.B. Beschränkung auf „Freunde“ oder „Freunde von Freunden“) auf bestimmten Netzwerken wird bei der Beurteilung der Reichweite ebenfalls nicht berücksichtigt.

Die Differenzierung der Anwendbarkeit der Repressionen des Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetzes nach der Zahl der in Deutschland registrierten Nutzer ist daher meines Erachtens unsachlich. Sie vermag die erheblichen Ungleichbehandlungen zwischen Betreibern sozialer Netzwerke im Hinblick auf strafbare Inhalte nicht zu rechtfertigen.

4. Verpflichtung zu strafbarem Kinderpornographie-Besitz

Das BMJV ist als Exekutivorgan nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem vom BMJV ebenfalls verantworteten Sexualstrafrecht Verbotstatbestände für die Speicherung und den Besitz bestimmter strafbarer Inhalte ergeben. Insbesondere wird nach § 184b Abs. 3 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine kinderpornographische Schrift besitzt. Auch die vorsätzliche Speicherung von kinderpornographischen Dateien erfüllt den Straftatbestand.

§ 3 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG-Entwurf verpflichtet nunmehr Betreiber sozialer Netzwerke zur vorsätzlichen Speicherung kinderpornographischer Schriften durch ihre Mitarbeiter für einen Zeitraum von 10 Wochen.

Die Besitzstrafbarkeit wird nach § 184b Abs. 5 StGB nur ausgenommen für die rechtmäßige Erfüllung (1.) staatlicher Aufgaben, (2.) Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder (3) dienstliche oder berufliche Pflichten. Die Ausnahmn werden von der Rechtsprechung tendenziell eng ausgelegt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 2. 11. 2012 – 2 Ws 114/12).

Da Betreiber sozialer Netzwerke weder staatliche Aufgaben erfüllen, noch auf der Grundlage von Vereinbarungen mit staatlichen Stellen, noch aufgrund einer dienstlichen oder beruflichen Pflicht Kinderpornographie gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG-Entwurf speichern sollen, machen sich die betreffenden Mitarbeiter des Netzwerks nach § 184b Abs. 3 StGB bei der Umsetzung des Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetzes strafbar.

III. Europarecht

Eine Beleuchtung der Europarechtskonformität des NetzDG wird hier nicht vorgenommen. Insoweit ergeben sich aber ebenfalls unter mehreren Gesichtspunkten erhebliche Bedenken. Hinsichtlich der Missachtung des Herkunftslandprinizips wird auf die ausführlichen und zustimmungswürdigen Ausführungen von Prof. Dr. Hoeren hingewiesen.

IV. Schluss

Aus den dargelegten Gründen ist – ungeachtet der Europarechtswidrigkeit des MfBG – nach meiner persönlichen Einschätzung wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht das als "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" bezeichnete Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz im Falle seiner Anrufung im Wege der Verfassungsbeschwerde für nichtig erklären wird.

Entgegen einer aktuellen Äußerung ist überdies zu bezweifeln, dass das Gesetz ein „Exportschlager“ werden wird. Für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat kommt eine Übernahme einer solchen zensurähnlichen Infrastruktur, wie sie das MfBG (=NetzDG) intendiert, eher nicht in Betracht. In anderen Staaten wie der Türkei oder China sind solche Strukturen bereits systemisch etabliert. Auf einen Import des „Knowhows“ der Bundesregierung ist man dort nicht angewiesen.

Freilich sind Hassreden ebenso wie jede Form des Schürens von Fremdenfeindlichkeit uneingeschränkt zu missbilligen. Der Grundgesetzgeber hat insoweit aber die Gesellschaft in einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung als hinreichend mündig und wehrhaft erachtet, in einem freien Meinungsbildungsprozess auch extremistischen Äußerungen entgegenzutreten. Soweit strafrechtliche Grenzen überschritten werden, obliegt die „Rechtsdurchsetzung“ in einem Rechtsstaat ausschließlich der Strafjustiz.

Die grundsätzliche Verbundenheit des Bundesjustizministers mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten wie insbesondere der Meinungsfreiheit soll durch diesen Artikel nicht in Frage gestellt werden. Zustimmungswürdig sind auch die Aussagen von Herrn Maas im „Die WELT“-Interview vom 23.4.2016: „Es ist ein Kernelement unserer demokratischen Grundordnung, dass das Verfassungsgericht frei und unabhängig über die verfassungsgemäße Vereinbarkeit von Recht und Gesetz wacht – und dort einschreitet, wo diese Grenzen überschritten werden. Wenn viele grundsätzlichen politischen Fragen in Karlsruhe geklärt werden müssen, hat sich die Politik das am Ende auch selbst zuzuschreiben“.

 

V. Anhang: Inhalt meines IFG-Antrags an das BMJV vom 26.4.2017

Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas,

sehr geehrter Damen und Herren,

gestützt auf § 1 Abs. 1 und 2 S. 2 IFG sowie auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch als Autor des Rechtsexperten-Blogs des C.H.Beck Verlages beantrage ich schriftliche Informationen im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG).

Der Antrag bezieht sich auf die Mitteilung folgender Informationen:

1. Monitoring-Bericht von jugendschutz.net zur Löschpraxis sozialer Netzwerke vom Januar/Februar 2017

Im NetzDG-Entwurf wird zur Begründung der Erforderlichkeit des Gesetzes Bezug genommen auf ein von der Länderstelle „jugendschutz.net“ durchgeführtes Monitoring der Löschpraxis sozialer Netzwerke vom Januar/Februar 2017. Auf weitere Untersuchungen und Erkenntnisgrundlagen wird nicht Bezug genommen. Wegen der erheblichen Bedeutung des Monitoring-Berichts wird um Übersendung einer Kopie des Berichts von jugendschutz.net gebeten, soweit datenschutzrechtlich gemäß § 5 IFG erforderlich, in anonymisierter Form.

2. Mitteilung der fachlichen Qualifikation der mit dem Monitoring von jugendschutz.net beauftragten Personen und der für das Monitoring verwendeten Bewertungsmaterialien

Die Länderstelle jugendschutz.net ist bestimmungsgemäß mit der Prüfung von Jugend-schutzsachverhalten nach dem JMStV befasst, nicht mit der Prüfung der Strafbarkeit von Anbietern aufgrund der Verbreitung von Inhalten nach dem StGB. Die Länderstelle beschäftigt nach diesseitigem Kenntnisstand nur einen Volljuristen.

a) Vor diesem Hintergrund wird um Mitteilung gebeten, ob dem BMJV bekannt ist, welche Personen das Monitoring bei jugendschutz.net durchgeführt haben, das Grundlage des Berichts vom Januar/Februar 2017 war. Insbesondere wird um Mitteilung gebeten, ob bekannt ist, ob das Monitoring ausschließlich von Volljuristen durchgeführt worden ist oder ob gegebenenfalls auch Nichtjuristen mit dem Monitoring und der Feststellung strafbarer Inhalte befasst waren.

b) Überdies wird um Mitteilung gebeten, ob dem BMJV bekannt ist, auf der Grundlage welcher Bewertungsmaterialien (Richtlinien, Auslegungsgrundlagen, Gesetzeskommentare, Rechtsprechung) das Monitoring zur Feststellung von Strafrechtsverstößen bei den Anbietern YouTube, Facebook und Twitter verwendet worden sind.

c) Da in dem NetzDG-Entwurf ausgeführt wird, jugendschutz.net habe „strafbare Inhalte“ ermittelt bzw. festgestellt, wird um Mitteilung gebeten, ob es sich hierbei entweder um Inhalte gehandelt hat, welche nur die Tatobjektsmerkmale von StGB-Tatbeständen erfüllt haben, oder ob es sich um Inhalte handelte, die in der konkreten Art der Verbreitung unter Beachtung des § 10 TMG, des Herkunftslandprinzips (§ 3 Abs. 2 TMG) und der §§ 3, 9 StGB auch eine Strafbarkeit des Anbieters begründeten.

3. Mitteilung der Zahl der Strafermittlungs- und Strafverfolgungsverfahren aufgrund der Ergebnisse des jugendschutz.net-Monitoring Berichts

Im NetzDG-Entwurf wird mitgeteilt, dass dem BMJV durch den jugendschutz.net-Monitoring-Bericht vom Januar/Februar 2017 bekannt geworden ist, dass „YouTube mittlerweile in 90 Prozent der Fälle strafbare Inhalte gelöscht“ habe, „Facebook hingegen löschte nur in 39 Prozent der Fälle“, „Twitter nur in 1 Prozent der Fälle“. Hieraus ergibt sich, dass dem BMJV Fälle strafbarer Inhalte bekannt geworden sind, namentlich 10% nicht gelöschter strafbarer Inhalte bei Youtube, 61% nicht gelöschter strafbarer Inhalte bei Facebook sowie 99% nicht gelöschter strafbarer Inhalte bei Twitter.

Vor dem Hintergrund der Effektivität der Durchsetzung des Strafrechts durch die zuständige Strafjustiz wird um Mitteilung gebeten, in wie vielen Fällen der dem BMJV bekannt gewordenen strafbaren Fälle, in denen die Anbieter trotz Kenntnis nach § 10 TMG keine Löschung vorgenommen haben, ein Ermittlungs- oder Strafverfolgungsverfahren durch die zuständigen Behörden eingeleitet worden oder sonstige Strafverfolgungsmaßnahmen erfolgt sind.

4. Mitteilung vorgesehener Maßnahmen zur Verhinderung einer Strafbarkeit wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB

§ 3 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG-Entwurf verpflichtet Betreiber sozialer Netzwerke zur vorsätzlichen Speicherung kinderpornographischer Schriften durch ihre Mitarbeiter für einen Zeitraum von 10 Wochen. Nach § 184b Abs. 3 StGB wird der Besitz einschließlich der Speicherung kinderpornographischer Schriften u.a. mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Die Strafbarkeit wird nach § 184b Abs. 5 StGB nur ausgenommen für die rechtmäßige Erfüllung (1.) staatlicher Aufgaben, (2.) Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder (3) dienstliche oder berufliche Pflichten.

Da Betreiber sozialer Netzwerke weder staatliche Aufgaben erfüllen, noch auf der Grundlage von Vereinbarungen mit staatlichen Stellen, noch aufgrund einer dienstlichen oder beruflichen Pflicht Kinderpornographie gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 1 Abs. 3 NetzDG-Entwurf speichern sollen, wird um Mitteilung gebeten, welche Maßnahmen das BMJV vorgesehen hat, um eine Strafbarkeit der Netzwerkbetreiber nach § 184b Abs. 3 StGB und eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zu entsprechenden Besitzhandlungen aufgrund des NetzDG auszuschließen.

5. Mitteilung der Zahl bekannter Fälle, in denen „Fake News“ als strafbar angesehen worden sind

Des Weiteren wird um Mitteilung gebeten, ob und gegebenenfalls welche Fälle dem BMJV bekannt sind, in denen „Fake News“ im Sinne der Begründung des NetzDG-Entwurfs von einer Strafverfolgungsbehörde oder einem Strafgericht als strafbar im Sinne der §§ 86, 86a, 89a, 90, 90a, 90b, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b, 184d, 185 bis 187, 241 oder 269 StGB angesehen worden sind.

6. Mitteilung über Erkenntnisse der Netzwerk-Beitrags-Reichweiten

Zur Begründung der nach Art. 3 GG sachlich zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Netzwerkbetreibern mit mehr als 2 Millionen Nutzern gegenüber Betreibern mit 1,9 Millionen Nutzern wird zu § 1 Abs. 2 NetzDG-Entwurf ausgeführt, dass bei „einer großen Anzahl von Nutzern die Reichweite der Inhalte regelmäßig höher“ sei und hiermit „ein Anstieg der diffamierenden Wirkung“ einhergehe.

a) Vor diesem Hintergrund wird um Mitteilung gebeten, auf welchen Studienbefunden, medienwissenschaftlichen Erkenntnissen oder sonstigen Grundlagen die im NetzDG-Entwurf an-geführte Meinung basiert, dass Einzelbeiträge wie strafbare Hassreden auf Plattformen mit 2,1 Millionen registrierten Nutzern hinsichtlich der Reichweite und der diffamierenden Wirkung anders einzustufen seien als inhaltsgleiche strafbare Einzelbeiträge auf Plattformen mit 1,9 Millionen registrierten Nutzern. Insoweit wird als bekannt vorausgesetzt, dass Einzelbeiträge in sozialen Netzwerken nicht von allen registrierten Nutzern des Netzwerkes gelesen werden.

b) Aufgrund der Möglichkeit der Beschränkung der Einsehbarkeit von Einzelbeiträgen auf sozialen Netzwerken (z.B. Beschränkung auf „Freunde“ oder „Freunde von Freunden“) wird um Mitteilung gebeten, inwieweit derartige Beschränkungsmöglichkeiten auf Plattformen bei Reichweitenerwägungen nach dem Kriterium der Zahl der Gesamtnutzer eines sozialen Netzwerks Berücksichtigung gefunden haben.

 

Im Hinblick auf § 7 Abs. 5 S. 1 IFG und auf das voraussichtlich baldige Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nach Art. 3 NetzDG wird um eine zeitnahe Mitteilung der begehrten Informationen gebeten.

Der Antragsteller behält sich vor, den Inhalt dieses Schreibens im Rahmen des Rechtsexperten-Blogs des C.H.Beck Verlages zu veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen.

 

Prof. Dr. jur. Marc Liesching

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41 Kommentare

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Hallo Celesto,

die große Koalition verfügt im Bundestag über eine genügende Anzahl ihren jeweiligen Fraktionsvorsitzenden gegenüber loaylen Abgeordneten, welche das Gesetz wohl verabschieden werden.

Jedoch sind die Ausführungen von Professor Liesching trotzdem sinnvoll, weil sie viele Leser zum kritischen Nachdenken und Diskutieren anregen werden, und die Diskussionen vielleicht auch in eine von vielen Bürgern unterstützte Verfassungsbeschwerde münden werden.

Das Bündnis Freiheit statt Angst, um das es in letzter Zeit etwas ruhig geworden ist (das Medieninteresse hat in den letzten Jahren deutlich nachgelassen), könnte neue Anregungen und neue Unterstützer wohl gut gebrauchen. Es wäre erfreulich und begrüßenswert, wenn mehr Bürger mit kritischem Bewußtsein und Zivilcourage für Grundrechte und Freiheitsrechte eintreten würden.  

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Hervorragende Arbeit, an völlig übersehene Sachverhalte gedacht und politisch abgefeuert. So stelle ich mir die Rechtspflege vor!

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Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz - da stockt einem zunächst der Atem. Aber schon beim Überfliegen des Textes wird einem klar, dass sich der Autor intensiv Gedanken gemacht hat und nicht übertreibt.

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Sehr geehrter Herr Kollege Liesching,

die meisten Ihrer Einwände teile ich, aber in dem Punkt 1.c) bin ich anderer Ansicht. Sie schreiben:

Bislang gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zur Löschung rechtswidriger Inhalte. Vor allem stellt § 10 Telemediengesetz (TMG) keine Löschungsverpflichtung dar. Es handelt sich vielmehr um eine Haftungsprivilegierung, wonach der Plattformbetreiber für Fremdinhalte abweichend von der allgemeinen Verantwortlichkeit „nicht verantwortlich ist“, solange er keine Kenntnis hat.

Die von Ihnen zuvor zitierte Begründung des  Gesetzentwurfs bezieht sich ausdrücklich auf die "allgemeinen Gesetze" - damit ist für strafbare Inhalte v.a. das StGB gemeint. Hinsichtlich der Verbreitung strafbarer Inhalte aber gilt schon, dass sich die Unterlassungspflicht (=Löschungsverpflichtung) unmittelbar aus dem jeweiligen Strafgesetz ergibt, das eine Verbreitung von Äußerungen unter Strafe stellt. Insofern sind die Verantwortlichen selbstverständlich zur Löschung verpflichtet (und zwar genau DIEJENIGEN Personen im Unternehmen, die Kenntnis haben, ggf. auch ihre Vorgesetzten). 

Insofern ist auch das in der Debatte oft gehörte und gelesene Argument, über Strafbarkeit dürfe nur ein Richter entscheiden, nicht tragfähig. Jeder Bürger muss sich an die Strafgesetze halten. Diese Pflicht gilt auch dann, wenn gerade kein Polizist, kein Staatsanwalt und kein Richter hinschaut. Die effektive Strafverfolgung/Durchsetzung ist eben nicht Voraussetzung einer Pflicht, die sich aus dem Strafgesetz ergibt. Und ein Richtervorbehalt gilt im Strafrecht für die Verhängung von Strafen, nicht aber für Maßnahmen des Gefährdungs- und Sicherheitsrechts. Zur Unterbindung einer Straftat greift die Polizei ja auch ein, ohne dass zuvor ein Richter gehört wird. Und eine Löschung ist  keine Bestrafung.

Ich bitte aber mich nicht falsch zu verstehen: Das Gesetz halte ich unter Berücksichtigung viele Ihrer Argumente ebenfalls für sehr fragwürdig, insbesondere was die Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit angeht. Und das betrifft  insbesondere die unklaren und strafrechtlich zum Teil irrelevanten Begriffe: "Fake News", "Hate Speech" etc. sowie die Ungleichbehandlung, die Sie darlegen.

Hallo Herr Kollege Müller,

Vielen herzlichen Dank für Ihre Einschätzung. Sie liegen meines Erachtens falsch. Die Bundesregierung bezieht sich bei der Herleitung einer bereits bestehenden Löschpflicht nicht auf das allgemeine Gesetz StGB, sondern - wie ich geschrieben habe - vor allem auf 10 TMG. Lesen Sie nochmals BT-Drs. 18/12356, S. 12:

"Ausgangspunkt dieser Compliance-Pflicht ist die Haftungsregelung für Diensteanbieter nach § 10 TMG. Diese sind verpflichtet, einen rechtswidrigen Inhalt, den sie für einen Nutzer speichern, unverzüglich zu entfernen oder den Zugang zu ihm zu sperren, wenn sie von dem Inhalt Kenntnis genommen haben. Die in diesem Entwurf statuierten Compliance-Pflichten setzen diese Verpflichtung der Diensteanbieter voraus und konkretisieren sie."

Das StGB normiert auch gar keine gesetzliche Löschungspflicht für Diensteanbieter. Das Strafrecht ist Sanktionsrecht, das begangene Verstöße - vorliegend vor allem eine rechtswidrige, schuldhafte Verbreitung von bestimmten Medien - bestraft. Keine der StGB Tatbestände, die in 1 III NetzDG genannt werden, statuiert eine Löschungspflicht. Auch bei 212 StGB steht nicht drin, Herr Müller, Herr Mayer und Herr Soundso sind verpflichtet, nicht zu töten. Dies würde ja z.B. 32 StGB aushebeln. Es wird vielmehr normiert, wie ein Mensch zu bestrafen ist, wenn er vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft den Todeserfolg bei einem Menschen kausal verursacht hat. "Du sollst nicht töten" steht nur in der Bibel.

Bitte lesen Sie auch nochmals 1 III NetzDG. Als "rechtswidrige Inhalte" sind danach schon Inhalte zu löschen, die nur den "Tatbestand" bestimmter StGB-BT-Normen erfüllen. Auf Rechtswidrigkeit und Schuld kommt es gar nicht an für die Löschpflicht. Ebensowenig soll eine Rolle spielen, ob deutsches Strafrecht nach 3,9 StGB Anwendung findet. Die Behauptung, diese weite Löschpflicht des NetzDG  ergebe sich schon aus dem StGB, erscheint mir nicht vertretbar. Sie ergibt sich aber auch nicht aus 10 TMG. Sehen Sie dies anders?

Beste Grüße.

ML

Hallo Herr Liesching,

etwas anders sehe ich das schon, wenn wir sicherlich im Ergebnis nahe beieinander liegen.

Sie schreiben in Ihrem ursprünglichen Beitrag:

Es handelt sich vielmehr um eine Haftungsprivilegierung, wonach der Plattformbetreiber für Fremdinhalte abweichend von der allgemeinen Verantwortlichkeit „nicht verantwortlich ist“, solange er keine Kenntnis hat. Insoweit sagt § 10 S. 1 Nr. 2 TMG auch nur aus, dass Provider „nicht verantwortlich“ sind, wenn sie „unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen“. Dies ist aber keine gesetzliche Löschverpflichtung. Dem Provider steht es frei, die Löschung nicht unverzüglich vorzunehmen und sich für eine allgemeine Verantwortlichkeit wie für eigene Inhalte nach § 7 TMG zu entscheiden. Das ist rechtlich etwas anderes als die nunmehr durch § 3 MfBG etablierte Pflicht zur Löschung mit einer Bußgeldbewehrung von bis zu 50 Millionen Euro. Letzteres stellt einen „neuen“ und vor allem sehr erheblichen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG dar.

 Ich meine schon, dass eine Löschverpflichtung gegeben ist. Ganz zutreffend sagen Sie, § 10 TMG enthalte eine Haftungsprivilegierung bei der Verbreitung fremder Inhalte. Bei Kenntnis des fremden Inhalts gilt dieses Haftungsprivileg aber nur, wenn unverzüglich gelöscht wird. Wird nicht unverzüglich gelöscht, dann steht es dem Provider Ihrer Ansicht nach "frei", sich nach § 7 TMG zu verantworten wie für eigene Inhalte. Das ist richtig, aber welche Verantwortung hat der Provider denn für eigene Inhalte? § 7 Abs.1 TMG enthält ja wiederum den Verweis auf "allgemeine Gesetze", also (u.a.) das Strafrecht. Nun argumentieren Sie so, dass das Strafrecht schließlich keine Pflichten aufstelle, sondern nur regele, was passieren soll, wenn jemand tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handelt (oder unterlässt). Das ist EINE mögliche enge Interpretation der Funktionen des Strafrechts. Die mehrheitliche Interpretation ist, dass das Strafrecht implizit Pflichten (nämlich das strafbare Verhalten zu unterlassen) aufstellt bzw. auf vor- bzw. außerstrafrechtliche Pflichten Bezug nimmt, seinem "Wesen nach ist die Straftat Rechtsgutbeeinträchtigung bzw. Pflichtverletzung" (SchSch-Lenckner/Eisele Rn. 8 vor §§ 13 ff.).  Auch das bewusste Verbreiten von strafbaren Äußerungen Dritter auf der selbst gehosteten Plattform ist (entweder als Beteiligung oder in eigener Täterschaft) grds. strafbar. Ist die Verbreitung schon "im Gange", dann ist derjenige, der die weitere  Verbreitung faktisch unterbinden kann, bei Kenntnis auch dazu verpflichtet, sie zu unterbinden, also den Inhalt zu löschen bzw. zu sperren. "Es lässt sich also feststellen, dass Inhalt der Garantenpflicht des Netzbetreibers zur Verhinderung einer öffentlichen Zugänglichmachung die Löschung bzw. Sperrung von strafbaren Inhalten in seinem Datennetz ist." (so etwa Popp, Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern, 2002, S. 155, also vor TMG-Zeiten).  Vor dieser strafbewehrten Garantenpflicht bewahren die Haftungsprivilegien der §§ 7 Abs.2, 8-10 TMG. Treffen diese aber nicht zu, gilt u.a. das Strafrecht als allg. Gesetz im Sinne des § 7 Abs.1 TMG. 

Dass das NetzDG in Ermangelung eines Unternehmensstrafrechts etwas anderes und auch viel weiteres regelt (insbes. die Anbieter dazu verpflichtet, ein Kontrollsystem zu errichten), habe ich gar nicht bestritten. Würde nicht anderes/weiteres geregelt, wäre das Ganze ja auch völlig sinnlos. Und dass dies keine gute Regelung ist (insb. auch verfassungsrechtlich problematisch), darin stimmen wir überein. Im Ausgangspunkt aber, dass die (weitere) Verbreitung strafbarer Inhalte grds. pflichtwidrig ist, und dass aus dem Strafrecht eine Lösch- bzw. Sperrpflicht bei bekannten strafbaren Inhalten folgt, bleibe ich bei meiner Auffassung.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Ich hätte nicht gedacht, dass das EINE mögliche Interpretation der Strafrechtsfunktionen ist. Das wäre ja so, als würde man sagen, der Geiselnehmer sei strafrechtlich nicht verpflichtet, die Geiseln frei zu lassen, denn das Strafrecht regele nur die Bestrafung. Wenn dem so wäre, dann wäre z.B. eine Freilassung von Geiseln strafrechtlich völlig irrelevant. Ist sie aber nicht. Ich lese auch in 212 StGB, dass Menschen zu töten bei Strafe verboten sei. Da steckt auch  "Du sollst nicht töten" mit drin.

 

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Hallo Herr Kollege Müller,

da habe ich Eisele anders verstanden. Er schreibt, dass die "Straftat" - und nicht die Funktion des Strafrechts oder der Straftatbestand - "Rechtsgutsbeeinträchtigung UND Pflichtverletzung ist", also nicht "bzw.", wie Sie es wiedergeben. Eisele meint m.E. damit, dass über die Rechtsgutsverletzung hinaus auch ein "Handlungsunwert" bzw. ein "Gesinnungsunwert" die Straftat kennzeichnen muss. Das fassen wir ja gewöhnlich in der Prüfung der Rechtswidrigkeit und Schuld bzw. z.B. bei Fahrlässigkeitsdelikten in der Prüfung des Vorliegens einer objektiven Pflichtverletzung. Als Beispiel weist er auf den korrekt fahrenden Autofahrer hin, der trotz Einhaltung aller Sorgfalt ein plötzlich vor den Wagen laufendes Kind überfährt (Rn. 11). Die Pflicht ist aber nicht die Umkehrung der Strafnorm i.S.v. "Du sollst den Todeserfolg abwenden", denn getötet hat der Fahrer das Kind. Die Pflicht wäre hier vielmehr eine aus anderen Normen resultierende Sorfgfaltspflicht, etwa die Einhaltung der StVO und von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Diese ergeben sich aber nicht aus dem Straftatbestand selbst. Genau das behaupten Sie aber.

So verhält es sich auch bei den Verbreitungsdelikten. Aus der Sanktionierung der Verbreitung ergibt sich keinesfalls zwingend die gesetzliche Pflicht "Du musst die von einem anderen initiierte Verbreitung eines Medieninhaltes aktiv stoppen" bzw. "Du musst löschen", selbst dann nicht, wenn man es auf Unterlassungsdelikte beschränkt, wie Sie es - glaube ich - mit Blick auf eine vermutete Garantenstellung der Netzwerkbetreiber tun (Ob die Handlungen der Provider überhaupt Unterlassen sind und nicht vielmehr aktives Tun, ist ja umstritten).

Ich gebe Ihnen ein praktisches Beispiel, wie es in Netzwerken mehrfach vorkommt:

Nutzer N postet auf seinem Facebook-Account einen Screenshot aus dem US Spielfilm "Inglorious Basterds", auf dem die Hakenkreuzbinde des Schausspielers Christoph Walz zu sehen ist (Urheberrecht lassen wir mal außer Betracht). Facebook erhält nun eine Nutzerbeschwerde mit Blick auf § 86a StGB und hat Kenntnis.

Ich denke, wir sind uns einig, dass § 10 TMG nun keine Löschpflicht begründet. Wenn Facebook nicht unverzüglich tätig wird, entfällt vielmehr nur die Haftungsprivilegierung des § 10 TMG gleichsam als strafrechtlicher Vorfilter, wie Sieber es ausgedrückt hat. Dann ist die Veranwortlichkeit nach den allgemeinen Gesetzen zu prüfen. Dies bedeutet aber gerade nicht, dass Facebook löschen muss! Maßstab ist jetzt die Anwendung der Grundsätze der teleologischen Reduktion des § 86a StGB nach dem BGH und auch die Sozialadäquenzklausel des § 86 III StGB. Hiernach kann Facebook aber zu dem Ergebnis kommen, dass die öffentliche Verwendung des Screenshots nicht gegen den Straftatbestand verstößt, ebenso wenig wie die Verbreitung des ganzen Filmes "Inglorious Basterds" auf Amazon oder Netflix.

Nach Ihrer Auffassunng müsste man jetzt aber sagen, 86a StGB beinhalte eine gesetzliche Pflicht zur Löschung des Hakenkreuzes, obwohl der Wortlaut nur ein öffentliches Verwenden sanktioniert. Nun könnten Sie Ihre Pflicht umformulieren und erweitern i.S.v.: "Du bist als Provider verpflichtet zu löschen, wenn das wissentliche Bereithalten der Bilddatei auf Deinem Server ein öffentliches Verwenden durch Unterlassen i.S.d. § 13 StGB darstellt (was im Übrigen umstritten ist, da auch aktives Tun vertretbar ist) und die schutzzweckorientierte Tatbestandseinschränkung des BGH nicht greift und die Sozialadäquenzklausel in allen Varianten nicht vorliegt und Du im Übrigen rechtswidrig und schuldhaft (z.B. ohne unvermeidbaren Verbotsirrtum) handelst und deutsches Strafrecht nach §§ 3, 9 StGB Anwendung findet (was bei Auslandstaten der Hakenkreuzverwendung im Internet nach dem BGH übrigens nicht der Fall ist)". Aber selbst das stimmt nicht. Denn das Strafrecht sagt unter den Prämissen der §§ 3, 9, 13, 16, 17, 86a StGB nur, dass der Netzwerkbetreiber (bzw. die verantwortlich handelnden Personen) mit Strafverfolgung zu rechnen hat, wenn er sich für eine Weiterverbreitung des Inhaltes nach Kenntniserlangung entscheidet.

Mir persönlich fällt es vor diesem Hintergrund sehr schwer, aus dem Wortlaut des 86a StGB als gesetzliche Löschverpflichtung des Providers herauszulesen. Ich bleibe daher dabei, dass erst das NetzDG bzw. Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz eine originäre gesetzliche Löschverpflichtung von Providern etabliert. Dies gilt ja umso mehr, als § 1 III NetzDG schon bei bloßer Erfüllung der objektiven Tatobjektsmerkmale eine Löschpflicht begründet.

Eigentlich wollte ich Sie aber auch nur darauf hingewiesen haben, dass die Bundesregierung jedenfalls nicht eine gesetzliche Löschpflicht aus dem StGB herleiten will, wie Sie in Ihrem ersten Kommentar vertreten haben. Die Bundesregierung bezieht sich klar auf § 10 TMG. Hier sind wir uns aber nach unserer Diskussion sicher einig, dass die Haftungsprivilegierung keine gesetzliche Löschverpflichtung der Provider darstellt.

Die Löschenspflicht ergibt sich letzthin aus dem Zivilrecht (§ 1004 BGB, soweit eine Äußerung auch ein ziviles Recht, etwa das der Ehre, verletzt) oder/und als lediglich verhaltene Pflicht aus dem Polizeirecht, wobei der Anbieter hier nicht anders als der unbescholtene Bürger, auf dessen Hausfassade ein Unbekannter ein Hakenkreuz geschmiert hat, als Notstandsstörer und ggf. in Ausnahmefällen als Zustandsstörer haftet.

Und genau da liegt auch schon einer der vielen Hasen im Pfeffer dieses Gesetzesentwurfs. Ist der Bund überhaupt zuständig. Im Grunde geht es doch um die Beseitigung von Störungen der öffentlichen Sicherheit, denn strafbare Hinterlassenschaften im Netz stellen ebenso wie Schmierereien strafbaren Inhalts an Hauswänden klassische polizeiliche Tätigkeit dar. Die aber gehört weiterhin in die Kompetenz der Länder. Der Entwurf will mit den Löschstellen von Facebook und Co. so etwas schaffen wie Quasi-Sonderpolizeibehörden in privater Trägerschaft. Unzulänglich vergleichbar mit Betriebsfeuerwehren (Feuerwehrrecht ist übrigens auch Ländersache).

Ein weiteres Bonbon des offensichtlich in Unkenntnis der Tatbestände einfach auf einen Blumenstrauß an Strafnormen verweisenden Entwurfes ist, dass bestimmte gerade im Bereiche des Internets bestehende Strafbarkeitslücken, über deren Beseitigung man anstatt des missglückten Entwurfes hätte nachdenken sollen, weiter fröhlich fortbestehen. Der Klassiker ist das Innlandstaterfordernis des § 86a StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt einen Erfolgsort im Sinne des § 9 StGB nicht hat. Wer vom Ausland aus ein Kennzeichen der in § 86a StGB genannten Art (Hakenkreuz) ins Netz stellt, handelt nicht im Inland und mithin straffrei. Mangels Ingerenz ist er auch bei Rückkehr nach Deutschland nicht zur Entfernung verpflichtet, sodass auch eine Unterlassensstrafbarkeit ausscheidet (BGH vom 19.08.2014, 3 StR 88/14).
Die Anbieter werden also fürderhin im Rahmen der Kennzeichenverwendung auch zu prüfen haben, von wo aus der betreffende Nutzer gehandelt hat, um über die Löschung befinden zu dürfen.
Alles reichlich schlecht ausgegoren und ein Beleg dafür, dass sich das Ministerium nicht ansatzweise Gedanken über die Fallstricke all der in Bezug genommenen Strafvorschriften gemacht hat.

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Das ist ein wirklich fundierter Beitrag.

Es ist leider so, dass der Gesetzgeber viel Müll produziert, dort, wo tatsächlich Regelungsbedarf besteht, aber nicht tätig wird.

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Das Problem, dass die Strafbarkeit von Äusserungen doch kaum nachzuvollziehen ist. Sehe ich auf der Strasse, dass jemand überfallen wird, weiss ich, dass eine Straftat vorliegt. Gerade die Volksverhetzung. Wenn ein Türke auf Facebook die Deutschen als "Köterrasse" bezeichnet udn wünscht, dass "Allah ihren Lebensraum zerstören" möge, ist das in Ordnung, wie ein Gerichtsbeschluss Anfang des Jahres in Hamburg bestätigt. Sagt aber eine Userin, man solle Flüchtlinge ertränken, ist das strafbar. Wo ist der unterschied? Hätte die Userin schreiben sollen, "möge Gott die Flüchtlinge ertränken"?

Genau dieser Graubereich wird dazu führen, dass man restriktiv interpretieren wird. Schon jetzt herrscht auf allen Plattformen, die ich näher kenne, Willkür. Löschungen werden vorgenommen, schnell ist irgendetwas rechtsextrem. Gegen Linke und Muslime gilt das viel weniger. Wobei auch so gesagt werden muss, dass viele Plattformen grosse Mühe haben, eine einheitliche Linie zu haben. Man erinnere sich an die Löschung des kompletten Profils von Imad Karim auf Facebook, ein Islamkritiker und gebürtiger Libanese. Die Protestwelle liess Facebook das Profil wiederherstellen.

Unscharfe Gesetzte und Rechtsbegriffe machen immer Probleme. Sie geben Raum zu Willkür. Im Prinzig wäre es das pragmatischste, den Volksverhetzungsparagraphen aufzuheben. Dann soll einfach Freistil herrschen in Medien. Polizei und Gerichte konzentrieren sich auf echte Straftaten und nicht auf virtuelle.

Auch ich halte die Grenze von 2 Mio Usern für willkürlich, und zeugt von der wirtschaftlichen Inkompetenz des Heiko Maas. Denn die Zahl heisst noch gar nichts, ob sie wirtschaftlich betrieben werden kann. Ein Netzwerk kann gross sein, aber die einzelnen Post erreichen je nachdem nur wenige Leser, je nach Vernetztheit des Users. Sowas bringt wenig Einnahmen. Hier überall alles zu prüfen ist kaum zumutbar. Nicht viel anders, als wenn man verlangen würde, die Polizei soll in allen Gaststätten ihre Spitzel haben, um jedes Stammtischgepolter ahnden zu können.

Klar ist - ein politisches Gesetz, das die etwas angekratzte Macht der etablierten Parteien, die mit den Mainstreammedien ein Kartell bilden, das den Bürger in politische Korrektheit und Realitätsverweigerung erziehen will, wiederherstellen will.

In Bereichen wie Einbrüche, Nogo Areas, sexuelle Belästigung hat der Staat weitgehend kapituliert, gegen islamische Hassprediger wurde nie allzuviel unternommen, gegen den Sozialmissbrauch durch Migranten mit Mehrfachidentität ist man auch wehrlos. Das wären die Gebiete. Da aber diese sehr schwer zu behandeln ist, und den heutigen Politikern die Konzepte sowieso fehlen, eröffnet man einen virtuellen Kriegsschauplatz, wo man sich des Sieges sicher sein kann. Gegen einen eigentlich ungefährlichen Gegner.

Das kann aber auch sein gutes haben. Der anständige Bürger merkt, dass nicht das Sitzen und Schreiben am Computer etwas bringt, sondern wirksames und nachhaltiges HANDELN.

 

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

diese Meinung teile ich (so) nicht. Ihre Antwort unterstellt eine Strafbarkeit für die Verbreitung fremder rechtswidriger Äußerungen. Aber die Strafbarkeit von wem? Sicherlich nicht von juristischen Personen. Damit bleibt allenfalls noch eine (Unterlassungs-) Strafbarkeit von Managern oder den Mitarbeitern in der Sperr-Abteilung  der jeweiligen Unternehmen.

Bei diesen Personen sehe ich aber weder Täterschaft noch Teilnahme. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt der "neutralen Beihilfe" der Betrieb von Social Networks ist eine gesellschaftlich gewünschte Funktion, die allerdings zwangsläufig mit der Verbreitung auch strafbarer Inhalte einher geht. Das Betreiben eines Social Networks darf deswegen nicht mit einer ständig schwebenden Strafrechtsdrohung einhergehen. Die Schwellen zur Strafbarkeit sehe ich frühestens dann überschritten, wenn ein Mitarbeiter trotz individueller, positiver Kenntnis des strafbaren Inhalts, und trotz einer für diesen Mitarbeiter persönlich (!) geltenden Garantenpflicht einen Inhalt nicht löscht. Das ist etwas anderes als eine  unmittelbar aus dem StGB folgende Pflicht der Social Networks, generell im eigenen Machtbereich Strafrechtsnormen durchzusetzen.

Ein Schuh wird m.E. daraus, wenn man § 54 Abs 1 RStV hinzunimmt. Diese Vorschrift verpflichtet Telemediendiensteanbieter auf die allgemeinen Gesetze, und somit das StGB. Diese Pflicht besteht aber ausdrücklich nur im Rahmen der TMG-Verantwortlichkeiten und der im RStV vorgesehenen Rahmenvorschriften zum Schutz der Meinungsfreiheit (siehe vor allem § 59 RStV).

 

 

 

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Sehr geehrter Herr Assion,

das alles ändert aber nichts daran, dass eine Pflicht besteht, strafbare Handlungen zu unterlassen, auch dann, wenn man sich dazu eines grds. dem Strafrecht nicht unterliegenden Unternehmens bedient. Sie beschreiben genau das Problem, das den Bundesjustiminister zur "Erfindung" des NetzDG getrieben hat: Strafbare Inhalte werden in den Social Media verbreitet, weil dort offenkundig niemand verantwortlich ist bzw. verantwortlich gemacht werden kann. Deshalb werden Ihre Gegenargumente sicherlich von Herrn Maas als Pro-Argumente für sein Gesetz verstanden:
Gerade weil es kein Unternehmensstrafrecht gibt und sich deshalb FB und Co. hinter der Straflosigkeit verstecken können, müsse ein Gesetz her, das die Verpflichtung zum Unterlassen strafbarer Äußerungen anders sicherstellt, also außerhalb des Strafrechts, mittels Bußgelddrohungen gegen die Unternehmen. Sicherlich ungewollt argumentieren Sie FÜR das NetzDG.

Sie schreiben:

"der Betrieb von Social Networks ist eine gesellschaftlich gewünschte Funktion, die allerdings zwangsläufig mit der Verbreitung auch strafbarer Inhalte einher geht. Das Betreiben eines Social Networks darf deswegen nicht mit einer ständig schwebenden Strafrechtsdrohung einhergehen."

 Systematisch ähnlich argumentierten z.B. auch sämtliche gesellschaftlich gewünschten und nützlichen Industriezweige gegen die Einführung des Umweltstrafrechts, das sie unter "ständig schwebende Strafrechtsdrohung" (und Bußgelddrohung) setze und damit ihre Produktion ernorm verteuere. Allerdings: Die Gesellschaft selbst entscheidet, was sie für erwünscht hält und was nicht. Und die Gesellschaft (sprich der demokratische Gesetzgeber) kann grds. auch Bestimmungen erlassen, wie Soziale Netzwerke mit  Äußerungen umgehen sollen, die für Individuen strafbar sind. Wie ein solches Gesetz aussehen kann, ist allerdings problembehaftet und wegen der speziellen Konflikte mit der Meinungsfreiheit kann es sein, dass ein solches Gesetz nicht zielgenau nur strafbare Äußerungen erfasst bzw. in der Tendenz die freie Rede abschneidet. Der konkrete Gesetzentwurf leidet auch unter den weiteren von Herrn Liesching genannten Problemen und Defiziten bzw. Fragwürdigkeiten, weshalb ich ihn auch ablehne.  

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ich frage mich, wozu es Personen mit juristischer Ausbildung in den Ministerien etc. gibt. Warum wird ein Gesetz, welches fast offensichtlich verfassungswidrig ist, mehr oder weniger durchgewunken? Warum wird es überhaupt zu einer Abstimmung vorgelegt?

Vielen Dank für die ausführlichen Stellungnahme! Sie bietet Anlass zur Diskussion, aber vermutlich wird sie an entscheidender Stelle kein Umdenken anregen.

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Ich lese nur etwas von bis zu fünf Millionen Euro Geldbuße, nicht fünfzig (§ 4 II: "in den übrigen Fällen des Absatzes 1 mit einer Geldbuße bis zu fünf Millionen Euro").

Neu und ein Fremdkörper im deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht dürfte der Antrag auf Vorabentscheidung sein. Will die Verwaltung, also das Bundesamt für Justiz ein Bußgeld erlassen wegen nicht gesperrter oder gelöschter rechtswidriger Inhalte, "so  hat sie  über  die  Rechtswidrigkeit  vorab  eine  gerichtliche  Entscheidung  herbeizuführen.  Zuständig ist das Gericht, das über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entscheidet."

Das Amtsgericht Bonn soll damit zu einer Rechtsauskunftei des Bundesamtes für Justiz gemacht werden. Das kann doch nicht angehen. Ich würde mich als Richter weigern, solche Anträge zu bescheiden.

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Eine ganz grundsätzliche Frage - Facebook hat doch Sitz in den USA - wie kann man eigentlich diese Organisation dann von Deutschland aus belangen?

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Facebook eine Tochtergesellschaft in Dublin, Irland gegründet. Alle Nutzer außerhalb der USA und Kanada haben nach den Geschäftsbedingungen von Facebook einen Vertrag mit dieser Gesellschaft. Insoweit gilt aber das Herkunfslandprinzip nach § 2a Abs. 2 TMG, von dem nur enge Ausnahmen für Maßnahmen im Einzelfall und unter Beachtung von Konsultationspflichten nach Europarecht möglich sind. Auch dies negiert das NetzDG pauschal, so dass Prof. Hoeren und auch Prof. Spindler jeweils zu der Auffassung der Europarechtswidrigkeit des Gesetzes gelangt sind. Im Übrigen ergeben sich die Beschränkungen der Anwendung deutschen Strafrechts auch aus §§ 3, 9 StGB.

Das schrieb mir gerade eben mein "NJW-Newsletter":

"Die Länderkammer will sich am Freitag unter anderem mit dem umstrittenen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) befassen. Bundesjustizminister Maas will damit gegen Hate Speech und Fake News in den sozialen Medien ankämpfen. Der heftige Gegenwind, den er dafür bekommt, spornt ihn offensichtlich zusätzlich an. Seine Rede auf dem Deutschen Anwaltstag vergangene Woche war ein flammendes Plädoyer für dieses Vorhaben. Der Minister rechnet auch fest damit, dass es noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss kommt. Wir halten Sie auf dem Laufenden."

Mich würde interessieren: sind jemandem Pläne für ein (Massen-) Verfassungsbeschwerde-Verfahren bekannt?

 

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Eine (Massen-) Verfassungsbeschwerde dürfte im Vorfeld mangels konkreter Betroffenheit der (Massen-) Beschwerdeführer unzulässig sein.

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da bin ich ganz einverstanden. DIP sind die Entwürfe an die Ausschüsse überwiesen.

Allerdings wird man wohl nicht damit rechnen können, dass  Herr Maaß und die große Koalition an den grundsätzlichen Strukturen der geplanten Regelung Änderung vornehmen werden. Es bleibt also nur auf die Erledigung durch Diskontinuität zu setzen oder .. eben ein Beschwerdeverfahren vorzubereiten..

Nachdem ein unmittelbar-direkter Eingriff in Art 5 I GG zulasten der Nutzer eher nicht vorliegt - würde man denn dennoch die geforderte konkrete Betroffenheit des Normal-Facebook-Nutzers begründen können? Mittelbar-faktischer Eingriff?

 

 

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In der verlinkten Pressemitteilung heißt es: "In seiner dreiseitigen Begründungbejahte das Gericht zwar einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 I 1, 1. Alt. GG), verwies die Beschwerdeführer jedoch auf den fachgericht-lichen Instanzenweg".

Eine Aussage dieses Inhalts kann ich indes der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B. v. 23.04.2019 - 1 BvR 2314/18) nicht entnehmen. Ich fürchte fast, dass die verlinkte Pressemitteilung falsch ist und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unrichtig wiedergibt.

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Denn die Anbieter sind bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ohne Entscheidungsfreiraum unbedingt zur Entfernung oder Sperrung der von den Beschwerdeführern in sozialen Netzwerken verbreiteten lnhalten verpflichtet. Die Vorschriften führen so mit-tels Einschaltung der Netzwerkanbieter unmittelbar und gegenwärtig zu einemEingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Beschwerdeführer

Bezieht sich die Aussage nicht auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen? Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen bei einem Post vorliegen inwiefern wäre es denn ein (ungerechtfertigter) Eingriff in die Meinungsfreiheit? 

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