NetzDG-Entwurf basiert auf Bewertungen von Rechtslaien

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 26.05.2017

Zu meiner Anfrage an des Bundesjustizministerium vom 26.4.2017 zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist heute die Antwort hier eingegangen. Eine zentrale Frage war hierbei der Monitoring-Bericht von jugendschutz.net, der als einzige Erkenntnisgrundlage für die Notwendigkeit eines NetzDG vom BMJV angeführt wird. In dem Monitoring-Bericht sollten Mängel der Netzwerkbetreiber Facebook, Youtube und Twitter aufgezeigt werden, indem "eindeutige" strafbare Inhalte als Nutzerbeschwerden übermittelt wurden. Dann wurde abgewartet und geguckt, ob der Betreiber daraufhin die angezeigten Inhalte löscht.

Aus der Antwort des BMJV und den beigefügten Berichten ergibt sich nun, dass nur 2 Straftatbestände (§§ 130, 86a StGB) der insgesamt 24 in § 1 Abs. 3 NetzDG-E genannten Straftatbestände von jugendschutz.net untersucht worden sind. Ob hinsichtlich der anderen 22 Straftatbestände überhaupt Verstöße oder gar nachlässige Notice-Take-Down Verfahren vorhanden sind, wurde nicht untersucht. Hierüber liegen des Bundesjustizministerium offenbar gar keine Erkenntnisse vor.

Darüber hinaus ist die Auswahl der vermeintlich strafbaren Beschwerdefälle von Rechtslaien vorgenommen worden. Insoweit heißt es in der Antwort des Ministeriums, dass nur "Zweifelsfälle" durch einen Volljuristen überprüft worden sind. Dies bedeutet, dass die Mehrzahl der bei Facebook, Youtube und Twitter jeweils 180 ausgesuchten "strafbaren" Beschwerdefälle von Rechtslaien bewertet worden sind, die vorher eine Schulung erhalten haben.

Die ganz überwiegende Zahl der von juristischen Laien bewerteten Fälle (140) betraf den selbst für Strafrechtler komplizierten und zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe implemetierenden Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB), bei dem auch immer noch die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB mit zu prüfen ist. Ich persönlich halte es für ausgeschlossen, dass Rechtslaien den Tatbestand des § 130 StGB im Einzelfall gerichtssicher subsumieren können. Gerade hierauf fokussiert fast alleine die strafrechtliche BEwertung der nicht juristisch ausgebildeten Mitarbeiter.

Welche Inhalte konkret die Rechtslaien als strafbar bewertet haben, ergibt sich nicht aus den Berichten und ist offenbar auch dem Bundesjustizministerium nicht bekannt. "Das BMJV hat von den konkreten Inhalten der gemeldeten strafbaren Beiträge keine eigene Kenntnis", heißt es in dem Antwortschreiben. Man hat sich auf die Bewertung der juristischen Laien zu § 130 StGB verlassen. So wird in dem Antwortschreiben auch begründet, warum man von keinem einzigen Fall weiß, in dem die jeweils 180 Fälle "strafbarer" Inhalte zumindest in einem Fall zu Strafermittlungsverfahren geführt hätten. Nach Informationen von Netzwerkbetreibern gibt es keine Strafverfahren gegen sie wegen der gefunden "strafbaren" Fälle. Auch Aufsichtsverfahren der KJM (dem Entscheidungsorgan der Landesmedienanstalten, denen jugendschutz.net nachgeordnet ist) wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 JMStV i.V.m. §§ 86a, 130 StGB sind bisher für keinen der jeweils 180 Fälle bekannt.

Soweit Herr Maas - nach Spiegel Online - "ein Warnsignal an juristisch zu nachlässige Plattformbetreiber" senden will, muss die Gegenfrage erlaubt sein, auf welcher juristischen Sorgfalt die Erkenntnisgrundlagen beruhen, welche nunmehr die massiven Eingriffe in alle Grundfreiheiten des Art. 5 GG legitimieren sollen. Eine Antwort, weshalb in allen festgestellten Fällen vermeintlich "strafbarer" Inhalte keine Rechtsdurchsetzung - weder durch die Strafjustiz, noch die Medienaufsicht - erfolgt ist, wird nicht gegeben.

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49 Kommentare

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In dem Zusammenhang interessant dürfte auch dieses Papier hier sein:

https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/201...

Die konkrete Quelle des Papiers ist mir nicht bekannt; und ebenso nicht, wie Stellungnahmen von Jugendschutz.net auf Server der BMJV kommen. Aus dem Inhalt wird aber ganz offensichtlich, dassJugendschutz.net bei der Frage pro/Contra NetzDG offensichtlich voreingenommen ist. Das Papier erinnert eher an ein Lobby-Papier als an eine neutrale Stellungnahme.

Vor diesem Hintergrund scheidet Jugendschutz.net dann aber als "neutrale" Bewertungsstelle der Löschsysteme der Social Media-Provider aus.

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Vielleicht ist das Gesetz von gutem Willen getragen - und das "vielleicht" ist hier unstreichen. Aber der Regelungsansatz jedenfalsl ist verfehlt.

Wenn Herr Maas eine stärkere Strafverfolgung von Straftaten im Netz will, möge er die Staatsanwaltschaften anweisen oder anweisen lassen, möge er die Justizbehörden und Gerichte fachlich und personell stärken, möge er am eigentlichen Problem arbeiten: mangelnder Rechtsdurchsetzung, nicht mangelndem Recht.

So aber ist dieser Missgriff nur eine neue Episode in Deutschlands unbeliebtester Fernsehserie: "SPD - Eine Partei schafft sich ab."

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Bei aktuell 5537 Aufrufen dieser Seite und eine ganz überwiegend juristisch gebildete Leserschaft unterstellt, müsste die Kommentarfunktion unter dem Ansturm empörter Zuschriften regelrecht zusammenbrechen, zumal es nicht einmal einer vorherigen Registrierung braucht, hier zu schreiben.

Und was liest man? Nichts, außer ein paar Links.

Dieses obskure Gesetz ist ja nur ein weiterer Meilenstein in einer Reihe von Handlungen der Regierung, die den Rechtsstaat - in meinen Augen massiv - beschädigen. Aber niemanden stört es. Die Regierung kann scheinbar tun und lassen was sie will, niemand merkt auf, mahnt, kritisiert.

Und am Ende dieser Entwicklung hat wieder niemand von etwas gewußt...

 

 

 

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Ich kann die Ansicht nicht teilen, dass diejenigen, die nicht Volljuristen sind, juristische Laien sein müssten. Juristen sind auch diejenigen, die das Erste Juristische Staatsexamen bestanden haben, ohne dass sie Volljuristen sind. Sie sind keine Laien. Und wie sieht es mit den vielen Amtsanwälten aus, die bei den Staatsanwaltschaften hervorragende Juristenarbeit leisten? Ich glaube - will mich da aber nicht endgültig festlegen, sie sind strenggenommen nicht einmal Juristen, denn ihre Ausbildung und ihr Abschluss unterliegt nicht dem Juristenausbildungsgesetz.

Das ändert aber nichts daran, dass es Sachverhalte und Straftatbestände gibt, deren Prüfung auch Volljuristen schwer fällt. Auch ändert das nichts daran, dass die Erkenntnisgrundlage offensichtlich sehr fraglich ist und von dem Justizminister in öffentlichen Äußerungen wohl verfälscht bzw. gefaked, jedenfalls stark übertrieben und verzerrt dargestellt wird, wenn es in den 180 angeblich strafbaren Fällen nur in einem Fall zu einem Strafermittlungsverfahren geführt habe. Wenn es sich in den übrigen Fällen um strafbare Inhalte gehandelt haben soll, dann war jugendschutz.net nicht daran gehindert, bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Anzeige zu erstatten. Und wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht geteilt hätte, dann hätte sie auch von den Mitteln des 74d StGB Gebrauch machen können.

Ich bin zwar nicht sicher, ob ein Antrag der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht auf Anordnung einer Löschung oder Sperre durch 74d StGB wirklich gedeckt ist. Sollte das nicht bzw. nicht sicher der Fall sein, dann würde sich doch dahingehend eine Klarstellung durch den Gesetzgeber anbieten anstatt das fragliche NetzDG mit 4 Mio Euro Kosten pro Jahr.

 

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Dieaes Nachfragen zu Gesetzesverschärfungen wird umso wichtiger, umso populistischer das staatliche Gewaltmonopol für politische oder pseudomoralische Zwecke missbraucht wird. Der schwergewichtige Trend orientiert sich an den Schlagworten Terrorismus und Flüchtlingspolitik, das scheinbar Leichtgewichtige an der Political Correctness. Die beiden Trends bedienen z. T. gegensätzliche Interessen, so dass man das Gefühl nicht los wird, dass politisch konkurierende Lager auf Kosten der Allgemeinheit ihre Claims als Deal gegeneinander behaupten und ausbauen. Mit vernünftigem Gemeinwohl hätte das dann nichts zu tun, eher mit einem verkorksten Demokratie- und Staatsverständnis.

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n der Print-Ausgabe der Zeit von dieser Woche (die heute erschienen ist) findet sich auf Seite 5 ein Artikel von Heinrich Wefing unter dem Titel "Das Monster lebt". Wefing bezeichnet den Gesetzesentwurf darin wörtlich als "schon mal ein Anfang".

Die Presseschau der LTO vom 30. Mai behandelt dieses Thema mit folgenden Worten:

"Facebook I – Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Jetzt hat sich auch Facebook zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes geäußert. Der Entwurf sei verfassungswidrig, zu unklar formuliert und könne die Meinungsfreiheit einschränken, heißt es laut Hbl (Heike Anger) in einer Stellungnahme des Unternehmens. Zudem bestehe das Risiko, dass sich mehr Menschen radikalisierten, weil sie auf nicht regulierte Plattformen abwandern würden. In einem separaten Kommentar spricht sich Heike Anger dafür aus, die tatsächlichen Täter stärker ins Visier zu nehmen. Wer für Hasskriminalität im Netz drakonische Strafen und hohe Schadensersatzforderungen fürchten müsse, der würde vor strafbaren Posts zurückschrecken.

Laut lto.de hat der britische Guardian interne Anweisungen des Unternehmens an seine Mitarbeiter veröffentlicht. Danach sollen nur "glaubhafte" Morddrohungen und Kindesmisshandlung oder Tierquälerei unter bestimmten Bedingungen gelöscht werden. Damit würden, so lto.de, die Forderungen des Justizministers nach mehr Transparenz gestützt.

Fabian Reinbold (spiegel.de) wirft Facebook vor, gerade die sinnvollen Passagen des Gesetzes zu kritisieren."

Als ich einmal einem Politiker vorgeworfen habe, nach meinem Eindruck sein Handeln sei anscheinend weniger an seinem Amtseid und am Gemeinwohl orientiert, sondern offenbar eher an eine lobbyartigen Vertretung von partikularen Sonderinteressen, hat man mir vorgeworfen, dies sei eine ungeheurliche Verleumdung, und mir gesagt, ich dürfe so etwas nicht sagen, oder wenn ich so etwas sagen würde, dann müsse ich auch beweisen, daß meine geäußerte Vermutung zutrifft.

Meiner Meinung nach muß der Bürger aber auch ohne gerichtsverwertbare Beweise sagen dürfen, wenn er das Gefühl hat, daß ein Politiker der ein Mandat innehat nicht seinen Mandat (also in einer Demokratie, die von Volkssouveränität ausgeht, den Bürgern, die quasi Mandanten des Mandatsträgers sind) gerecht wird, sondern anscheinend die Interessen der Bürger nur nachrangig berücksichtigt, und bei seinem Handeln meiner Einschätzung nach anscheinend andere Prioritäten setzt.

Zunehmend mehr Politiker und deren Parteigänger sind in letzter Zeit sehr dünnhäutig geworden und kritisieren wohl lieber ihre Kritiker mittels der Schlagwortkeule "Hatespeech", statt sich mit der Kritik inhaltlich auseinanderzusetzen.

Es steht zu befürchten, daß die Freiräume, die unzufriedenen kritischen mißtrauischen Bürgern hierzulande von etwa 1967 bis in die letzte Zeit offenstanden, nun anscheinend eingeengt werden sollen.

Es wäre menschlich verständlich wenn die Politiker durch neue Gesetze in erster Linie ihre eigenen Interessen schützen wollen.

Jedoch müssen die Bürger dazu nicht unbedingt schweigen oder gar auch noch Beifall klatschen.

Der Staat soll gerne auch im Internet intensiver als bisher gegen organisierte Kriminalität, Terrororganisationen, volksverhetzenden Extremismus und Gewaltaufrufe vorgehen, aber Kritik an Politikern sollte auch dann erlaubt sein wenn sie hart und harsch ist und auch wenn sie unbewiesene Vermutungen enthält (jedenfalls solange klar ist daß es nicht um eine Tatsachenbehauptung sondern lediglich um eine Vermutung geht).

Die jetzt schon bereits geltenden Gesetze gewähren den Politikern bereits einen ausreichenden Schutz vor Verleumdnung und Schmähkritik u.s.w., und es würde der seit 1967 bis in die heutigen Tage weitgehend unbeschwerten Alltagskultur der Freiheit und Demokratie auch nicht gut tuen, wenn Bürger den Eindruck gewinnen würden, daß nicht dem Mainstream angepasste kritische Äußerungen und unliebsame Meinungen gelöscht oder unterdrückt oder verfolgt würden.

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Ich finde die Stellungnahme von jugendschutz.net gut. Sie bestätigt, dass die Bewertungen zwar von geschulten Mitarbeitern vorgenommen worden sind, aber eben nicht von Juristen. In diesem Zusammenhang möchte ich klarstellen, dass der heise-Beitrag meinen Blog-Beitrag missverstanden hat. Es handelt sich hier nicht um Kritik an jugendschutz.net. Die Stelle ist von erheblicher Bedeutung für den Jugendschutz im Internet und leistet im Rahmen des Rechtsvollzugs des JMStV herausragende Arbeit. Vorbewertungen von Angeboten nach dem JMStV bedürfen auch keiner Volljuristen, da bei Aufsichtsmaßnahmen eine Prüfung der mehrheitlich mit Juristen besetzten KJM erfolgt. Die Stelle kann nun nichts dafür, dass das BMJV den Monitoring-Bericht zur Legimitation des NetzDG zweckentfremdet. Die in diesem Blog-Betrag verfasste Kritik richtet sich allein an den Bundesjustizminister, der bislang offenbar keine validen Erkenntnisgrundlagen für eine etwaig defizitäre Löschpraxis der Netzwerkbetreiber zu Inhalten nach § 1 Abs. 3 NetzDG-E hat.

Gast schrieb:

ARD und ZDF sind nicht der Staat. Allenfalls der Beweis, dass auch Journalisten irren. Und das Zensurgesetz von Maas werden wir verhindern!

https://twitter.com/HPFriedrichCSU/status/875284092442611712

 

Sehr einfach, wird das Löschen auf strafbare Inhalte begrenzt und rechtliche Beurteilungen nicht privatisiert, stimme ich zu#NetzDG

https://twitter.com/HPFriedrichCSU/status/879053175814328320

 

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