Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit - Drei aktuelle Entscheidungen des BVerfG (3. Teil)

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 06.08.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtMaterielles Strafrecht459|64712 Aufrufe

 

Der Beschluss 1 BvR 3487/14 betrifft keine Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche aber gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung, mit der dem Beschwerdeführer die Behauptung wahrer Tatsachen über einen drei Jahre zurückliegenden Rechtsstreit auf Internet-Portalen untersagt worden war. Dieser Beschluss rundet den Überblick ab, den ich mit den drei Beiträgen geben wollte.

 

Der Beschwerdeführer stritt mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens um Rückzahlungsansprüche aus einem gewerblichen Mietverhältnis. Der Kläger verpflichtete sich im gerichtlichen Vergleich 1.100 € an den Beschwerdeführe zu zahlen. Nachdem der Beschwerdeführer das Ratenzahlungsangebot des Klägers abgelehnt hatte, erfolgte die vollständige Zahlung erst nachdem eine Strafanzeige erstattet und ein Zwangsvollstreckungsauftrag erteilt worden war. Drei Jahre später berichtete der Beschwerdeführer unter namentlicher Nennung des Klägers über diesen Vorgang auf Internet-Portalen, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben. Der Kläger begehrte im Ausgangsverfahren die Unterlassung dieser Äußerungen. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß; das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück.

 

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer erfolgreich die Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung, Art. 5 Abs. 1 GG.

 

Die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre müsse grundsätzlich hingenommen werden. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung werde in diesen Fällen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit stehe. Auch die Nennung des Namens im Rahmen einer solchen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung berühre das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Hierbei darf der Einbruch in die persönliche Sphäre nicht weitergehen, als eine angemessene Befriedung des Informationsinteresses dies erfordere. Die für den Genannten entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.

 

Es sei nicht so, dass der Kläger die unbestritten wahren Äußerungen ausnahmsweise nicht hinnehmen müsse. Sie lassen nicht erkennen, dass dem Kläger ein unverhältnismäßiger Verlust an sozialer Achtung drohe. Auch die namentliche Nennung des Klägers, der seine Firma unter diesem Namen führt, stehe nicht außer Verhältnis zum geschilderten Verhalten. Verfassungsrechtlich sei es nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte hier ein öffentliches Informationsinteresse möglicher Kundinnen und Kunden des Klägers bejahen.

 

Dass sich der Beschwerdeführer erst drei Jahre nach dem Rechtsstreit geäußert habe, führe nicht zu einem Überwiegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Es würde den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit einschränken, wenn er nach einer solchen Zeitspanne von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte.

 

Abschließend zu diesem Rechtsprechungsüberblick:

Das BVerfG entscheidet im Zweifel für die Meinungsfreiheit, auch wenn darunter den Ehrenschutz leidet. Seit vielen Jahren ist für die Karlsruher Richter die Meinungsfreiheit unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft, eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung sei die Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend. – Vor diesem Hintergrund ist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu sehen, auch wenn sie auf den ersten Blick manchmal unverständlich erscheinen mag.

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459 Kommentare

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Abwegiger geht es kaum noch. Das OLG hat die Rechtmäßigkeit des von Ihnen angegriffenen Justizhandelns in keiner Weise bezweifelt (es hat sich damit vielmehr wegen Irrelevanz nicht befasst):

"Kein entscheidender Gesichtspunkt bei der Abwägung ist es ferner (entgegen der Ansicht des Landgerichts, vgl. UA S. 135), dass der Senat „keinerlei Anlass" für die Äußerungen gegeben hat. Zwar mag es für die Wahrung berechtigter Interessen sprechen, wenn das Handeln der Behörde oder des Gerichtes (sogar) rechtswidrig war. Im Übrigen aber ist es für ein Eingreifen von § 193 StGB nicht entscheidend, ob die mit der fraglichen Äußerung kritisierte Entscheidung der Behörden oder Gerichte rechtmäßig war (vgl. zu vergleichbaren Fällen BVerfG vom 05.03.1992 aaO Rdn. 27 und OLG Frankfurt vom 20.03.2012 aaO Rdn. 6f.)."

 

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Sie schreiben: "Das OLG hat die Rechtmäßigkeit des von Ihnen angegriffenen Justizhandelns in keiner Weise bezweifelt". Tatsächlich, das ist so, wie Sie schreiben, dass die Münchner Justiz die Rechtmäßigkeit des Handelns der Münchner Justiz  in keiner Weise bezweifelt hat. Aber meinen Sie nicht auch, dass hier die Frage durchaus erörtert werden darf, ob das Handeln der Münchner Justiz im zugrundeliegenden Fall tatsächlich objektiv und voll und ganz Recht und Gesetz entsprach?  

Nein, hier nicht, denn hier geht es nicht um "das Handeln der Münchner Justiz im zugrundeliegenden Fall". 

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Jetzt muss ich doch noch einmal nachfragen, ob ich Sie tatsächlich richtig verstanden habe: Sie sind also der Meinung, dass eine Äußerung völlig losgelöst von ihrem Anlass, von ihrem Kontext, bewertet werden muss? 

Der Anlass (Führung eines Verfahrens für die Tochter, offenbar erfolglos) ist der Entscheidung zu entnehmen. Mehr ist in der Tat nicht von Interesse, insbesondere, ob Sie das Verfahren für falsch geführt und entschieden halten.

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Die Entscheidung ist ja in mehreren Punkten entweder unverständlich oder schlicht falsch. Zu denjenigen Punkten, in denen die Entscheidung schlicht falsch ist, gehört auch, ich hätte ein Verfahren "für meine Tochter" geführt. Ich habe gar keine Tochter. Da aber die Justiz - insbesondere die bayerische Justiz - per se makellos und unfehlbar ist, habe ich, "rechtskräftig festgestellt", für alle Zeiten eben doch eine Tochter. Ein Familienmitglied mehr, herzlich willkommen! 

Aber ganz im Ernst: Ich kann immer noch nicht glauben, dass Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine Äußerung einerseits und ihren Anlass, ihren Kontext andererseits, bei der Bewertung der Äußerung strikt voneinander trennen wollen. Ist das tatsächlich Ihr Ernst?

Relevant als Kontext wäre es für mich nur, wenn d. beleidigte/n Richter Sie zuvor in vergleichbarer Weise beschimpft hätten.

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Nein, natürlich hat mich niemand beschimpft, die Richter des 2. Strafsenats haben "nur" mit direktem Vorsatz in der Sache falsch entschieden.  

Ebenso "natürlich", wie man Sie nicht beschimpft, sollten Sie auch andere nicht beschimpfen. Und der "direkte" Rechtsbeugungsvorsatz müte erst noch bewiesen werden...

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Dazu brauchen Sie einiges an Sitzfleisch: Aber arbeiten Sie in Ruhe den Text durch, den ich in meinem Profil hinterlassen habe. Dazu brauchen Sie nur auf meinen rot unterlegten Namen zu klicken, und schon können Sie den Text lesen. Wenn Sie mit der Lektüre fertig sind, bilden Sie sich selbst ein Urteil über den Nachweis des direkten Vorsatzes.   

Da haben Sie offenbar meinen Aufsatz nicht aufmerksam genug gelesen. Es findet sich nämlich in meinem Aufsatz noch eine ganze Fülle weiterer Argumente außer dem von Ihnen genannten. Also: Erst mal vollständig und aufmerksam zu Ende lesen, und dann erst irgend einen Kommentar abgeben. Können wir so verfahren? 

Als Richter nicht das Recht zu beugen ist unmittelbarer Verfassungsgrundsatz und die Pflicht zur Erfüllung steht in keinerlei Konkurrenz zu anderen Grundrechten. Der Vorwurf der Rechtsbeugung kann wie bei anderen Straftaten schon bei einem begründeten  Anfangsverdacht angezeigt werden, z.B. bei falscher Tatsachenerhebung, Gehörsverletzung etc.. Einen Beweis des Vorsatzes muss die STA ermitteln und dann auch zur Anklage bringen. Wenn dies unterbleibt, sagt das noch nichts über die Zulässigkeit und Begründetheit der Vorwürfe. Unter der Voraussetzung, dass der Rechtsbeugungsvorwurf nicht anlasslos erfolgte, wurde die damit verbundene Beschimpfung als nicht strafbar erachtet. Das spricht sogar gegen die Beleidigten. Erkläre mir jemand, warum ein Gericht nicht in der Lage ist, eine tatsächliche und offensichtliche Rechtmäßigkeit einem Rechtsanwalt zu vermitteln oder im Beleidigungsverfahren nachzuweisen. Kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit sieht anders aus und erzeugt i.d.R. auch maßvollere Reaktionen.

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Man kann es leider nicht anders sagen: Ihr Kommentar ist derart falsch, dass selbst das Gegenteil nicht richtig ist.

"Keinerlei Konkurrenz zu anderen Grundrechten"? Was soll das heißen? Wo haben Sie das her?

Was alles angezeigt werden kann ist unabhängig von einem Anfangsverdacht und entscheidet letztlich jeder Bürger selbst, die StA nur dann, wenn sie selbst Kenntnis von einer potentiellen Straftat erlangt hat. Die StA leitet aber nur dann ein Ermittlungsverfahren ein, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt. Soweit richtig? Oder können Sie die Definition des "Anfangsverdachts" mal eben zitieren, ohne Google zu bemühen?

"Einen Beweis des Vorsatzes muss die STA ermitteln und dann auch zur Anklage bringen" Ach? Aus welchem Gesetz entnehmen Sie das bitte? Was Sie hier so raushauen bedeutet bei genauer Betrachtung: Die StA hat Vorsatz und Schuld des Beschuldigten vorab vollständig zu ermitteln, bevor sie eine Anklage erhebt. Das entspricht einem Gerichtsverfahren vor einem Gerichtsverfahren. Das kann erkennbar nicht richtig sein. Das Gerichtsverfahren ist aber gerade (auch) dafür angetan, den Vorsatz und den Grad des Vorsatzes zu ermitteln.

"Wenn dies unterbleibt, sagt das noch nichts über die Zulässigkeit und Begründetheit der Vorwürfe. " Das sind die gängigen Vorstellungen vermeintlich rechtskundiger juristischer Laien. Das Recht "Recht zu sprechen" haben ausschließlich (Sie ahnen es bereits) Richter. Ihnen als Privatperson steht es schlicht nicht zu, ein Ermittlungsverfahren der StA, eine Anklageerhebung, ein Gerichtsverfahren und ein Urteil zu umgehen, um sogleich behaupten(!) zu können, jemand habe vorsätzlich einen Strarftabestand begangen. Oder wollten Sie, sehr geehrter Herr Lippke, dass Ihr Nachbar ungehemmt behaupten darf, Sie hätten schon seit Jahren Ihre Unterhaltspflicht verletzt, er habe dafür "dringende Anhaltspunkte", dafür würde sich aber "nur niemand interessieren"?

"Unter der Voraussetzung, dass der Rechtsbeugungsvorwurf nicht anlasslos erfolgte, wurde die damit verbundene Beschimpfung als nicht strafbar erachtet. " Leider auch hier (wieder) so falsch, dass das Gegenteil nicht richtig ist. Herr Lippke, lesen Sie bitte nochmals genau das von dem Kollegen Würdinger verlinkte Urteil des LG: Weswegen wurde der Kollege verurteilt?

 

 

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Es gibt kein Grundrecht, das in einer (konkurrierenden) Abwägung Rechtsbeugung legalisiert. Oder kennen Sie eins? Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte sind z.B. gegeneinander abzuwägen. Bekannt ist zwar der behauptete Ausschluss der Verfolgbarkeit von Rechtsbeugung in Kollegialgerichten wegen des Beratungsgeheimnisses. Aber selbst wenn das noch gängige Rechtspraxis ist, halte ich die damit einhergehende Verfassungswidrigkeit und Rechtswidrigkeit für so offensichtlich, dass es sich um systematisierte Rechtsbeugung handelt. Ähnlich der Rechtsbeugung bei der verfaaungswidrigen Bestrafung von Homosexuellen. Manches kann man also auch selbst ableiten und muss es sogar, wenn man sich für unbhängig, verantwortlich und entscheidungsfähig halten will.

Eine Strafanzeige ist eine Verdachtsäußerung, die gerade nicht anlasslos erfolgen darf (falsche Beschuldigung, falsche Verdächtigung). Eine Strafanzeige mit Angabe eines objektiv feststellbaren Tatbestands und der Einschätzung, das es sich (vermutlich) um eine Straftat handelt, ist dagegen anlassbezogen. Die StA ermittelt den hinreichenden Tatverdacht, zu dem bei Vorsatzstraftaten natürlich auch die Frage des Vorsatzes gehört. Mit vollständiger Ermittlung meinte ich umfassend, in jede Richtung und ohne willkürliche Ausschlüsse. Von Schuld hatte ich gar nichts drin, das haben Sie sich wohl ausgedacht. Sind Sie etwa im Genditzki-Fall als Ermittler aktiv?

Die Anklage stellt doch letztlich die amtliche Behauptung einer erwiesenen Straftat und Schuld dar, z.B. der Beleidigung. Sonst wären Strafbefehle ja grundsätzlich Wegelagerei von Amts wegen. Natürlich ermittelt und bewertet ansonsten erst ein Gericht in der HV rechtsverbindlich die Tat- und Schuldfrage und entscheidet über die Sache. Die HV nennt sich nun mal nicht Ermittlungsverfahren, weil die Tatsachengrundlage der Anklage bei der Eröffnung der HV eine Verurteilung hinreichend wahrscheinlich macht. Für wie blöd wollen Sie mich erklären, nachdem der Herr Würdinger hier aufgezeigt hatte, dass rechtlich unbegründete Anklagen zwar zu ebenso unbegründeten Verurteilungen führen können, aber mitunter durchaus auch wieder kassiert werden.

Zwischen Strafanzeige und dem Gebläke des Nachbarn übern Zaun gibt es auch nur einen Unterschied. Eine anlasslose Strafanzeige ist wie das anlasslose Gebläke strafbewehrt. Ein Rumposaunen von Verdächtigungen anstelle einer Anzeige zeugt aber nicht von einer Sachbezogenheit, selbst wenn die Behauptungen zutreffen. Es sei denn, es gibt dafür sachliche Gründe wie oben im Fall des Blogbeitrags und n.m.M. auch beim Verdacht auf Rechtsbeugung, zu der ja regelmäßig nicht ermittelt wird. Denn das betrifft strukturell und potentiell alle Bürger. Das ein solcher Vorwurf vollkommen unbegründet wäre, hängt also weder am fehlenden Beweis des Vorsatzes, noch an der Ermittlungstätigkeit, noch an der nicht entscheidungserheblichen Deutung eines Gerichts in anderer Sache.

Wenn Sie mich nun auf das LG-Urteil verweisen, wundere ich mich. Wurde das nicht vom OLG aufgehoben und Ihr Kollege wurde damit gar nicht verurteilt? Hatte das nicht gerade mit dem Kontext und Anlass der Äußerung zu tun, was Sie gern unterschlagen.

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"Es gibt kein Grundrecht, das in einer (konkurrierenden) Abwägung Rechtsbeugung legalisiert. " Das hat niemand und auch ich nicht behauptet.

Sie können das gerne so behaupten, müssen dann aber auch einsehen, dass Sie mit sich selbst diskutieren.

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"Die Anklage stellt doch letztlich die amtliche Behauptung einer erwiesenen Straftat und Schuld dar, z.B. der Beleidigung. "

Nein, das ist falsch.

Anklage wird erhoben bei hinreichendem Tatverdacht, § 170 Abs. 1 StPO.

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Ein Strafbefehl ist dann also eine Verdachtsstrafe? Denn eine gerichtliche Ermittlung findet beim Strafbefehl wohl nicht statt. Die Anklageschrift einer STA behauptet, soweit mir das bekannt ist, regelmäßig Tat und Schuld und nicht hinreichenden Tatverdacht. Von einer Anklageschrift, die eine Tatbegehung nur für hinreichend verdächtig erklärt, habe ich noch nichts gehört. Was würde in diesem Zusammenhang "hinreichend" bedeuten? Was soll ein Gericht damit anfangen? Der hinreichende Tatverdacht ist doch nur Mindestbedingung und Anlass einer Anklage und nicht dessen Inhalt.

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Was ist denn bitte eine "Verdachtsstrafe"? Wie kommt man auf diese Wortschöpfungen?

Ein Strafbefehl kann aufgrund eines hinreichenden Tatverdachts erlassen werden. Die weiteren Voraussetzungen finden sich in den §§ 407 ff StPO. Der Angeschuldigte kann den Strafbefehl annehmen (und insofern "gestehen") oder aber Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen und damit das gerichtliche Verfahren einleiten.

Und was Ihnen bekannt ist und wovon Sie alles schon gehört haben ist für den hinreichenden Tatverdacht und die Form und den Inhalt einer Anklageschrift egal. Wie viele Anklageschriften haben Sie denn schon gelesen oder anders: Bei wie viel verlesenen Anklageschriften waren Sie schon zugegen, um derart "gut" informiert zu sein?

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Wenn für einen STRAFBEFEHL der hinreichende Tatverdacht ausreicht, kann es sich mit dem Ermittlungsergebnis aus Sicht der STA wohl kaum nur um einen Verdacht oder die Möglichkeit einer Täterschaft handeln. Die STA muss davon überzeugt sein, Tat und Täterschaft ermittelt zu haben und ggf. vor Gericht beweisen zu können. Wäre die STA von den korrekt und vollständig ermittelten Tatsachen (noch) nicht überzeugt, müsste sie die Zweifel durch weitere Ermittlungen ausräumen. Dies zu unterlassen und stattdessen mit einem Strafbefehl zu winken, wäre Wegelagerei und Bestrafung für den Verdacht. Dass der AngeSCHULDIGte gegen einen Strafbefehl Einspruch einlegen kann, ändert daran nichts. Man kann gegenüber jedem Wegelagerer Einspruch erheben. Ob der Wegelagerer den Einspruch tatsächlich ernst nimmt oder keinesfalls vom Ziel abrücken wird, ist mit der Formalie nicht geklärt. Eine STA, die in der Anklage den hinreichenden Tatverdacht durch Benennung aller noch bestehenden Zweifel und Alternativen begründet, wird wohl eher keinen Eröffnungsbeschluss des Gerichts bekonmen. Die Realität ist doch zudem noch weit trivialer und ungenügender als die Theorie, der es ja schon selbst an struktureller und methodischer Substanz mangelt. Wo ist z.B. normiert, dass der Verzicht auf Einspruch gegen den Strafbefehl ein Gestehen darstellt? Ist hinreichender Tatverdacht ein bestimmter oder unbestimmter Rechtsbegriff? Was folgt daraus für Strafbefehl und Anklageerhebung?

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"Eine Strafanzeige ist eine Verdachtsäußerung, die gerade nicht anlasslos erfolgen darf (falsche Beschuldigung, falsche Verdächtigung)."

Und auch das ist falsch. Wollen Sie, dass sich alle Anzeigewillige vorab einem Strafrechtskurs unterziehen? Der Straftatbestand der "falschen Verdächtigung" erfordert schon mehr, als das, was Sie hier behaupten.

Man kann sagen, dass Sie auch in diesem Post alles falsch darstellen, bei gleichzeitiger Meinung, es doch so genau zu wissen.

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Das OLG musste an dem Zutreffen des Vorwurfs gegen die Richter weder zweifeln noch nicht zweifeln. Es war kein entscheidender Gesichtspunkt, weil offenbar schon das vermeintliche Zutreffen aus Sicht des Angeklagten zu seiner Entlastung reichte. Das Tatsächliche hätte wohl allenfalls dann eine Rolle gespielt, wenn entweder für den Angeklagten kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit des richterlichen Handelns bestehen konnte (kein Anlass für Reaktion) oder die Reaktion des Angeklagten so erheblich war, dass die Vermutung der Rechtsbeugung als Rechtfertigung für diese Handlung nicht ausreichen konnte.

Zu Nazi-Keulen ist auch diese aktuelle Sache interessant. http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-hamburg-324o217-17-alice-weidel-afd-ndr-nazi-schlampe-satire/

 

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Nach der BRAO nimmt der Rechtsanwalt als unabhängiges, gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege eine eigenständige Stellung ein Er ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Wegen dieser seiner Funktion stehen ihm einerseits besondere Befugnisse zu. Er unterliegt andererseits aber auch besonderen Pflichten. Diese ergeben sich aus § 43 BRAO und haben ihren Niederschlag in den hierzu aufgestellten Standesrichtlinien der BRAK gefunden. So ist der Rechtsanwalt berechtigt und verpflichtet, die Interessen seiner Mandanten vor Gerichten und Behörden sowie gegenüber Kollegen und anderen Parteien auch engagiert und mit Nachdruck zu vertreten. Unerläßliche Voraussetzung dafür ist das Vermögen, zwischen eigener und normierter Rechtsauffassung zu unterscheiden sowie die Sach- und Rechtslage und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels objektiv zu beurteilen. Richtschnur seines Handelns müssen stets die Achtung der staatlichen Rechtsordnung und das Gebot der Sachlichkeit sein (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 1986 – AnwZ (B) 2/86 –, juris).

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Vollständiges Zitat aus BGH, Beschluss vom 08. Dezember 1986 – AnwZ (B) 2/86 –, juris: "Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung nimmt der Rechtsanwalt als unabhängiges, gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege eine eigenständige Stellung ein (§ 1 BRAO). Er ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 BRAO). Wegen dieser seiner Funktion stehen ihm einerseits besondere Befugnisse zu. Er unterliegt andererseits aber auch besonderen Pflichten. Diese ergeben sich aus § 43 BRAO und haben ihren Niederschlag in den hierzu aufgestellten Standesrichtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer gefunden. So ist der Rechtsanwalt berechtigt und verpflichtet, die Interessen seiner Mandanten vor Gerichten und Behörden sowie gegenüber Kollegen und anderen Parteien auch engagiert und mit Nachdruck zu vertreten. Unerläßliche Voraussetzung dafür ist das Vermögen, zwischen eigener und normierter Rechtsauffassung zu unterscheiden sowie die Sach- und Rechtslage und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels objektiv zu beurteilen. Richtschnur seines Handelns müssen stets die Achtung der staatlichen Rechtsordnung und das Gebot der Sachlichkeit sein (§ 1 BRAO, § 43 BRAO in Verbindung mit den §§ 1, 9, 10, 18 der Standesrichtlinien; vgl. auch BVerfGE 26, 186 ff, 194, 205; 63, 266 ff, 284, 287, 295 f). "

Richtig ist, dass es die Standesrichtlinien der BRAK nicht mehr gibt. Das ändert aber nichts an der Geltung des Sachlichkeitsgebots (§ 43a Abs.3 BRAO), das zu den Grundpflichten eines Rechtsanwalts gehört. 

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Die Diskussion gleitet doch ziemlich ab. Festgestellt wurde vom OLG die Entlastung vom Vorwurf der Beleidigung, weil der "Freisler-Bezug" im Rahmen eines zulässigen Parteivorbringens in einem Gerichtsverfahren erfolgte. Die Tatsachen dazu waren unstrittig, der Strafvorwurf erwies sich als unbegründet. Die öffentliche Wahrnehmung ist Folge des Strafverfahrens, der Strafantrag dafür also ursächlich. Daher kann die öffentliche Wahrehmung nicht dem Freigesprochenen zur Last gelegt werden. Schwer vorstellbar, dass das Gericht noch durch eine Beschwerde bei der RAK etwas Anderes erreichen könnte. Soll sich die RAK "von Amts wegen" einschalten?

Zusammengefasst: Die Beleidigungssache ist rechtlich erledigt, strafrechtlich, berufsrechtluch und wohl auch zivilrechtlich. Alles andere ist Geschmacksfrage.

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Das ist abermals so eine Vorstellung von vermeintlich rechtskundigen juristischen Laien: Man könne Strafrecht, Berufsrecht und Zivilrecht über einen Kamm scheren, wenn nur ein Gericht eine Feststellung getroffen habe.

Weder ein Zivilgericht, noch ein Standesgericht sind aber an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden.

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Es gibt kein "Standesgericht".

Mal wieder zurück zur eigentlich vorgestellten Entscheidung des BVerfG:

"Es würde den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit einschränken, wenn nach einer solchen Zeitspanne im Rahmen einer subjektiven Bewertung des Geschäftsgebarens eines nach wie vor in gleicher Weise tätigen Gewerbebetreibers von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse klar erkennbar ist, und dass die Äußerungen auf den Portalen als Bewertung veröffentlicht wurden."

Da kann man nur zustimmend nicken. Wahre Tatsachen dürfen mitgeteilt werden.

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Naja, das Thema heißt "Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit". Und die vorgestellten Entscheidungen des BVerfG betreffen ihren Sachverhalten nach eher die Nutzung von Kindergärten. Und wie allein schon die z.T. heftigen Reaktionen der Mitdiskutanten zeigen, geht es bei meinem Fall - seinem Sachverhalt nach - eben um alles andere als Kindergärten. Insofern macht es Sinn, die Diskussion über meinen Rechtsfall fortzusetzen. Und, das soll jetzt ein verschrobenes Kompliment sein, je länger ich mit Ihnen diskutiere, umso mehr werden die Unterschiede in den juristischen Positionen klar. Das ist ein durchaus spannender Prozess, finde ich.     

..... je länger ich mit Ihnen diskutiere, umso mehr werden die Unterschiede in den juristischen Positionen klar. Das ist ein durchaus spannender Prozess, finde ich.    

Da ich die ganzen Kommentare ja abonniert habe und alle noch lesen kann als Emails, stimme ich Ihnen hierbei zu.

(Die andere Sache Ihrer eigenen Reaktion braucht jetzt nicht mehr vertieft zu werden.)

Auch das diskutierte Thema der "Rechtsbeugung" finde ich sehr spannend, vor allen Dingen, wenn begangene Fehler eines Gerichts - oder Einzelrichters - gleich als "Rechtsbeugung" gemäß §339 StGB bezeichnet werden.

Denn das sehe ich so nicht, auch alle später revidierten Fehlurteile fallen doch nicht unter diese Kategorie.

 

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Wer schützt eigentlich Richter vor dem Vorwurf der Rechtsbeugung? Müssen Richter solche Vorwürfe wirklich hinnehmen? Das auch vor dem Hintergrund, dass wohl kein anderes Land seinen eigenen Richtern institutionell, insbesondere mit umfangreichsten Rechtsmittelmöglichkeiten, derart mit Misstrauen begegnet wie Deutschland. Wenn Richtern schon wegen Fehlern (was sind eigentlich Fehler?) Rechtsbeugung vorgeworfen werden dürfte, könnten Richter dann noch unabhängig agieren? Wäre eine Weiterentwicklung von Recht durch Rechtsprechung noch denkbar, wenn Richter vorrangig damit befasst wären, sich gegen Rechtsbeugungsvorwürfe abzusichern, was nahelegen würde, ja nichts anders als Obergerichte zu sehen? 

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Was sind eigentlich Fehler? ... ist eine berechtigte Frage.

Wenn die I. Instanz einen Fehler macht, die Beschwerde zur Abhilfe vorgelegt bekommt, sich mit dem Fehler selbstkritisch befasst und diesem abhilft, ist ein Rechtsbeugungsvorwurf natürlich vollkommen unangemessen. Dagegen ein Nichtbhilfebeschluss, der den Fehler und das Beschwerdevorbringen übergeht oder sogar verleugnet, soll offensichtlich der II. Instanz Sand in die Augen streuen. Der Verdacht auf Rechtsbeugung ist da n.m.M. angemessen. Wenn dazu die Beschwerdeinstanz die fehlerhafte oder verfälschte Entscheidungsgrundlage der I. Instanz nur wiederholt und das Beschwerdevorbringen übergeht, liegt kein Fehler sondern Absicht vor. Wenn zu einer damit begründeten Ablehnung wegen Befangenheit und einer Gehörsrüge letztlich ausschließlich Ignoranz und Leugnung folgen, dann geht es offensichtlich und wissentlich darum, Falschem zur Rechtskraft zu verhelfen. Natürlich in dem Wissen, dass Aufwand und Chancen eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde unwahrscheinlich machen. Wird also ein Fehler unverändert über diese 5 vorgesehenen Prüfstufen geschliffen, ohne sich ernsthaft mit Einwänden auseinanderzusetzen, kann von "einem" Fehler nicht mehr die Rede sein. Solche Vorgehensweise ist doch durchaus üblich. Rechtsfortbildung FÜR Richter insbesondere im Verfahrensrecht wäre möglicherweise wichtiger als kreative Auslegungs- und Begründungsmethoden. Diese dienen doch gerade dem Zweck, das Durchwinken in der Beschwerdeinstanz zu erleichtern. Man wundert sich schon, warum es mitunter doch korrekt läuft mit dem Instanzenzug. Nach meiner Erfahrung sind es vor allem Richter, die nicht mit eigenen Fehlern umgehen können und ihren beruflichen Status für unkorrigierbar halten. Angst vor Ermittlungen zu Rechtsbeugungsvorwürfen ist mir bei Richtern noch nicht aufgefallen.

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Es gibt wohl nur extrem selten Fälle, in denen Richter absichtlich "Fehler" (wann solche vorliegen, ist im Übrigen äußerst schwierig zu definieren) machen. Mir sind da eigentlich nur Fälle bekannt, in denen sich bei Richtern -insbesondere im Zusammenhang mit völliger Überlastung- psychische Auffälligkeiten herausgebildet hatten. 

Es ist übrigens wohl in einer großen Zahl der zivilrechtlichen Fälle so, dass bei einer streitigen Entscheidung  die unterliegende Partei diese für falsch hält. Schade ist, dass manche Rechtsanwälte Parteien darin noch unterstützen. 

Eine dauerhafte Befriedung lässt sich am ehesten durch gütliche Einigung erzielen. Aber selbst das funktioniert wegen Vergleichsreue manchmal nicht.

 

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https://openjur.de/u/494553.html enthält alles Wesentliche. Danach war es zwingend geboten, Ihre Strafanzeige ad acta zu legen, da das Vorliegen eines Anfangsverdachts positiv auszuschließen war. Mehr gibt es zu dieser alten Geschichte eigentlich  nicht zu bemerken.

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Diese Entscheidung des BayVerfGH vom 21.11.2011 lässt eben - durchaus überaus geschickt - wohlweislich alles das weg, was die vollständige Nichtlektüre der Gerichtsakten belegt. Wenn man nur die Entscheidung des BayVerfGH vom 21.11.2011 (und sonst nichts) liest, fragt man sich tatsächlich, wo eigentlich das Problem an meinem Fall liegen soll. Das liegt aber eben daran, dass die  Entscheidung des BayVerfGH vom 21.11.2011 sehr geschickt verschleiert, sehr gezielt weglässt etc. etc.  Es wäre also entschieden zu kurz gesprungen, sich ein Urteil über meinen Fall anzumaßen, wenn man ausschließlich die Entscheidung des BayVerfGH vom 21.11.2011 liest und sonst gar nichts.

Die Gerichtsakten des Prozesses vor dem Landgericht sollten nach Urteil vom 16.08.2010 und die Senatsakten der Berufung nach Urteil des OLGs vom 17.01.2011 nach AufbewV, Anlage Aufbewahrung von Schriftgut der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsbehörden, Teil I, Abschnitte I, III, nach 5 Jahren bis auf Urteil und Kostenfestsetzungsbeschluss vernichtet worden sein.

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Es gibt keinen Grund, sich nach der Entscheidung weiter mit der Sache zu befassen. Alles ist rechtskräftig abgehakt.

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Da irren Sie sich: Die öffentliche Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden, Art. 20 III GG. Demzufolge muss die öffentliche Gewalt Amtshaftungsansprüche erfüllen, sofern sie materiell-rechtlich gerechtfertigt sind. Aufgrund der besonderen Stellung der öffentlichen Gewalt (aufgrund der Gesetzesbindung der Verwaltung), kann sich die öffentliche Gewalt in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Rechtskraft entgegenstehender Gerichtsentscheidungen in der Amtshaftungssache berufen. Zumal dann, wenn die Gerichtsentscheidungen in der Amtshaftungssache ihrerseits den Tatbestand der Rechtsbeugung i.S.d. § 339 StGB erfüllen.    

Sie haben schon mangels Fehlern keine Amtshaftungsansprüche. Das steht aufgrund der -nicht nur vom OLG München, sondern sogar auch noch vom Bayerischen VerfGH überprüften- rechtskräftigen Entscheidung des LG München fest.

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Es ist doch eine bemerkenswerte Situation: Wir haben einen bestimmten Sachverhalt mit einer bestimmten Rechtsfolge, die im Gesetz beschrieben sind. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass sich anscheinend alle darüber einig sind, ohne weiter darüber kommunizieren zu müssen, dass es in der Realität nicht vorkommt, dass sich ein Richter wegen Rechtsbeugung strafbar macht und sein Dienstherr, das betreffende Bundesland, dafür zivilrechtlich haftet.   

Mich interessiert mal die Meinung gestandener Juristen, ob beim §339 StGB auch der bedingte Vorsatz als ausreichend für eine Strafe angesehen werden kann und dabei dann die Rechtsfigur des unechten Unterlassungsdelikts angewendet werden kann, denn wer anderes als ein Richter hat die Garantenpflicht für eine korrekte Anwendung der Vorschriften des StGBs und der StPO?

Des weiteren ist mir aber klar, daß die Mindestrafe gemäß §339 StGB ein Jahr Haft ist.

Also ist die Rechtsbeugung kein Vergehen mehr, sondern ein Verbrechen, und eine Verurteilung bedeutet für einen Richter doch das Aus und Entlassung  aus dem Dienst mit ernsten Folgen für seine eigene Pension und Altersversorgung. Logisch, daß alle davon selber potentiell betroffenen Juristen da über eigene Kollegen ungern so den Stab brechen werden. Soviel sagt mir doch die Erfahrung auch mit Juristen aller Arten, nur ist damit m.E. keine wahre Unabhängigkeit mehr gegeben.

Der Passauer Strafrechtler Prof. Dr. Holm Putzke LL.M. schrieb bereits einen Artikel für LTO vom 06.06.2012  zum Thema der Rechtsbeugung:

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-hebt-freispruch-auf-proberic...

Immer noch interessant, was er auch dazu zu sagen hat.

Welcher gestandene Jurist oder Strafrechtsprofessor kann sich denn auch mal noch dazu hier im Blog äußern?

Meine Hoffnungen gehen da Richtung Regensburg .......

Beste Grüße dorthin

GR

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Geschütztes Rechtsgut ist die innerstaatliche Rechtspflege.

Die (bloße) Unvertretbarkeit einer Entscheidung begründet in aller Regel noch keine Rechtsbeugung. Vielmehr wird der Begriff der „Beugung“ (zunächst) auf zweifache Weise normativiert: Erstens ist erforderlich ein elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege. Rechtsbeugung begehe zudem nur der Richter usw., der sich bewusst in schwerwiegender Weise vom Gesetz entferne und sein Handeln statt an Gesetz und Recht an Maßstäben ausrichte, die im Gesetz keinen Ausdruck gefunden haben.

Dem Bemühen der Rspr. um eine restriktive Auslegung ist beizupflichten. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die Schwere des Unwerturteils und die strafr. und sonstigen Rechtsfolgen, sondern auch wegen der Schutzrichtung, scil. dem Schutz des Vertrauens in die Geltung der Rechtsordnung vor Angriffen von „innen“ und damit mittelbar dem Interesse an einer wirksamen Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit (vgl. Schönke/Schröder/Hecker/Heine StGB § 339).

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Die Mindeststrafe ein Jahr Haft ist eben die auch psychologisch hochgelegte Hürde dabei, und das dürfte doch kein Zufall sein.

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Es ist wohl damit nicht eine psychologisch hochgelegte Hürde für die Tatbegehung gemeint, sondern es soll wegen der Konsequenz soviel wie möglich Falsches und Übergriffiges ohne Sanktion bleiben. Wo liegt die Grenze zum Unrechtsstaat?

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Hier mit einer "psychologischen Hürde" zu argumentieren, ist in der Sache fernliegend. Der Gesetzgeber hat die "Rechtsbeugung" als Begehungsdelikt nicht als Vergehen, sondern als Verbrechen bewertet. Damit wollte der Gesetzgeber nicht etwa weitestgehend verhindern, dass Richter aus Skrupel vor der Strafhöhe andere Richter verurteilen. Er wollte damit vielmehr die Gefährlichkeit einer Rechtsbeugung Rechnung tragen.

Hier dann auch noch die Grenzen zu einem Unrechtsstaats zu hinterfragen, ist dann völlig verfehlt. Zumal der Gesetzgeber ja im Gegenteil genau dem Rechnung tragen wollte, was Sie hier im allgemeinen mit ständigen und nur vermeintlich intelligenten Einwürfen zu hinterfragen suchen.

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Da darf man meiner Meinung nach den Begriff des "Dilemma" darauf anwenden, wenn auch bei der Rechtsbeugung ein "minderschwerer Fall" manchmal doch empfundene Vorteile brächte, um die ganz harte Konsequenz noch mal abzuwenden und einen "Warnschuß" abgeben zu können.

Ein bißchen Rechtsbeugung wäre aber vermutlich wie ein bißchen Schwangerschaft ein Widerspruch in sich, und auch für ein bißchen Meineid gilt das noch meines Erachtens.

Einer durchgehenden Systematik aus der Sicht der Rechtsprechung hierbei den Vorzug zu geben, kann man vermutlich vertreten, um einer denkbaren Aufweichung und auch noch einer Anzeigenflut vorzubeugen.

("Allen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.")

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Merken Sie was? Es geht schon längst nicht mehr um das Thema "Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit", es geht inzwischen um das Thema "Ab welcher Schwelle beginnt die Rechtsbeugung i.S.d. § 339 StGB?"

Dass ein Fehler nicht sofort den Vorwurf der Rechtsbeugung begründen sollte, ist nachvollziehbar. Das strikte Festhalten an Fehlerhaftem ist aber kein Fehler, sondern Dienstuntauglichkeit oder Ignoranz. Wenn durch Richterrecht und Praxis zudem Ablehnungsrecht und Anhörungsrecht bis zur Unkenntlichkeit kastriert werden, dann steht damit der Vorsatz zur Begünstigung von Rechtsbrüchen im Raum. Rechtsbeugung wird somit nicht nur straflos gestellt, sondern kann auch sonst sanktionslos gegen Parteien eingesetzt werden. Zumindest wenn den Betroffenen die Lobby oder Gunst in der Justiz fehlt. Es braucht daher keinen minderschweren Fall der Rechtsbeugung. Wenn die Verfahrensordnung, das Dienstrecht und die damit verbundenen Korrekturmöglichkeiten eingehalten würden, wären damit alle minderschweren Fälle lösbar. Wer also die Verfahrensordnung trotz Hinweis, Aufforderung oder Rüge missachtet, begeht Rechtsbeugung. Die Frage der Auswirkung auf eine abschließende Entscheidung ist dabei sekundär. Die Behauptung, weil es kaum Verurteilungen gäbe, gibt es auch keine Rechtsbeugungsfälle, können schon manche Kinder im Grundschulalter entlarven.

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"Wenn durch Richterrecht und Praxis zudem Ablehnungsrecht und Anhörungsrecht bis zur Unkenntlichkeit kastriert werden, dann steht damit der Vorsatz zur Begünstigung von Rechtsbrüchen im Raum. "

Können Sie erklären, woher Ihre Erkenntnis des "Richterrechts" und der "Praxis" kommen? Haben Sie vertiefte (und bestenfalls geprüfte) strafrechtliche und strafprozessuale Kenntnisse, die Ihnen tatsächlich ein Urteil, wie Sie es oben getan haben, erlauben?

Ich meine, Sie sind bereits weiter oben den Fragen nach Ihrer Qualifikation nicht nachgekommen. Warum?

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Ich bin kein Jurist, der beruflich an korrekten und fehlerhaften Urteilen "Im Namen des Volkes" beteiligt ist. Gar kein Jurist. Weder im Strafrecht, noch in anderen Rechtsgebieten. Ihre Einschränkung auf das Strafrecht geht aber schon mal am Thema vorbei. Der im Artikel behandelte Fall betrifft Zivilrecht, konkret Ehrenschutz vs. Meinungsfreiheit, was sich also nicht auf Strafrecht beschränken lässt. Ebenso sind Rechtsbeugung vs. Rechtsfehler nicht auf das Strafrecht beschränkt. Mit dem Strafrecht und der StPO bin ich tatsächlich auch kaum in Berührung gekommen. Zu einem einzigen Fall der rechtsfehlerhaften Vorhaltung eines Ermittlungsverfahrens, der unbegründeten Anklageerhebung und HV-Eröffnung habe ich vertiefte Kenntnisse. Dazu kann ich GR bestätigen, dass z.B. unbegründet Angeschuldigte schon froh sind, wenn ein Verfahren auch noch (zu) spät eingestellt wird und die Sache damit erledigt ist. Insofern kann ich sogar die Möglichkeit der späten Einsichts- und Korrekturfähigkeit von Richtern und StA bestätigen. Auch im Zivilrecht habe ich gelegentlich solche Beobachtungen gemacht. Überwiegend ist mir dort jedoch manipulative Verfahrensführung unter Missachtung der ZPO und krampfhaftes Festhalten an schwiemelig begründeten Entscheidungen aufgefallen. Dazu habe ich u.a. auch mit einem aufsichtsführenden Richter gesprochen, der entschuldigend vor allem die Berücksichtigung der Befindlichkeiten von Richtern bei rechtskundigem Vortrag und Kritik von juristischen Laien erbat. Das scheint auch Ihr Thema zu sein. Wozu wollen Sie meine Rechtskenntnisse und Praxiserfahrung genau erfahren? Die kommen jedenfalls nicht aus einer Liebe zum Juristenberuf. Trotzdem habe ich vor Juristen, die sich um die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit bemühen, ehrliche Hochachtung und erkenne das auch in seiner Schwierigkeit an. Das ist doch auch keine selbsterfüllende Selbstverständlichkeit, sondern harte Arbeit und kein Zuckerschlecken. In meinem Beruf erkenne ich auch jeden Laien sofort, mache daran aber nicht die Tauglichkeit der Erfahrungen und Kenntnisse des Laien fest. Es wäre doch ein Nullargument pauschal zu behaupten, der Laie könne nichts von Belang wissen, weil er nicht branchenintern qualifiziert wurde. Das könnte höchstens für Branchen gelten, die nur von verklausulierten und diskreten Insichgeschäften leben. Das wollen Sie hoffentlich für die Juristerei nicht in Anspruch nehmen. Zum Glück hat sich mit dem Internet die Möglichkeit zur Recherche und Beteiligung insbesondere für interessierte Laien deutlich verbessert. Damit muss sich letztlich jede Profession anfreunden.

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Das ist in der Tat ein gänzlich anderes Thema. Aber in so einem Forum ist es ja möglich, ganz verschiedene Themen anzusprechen.

Verurteilungen wegen Rechtsbeugung sind glücklicherweise selten. Die zivilrichterliche Tätigkeit betreffend habe ich nur eine Verurteilung gefunden: Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung eines Zivilrichters am Landgericht Freiburg wegen Rechtsbeugung bestätigt. Der Richter hatte privat für einen Bekannten in einem Verfahren einen Befangenheitsantrag verfasst. Gegen die von ihm selbst geschriebene sofortige Beschwerde wegen dessen Ablehnung entschied er dann in seiner Funktion als Richter selbst (Beschluss vom 05.08.2009 - 1 StR 366/09).

Soweit es sonst Verurteilungen gibt, scheinen diese vorwiegend die straf- oder bußgeldrichterliche Tätigkeit zu betreffen.

Die von GR aufgeworfene Frage, "ob beim §339 StGB auch der bedingte Vorsatz als ausreichend für eine Strafe angesehen werden kann", hat übrigens BVerfG, Beschluss vom 14.07.2016 2 BvR 661/16 -, beantwortet:

"Die einschränkende Auslegung des  § 339 StGB, nach der sich ein Richter einer Rechtsbeugung nur schuldig mache, wenn er sich „bewusst in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt“ , wahrt die Unabhängigkeit des Richters. Weil dem Richter die besondere Bedeutung der verletzten Norm für die Verwirklichung von Recht und Gesetz im Tatzeitpunkt bewusst gewesen sein muss, ist sichergestellt, dass eine Verurteilung nicht schon wegen einer - sei es auch bedingt vorsätzlichen - Rechtsverletzung erfolgt, sondern erst dann, wenn der Richter sich bei seiner Entscheidung nicht allein an Gesetz und Recht orientiert."

 

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