Anklage wegen Meineids - Fortsetzung des Falls Mollath?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 16.03.2017

Heute ist allgemein bekannt worden (Süddeutsche Zeitung, Mittelbayerische Zeitung), dass gegen einen Zeugen im "Fall Mollath" Anklage wegen Meineids (§ 154 StGB) und wegen uneidl. Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags (§ 153 StGB) erhoben wurde.

Beim Meineidvorwurf geht es um die am 4. Tag der Regensburger Hauptverhandlung (10. Juli 2014) getätigte Aussage, Frau Mollath habe zu Beginn der ganzen Mollath-Affäre bei ihm, dem Zeugen, angerufen und ihm ein Vorgehen gegen Gustl Mollath quasi angekündigt. Er habe diese Ansage der Fau Mollath  praktisch im Wortlaut notiert, später auf eine Schreibunterlage übertragen und könne dieses Telefonat und seinen Inhalt deshalb genau rekonstruieren.

Die Aussage, wie sie von der damaligen Verteidigung Mollaths dokumentiert wurde, kann man hier nachlesen: Strate Dokumentation

Schon im Prozess war deutlich geworden, dass Gericht und Staatsanwaltschaft die Wahrheit dieser Aussage bezweifeln. Im Urteil wird die Aussage des Zeugen ebenfalls als "nicht überzeugend" bezeichnet (siehe Urteil Seite 32 f.), im Übrigen aber als für den Tatvorwurf gegen Gustl Mollath nicht entscheidend angesehen.

Laut SZ soll die Verhandlung vor dem AG Regensburg bereits nächste Woche beginnen, lt. MZ wird der Prozess erst Ende März "eröffnet".

Hier noch einmal als Erinnerungs-Link: Meine Anmerkungen zur Urteilsbegründung im Fall Mollath (November 2014)

UPDATE 5.4.: Wegen Meineids wird der Angeklagte zu 14 Monaten Freiheitsstrafe und 5000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Urteil ist infolge beidseitigen Rechtsmittelverzichts rechtskräftig.

Einzelheiten insbesondere im Artikel der SZ (Hans Holzhaider), hier ein Auszug:

Mollaths Ex-Frau bestritt, dass ein Gespräch mit diesem Inhalt stattgefunden habe, und die Staatsanwaltschaft klagte den Zahnarzt wegen Meineides an. Vor Gericht stand Petra M., vormals Mollath, allerdings nun in Regensburg nicht als Zeugin zur Verfügung: Sie sei, ließ sie mitteilen, wegen einer dauerhaften Erkrankung nicht vernehmungsfähig.

Bei dieser Sachlage hatte das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Alexander Guth doch erhebliche Zweifel, ob Petra M. die Wahrheit gesagt hatte. Zwar sei auch die Glaubwürdigkeit des Angeklagten nicht über jeden Zweifel erhaben, aber einen Beweis dafür, dass das fragliche Telefonat nicht wie geschildert stattgefunden habe, gebe es jedenfalls nicht.

B.s Aussage, er habe sich "zeitnah" nach dem Telefongespräch eine Notiz auf seine Schreibtischunterlage gemacht, hielt das Gericht jedoch für widerlegt. Ein Sachverständiger des Landeskriminalamts hatte erklärt, ein Vergleich der fraglichen Notiz mit anderen Eintragungen und mit dem Vergilbungsgrad des Papiers lasse den Schluss zu, dass B. die auf das Telefongespräch bezogenen Stichwörter erst sehr viel später geschrieben habe.

Der Staatsanwalt hatte, zum Entsetzen des Verteidigers, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung gefordert. Der Verteidiger plädierte auf Freispruch. Das Gutachten des Sachverständigen halte wissenschaftlichen Kriterien nicht stand, sagte er. Das Gericht hatte aber keine Zweifel am Sachverstand des Gutachters.

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385 Kommentare

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Paradigma schrieb:

Es dürfte kaum eine Gerichtsverfahren und insbesondere auch kein Wiederaufnahmeverfahren existieren, bei dem die Hauptbelastungszeugin trotz erheblicher Verdachtsmomente so außen vor blieb und es erreicht hat vor Gericht n i c h t ausreichend hinterfragt zu werden. Wie ist dieses Phänomen, diese Rücksichtnahme gegenüber einer nach meinem Dafürhalten unglaubwürdigen Zeugen zu erklären?

Die sog. "Hauptbelastungszeugin" hat ja auch als geschiedene Ehefrau meines Wissens sogar noch das Zeugnisverweigerungsrecht und braucht sich selber sowieso nicht zu belasten nach "nemo tenetur ipsum accusare". Das galt für das WAV und auch noch für das Meineidsverfahren.

Zur aktiven Mitwirkung bei einer (amts)ärztlichen Untersuchung zur Vernehmungsfähigkeit kann außerdem auch niemand realiter gezwungen werden, auch sie kann also nicht mehr auf diesem Weg in den Zeugenstand noch gezwungen werden. In welcher psychischen Verfassung sie sich jetzt befindet, spielt ja auch keine entscheidende Rolle mehr für ihr damaliges Verhalten bzw. ihre damalige psychische Verfassung. Genau wie bei Herrn Mollath, nur eben da mit umgekehrten Vorzeichen.

Dann hatte sie ja zwei Atteste vorgelegt für das Meineidsverfahren, diese wären zwar schon sehr interessant, aber m.E. gehören die auch noch zu den persönlich geschützten Daten einer Zeugin (qua der Persönlichkeitsschutzrechte), die jedem Menschen gemäß Art. 1 GG ja auch noch zustehen. Zweierlei Maß geht da doch nicht in einem Rechtsstaat, und diese Überlegungen müssen auch verantwortliche Richter und Staatsanwälte angestellt haben, denn damit haben die ja ständig zu tun.

M.E. wäre dies auch die Aufgabe und Pflicht für den Psychiater Professor Nedopil gewesen sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und in seine gutachterliche Stellungnahme einzubeziehen.

Der Gutachterauftrag im WAV bezog sich gemäß der StPO auf den Angeklagten, für die Zeugin hätte dann extra ein Glaubwürdigkeitsgutachten beantragt bzw. beauftragt werden müssen. Da aber auch hier das Obige gilt zur Mitwirkung der Zeugin bzw. zu einer Exploration der Zeugin durch den Sachverständigen, hätte auch dieses Glaubwürdigkeitsgutachten mutmaßlich alleine nur nach Aktenlage erstellt werden müssen und damit hätte sich die gleiche Problematik ergeben wie bei den psychiatrischen Gutachten zu Herrn Mollath. Zweierlei Maß geht da dann aber auch nicht in einem Rechtsstaat, und diese Überlegungen müssen auch die verantwortlichen Richter und Staatsanwälte angestellt haben, denn damit haben die ja ebenfalls ständig zu tun, gerade nach all der Kritik daran im Fall des Herrn Mollath.

Der P3M ist so jedenfalls nicht beizukommen, die Justiz ist auch keine Moralbewertungsstelle und auch nicht das "Jüngste Gericht", das wird ja oft verwechselt, denn nur dort kann dann noch weiter verhandelt werden nach der Wiedervorlage, wie ein uralter Juristen-Kalauer* es ja auch genau so ausdrückt.

* Ein Blick ins Gesetz erleichtert auch da die Rechtsfindung, wäre ein zweiter dieser Art.

Sehr geehrter Herr Rudolphi,

Ihr Eingehen auf meinen Kommentar spiegelt sicher den status quo der derzeitigen Gerichtspraxis wieder. Gleichwohl stellt sich die grundsätzliche Frage, ob in dem Meineidsverfahren alles rechtens war und ausreichende Wege vom Amtsgericht beschritten wurden, die entscheidenden Wahrheiten im Unrechtsfall Mollath aufzuklären.

Sie führen aus, dass die Ex-Frau nicht dazu gezwungen werden konnte, vor Gericht zu erscheinen. Wenn nicht einmal der Versuch unternommen wurde,die vorgelegten Atteste durch eine amtärztliche Untersuchung zu überprüfen, spricht dies dafür, dass die offensichtlich unglaubwürdige Zeugin geschützt wird.

Die Mechanismen, die sich bei der Rechtsprechung eingeschlichen haben und die aufgrund der  obrigkeitsstaatlich Tradition

der deutschlen Rechtsgeschichte übernommen wurde, gehören auf den Prüfstand und bedürfen einer Reform.

Beispielsweise ist das Zeugnisverweigerungsrecht des EX-Ehegatten m.E. durch die tiefgreifende Änderungen der Ehe- und Familienstrukturen überholt.

Vorkurzem hat ein Kommentator auf den vorgeschriebenen und verbindlichen Geschäftsverteilungsplan für Gerichtsprozesse hingewiesen. Heute berichtet die SZ, dass ein bayerisches Gericht (München?) in mehreren Strafprozess überhaupt keinen Geschäftsverteilungsplan hatte und deshalb vom BGH das betroffene und evtl. weitere Urteile aufgehoben werden musste.

Der Münchner Rechtsanwalt Herr Dr. Ahmed, der auch die Revision für G.M. wahrnahm, hat diesen ungewöhnlichen Erfolg erreicht.

Allein an diesem Beispiel wird der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Rechtsstaatlichkeit offenbar und zunehmend haben weite Bevölkerungskreise erhebliche Zweifel an einer gerechten Rechtsprechung.

 Bezüglich des LG-Verfahrens gegen Gustl Mollath vor dem LG Nürnberg bestand der begründete Verdacht, dass der Geschäftsverteilungsplan nicht eingehalten wurde und deshalb das Strafverfahren gegen G.M. dem Law and Order- Richter B. übertragen wurde.

 

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Sehr geehrter Paradigma,

Sie rennen da eine offene Türe bei mir ein, auch der Artikel der SZ war mir schon bekannt und ich hatte das bereits heute einem Richter als Anregung für einen Beitrag vorgeschlagen. Das Achten auf die gesetzliche Besetzung eines Gerichts halte ich mindestens bei einem Verteidiger für eine Selbstverständlichkeit, Beschuldigte / Angeklagte könnten darauf auch achten, aber dazu braucht es eben Wissen oder Prozeßpraxis. Die Usancen vor Gericht lernt man aber vermutlich selbst als Jurist erst mit der Zeit, und wie einzelne Richter agieren, am besten auch durch eigene Beobachtungen, denn auch sie haben ja noch Stärken und Schwächen. Mit meinem heutigen Wissen hätte ich Herrn Mollath sicher einige Ratschläge auch geben können, sich damals in Nürnberg und in Regensburg anders zu verhalten. Daß aber auch die frühere Gemahlin von Herrn Mollath ihre eigenen Rechte nach der bestehenden Rechtslage voll ausschöpft, das kann ich ihr doch nicht wirklich verübeln. Und daß sie das auch tut, das hat sie auch bisher schon gezeigt. An ihrer Stelle würde ich auch kein Jota anders mehr handeln, da sie ganz offensichtlich mit dieser Periode ihres eigenen Lebens abgeschlossen hat. Das muß ich so akzeptieren. Änderungen des bestehenden Rechts müssen aber erst noch auf den Weg gebracht werden, ihnen kann auch nicht vorgegriffen werden. Ich trenne Wünsche von Realitäten.

Besten Gruß

Günter Rudolphi

 

Das Achten auf die gesetzliche Besetzung eines Gerichts halte ich mindestens bei einem Verteidiger für eine Selbstverständlichkeit

Da täuschen Sie sich! Die Besetzungsprüfung bedeutet einen ganz enormen Aufwand, jenachdem wie tief man graben will. Da sind dann nicht nur die Berufsrichter zu prüfen, sondern auch die Laienrichter incl. Richtigkeit der Schöffenwahl etc. Wenn man das ganz ernst nehmen würde, wäre man als Verteidiger möglicherweise Tage, wenn nicht Wochen, beschäftigt ohne dass die Gebührenordnung das ansatzweise honorieren würde. Im Normalfall, also abgesehen von großen Mord- und Wirtschaftsprozessen etc. und wenn keine gegenteiligen Anhaltspunkte ersichtlich sind, verläßt man sich als Verteidiger darauf, dass die Besetzung von Amts wegen richtig geprüft wurde und die Schöffen ordentlich gewählt etc. sind. Zu allem Überfluss bringt man mit einer Besetzungsrüge von Anfang an kontraproduktiv das Gericht gleich zu Beginn des Verfahrens gegen sich auf.

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Da brauche ich doch heute in Hessen / Darmstadt nur noch ins Internett zu schauen und vorher mußte ich auch nur in ein Geschäftszimmer dafür gehen.

Geschäftsverteilung

Hier finden Sie den aktuellen Geschäftsverteilungsplan im richterlichen Dienst.

Druckansicht © 2017 Landgericht Darmstadt . Mathildenplatz 13 und 15, 64283 Darmstadt

https://lg-darmstadt-justiz.hessen.de/irj/LG_Darmstadt_Internet?uid=d014...

 

Ich sehe da kein großes Problem.

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         "A. Greger kommentiert am Di, 2017-04-25 18:24

Ganz recht, werter Gast!
Da muss man keinen Hass auf die Exfrau von Mollath auspacken, der hier eh völlig unangebracht ist."

Sehr geehrter Herr Greger,

Sie unterstellen sehr vereinfachend und positivistisch, dass "man keinen Hass auf die Ex-Frau von Mollath auspacken (soll), der hier völlig unangebracht ist".

Sie machen es sich sehr einfach, obwohl Sie sicherlich informiert sind, dass sehr viele Zeugenaussagen, nicht nur die Zeugenaussage im Meineidsprozeß von Herrn B. falsch sein können und auch die psychische Verfassung, der Charakter eines Zeugen eine entscheidende Bedeutung bezüglich der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und seiner Zeugenaussage haben kann. Dies rigoros zu irgnorieren, dient nicht einer ausreichenden Wahrheitsfindung und kann zu den zahlreichen Fehlurteilen führen. Gerade der Fall Mollath belegt die Komplexität dieser Problematik in einer Beziehung nicht nur in menschlicher Hinsicht, sondern auch in einem direkten Zusammenhang mit dem Beruf der Hauptbelastungszeugin, den Schwarzgeldgeschäften und offenkundigen Zusammenhängen mit den Schwarzgeldanlegern und einflussreicher Kreise.

All diese Bezüge und Zusammenhänge mehr oder weniger  einfach auszuklammern kommt einem partiellen Realitätsverlust bei der Rechtssprechung gleich und entspricht sicherlich den Anforderungen an einen Rechtsstaat.                                                              

Es geht auch nicht um Hass auf die Hauptbelastungszeugin, sondern um die Wahrnehmung einer realen und offensichtlichen Beziehungsproblematik. Mit dieser Problematik hat sich m.E. das WA-Gericht nicht angemessen auseinandergesetzt und hat die EX-Frau lebensfremd und hypothetisch als glaubwürdig angesehen.

Diese Verfahrensweise der einseitigen Betrachtungsweise der Gerichtsbarkeit in Strafprozessen  dürfte kein Einzelfall sein, wie an dem nachfolgenden Strafprozess deutlich wird.

In einem eskalierenden Nachbarschaftskonflikt mit Lärmbelästigungen kommt es zu einer schweren Körperverletzung, die als versuchter Mord gewertet wurde. Der Angeklagte und die Mutter als Tatzeugin versichert, dass der Nachbar zuerst zugeschlagen hat und ihn in den Würgegriff genommen hatte. Erst durch eine Zeugenaussage wird in das Strafverfahren bei der Verhandlung bekannt, dass die med. Untersuchung ergeben hat, dass das Opfer sieben verschiedene Psychopharmaka bzw. Neuroleptika einschl. einer Partydroge intus hatte und die Hauptkontrahentin im Nachbarschaftskonflikt selbst zugegeben hat, an Borderline erkrankt zu sein. Diese Umstände sprechen dafür, dass die Glaubwürdigkeit des Opfers und auch die an Borderline-Erkrankung leidende Nachbarin sehr eingehend zu prüfen ist.Tatsächlich wurde nur ein med. Sachverständiger angehört, hinsichtlich der Wirkung dieser Vielzahl von pharmazeutischen Substanzen gehört ohne Befragung des Opfers und Anhörung seines Psychiaters. Auch der Psychiater der Hauptkontrahentin wurde nicht befragt. Auch die Verteidigung hat diese sehr wesentlichen Tatumstände und die sich daraus entwickelnde Eskalation nicht eingebracht. Auch die Tatzeugin wurde nicht gehört, obwohl dies ein Revisionsgrund darstellen kann.

Für mich ist diese offensichtlich einseitige Wahrnehmung eines komplexen Geschehens   in keiner Weise verständlich und wird den Ansprüchen an rechtsstaatlichen justiziellen Entscheidungen in Strafprozessen nicht gerecht.

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Guten Tag, Paradigma,

Sie machen es sich sehr einfach, obwohl Sie sicherlich informiert sind, dass sehr viele Zeugenaussagen, nicht nur die Zeugenaussage im Meineidsprozeß von Herrn B. falsch sein können und auch die psychische Verfassung, der Charakter eines Zeugen eine entscheidende Bedeutung bezüglich der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und seiner Zeugenaussage haben kann. Dies rigoros zu irgnorieren, dient nicht einer ausreichenden Wahrheitsfindung und kann zu den zahlreichen Fehlurteilen führen.

Ohne jetzt einen wissenschaftlichen Exkurs zu machen über die Theorie von Zeugenaussagen und ihres Wahrheitsgehaltes: wie sehen Sie denn konkret das Zustandekommen des Meineids? haben die Motive hierzu eine entlastende Rolle gespielt oder hätten es tun sollen? ist das Urteil zu hart? oder ist das Urteil sogar falsch, weil kein Meineid vorliegt?

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Auf Sie habe ich nich wegen Ihres Kommentars vom 6.5. 16 Uhr bezogen. Darin

A.Greger schrieb:

Ohne jetzt einen wissenschaftlichen Exkurs zu machen über die Theorie von Zeugenaussagen und ihres Wahrheitsgehaltes: wie sehen Sie denn konkret das Zustandekommen des Meineids? haben die Motive hierzu eine entlastende Rolle gespielt oder hätten es tun sollen? ist das Urteil zu hart? oder ist das Urteil sogar falsch, weil kein Meineid vorliegt?

Mit der Nennung Ihres Namens habe ich Sie nicht besonders auszeichnen wollen oder als Vertreter von Juristen erklärt. Aber das von mir angesprochene Denkmuster geht aus Ihren Fragen hervor. Denn, ob ein Meineid zustande kam, ist unbekannt. Der Verurteilte hat das bestritten, das Gericht behauptet es im Urteil. Dessen Rechtskraft sagt nichts Verbndliches zu den Tatsachen aus. Sonst würde die Rechtskraft von Entscheidungen ja die Fähigkeit der Richter zu echten Zeitreisen belegen. Die Feststellungen sind vielmehr Ergebnis der richterlichen Überzeugungsbildung, nicht mehr und nicht weniger. Wieviel das tatsächlich wert ist, darum dreht sich hier die Diskussion. Man kann dazu Gesamtbetrachtungen anstellen oder sich auf bestimmte Details fokussieren, um Fehlfunktionen der richterlichen Überzeugungsbildung herauszuarbeiten. Das ist hier vielfach geschehen.

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Ich denke, Paradigma, Sie erwarten da von Strafprozessen mehr, als diese überhaupt leisten können:

Eine vollkommene Aufklärung aller irgendwie nur relevanter Tatsachen und Sachverhalte und der Wahrheiten in Strafprozessen und eine absolut gerechte Entscheidung als Urteil am Ende von Strafprozessen.

Das kann es aber nicht geben.

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Sehr geehrter Herr Greger,

auf Ihre nachfolgenden Kommentar versuche ich einzugehen. Sie führen aus

"Ohne jetzt einen wissenschaftlichen Exkurs zu machen über die Theorie von Zeugenaussagen und ihres Wahrheitsgehaltes: wie sehen Sie denn konkret das Zustandekommen des Meineids? haben die Motive hierzu eine entlastende Rolle gespielt oder hätten es tun sollen? ist das Urteil zu hart? oder ist das Urteil sogar falsch, weil kein Meineid vorliegt?"

Mein Kommentar dazu:

Ich kann nicht beurteilen, ob tatsächlich der Straftatbestand eines Meineids vorliegt. Die Aussage von Herrn B. ist in sich schlüssig, hat sich durch das fatale inhumane Vorgehen der Ex-Frau bewahrheitet. Auch ist es wenig schlüssig, unwahrscheinlich, nicht naheliegend, dass Herr B. bereits bei seinem Antrag auf Wiederaufnahme die Aussage über den Anruf erfunden und konstruiert hat. Insofern besteht eine Konsistenz bezüglich seiner Aussagen bei dem Antrag auf WA, seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss des Bay. Landtages und auch im Meineidsverfahren.  Der Oberstaatsanwalt des WA Verfahrens hat diese Konsistenztheorie als merkwürdige Grundlage herangezogen, die Aussagen der Ex-Frau für glaubwürdig zu bewerten. Im Umkehrschluss wird nunmehr bei einer in sich schlüssigen, konsistenten Zeugenaussage des Herrn B. mit einem merkwürdigen zeitlichen Abstand von 2 1/2 Jahren geprüft, ob die Dokumentation über den Anruf wie beeidet zeitgerecht erfolgt ist.

Selbst das Amtsgericht Rgb. räumt nunmehr ein, dass es möglich ist, das der Anruf erfolgt ist. Die Aufklärung über diesen Anruf war eine zentrale Frage im WA-Verfahren und wurde nicht umfassend auf den Realitätsinhalt geprüft. Und nunmehr wird die eher sekundäre Frage der Dokumentation mit einem Meineidsverfahren überzogen. Auch wenn dies im juristischen Zusammenhang eine gewisse Berechtigung hat, ist m.E. die Einleitung des Meineidsverfahren überzogen und steht in keinem angemessenen Verhältnis zu den zentralen Frage zu der Glaubwürdigkeit des Anrufs, der angedrohten Vorgehensweisen und somit zu der entscheidenden Frage der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin.                         Wenn die Behauptung zutreffend ist, dass der Gutachter keine ausreichend sichere Methoden angewandt hat, um die Dokumentation zu prüfen, spricht dies gegen eine Verurteilung wegen Meineids. Das Urteil auf Bewährung ist gleichwohl angesichts der Gesamtumstände des Falles Mollaths hart genug und hätte die Hauptverantwortlichen im Fall Mollath treffen müssen.

Sie haben sicherlich recht, dass in Strafprozessen nicht ein vollkommenes Recht gesprochen werden kann. Wie ich in meinen Kommentaren ausgeführt habe, geht es jedoch nicht um "irgendwie relevante Tatsachen und Sachverhalte", sondern um zentrale Fragen, der Glaubwürdigkeit von Zeugen, der Klärung, wie Ehe- oder Nachbarschaftskonflikte eskalieren können und meist zwei Seiten ursächlich  diese destruktive Dynamik zu verantworten haben. Die komplexe Opfer-Täter-Beziehung wurde wissenschaftlich untersucht und es ergaben sich wichtige Erkenntnisse über die psychologischen Zusammenhänge. Es entsteht der nachhaltige Eindruck, dass bei vielen Gerichtsentscheidungen und auch Gutachtern diese Zusammenhänge nur unzureichend einbeziehen oder gänzlich negieren. Dies dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, dass im Jurastudium, in der Vorbereitung zum Richteramt und auch im Studium der Psychiatrie die Psychologie kaum Bedeutung hat , obwohl die Kenntnisse über menschliche Verhaltenswesen, die Seele des Menschen gerade für diese Berufe eine unabdingbare Grundlage darstellt, um gerechte Urteile und Gutachten erstellen zu können.

 

 

 

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Sehr geehrte(r) Paradigma,

bitte mich nicht mit A. Greger verwechseln, wobei ich aber nur von einem Versehen ausgehe.

Günter Rudolphi (GR)

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Hallo Paradigma,

es tut gut, hier noch Jemanden/Einige zu finden, denen die grundsätzlichen Werte noch wichtig sind. Menschenrechtler, M. Heidingsfelder und Sie zähle ich dazu. Ihre Analysen sind in jeder Hinsicht nachvollziehbar und m.E. richtig. Dass dies so ist, wird sich noch nachhaltig bestätigen! Ganz sicher.

Gesunder Menschenverstand, die Gültigkeit der Axiome der Logik, überhaupt die Gültigkeit der Denkgesetze und deren Anwendung sind die Grundpfeiler unseres Gemeinwesens und sollten es erst Recht in Kreisen der Justiz sein. Also auch in der Rechtsprechung.

Leider sind diese Grundpfeiler in den beiden Verfahren gegen G.M. und auch im Meineid-Verfahren gegen E.Br. massiv geschliffen worden. Dies ist sehr einfach erkennbar. Man muss diese mögliche Sichtweise einfach nur zulassen und sich umfassend informieren.

Was mich auch beeindruckt ist Ihr Antwortverhalten auf wenig substanzielle Reaktionen auf Ihre sach- und fachlich hochqualifizierten Diskussionsbeiträge. Danke.

"Ich denke, Paradigma, Sie erwarten da von Strafprozessen mehr, als diese überhaupt leisten können:

Eine vollkommene Aufklärung aller irgendwie nur relevanter Tatsachen und Sachverhalte und der Wahrheiten in Strafprozessen und eine absolut gerechte Entscheidung als Urteil am Ende von Strafprozessen.

Das kann es aber nicht geben."

Einer solchen Fehlannahme unterliegen wohl eher A. Greger und mit ihm nicht wenige Juristen. Die Notwendigkeit eines Eintritts der Rechtskraft einer Entscheidung ist wohl unstrittig. Dass damit aber die Wahrheit gefunden wäre, die nun Jedermann verkünden kann und sollte, ist ja wohl ein absoluter Trugschluss. Dazu 3 einfache Beispiele:

1. Beispiel: Suchen Sie sich ein passendes NS-Urteil heraus, dass nicht oder noch nicht aufgehoben wurde und verkünden dessen Wahrheiten. Sie könnten damit zurecht ein echtes Problem bekommen.

2. Beispiel: Sie kennen die wirklichen Tatsachen, die nicht den Urteilsfeststellungen entsprechen, behaupten jedoch die geurteilte Unwahrheit und das kommt als offensichtliche Tatsache heraus. Können Sie sich dann etwa auf die Rechtskraft des Urteils mit den falschen Tatsachenfeststellungen berufen, wenn es um Ihre Verantwortung geht?

3. Beispiel: Aufgrund von Feststellungen in einem rechtskräftigen Urteil fügen Sie durch massiven Aktionismus und öffentliche Bloßstellung einem Betroffenen erhebliche Nachteile zu. Wenn sich nun herausstellt, dass die Feststellungen im Urteil falsch waren und ihr Motiv allein die Schädigung des Betroffenen war, können Sie sich dann mit einem Verweis auf die Rechtskraft des Urteils herausreden?

Vielleicht sollte mal wieder darüber nachgedacht werden, welche Aufgabe die Justiz wirklich hat. Rechtskraft steht jedenfalls nicht für Rechthaberei und Welterklärung. Menschsein nicht für unkorrigierbare Fehlbarkeit.    

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Herr Lippke,

Eine vollkommene Aufklärung aller irgendwie nur relevanter Tatsachen und Sachverhalte und der Wahrheiten in Strafprozessen und eine absolut gerechte Entscheidung als Urteil am Ende von Strafprozessen.

Das kann es aber nicht geben."
 

Einer solchen Fehlannahme unterliegen wohl eher A. Greger und mit ihm nicht wenige Juristen.

Mir ist völlig rätselhaft, wie Sie mich mit der obigen Aussage in Verbindung bringen. Die Klarstellung, dass ich juristischer Laie bin, mag ich nicht verpassen.

 

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Welche Gründe können für die Anklage im Meineids-verfahren gesprochen haben und war die Anklage objektiv begründet?

Um einen inhaltlichen Zusammenhang herstellen zu können, bitte ich um Verständnis, dass  Bekanntes ausgeführt und bereits Kommentiertes wiederholt wird.

Nur über die Anklageerhebung kann es zu einem Strafverfahren kommen. Die Staatsanwaltschaften haben deshalb eine außerordentlich hohe Verantwortung bei einem Strafverfahren. Eine unbegründete Anklageerhebung, insbesondere aufgrund von einseitigen und falschen polizeilichen Ermittlung führt sehr oft zu einem Unrechts-Urteilen. Den Staatsanwaltschaften kommt deshalb eine entscheidende Bedeutung bei der Wahrung des Rechtsfriedens und auch der Rechtsstaatlichkeit zu.Die Anklagehörden sind allerdings nicht unabhängig und unterstehen -im Gegensatz zu vielen anderen Länder- der Exekutive und sind weisungsgebunden. Die Tätigkeit der Anklagebehörden werden demzufolge nicht nur durch die gesetzlichen Grundlagen bestimmt, sondern auch durch die herrschende Rechtssprechung, die Rechtspolitik, den sich wandelnden Zeitgeist der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung und unterliegen deshalb mitunter auch den politischen Machtverhältnissen. In Prozessen mit einem brisanten politischem Hintergrund, wie im Fall Mollath hat erst die Aufforderung bzw. Weisung des bayerischen Ministerpräsidenten zu dem Antrag des Oberstaatsanwalt, Herrn M. zu dem Wiederaufnahmeverfahren geführt. Die direkte oder indirekte Einflussnahme der Politik auf die gesellschaftlich wichtige Arbeit von Anklagebehörden bedarf auch deshalb einer konstruktiven gleichwohl kritischen Reflektion und Transparenz. Dies wird durch die Entwicklungen in vielen Ländern und durch die sehr beunruhigenden Ereignisse in der Türkei offensichtlich. Sogar Richter und Staatsanwälte werden mit willkürlichen Anklagen überzogen.

Der BGH-Richter Eschenbach geht davon aus, dass ca. 25 v.H. der Urteile in Strafverfahren Fehlurteile sind. Diesen Unrechtsurteilen gingen unbegründete Anklageerhebungen voraus und die befassten Staatsanwälte, nicht nur die Richter tragen die Verantwortung für die vielen schwerwiegenden Justizirrtümer, wie in den Fällen Ulvi Kulac ( Fall Peggy), dem Lehrer Arnold, Harry Wörz und auch Herrn Gustl Mollath.

Insofern stellt sich die Frage, ob tatsächlich ein hinreichender Verdacht bestand, ausgerechnet im Zusammenhang mit dem schwerwiegenden Justizirrtum gegenüber G.M. gegen den wichtigen Helfer, Herrn Braun eine Anklage wegen Meineids zu eröffnen.

Herr B. hatte einen Antrag auf Wiederaufnahme gestellt, seine Aussage über den Drohanruf der Ex-Frau war einer der drei Gründe für das Wiederaufnahme-verfahren und er war der Kronzeuge im WA-Verfahren bezüglich der zentral wichtigen entlastende Aussage über das angekündigte Vorgehen der EX-Frau.

Diese im Telefonanruf angekündigten Drohungen wurden von der Ex-Frau auch tatsächlich durchgeführt. Allein der Realitätsinhalt dieses vom Zeugen B. bezeugten Anrufs spricht zunächst gegen einen Meineid.

Statt den Realitätsinhalt dieser Zeugenaussage im WA-Verfahren angemessen zu prüfen und zu bewerten, wurde der wichtige Zeuge B., wie bereits ausführlich dargestellt, einem auffällig überlangen Kreuzverhör von drei Richtern, dem gegnerischen Anwalt und insbesondere dem Oberstaatsanwalt unterzogen.

Dabei ging es hauptsächlich um die Glaubwürdigkeit der Aussage von Herrn B. Es wurde angezweifelt, dass sich Herr Braun diesen Drohanruf in Erinnerung behalten konnte.

Herr B. berief sich auch auf sein Gedächtnis,  nicht nur auf seine zeitnahe Dokumentation in einem Kalender und auf die Stichworte auf seiner Schreibtischunterlage.

Von Seiten des WA-Gerichts und dem Oberstaatsanwalt wurde angezweifelt, dass sich dieser Zeuge noch nach so vielen Jahren den Wortlaut merken konnte. Es ist jedoch nicht lebensfremd, sondern durchaus realistisch, sich diesen außergewöhnlichen Drohanruf zwar nicht wörtlich jedoch inhaltlich zu merken.

Nachdem Herr Braun die Schreibtischunterlage in einer Fernsehsendung dokumentierte, forderte der Oberstaatsanwalt diese als Beweismittel ein. Es spricht gegen einen hinreichenden Tatverdacht, ein angeblich zurückdatierten und somit gefälschten Eintrag auf die Schreibtischunterlage auch noch nach einer Vereidigung öffentlich zu zeigen.

Das zögerliche Verhalten vom Zeugen B. bei der Vereidigung und sein nachvollziehbares und durchaus verständliches Anliegen, nur die entscheidende und zentral wichtige Kernaussage über den Drohanruf vereidigen zu wollen, wurde offensichtlich als ein Verdachtsmoment gewertet, dass auch die Kernaussage nicht der Wahrheit entsprechen würden. Das es für dieses  vorsichtige, abwägende Aussageverhalten durchaus seriöse Beweggründe nach einem sehr bedrängenden und überlangen Kreuzverhör geben kann, wurde nicht in Erwägung gezogen.

Wegen einer unbedachten, spontanen Äußerung bei einem Fernsehinterwiev wurde bei der Befragung im WA-Verfahren der Eindruck erweckt, dass der Zeuge B. nicht glaubwürdig sei.

Diese sehr vagen Eindrücke bei den Richtern und dem Oberstaatsanwalt hatten die weitreichende Folge, dass die zentral wichtige Kernaussage des Hauptbelastungs- und Kronzeugen bei der Urteilsfindung völlig außen vor blieb und selbst im Plädoyer des Verteidigers dem Anruf kein zentraler Stellenwert eingeräumt wurde, obwohl das tatsächliche Vorgehen der Ex-Frau in allen Teilaussagen der beeideten Kernaussage entsprach.

Der Wahrheitsgehalt des bezeugten und beeideten Drohanrufs sprach insofern ebenfalls gegen einen hinreichenden Verdacht auf einen Meineid.

Es bestanden deshalb m.E. nur sehr vage, diffuse und keine hinreichenden Verdachtsmomente für eine Falschaussage und einen Meineid.

Gleichwohl wurde ein Ermittlungsverfahren und ein kriminaltechnisches Gutachten eingeleitet, ob die Einträge auf dem Kalender und auf der Schreibtischunterlage tatsächlich zeitnah von B. erstellt oder nachträglich vorgenommen wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Oberstaatsanwalt M. aufgrund seines Eindrucks und seines Verdachtes dieses Meineidsverfahren angestoßen hat.

Herr Braun wurde durch die Anklageerhebung angeklagt und verdächtigt, nicht nur die Dokumention über den Anruf gefälscht zu haben, sondern in Zweifel gezogen, dass der Drohanruf überhaupt erfolgt ist.Dies kommt einem bewußten Negieren dem tatsächlichen Vorgehen der Ex-Frau gleich.

Zumindest hat der Richter im Meineidsverfahren erklärt, dass der Drohanruf auch inhaltlich möglicherweise erfolgt ist. Dies hatte jedoch keinerlei rechtliche Bedeutung mehr.

Wie erklären sich diese eklatanten Widersprüche und das ungewöhnliche Interesse an einem Ermittlungsverfahren  aufgrund eines weitgehend vagen Verdachtes? Das Anklageverfahren wurde dann aufgrund des kriminaltechnischen Gutachtens eingeleitet.

Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und eine Anklageerhebung gegen die Ex-Frau wegen falscher Aussagen, mehrer Falschbeschuldigungen ergaben sich m.E. eine Vielzahl von konkreten Anhaltspunkten, die einen hinreichenden Verdacht ergeben haben und keine Anklage erhoben, obwohl dies zu der Wahrheitsfindung im Fall Mollath geführt hätte. Welch ein Widerspruch in der justiziellen Behandlung eines Helfers, der mit dazu beitrug diesen Justizirrtum zu beheben und der Verursacherin dieses Justizunrechts!

Es stellt sich die grundsätzliche Frage, waren die Gründe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und des sich anschließenden Anklageverfahrens objektiv und ausreichend begründet oder bestand ein sachfremdes Interesse an einer nachtragenden Strafverfolgung nach über zweieinhalb Jahren?

Nachdenkenswert auch die zeitliche Verzögerung zwischen der angeblichen Körperverletzung im Jahr 2001 und der Verurteilung im Jahr 2006.

Entspricht die Auffassung von Herrn Wilhelm Schlötterer, Ministerialrat a.D. der Wahrheit, dass in Gerichtsverfahren mit einer politischen Dimension der Rechtsstaat nicht vorhanden ist?

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Streichen Sie "mit einer politischen Dimension", setzen dafür z.B. sachfremde Interessen ein, dann stimmts wohl. Das Problem mit den sachfremden Interessen ist, dass sie oft im Verborgenen wirken und sich für der Alltag der Rechtswidrigkeiten kaum jemanden interessiert.

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Sehr geehrter Herr Lippke,

das Meineidsverfahren von dem Justizunrecht im Fall Mollath zu trennen und nur von "sachfremden Interessen" auszugehen, ist m.E. nicht angemessen. Nicht umsonst heißt das Thema dieses Blogs "Anklage wegen Meineids-Fortsetzung im Fall Mollath". Ich nehme an, dass Sie auch aufgrund Ihrer umfangreichen Kommentare zumindest im Fall Mollath einen brisanten politischen Hintergrund erkennen. Nicht umsonst haben die namhaften Medien über das Meineidsverfahren berichtet, allerdings sehr oberflächlich.

Der anklagende Staatsanwalt des Amtsgerichtes Regensburg dürfte vermutlich entweder  den Rückhalt oder sogar die Weisung von dem Generalstaatsanwalt erhalten haben. Das bayerische Justizministerium wird vermutlich zumindest informell über die Anklage informiert worden sein. Zumal die Anklage und das Meineidsverfahren mit dem Risiko verbunden war, dass weitere brisante, zurückgehaltene Informationen und Zusammenhänge im Fall Mollath an die Öffentlichkeit gelangen könnten.

Auch wenn die Anklage und das Meineidsverfahren formaljuristisch und vom materiellen Strafrecht her korrekt war, stellt sich die Frage, ob die Einleitung des Meineidsverfahren unter Würdigung des gesamten Falles Mollath angemessen war und das Vertrauen in die Justiz gestärkt oder m.E. heruntergesetzt hat und ob bewußt oder unbewußt eine fragwürdige Wirkung im Interesse der Justiz erzielt werden sollte und auch tatsächlich erzielt wurde.

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Sehr geehrter Menschenrechtler,

ich halte das Einwirken von sachfremden Interessen in ein rechtsstaatlich zu führendes Verfahren immer für eine sehr wesentliche "politische Dimension". Der Umstand, dass die Erfüllung der Rechtsstaatlichkeit im "kleinen Fall" für unwesentlich gehalten wird und nur Fälle mit politischer Brisanz und Medienzirkus die Sicht prägen, sehe ich als echtes Problem. Im "kleinen Fall" zeigt sich das juristische Handwerk, das dann auch für den großen Fall gebraucht wird und für die notwendige Resistenz gegen Manipulationen sorgt. Wenn Anklage und Verfahren zum Meineid juristisch korrekt gelaufen sein sollten, dann bin ich aus der Diskussion raus. Ich habe an einer solchen Deutung aber sachliche Zweifel, die schon bei den gesetzlichen Vorgaben der Vereidigung beginnen und bei der Begutachtung nicht aufhören. Eine Meinungsjustiz dagegen mag mitunter moralisch klingen und manchmal auch tatsächlich so wirken, aber ist besonders anfällig für Manipulation und Machteinfluss.     

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Ich habe an einer solchen Deutung aber sachliche Zweifel...

Sie können im Rahmen Ihrer Meinungs- und Zweifelsfreiheit zweifeln so viel Sie wollen.  Es kommt nur auf die Abwesenheit von vernünftigen Zweifeln an, und zwar Zweifeln des Richters und nicht Zweifel allgemein justizkritischer Art des Herrn Lippke. Solche Zweifel schließen die erforderliche Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklagten nicht aus.

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Warum sachliche Zweifel keine vernünftigen Zweifel sind, müssten Sie Herr Gast erstmal darlegen. Dann könnte man sich über das Sachliche und Vernünftige austauschen. Was meinen Sie zudem mit "justizkritischer Art"? Ich gehe davon aus, dass die geltende verfassungsmäßige Ordnung eine Justiz erfordert, die Sachlichkeit (Bindung an Rechtsstaatlichkeit) und Vernunft (Angemessenheit, Gerechtigkeit) nicht als divergierend oder sogar gegensätzlich versteht. Die praktische Einsicht ist kein Selbstverständnis und erfüllt sich irgendwie von selbst. Wenn Sie das verstanden haben, dann können Sie zu meinem Austausch mit Menschenrechtler zu diesem Thema sicher auch etwas sachlich Vernünftiges beitragen. Ihr Jonglieren mit 3 Worthülsen ermüdet dagegen sehr. Versuchen Sie es doch mit Gitarrespielen. Mit 3 Akkorden und 3 Worten kann man sogar Schlagerstar oder Liedermacher werden.

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Ein paar Ausführungen zur rechtlichen Lage - unabhängig von dem mir nicht in Einzelheiten bekannten Fall:

Die Staatsanwaltschaft hat - abgesehen von Bagatellfällen - kein Entschließungsermessen: Werden Anhaltspunkte für eine Straftat bekannt, so MUSS sie ermitteln. Ist am Ende der Ermittlungen eine Verurteilung wahrscheinlich, so MUSS sie anklagen, sonst MUSS sie einstellen. Was die Staatsanwaltschaft natürlich hat, ist ein Beurteilungsspielraum bei der erforderlichen Prognose.

Speziell in Falschaussage-/Meineidsverfahren ergibt sich idR die Situation, dass es zu widersprüchlichen Angaben von Beteiligten in umfangreichen Verfahren gekommen ist. Allerdings führt dies nur selten zu Falschaussageverfahren.

Dies hat den folgenden Hintergrund: Im Ursprungsverfahren bleibt oft unentschieden, welche Variante der Wahrheit entspricht; dies kann zB der Fall sein, weil in dubio pro reo zu entscheiden war oder weil die sich widersprechenden Angaben eine für Schuldspruch und Strafausspruch nicht relevante Randfrage betrafen.

Hier wird die Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung der Aussagen nach Abschluss des Verfahrens zu bedenken haben, dass sich der Sachverhalt im Zweifel auch im gedachten anschließenden Falschaussageverfahren nicht besser aufklären ließe, als im Ausgangsverfahren. Dies wird, da im Falschaussageverfahren in dubio für den damaligen Zeugen zu entscheiden ist, in diesen Fällen idR zu einer Verfahrenseinstellung, also eben nicht zu einer Anklage, führen. Diese Variante tritt insbesondere oft ein, wenn sich eine eindeutige Beschuldigung durch den Zeugen aufgrund der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht hat beweisen lassen.

Anders sieht es aus, wenn zB ein Schuldspruch trotz einer Entlastungsaussage erfolgte - zB ein zur Überzeugung des Gerichts widerlegter Alibibeweis. Dann dürfte idR eine Anklage erfolgen müssen, weil davon auszugehen ist, dass sich das Beweisergebnis wiederholen lässt.

Schließlich liegt eine Anklage nahe, wenn bei einem begrenzten Teil der Aussage des Zeugen ein einfacher Nachweis der Unwahrheit möglich erscheint - zB durch ein Sachverständigengutachten. Dann kommt es tatsächlich auch nicht darauf an, ob die (evtl. falsche) Aussage unter belastenden Umständen zustande kam, der unwahre Teil einen zentralen Teil der Aussage darstellte, er für das Urteil im Ausgangsprozess überhaupt eine Rolle spielte und ob Grund für die Aussage nachvollziehbare Motive waren. Bleibt es bei einer unbeeideten Aussage, so kommt eine Einstellung des Verfahrens in diesem Fall aus Opportunitätsgesichtspunkten noch in Betracht. Wird die Aussage indes beeidigt, so stellt die Tat ein sog. Verbrechen dar, bei der eine Einstellung aus diesen Gesichtspunkten heraus rechtlich unmöglich ist. Es muss dann angeklagt werden, die genannten Umstände sind dann allein ggf. für die Strafzumessung relevant.

Dies gilt selbst dann, wenn der Zeuge - vereidigt - sich aus Eitelkeit ein Jahr jünger macht, was sonst völlig irrelevant ist.

Torsten Obermann schrieb:

Dies gilt selbst dann, wenn der Zeuge - vereidigt - sich aus Eitelkeit ein Jahr jünger macht, was sonst völlig irrelevant ist.

Darauf geht auch der § 154 StGB ein, den man m.E. hier mit dem  § 343 StGB vergleichen könnte.

Beide haben den identischen 2. Absatz:

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Ansonsten ist das Thema Mollath m.E. durch, auf grundsätzliche Fragen müßte evtl. auch mal grundsätzlich geantwortet werden und dann kommt man leicht vom Thema ab.

Durch politische Weisungen im weitesten Sinn wurden in der Nachkriegszeit jedenfalls auch Urteile zum alten § 175 StGB vor 1945 aufgehoben, das aber nur als Anmerkung, wenn politische Weisungen generell bekrittelt werden.

Und das ist da noch nicht das Ende:

Am 22. März 2017 beschloss das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der Urteile, die aufgrund des § 175 StGB gefällt wurden, und zur Entschädigung der noch lebenden Verurteilten.[49]

https://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175

Die Kuppelei im alten Sinn im StGB hat sich ja auch inzwischen verändert btw. ......

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Sehr geehrter Herr Obermann,

in nicht gerade wenigen Fällen geht es doch nicht darum was eine STA oder ein Gericht MUSS oder DARF, sondern darum, was passiert, wenn gegen MÜSSEN und DÜRFEN verstoßen wird. Dazu gibt es grundsätzlich 2 Fallgruppen, die auch gemischt auftreten

1. Die Tatsachen entsprechen der Wirklichkeit. Zu klären ist, ob die rechtliche Bewertung bzw. Verfahrenshandlung zulässig und begründet ist.

2. Die Tatsachen entsprechen nicht der Wirklichkeit. Zu klären ist, ob der Tatbestand zulässig festgestellt wurde.

So habe ich eine Anklage erlebt, die in mehreren Jahren Ermittlungszeit und offen vorliegendem Tatbestand mit falschen Tatsachenbehauptungen begründet wurde. Die HV war nach 1 h beendet und das Verfahren wurde eingestellt, weil sich STA und Gericht nicht persönlich mit der Anklage identifizierten und somit für die Wirklichkeit offen waren. In anderen Fällen lehnen STA Ermittlungen z.B. zu Prozessbetrug ab, obwohl Beweismittel vorliegen. Die Einstellungsbegründungen sind dann mühevolle Strickware um die Tatsachen herum.

Wenn Sie behaupten, dass das nicht Teil der üblichen Praxis ist, dann würde mich ein entsprechend beispielhaftes Zuständigkeitsgebiet interessieren.

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@Tobia Obermann @Prof. Müller

Sehr geehrter Herr Obermann,

zunächst danke ich Ihnen für die umfassenden aufklärenden Informationen in Bezug auf das Ermittlungs- und Anklageverfahren. Darüber ist der Öffentlichkeit sehr wenig bekannt. Den juristischen Blog vom Beckverlag kommt die Bedeutung zu, nicht nur Juristen, sondern auch Bürger über schwierige Rechtsfragen  zu informieren und aufzuklären. Deshalb auch Dank und Anerkennung für den Beck-Verlag und insbesondere auch Herrn Prof. Müller.

Sie führen aus:"Werden Anhaltspunkte für eine Straftat bekannt, so MUSS sie ermitteln. Ist am Ende der Ermittlungen eine Verurteilung wahrscheinlich, so MUSS sie anklagen, sonst MUSS sie einstellen. Was die Staatsanwaltschaft natürlich hat, ist ein Beurteilungsspielraum bei der erforderlichen Prognose."

Es stellt sich nachwievor die Frage, ob  "Anhaltspunkte" ausreichen, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Anhaltspunkte dürften sich vermutlich bei sehr vielen Zeugenaussagen, wenn nicht sogar bei der Mehrzahl der Zeugen finden lassen. Ein vager Anhaltspunkt - den ich im vorangegangen Kommentar nicht aufgeführt habe, dürfte auch im Meineidsverfahren gewesen sein, dass dem Zeugen Braun nicht geglaubt wurde, dass er sich überhaupt Eintragungen in seinem Kalender und auf seiner Schreibtischunterlage gemacht hat, obwohl dies sehr viele Menschen in wichtigen Angelegenheiten praktizieren. Dies als einen Anhaltspunkt für eine Ermittlung zu bewerten reicht m.E. nicht aus. Die Staatsanwaltschaft hätte also nach meinem Dafürhalten auch aufgrund dieser wenigen Anhaltspunkte auch von Ermittlungen absehen können. Nachdem im Rahmen des Ermittlungsverfahren durch das Gutachten sich der Verdacht verstärkt hat, dass die Dokumentation auf der Schreibtischunterlage nicht zeitnah erfolgt sein könnte, stellte sich die Frage -wie von Ihnen ausgeführt- ob eine Verurteilung w a h r s c h e i n l i c h  ist. Diese Wahrscheinlichkeit war gegeben, sofern das Gutachten die notwendigen Qualitätskriterien auch tatsächlich erfüllt hat.

Es stellt sich die Frage, waren die Anhaltspunkte für  einen hinreichender Tatverdacht ausreichend um das Ermittlungsverfahren überhaupt einzuleiten. Es besteht insofern der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft eine fragwürdige nachhaltige Aktivität entwickelt hat, um den an sich integren und wichtigen Zeugen B. anzuklagen und gegen ihn strafrechtlich vorzugehen.

Sie führen weiter aus:

"Dies hat den folgenden Hintergrund: Im Ursprungsverfahren bleibt oft unentschieden, welche Variante der Wahrheit entspricht; dies ........Hier wird die Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung der Aussagen nach Abschluss des Verfahrens zu bedenken haben, dass sich der Sachverhalt im Zweifel auch im gedachten anschließenden Falschaussageverfahren nicht besser aufklären ließe, als im Ausgangsverfahren. Dies wird, da im Falschaussageverfahren in dubio für den damaligen Zeugen zu entscheiden ist, in diesen Fällen idR zu einer Verfahrenseinstellung, also eben nicht zu einer Anklage, führen. Diese Variante tritt insbesondere oft ein, wenn sich eine eindeutige Beschuldigung durch den Zeugen aufgrund der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht hat beweisen lassen."

Soweit ich dies in Beziehung setzen kann, trifft dies auf das Meineidsverfahren zu:

Die Aussage von Herrn Braun steht gegen die schriftliche Aussage der Ex-Frau über den Drohanruf. Auch stand weitgehend fest, dass im Meineidsverfahren der Sachverhalt über den Anruf nicht besser aufgeklärt werden kann. Auch weil  anzunehmen war, dass die EX-Frau sich wie im WA-Verfahren  nicht der Wahrheitsfindung stellen würde.

Dieser Sachverhalt führt nach Ihrer nachfolgenden These in der Regel nicht zu einer Anklage " Dies wird, da im Falschaussageverfahren in dubio für den damaligen Zeugen zu entscheiden ist, in diesen Fällen idR zu einer Verfahrenseinstellung, also eben nicht zu einer Anklage, führen."

Das Entscheidende zur Wahrheitsfindung im WA-Verfahren und auch im Meineidsverfahrenin war nicht die die sekundär wichtige Dokumentation über den Anruf, sondern der Inhalt des Anrufs.

Beim Meineidsverfahren entsteht und entstand in der Öffentlichkeit der nachhaltige Eindruck, dass  die Fraglichkeit der Dokumentation zum Anlass genommen wurde, den Zeugen B. anzuklagen und zu verurteilen. Zweifellos wurde indirekt auch dadurch Herr G.M. bei oberflächlicher Betrachtung herabgesetzt.

Der Oberstaatsanwalt hat angeblich in seinem Plädoyer beim WA-Verfahren die Möglichkeit  über den Drohanruf eingeräumt und auch der Richter hat im Meineidsverfahren ebenfalls diese Möglichkeit und den Inhalt des Anrufs eingeräumt. Wenn also im Falschaussageverfahren in dubio für den damaligen Zeugen zu entscheiden ist, hätte dies auch durchaus zu einer Verfahrenseinstellung führen können.

Es stellt sich die Frage, waren die Anhaltspunkte für  einen hinreichender Tatverdacht ausreichend um das Ermittlungsverfahren überhaupt einzuleiten? Es besteht insofern der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft eine fragwürdige nachhaltige Aktivität entwickelt hat.

Die Einstellung wäre auch angesichts der Gesamtumstände im Unrechtsfall Mollath vom Standpunkt der Ethik und zur Wahrung des Rechtsfriedens vertretbar gewesen. 

Deshalb ist m.E. die Kritik an der Staatsanwaltschaft  berechtigt, ein unangemessenes, paradoxes Ermittlungsverfahren eingeleitet zu haben und auch das Urteil des Amtsgerichts Regensburg kritisch zu hinterfragen, nicht die glaubhafte und beeidete Kernaussage zu würdigen und den integren Zeugen B. wegen eines Meineidsverbrechens, wenn auch Bewährung unangemessen zu bestrafen.

 

 

 

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@Tobias Obermann @Paradigma

Wie von Paradigma herausgestellt wurde, kommt der Objektivität der polizeilichen Ermittlungen, des Ermittlungs- und Anklageverfahrens eine entscheidende rechtsstaatliche Bedeutung zu. Vielfach stellt dieser Vorlauf bereits in gewisserweise eine fatale Vorverurteilung dar und unter Druck werden falsche Geständnisse von Unschuldigen erreicht.

Können betroffene Bürger gegen einseitige, nicht korrekte polizeiliche Ermittlungen, gegen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft (soweit dies überhaupt bekannt ist) und gegen Anklagen geeignete Schritte, wie eine Gegendarstellung, eine Beschwerde einlegen oder vor oder nach einer Anklage ein persönliches klärendes Gespräch mit dem Staatsanwalt führen? Dies könnte dazu führen, falsche Verdächtigungen, Beschuldigungen präventiv zu begegnen, den hohen justiziellen Aufwand in Strafverfahren in Grenzen zu halten und Fehlurteile im Vorfeld zu vermeiden.

Wenn ich Herrn Prof. Müller bitten darf zu dem Themenkomplex polizeiliche Ermittlungen, Ermittlungs- und Anklageverfahren einen aufklärenden Beitrag zu leisten, auch ohne auf das konkrete Verfahren gegen Herrn B. einzugehen.

Nachfolgender aufsehenerregender Fall deutet auf einseitige polizeiliche Ermittlungen und ein falsches Geständnis unter Druck hin und erinnert fatal an den Fall der verschwundenen Peggy, der dem geistig behinderten Ulvi K. zu Unrecht angelastet wurde.

Nachfolgend in einer Kurzfassung und teilweise vollständigen Wiedergabe eines Berichtes aus der Süddeutschen Zeitung vom 12.Mai 2017 mit der Überschrift „Zurück auf Los“.

1985 wird ein siebenjähriger Junge ermordet. „Nach einer Woche präsentieren die Ermittler den mutmaßlichen Täter und bereits nach einer Woche wird Dirk K. ein geistig behinderter Gartenarbeiter während der Beerdigung festgenommen. Er habe den Mord gestanden...

Vor Gericht wiederholt er damals sein Geständnis nicht, im Gegenteil: Aufeinmal bestreitet er die Tat. Dem Essener Gericht reichen die Indizien.“ Aufgrund seiner geistigen Behinderung wird er im Zustand der Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.1997 berichtet ein Anwalt den Ermittlern einer seiner Mandanten habe seinem Therapeuten den Mord gestanden.Die Essener Staatsanwalt prüft die Aussagen und hält sie für bedeutungslos. Das Verfahren wird nicht neu aufgerollt.Wieder vergehen Jahre. Bis ein Hamburger Anwalt Kontakt zu Dirk K. aufnimmt und beantragt das Wiederaufnahmeverfahren mit der Begründung das Tatgeständnis des anderen Mannes enthielte Täterwissen. Das Dortmunder Landgericht erklärt den WA-Antrag 2014 nicht für zulässig. Der Anwalt legt Beschwerde beim OLG Hamm ein und das OLG hebt die LG-Entscheidung auf und gibt den Fall an eine andere Kammer des Dortmunder Landgerichts zurück. 2016 verkündet das Landgericht die Wiederaufnahme des Verfahrens, hebt das Urteil auf und Dirk K. ist wieder (nach 30 Jahren) frei.

Und das, obwohl Gutachter und Gerichte über Jahrzehnte Dirk K.s Gefährlichkeit jedes Jahr aufs Neue bestätigt haben, zuletzt 2015 (wo bereits das Geständnis des anderen Mannes seit 1997 also 19 Jahre bekannt war!).

Das Dortmunder Gericht hat auch den Mann angehört, der 1997 die Tat gestanden hat. Sein Geständnis soll er nicht wiederholt haben. Ob gegen ihn ein Haftbefehl beantragt wird, ist noch offen.

Der Fall gilt als weiter ungelöst.

„Es gibt nun mehrere mögliche Erklärungen, alle müssen der Justiz Sorgen bereiten: Ist es möglich, dass bei den vielen Untersuchungen geschlampt wurde? Saß ein Unschuldiger 30 Jahre in der geschlossenen Psychiatrie, wie sein Anwalt behauptet.

Auf die Frage, wie er den Fall einschätze, antwortet er:Ich möchte jetzt noch nicht von einem Justizskandal sprechen. Doch sollte sich herausstellen, dass K. tatsächlich mehr als drei Jahrzehnte unschuldig eingesperrt gewesen sei, dann sei dieser Fall in der deutschen Rechtsgeschichte wohl einmalig.“

Diese Verurteilung eines geistig Behinderten deutet -wie das Falschurteil gegen den behinderten Ulvi Kulac im Fall Peggy- auf einseitige polizeiliche Ermittlungen, Vorurteile und Vorverurteilungen gegenüber geistig Behinderten, ein Geständnis unter einem massiven Druck bei den Verhören hin und insbesondere auf die vorzeitige Festlegung auf einen Täter um schnell  gegenüber den hierachisch höhergestellten Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit einen Fahndungserfolg und einen Täter präsentieren zu können.

Auch dieser Fall belegt, die große Bedeutung der Ermittlungs- und Anklageverfahren in Strafprozessen und der Notwendigkeit diese Problematik kritisch zu überdenken.

 

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Sehr geehrte Mitkommentatoren,

auch ich sehe ja diese Probleme bei der Ermittlungsarbeit, auch bei der Glaubwürdigkeit von Zeugen und Aussagen, ich frage mich und auch Sie aber, wie dieser Problematik - außer mit Appellen - denn in der Praxis beizukommen ist?!

Wer aber noch nach weiteren Beispielen sucht, dem empfehle ich auch mal ein intensives Befassen noch mit dem Mordfall zu Lasten der  Weimar-Kinder, zuletzt am LG-Frankfurt verhandelt, und mit dem Mordfall zu Lasten des Kindes Markus Kern, zuletzt am LG-Oldenburg verhandelt. In beiden Fällen gab es auch Aussagen, an deren Glaubwürdigkeit insgesamt enorme Zweifel genährt wurden, obwohl es oft nur um Detailfehler ging. Und in beiden Fällen spielte auch die Psychiatrie eine ganz große Rolle und auch die Aussagen von Psychiatriepatienten m/w.

Da ging es aber doch um Morde an Kindern, der Fall Mollath (auch mit P3M und Unterstützern) kann aber überhaupt nicht in seiner Schwere m.E. hier heranreichen.

Auch so erkläre ich mir das Abflauen des öffentlichen Interesses an diesem Fall, wegen seiner minderschweren Bedeutung.

GR

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An alle Mitkommentatoren + insbes. „GR“

Der Richter am BGH, Herr Thomas Fischer hat die Berichtserstattung der Medien über Strafprozesse sehr stark kritisiert. Diese Kritik kann auch im Fall des Meineidsprozess gegen Herr B. ausgesprochen werden, da der Zusammenhang mit dem Fall Mollath unzureichend und einseitig dargestellt wurde.

Andererseits dürfte es für die Medien, insbesondere für die Tagespresse nur begrenzt möglich sein, über die sehr komplexen Umstände einer Straftat und die schwer zu vermittelnden juristischen Zusammenhänge eines Strafprozesse angemessen und konkret genug zu berichten, ohne das Entscheidendes weggelassen wird. Die Berichterstattung in der SZ über den Dirk K., der sehr wahrscheinlich unschuldig über 30 Jahre in der Forensik untergebracht wurde (vgl. den vorangegangen Kommentar) ist eine Ausnahme.

Bei sehr vielen Straftaten stellt die Berichterstattung eine Art mediale Vorverurteilung dar. Verhängnisvoll und schwer diskriminierend ist dies bei psychisch kranken Angeklagten, die sofort zu der Untersuchungshaft in die Forensik kommen und meist mit starkwirkenden Neuroleptika sediert werden, in diesem Zustand vor Gericht erscheinen, kaum in der Lage sind, sich in dieser Verfassung angemessen bei dem Strafprozeß darzustellen und zu vertreten. Ein tragischer Fall kann unter „Forensik ein Teufelskreis!“ im Internet nachgelesen werden.

Nahezu ein Totalversagen der deutschen Presse ist festzustellen über die Unterbringung und die Zustände in der Forensik und auch von vielfach unschuldigen bzw. nicht gemeingefährlichen Menschen bzw. Tätern. Wegen einer Beziehungstat z.B. in einem Nachbarschafts- oder Ehekonflikt kann im allgemeinen nicht auf eine Gemeingefährlichkeit geschlossen werden. Dieses Presse-Tabu in Bezug auf die Forensik wurde nicht einmal im Fall Mollath durchbrochen. Über die Unterbringungsbedingungen von G.M., wie Schlafentzug durch mehrmalige Kontrollen mit Lichteinschalten, die fatale Doppelfunktion des Gutachters Dr. L. und gleichzeitig Leiter der Forensik in Bayreuth wurde die Öffentlichkeit nicht informiert.

Insofern sind die sozialen Medien ein notwendiges Korrektiv zu diesen schwerwiegenden Defiziten der Tagespresse.

Im Gegensatz zu der Exekutive und der Parlamentsarbeit sind die Bürgern über die Rechtssprechung, insbesondere über die Strafgerichtsbarkeit,die Gesetzesgrundlagen sehr wenig informiert.

Sogar der frühere Arbeits- und Sozialminister, Norbert Blüm musste sich eingestehen, dass er über die Rechtsprechung sehr wenig informiert war und es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht so gut bestellt ist, wie er ursprünglich angenommen hatte.

Erst durch ausreichend informierte Bürger - die jederzeit z.B. in Nachbarschaftskonflikten, Verkehrssachen, Unterhaltsstreitigkeiten, Betreuungsverfahren oder durch Angriffshandlungen in gerichtliche Verfahren verwickelt werden können- ist eine ausreichende Kontrolle durch die Bevölkerung gegeben, von der ja „ im Namen des Volkes“ Recht gesprochen wird.

Der Empfehlung vom Kommentator „GR“ schließe ich mich mit seinen Worten an:

„Und jetzt verrate ich Ihnen auch mal eine meiner eigenen Intentionen, Herr Lippke: Die Bürger* in der BRD sollten viel mehr in die Straf- und Zivilprozesse und in Verwaltungsprozesse bei den Gerichten selber gehen, also bei den AG, den LG und VerwG, um sich aus 1. Hand zu informieren, und um nicht alleine auf Presseberichte aus 2. Hand oder auf Kommentare, auch hier im Beck-Blog aus 3. Hand und deren Filter nur angewiesen zu sein.“

 

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Sehr geehrter Menschenrechtler,

vielleicht kann ich noch eines hinzufügen, nichtöffentliche Anhörungen und Verhandlungen finden in den meisten Familien- und Betreuungssachen statt, bei den Betreuungssachen spielen ja sehr oft psychiatrische Atteste und Gutachten eine große Rolle, auch Herr Mollath war davon betroffen. Aus meiner Sicht kann ich es jedem Betroffenen nur empfehlen, von § 278 FamFG iVm § 34 FamFG, vom § 279 FamFG, besonders vom Absatz (3) und vom § 170 GVG, besonders vom Absatz (1) Gebrauch zu machen.

(3) Auf Verlangen des Betroffenen hat das Gericht eine ihm nahestehende Person anzuhören, wenn dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.

§ 279 FamFG Absatz (3)

(1) Verhandlungen, Erörterungen und Anhörungen in Familiensachen sowie in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind nicht öffentlich. Das Gericht kann die Öffentlichkeit zulassen, jedoch nicht gegen den Willen eines Beteiligten. In Betreuungs- und Unterbringungssachen ist auf Verlangen des Betroffenen einer Person seines Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten.

§ 170 GVG Absatz (1)

Außerdem hat ein Betroffener das Recht zu schweigen, das gilt auch für jede Untersuchung oder Exploration und auch bei jedem Psychiater, er kann auch auf seine eigene psychiatrische Patientenverfügung und auf eine diesbezügliche Vorsorgevollmacht verweisen, wenn er die oder beide schon hat.

So gewappnet und mit seiner Vertrauensperson an der eigenen Seite, die auch die Psychiatrie, die Psychiater und ihre Arbeitsweise kennt, kann er dann ruhig in eine Anhörung zu einem Betreuungsrichter eines AG gehen, wobei er auf eine genaue Protokollierung auch dieser richterlichen Anhörung natürlich noch bestehen muß, einen eigenen Zeugen hat er ja aber auch noch für alle Fälle mit dabei.

Was soll dann noch für einen Betroffenen groß schief gehen können?

Besten Gruß

GR

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Sehr geehrter Herr GR,

danke für Ihre wichtigen rechtlichen Informationen. Insbesondere die in § 170 Gerichtsverfassungsgesetz eingeräumte Möglichkeit, dass eine Vertrauensperson bei den jährlichen Anhörungen teilnehmen kann ist für den Untergebrachten eminent wichtig und wird -soweit ich dies beurteilen kann- nur in Ausnahmefällen beantragt und auch von der Strafvollstreckungskammer genehmigt.

Bereits eine  Einbeziehung der Vertrauensperson von G.Mollath, dem Zahnarzt Herrn Braun bei einer Anhörung hätte dazu führen können das Falschgutachten von Dr. L. und die jährlichen psychiatrischen Stellungnahmen über die angebliche Gemeingefährlichkeit von G.M. in Frage zu stellen.

In den jährlichen Anhörungen der 7 ½ jährigen Unterbringung von Herrn Gustl Mollath war jedoch keine Vertrauensperson anwesend. Der Besuch von Ministerialrat a.D. Herr Dr. Wilhelm Schlötterer bei G.M. wurde anfangs verwehrt und er konnte nur über eine Intervention beim Sozialministeriums den Besuch durchsetzen.

Bislang erfolgten die Anhörungen meist nur routinemäßig in einer sehr begrenzten Zeit von vielfach nur 15 Minuten und das Ergebnis stand bereits vorher fest, den Untergebrachten nicht in einen geeigneten sozialen Empfangsraum zu entlassen. Paradoxerweise gibt -zumindest in Bayern- der zuständige Staatsanwalt bereits v o r der Anhörung seine Stellungnahme ab und hält sich in der Regel an die Stellungnahme der Forensik. Da stellt sich die Frage, welchen Sinn eine Anhörung überhaupt hat. Bei einer Anhörung müsste der Staatsanwalt und auch der Richter der Strafvollstreckungskammer dem Untergebrachten die reele Chance geben seine psychische Situation darzustellen und die psychiatrische Stellungnahme und damit die Gemeingefährlichkeit ergebnisoffen zu prüfen. Dies war bei G.Mollath und auch in dem in der SZ geschilderten Fall nach einer 30 jährigen Unterbringung nicht der Fall. Dies ist einer der Gründe, für die Aufrechterhaltung unrechtmäßiger und auch für überlanger Unterbringungen.

Deshalb stellt sich das Anhörungsverfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit und Vertrauenspersonen als eine Sonderzone der Gerichtsbarkeit gegenüber hilflosen und isolierten Menschen dar, die sich weitgehend der Transparenz entzieht.

Nach dem Fall Mollath wurde positiverweise einige Bestimmungen hinsichtlich der Unterbringungen überdacht und geändert. Es bleibt zu hoffen, dass auch die Praxis der vorherigen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft umgehend geändert wird. Dies liegt in der Verantwortung und Kompetenz des Justizministers gegenüber den weisungsgebundenen Staatsanwälten.

Die offensichtlichen Mißstände in den Forensiken sind nicht nur auf unzureichende gesetzliche Bestimmungen zurückzuführen, sondern an der vielfach fragwürdigen Praxis der Begutachtungen, der Anhörungen und den Stellungnahmen der forensischen Kliniken. Diese Praxis bedarf dringend auf den Prüfstand, um unrechtmäßige und unverhältnismäßig lange Unterbringungen zu verhindern, an denen psychisch kranke Straftäter seelisch zerbrechen können.

Die Forensik dient nach den gesetzlichen Bestimmungen der Heilung und der sozialen Integration und nicht der Bestrafung.

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Aus der Forensik nach § 63 StGB werden viele Situationen geschildert, bei denen vor einer richterlichen Anhörung den Betroffenen hohe Dosen von Neuroleptika verabreicht wurden, die sie total benommen für eine Anhörung machten. Auch der Fall des Holger Zierd wäre da ein Beispiel dafür.

Daß besonders ein nun bald pensionierter Ärztlicher Direktor einer hessischen Forensik seine Kritiker gerne mit Beleidigungsklagen überzieht, das sehe ich auch noch als sehr Aufmerksamkeits-bedürftig an für die Öffentlichkeit. Aber ich bin auch der Meinung, daß man zu seiner Kritik auch generell namentlich - durch den Art. 5 GG geschützt - stehen sollte, aber in den besonderen Situationen von bestehenden Abhängigkeiten toleriere ich auch das Pseudonym, weil sonst ja nur allzu leicht Repressionen verschiedener Arten erfolgen könnten, gerade in einer Forensik nach § 63 oder auch § 64 StGB.

(Im LG Darmstadt sind übrigens auch die Ärztlichen Direktoren bzw. Stellvertreter von Haina (§ 63) und Hadamar (§ 64) als Gutachter selber zu beobachten gewesen.)

Günter Rudolphi (GR)

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Hier auch eine Website für den Maßregelvollzug in Hessen:

http://www.vitos.de/holding/service/presse/expertenliste/forensische-psy...

Die neue Ärztliche Direktorin für den Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB in Hessen ist inzwischen die vorherige stellvertretende Ärztliche Direktorin:

http://www.vitos-haina.de/haina/service/aktuelles/aktuelles-anzeigeseite...

Personen lernt man ja nicht nur aus allein den Akten kennen, Besuche in Gerichten bei echten Prozessen sind m.E. durch nichts zu ersetzen.

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