Die Ehe für alle steht auf dem Boden des Grundgesetzes

von Prof. Dr. Hubertus Gersdorf, veröffentlicht am 03.07.2017
Rechtsgebiete: Öffentliches RechtStaatsrecht219|41829 Aufrufe

Am 30. Juni 2017 hat der Deutsche Bundestag die Einführung der Ehe für alle durch Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches beschlossen. Während die Ehe bislang im BGB nicht definiert war, lautet die vom Bundestag beschlossene Definition der Ehe nun: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Dadurch ist es auch gleichgeschlechtlichen Paaren möglich zu heiraten.

Der subjektive Wille des Verfassungsgebers zur damaligen Zeit ist nicht maßgeblich

Die Einführung der Ehe für alle ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen die Ehe und die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, ohne dass sie dort definiert sind. Zwar dürfte der Verfassungsgeber als Ehe die Gemeinschaft von Mann und Frau vor Augen gehabt haben, weil zur damaligen Zeit gleichgeschlechtliche Beziehungen weder gesellschaftlich noch gesetzlich akzeptiert waren. Männliche Homosexualität war zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes noch strafbewehrt. Jedoch ist der subjektive Wille des Verfassungsgebers dann nicht maßgeblich, wenn er sich nicht in der Norm, d.h. nicht objektiv niedergeschlagen hat: Weder dem (insoweit indifferenten) Wortlaut noch der Systematik sowie Sinn und Zweck lassen sich entnehmen, dass mit Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG nur die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau gemeint ist (vgl. hierzu noch sogleich). Dass dem subjektiven Willen des (Verfassungs-)Gesetzgebers für sich genommen keine (entscheidende) norminterpretierende Bedeutung zukommt, gilt in Sonderheit für ein normgeprägtes Grundrecht wie das Ehegrundrecht. Im Gegensatz zu natürlichen Freiheiten gibt es die Ehe im Naturzustand nicht. Ehe ist ein Rechtsinstitut, das vom Gesetzgeber erst geschaffen und ausgestaltet werden muss. Im Rahmen der Ausgestaltung des Ehegrundrechts ist der Gesetzgeber nicht an die Werte und Moralvorstellungen gebunden, die in der Geburtsstunde des Grundgesetzes herrschten. Vielmehr ist der Ausgestaltungsauftrag des Gesetzgebers dynamisch und entwicklungsoffen, d.h., offen auch für Veränderungen der gesellschaftlichen Anschauungen und Werte. Während früher die Strafbarkeit von Homosexualität für zulässig erachtet wurde, sieht man heute hierin einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Diesen Wandel darf der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung normgeprägter Grundrechte wie des Ehegrundrechts berücksichtigen. Dies hat nichts mit einem Verfassungswandel, sondern mit der Offenheit der Verfassung für gesellschaftlichen Wandel zu tun, auf den der Gesetzgeber reagieren darf. Der Verfassungsbegriff „Ehe“ wandelt sich nicht eo ipso. Er bedarf der Ausformung und Konkretisierung durch den Gesetzgeber. Erst wenn der Gesetzgeber in Wahrnehmung seines Ausgestaltungsauftrages den Begriff „Ehe“ neu definiert, wandelt sich die Verfassung. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist Ausdruck des Regelungsspielraums, den der Gesetzgeber beim normgeprägten Ehegrundrecht besitzt.

Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG

Allerdings ist der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Ehegrundrechts an die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG gebunden. Inhalt und Kontur der Institutsgarantie bedürfen indes einer Radizierung in Wortlaut, Systematik oder Telos des Ehegrundrechts. Sie darf nicht hiervon losgelöst im Gewande des Verfassungsrechts daherkommen, hinter dem sich letztlich die rein politische Grundüberzeugung des Verfassungsinterpreten verbirgt. Dass das Ehegrundrecht der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau exklusiv vorbehalten ist, lässt sich Art. 6 Abs. 1 GG nicht entnehmen und ist mithin auch nicht Bestandteil des institutionellen Gehalts des Ehegrundrechts.

Systematischer Zusammenhang zwischen Ehe und Familie?

Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ehe für alle spricht auch nicht, dass Art. 6 Grundgesetz Ehe und Familie „in einem Atemzug“ nennt. Die Ehe ist keine Vorstufe der Familie. „Wesensmerkmal“ der Ehe ist nicht die tatsächliche oder potenzielle Fortpflanzungsfähigkeit des Ehepaars. Andernfalls dürften – um nur ein (Gegen-)Beispiel zu nennen – hochbetagte Paare nicht heiraten. Vielmehr handelt es sich bei der Ehe „und“ der Familie in Art. 6 Grundgesetz um zwei verschiedene, voneinander entkoppelte Institute, denen jeweils unterschiedliche Funktionen zu eigen sind. Dementsprechend ist auch anerkannt, dass eine Familie keine Ehe voraussetzt. So bilden nicht verheiratete Paare mit Kind, Alleinerziehende mit Kind und gleichgeschlechtliche Paare mit (Adoptiv- oder Stief-)Kind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Familie. Ebenso wenig wie die Familie eine Ehe voraussetzt, ist die Ehe eine Vorstufe zur Familie.

Sinn und Zweck: Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft

Nach Art. 6 Abs. 1 GG steht die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser besondere Schutzauftrag hat seinen spezifischen Grund darin, dass die Ehe eine Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft ist. Eheleute geben wechselseitig das – recht­lich bindende – Versprechen, „in guten wie in schlechten Zeiten“ für den anderen da und verantwortlich zu sein. Dieses Versprechen ist nicht an die Verschiedengeschlechtlichkeit der Eheleute gebunden: Auch gleichgeschlechtliche Paare können sich zu einer Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft zusammenfinden.

Und ein letztes:

Soweit das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen die Ehe als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau bezeichnet hat, hat es dies nicht im Kontext einer Ausgrenzung gleichgeschlechtlicher Paare getan. Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsbegriff der Ehe bislang nicht exklusiv als Verbindung von Mann und Frau gedeutet.

Fazit:

Die Ehe für alle wird einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch den Gesetzgeber nimmt einen gesellschaftlichen Wertewandel auf. Hierzu war der Gesetzgeber berechtigt, weil das Ehegrundrecht ein normgeprägtes Grundrecht ist, bei dessen Ausgestaltung der Gesetzgeber einen weiten Spielraum hat.

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219 Kommentare

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Dem Kollegen Jestaedt stimme ich insoweit zu, als Art. 6 Abs. 1 GG in jedem Fall kein "Gleichbezeichnungsverbot" begründet und deshalb die Einbeziehung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft in den Ehebegriff des BGB verfassungsrechtlich zulässig ist. Kollegen Jestaedt ist aber insoweit zu widersprechen, als er die Verbindung von Mann und Frau zum überkommenen und konstituierenden Merkmal des Art. 6 Abs. 1 GG erklärt. Er beruft sich hierbei - wie auch andere - allein auf die Entstehungsgeschichte und den subjektiven Willen des Verfassungsgebers, der sich indes im Wortlaut, in Systematik und im Telos des Art. 6 Abs. 1 GG nicht niedergeschlagen hat und deshalb nicht maßgeblich ist. Er übersieht, dass Art. 6 Abs. 1 GG ein normgeprägtes Grundrecht ist, dessen Inhalt der Gesetzgeber in den Grenzen der Institutsgarantie konkretisiert. Der Gesetzgeber ist hierbei nicht an die Moral- und Wertvorstellungen und an den subjektiven Willen des Verfassungsgebers  gebunden. Auch gleichgeschlechtlichen Paaren kann - wie vom Bundestag beschlossen - die Ehe i.S.d. Art. 6 Abs. 1 GG eröffnet werden. Entgegen der Auffassung des Kollegen Jestaedt unterfallen sie - nach der Verfassungskonkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber - dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG.

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"Der Ehebegriff des (künftigen) BGB und jener des GG gehen, soweit es Zweierverbindungen gleichgeschlechtlicher Personen betrifft, auseinander, decken sich also nicht."

Das ist die Meinung des Autors, die ihm natürlich zusteht. Zwingend ist sie nicht. Sollte (was zu begrüßen wäre) das BVerfG nach der BGB-Änderung die Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr als einen eine Differenzierung rechtfertigenden wichtigen Punkt ansehen, würde der Ehebegriff des GG durchaus identisch mit dem des BGB sein.

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Schulze schrieb:

"Der Ehebegriff des (künftigen) BGB und jener des GG gehen, soweit es Zweierverbindungen gleichgeschlechtlicher Personen betrifft, auseinander, decken sich also nicht."

Das ist die Meinung des Autors, die ihm natürlich zusteht. Zwingend ist sie nicht. Sollte (was zu begrüßen wäre) das BVerfG nach der BGB-Änderung die Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr als einen eine Differenzierung rechtfertigenden wichtigen Punkt ansehen, würde der Ehebegriff des GG durchaus identisch mit dem des BGB sein.

Eine Anrufung des BVerfG in dieser Frage würde ich ebenfalls sehr begrüßen und halte sie auch für notwendig zur Klärung.

Allerdings ist diese Verfassungs-Frage nun auch politischer Natur geworden und unterliegt den parteipolitischen taktischen Erwägungen vor der Wahl zum Bundestag im September, um den politischen Gegnern auch keine Munition mehr unfreiwillig zu liefern. Denn es geht ja auch um sehr viele Folgefragen danach, die mit dem Status der Ehe und dem Status von Ehegatten verbunden sind.

Hoffentlich aber kommt es noch zu einer Anrufung des BverfG zur Klärung einer Verfassungsfrage (in absehbarer Zeit) zu erst einmal.

Wie könnte es zu einer solchen verfassungsrechtlichen Klärung kommen? Mir fällt da auf Anhieb nur der Fall ein, dass der Gesetzgeber gleichgeschlechtliche Ehepaare in Normen benachteiligt und diese das BVerfG anrufen. Dass der Gesetzgeber solche benachteiligenden Normen zu schaffen beabsichtigt, sehe ich derzeit nicht. Sehen Sie noch eine Konstellation, in der das BVerfG sich mit der Frage zu befassen hätte?

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Ein Viertel der Abgeordneten des Deutschen Bundestags reicht für eine Anrufung gemäß Art. 76 GG Absatz 1 und Ziffer 1 aus. Nach dem Abstimmungsergebnis:

623 Stimmen wurden abgegeben, das Ergebnis:

 
  • Ja-Stimmen: 393
  • Nein-Stimmen: 226
  • Enthaltungen: 4

(Quelle: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestag-abstimmungserg...)

wäre das also überhaupt kein Problem noch innerhalb der Legislatur. 

Wie nach der Wahl aber der BT sich zusammensetzt und dann über die Sache befindet, wäre abzuwarten, auch nach einer neuen Koalition, bei der dann das auch ein Thema bei den Koalitionsverhandlungen noch werden könnte.

Aus meiner Sicht aber wäre mehr Rechtssicherheit immer ein Plus, aber Partei-Politiker sehen das auch immer rein taktisch.

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623 Stimmen wurden abgegeben, das Ergebnis:...

Das Abstimmungsergebnis im Bundestag hat mit dem Quorum des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG überhaupt nichts zu tun. Sogar die Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt haben, können auch für die abstrakte Normenkontrolle stimmen.

wäre das also überhaupt kein Problem noch innerhalb der Legislatur.

Das ginge auch noch in der nächsten Legislaturperiode und in allen weiteren Legislaturperioden, die da noch folgen sollten, so Gott will, da der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle nicht fristgebunden ist.

Aus meiner Sicht aber wäre mehr Rechtssicherheit immer ein Plus, aber Partei-Politiker sehen das auch immer rein taktisch.

Unwahrscheinlich, da die Abgeordneten nach Gewissen und ohne Fraktionszwang etc. abstimmen durften. Das schließt künftiges Taktieren mit diesem Thema mit einiger Sicherheit aus.

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Leser schrieb:

Das Abstimmungsergebnis im Bundestag hat mit dem Quorum des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG überhaupt nichts zu tun. Sogar die Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt haben, können auch für die abstrakte Normenkontrolle stimmen.

Das ist zwar theoretisch richtig, aber doch nicht sehr wahrscheinlich, denn das würde doch evtl. dann als Umfallen nach der namentlichen Abstimmung gedeutet werden können, oder als Rebellion gegen die Linie der Parteien, deren Abgeordnete  sonst (nahezu?) geschlossen dafür gestimmt hatten und die das auch so programmatisch vertreten.

Das ginge auch noch in der nächsten Legislaturperiode und in allen weiteren Legislaturperioden, die da noch folgen sollten, so Gott will, da der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle nicht fristgebunden ist.

Das wäre dann eine Hängepartie bei dieser Thematik, und daher auch eine taktische Überlegung für eine Art weiter schwebendes Damokles-Schwert über der Sache, und ein Gott hat damit sicher nichts zu tun.

Unwahrscheinlich, da die Abgeordneten nach Gewissen und ohne Fraktionszwang etc. abstimmen durften. Das schließt künftiges Taktieren mit diesem Thema mit einiger Sicherheit aus.

Das ist aber doch irrelevant, wenn es später zu keiner Abstimmung mehr zu dieser Thematik kommt. Und ob es zu einer Abstimmung noch kommt darüber im BT, das ist für taktische Überlegungen offen, siehe oben.

Verehrter Leser, in punkto Taktik waren Ihre Einwände also alles andere als überzeugend oder logisch. Darauf trinke ich nun einen Abberativ auf Ihr Wohl.

GR

 

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Verehrter Leser, in punkto Taktik waren Ihre Einwände also alles andere als überzeugend oder logisch.

Was interessiert uns "Taktik"? Dazu habe ich nichts gesagt. Hier geht es um Verfassungsrecht, also um Rechtswissenschaft. Ob die Ehe für alle "taktisch" und "logisch" richtig war, bezweifle ich, wage ich aber mangels näherer Kenntnis der Motive des Brigitte-Interviews der Kanzlerin gar nicht zu beurteilen. Solche Spekulationen überlasse ich gerne den ubiquitären Spekulierern.

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Leser schrieb:

Was interessiert uns "Taktik"? Dazu habe ich nichts gesagt.

Mit "uns" meinen Sie sich, alle Juristen, oder wen? Und was war denn das anderes als eine Äußerung zur Taktik:

"Unwahrscheinlich, da die Abgeordneten nach Gewissen und ohne Fraktionszwang etc. abstimmen durften. Das schließt künftiges Taktieren mit diesem Thema mit einiger Sicherheit aus."

Sie widersprechen sich soeben.

Hier geht es um Verfassungsrecht, also um Rechtswissenschaft. Ob die Ehe für alle "taktisch" und "logisch" richtig war, bezweifle ich, wage ich aber mangels näherer Kenntnis der Motive des Brigitte-Interviews der Kanzlerin gar nicht zu beurteilen.

Auch ich bezweifle das und im Bezweifeln sind wir uns also doch einig. Wer Zweifel hat, der fällt auch kein Urteil in der Rechtswissenschaft nach deren Regeln, auch da sind wir uns also einig.

Solche Spekulationen überlasse ich gerne den ubiquitären Spekulierern.

Auch der bereits oben zitierte Satz von Ihnen mit "Unwahrscheinlich ......" enthält doch eine Spekulation.

Das heißt, auch damit widersprechen Sie sich erneut selber.

 

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Bei der abstrakten Normenkontrolle hinsichtlich der Änderung des BGB bestünde allerdings kein zwingender Anlass, sich mit der Frage zu befassen. Insoweit würde es genügen, darauf hinzuweisen. dass der einfache Gesetzgeber die Freiheit hat, die bürgerlich-rechtliche Ehe für den Kreis gleichgeschlechtlicher Partner zu erweitern. Gegen das GG verstößt das -m.E. offensichtlich- nicht.

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In der Bundestagsdebatte wurde immer wieder behauptet, die Homo-Ehe ändere rein gar nichts an der Hetero-Ehe. Diese Behauptung wurde auch hier im Blog so oder ähnlich schon aufgestellt.

Dem kann ich nicht zustimmen. Während den bisherigen Angaben zum Familienstand - verheiratet, geschieden oder verwitwet - das Geschlecht des Partners immanent und eindeutig war, wird das nach Einführung der Homo-Ehe nicht mehr der Fall. Entweder muss die Frage nach dem Geschlecht des Ehepartners jetzt nachgeschoben werden oder das bleibt offen. In jedem Fall werden jetzt Hetero-Eheleute mit der Möglichkeit konfrontiert Homo-Eheleute zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass Vielen dieser Umstand sehr unangenehm sein dürfte oder gar kränkend oder ehrverletzend.

Ich denke, dass man ein "Gleichbezeichnungsverbot" daher nicht so ohne Weiteres verneinen kann.

("Verheiratet? Ja. Mit Mann oder Frau? Willst du vielleicht eine aufs Maul?" So in etwa kann man sich einige der künftigen Befragungen vorstellen.)

 

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Das Sie so argumentieren könnten, überrascht mich doch. Hängen Sie gerade in der falschen Bar ab? Ich schließe zwar auch nicht aus, dass es ganz praktische Probleme mit der Neuregelung geben kann, aber eine Ehrverletzung für Heteros?
Vorstellbar ist es schon, dass es auch Ärger und Rechtsstreit zwischen Anhängern der BGB-Ehe und Verteidigern der GG-Ehe geben wird. Z.B. Ist es für Gleichgeschlechtliche diskriminierend, wenn verinnerlichte Vorstellungen von Ehe und Heirat beizbehalten und offen kommuniziert werden? Wird die Bekämpfung der traditionellen Begriffsdeutung irgendwann als Eingriff in die Glaubens- und Meinungsfreiheit festgestellt? Das könnte eine Folge der Mogelpackung durch die einfachgesetzliche Regelung sein. Ich hätte eine Grundgesetzänderung mit dem Austausch des Begriffs Ehe durch einen Oberbegriff (feste Lebenspartnerschaft o.ä.) für ehrlicher und engagierter gehalten. Ganz offiziell wäre dann die Ehe nur die heterosexuelle Variante der geschützten Lebenspartnerschaft und hätte damit auch keine andere rechtliche Relevanz. Im Umgangssprachlichen könnten sich die Menschen frei aussuchen, ob sie als Braut und Bräutigam nun verheiratet oder verpartnert werden und sich dann als Ehegatten, Lebenspartner, Schmusibären oder Kuschelkatzen bezeichnen.

 

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Ich denke, dass gerade der tradierte Begriff der Ehe eben auch für gleichgeschlechtliche Paare gewünscht wurde. Ich finde das gut, denn es stärkt die Ehe als Institut. Der Begriff der Ehe ist eben kein Wischi-Waschi-Begriff bzw. sehr Variables wie der Begriff der Familie. Die Ehe ist einer der wenigen festen Anker im heutigen menschlichen Dasein. Das BVerfG hat die Ehe als rechtlich verbindliche dauerhaft angelegte Paarbeziehung mit besonderen, auch gesamtgesellschaftlich dienlichen Lasten bestens beschrieben. Dabei spielt das Geschlecht der Partner keine Rolle.

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Schulze schrieb:

Der Begriff der Ehe ist eben kein Wischi-Waschi-Begriff bzw. sehr Variables wie der Begriff der Familie. Die Ehe ist einer der wenigen festen Anker im heutigen menschlichen Dasein.

Nach meinem Eindruck sehen das viele Menschen heute wieder so, die früher teilweise vielleicht noch darüber gespottet hatten und die "Ehe mit Trauschein" als Relikt der Spießigkeit bezeichnet hatten, und auch diverse Lebensabschnittspartnerschaften lebten als "Herren der Ringe".

Der Herr Kolos zum Beispiel scheint einen anderen Begriff von der Ehe zu haben als Sie, Herr Schulz. Vom Gesetzgeber wünsche ich mir aber Klarheit, und die sollte sich m.E. auch im Grundgesetz so niederschlagen als die Grundlage für alle und alles und auch als Werteordnung.

"Die Ehe ist das, was der Zeitgeist unter ihr versteht." kann es doch m.E. nicht sein als Definition im GG Art. 6, auch wenn ich im Ansatz die Anpassung an einen "gesellschaftlichen Wertewandel" so verstehen muß.

Nur wie verträgt sich eine eigentlich doch prägende Werteordnung reibungslos mit einer Anpassung?

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Wäre die Einstandsgemeinschaft für die Definition der Ehe das (allein) entscheidende Kriterium und Sexualität, sowie potentielle Fortpflanzungsfähigkeit spielte keine Rolle, dann wäre in der Nachschau der Aufschrei zu Äußerungen der saarländischen MPin Karrenbauer vollkommen unverständlich. Warum eine Einstandsgemeinschaft auf nur 2 Personen beschränkt wird und nahe Verwandtschaft ausgeschlossen ist, versteht sich ohne Sexualität und potentielle Fortpflanzungsabsichten nicht von selbst. Frau Karrenbauer wurde für eine sinngemäße Äußerung von Juristen und Medien sogar der Volksverhetzung bezichtigt und mit der NS-Zeit in Verbindung gebracht. "Inzucht" und "Vielehe" gehörten zum Jargon der Kämpfer für die Homo-Ehe und gegen die Bedenken von Frau Karrenbauer. Diese Argumente zählen heute angeblich nicht mehr. Die Begriffe Vielehe und Inzucht sind der BGB-Ehe fremd, denn es geht ja schlicht um Regelungen für auf Dauer angelegte Einstandsgemeinschaften. Wer sich mehrere Einstandsgemeinschaften leisten kann oder sich mit Bruder/Schwester das Steuersplitting abholen will, sollte eigentlich von der BGB-Ehe nicht ausgeschlossen sein.

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Die Ehe ist eine rechtlich verbindliche dauerhaft angelegte Paarbeziehung mit besonderen, auch gesamtgesellschaftlich dienlichen Lasten. Wie bei einer Vielehe die Paarbeziehung funktionieren soll - da geht es ja gerade nicht um ein Paar -, sehe ich nicht; die Vielehe ist m.E. von vornherein mit dem Ehebegriff unvereinbar. Der Geschwisterehe steht eigentlich nur entgegen, dass in dieser Konstellation Fortpflanzung (m.W.aus genetischen Gründen) verboten ist; wenn dieses Risiko ausgeschlossen wäre, hielte ich sie für diskutabel.

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Der Geschwisterehe steht eigentlich nur entgegen, dass in dieser Konstellation Fortpflanzung (m.W.aus genetischen Gründen) verboten ist; wenn dieses Risiko ausgeschlossen wäre, hielte ich sie für diskutabel.

Diesen Gedanken fortgesetzt, Herr Schulze, würde eine Sterilisation oder gar Kastration eine Zeugung von genetisch belasteten gemeinsamen Kindern ausschließen bei verschiedenen Geschlechtern, eine "Ehe" zwischen zwei Brüdern - oder zwei Schwestern - hätte das Problem einer möglichen Zeugung nicht, ebenso eine "Ehe" zwischen Vater und Sohn - oder Mutter und Tochter - bei  einem ledigen oder verwitweten Elternteil.

Erbrechtlich böte das auch sehr interessante Möglichkeiten bei noch vorhandenen anderen Erben, und auch einige neue Felder für findige und ubiquitäre Juristen.

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Die folgenden Gesetze gelten wohl auch für homosexuelle Verwandte, obwohl eine Fortpflanzung durch Ehe und Sex nach h.M. zumindest in den Naturwissenschaften ausgeschlossen wird.

§ 1307 BGB

Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern. 2Dies gilt auch, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist.

§ 173 StGB 

 
(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.  

 

Das BVerfG hat zum § 173 StGB im Februar 2008 - 2 BvR 392/07 - als Leitsatz festgestellt:

6. Das Verbot des Beischlafs zwischen Geschwistern rechtfertigt sich in der Zusammenfassung nachvollziehbarer Strafzwecke vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzestes. Als Instrument zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere der Familie erfüllt die Strafnorm - auch durch ihre Ausstrahlungswirkungen über den tatbestandlich eng umgrenzten strafbewehrten Bereich hinaus - eine appellative, normstabilisierende und damit generalpräventive Funktion, die die Wertsetzungen des Gesetzgebers verdeutlicht und damit zu ihrem Erhalt beiträgt.

zu Mehrfachehen

Warum nun eine Frau aus der gehobenen Chefetage nicht mit ihrem meisterhaften Landschaftsgärtner eine GG-Ehe eingehen kann und zusätzlich mit ihrer Unternehmensberaterin eine BGB-Ehe, erklärt sich nach dem modernen Verständnis der Ehe für Alle - Verfechter auch nicht von selbst. An der Unfähigkeit oder dem Unwillen zum Einstehen füreinander kann es ja nicht grundsätzlich scheitern. Bei Hartz IV-Empfängern sieht das natürlich anders aus. Aber soziale Diskriminierung wird ja vom GG nicht direkt ausgeschlossen, solange die einfachrechtlich Hartz IV-sanktionsgeprägte "Menschenwürde" dadurch nicht verletzt wird.     

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a) Ich bin kein Befürworter von Verwandtenehen, halte es aber für möglich, das Recht diesbezüglich zu ändern. Dann könnte auch der Schutzbereich des GG diese erfassen.

b) Bei der Vielehe sehe ich das nicht. Es fehlt an der (exklusiven) Paarbeziehung. Wenn mehr als 2 Personen erfasst sind, ist das keine Ehe im Sinne des Grundgesetzes. Das mag dann in der einen oder anderen Weise -wie Patchwork-Familien- dem Familienbegriff unterfallen. Dass man bei entsprechenden Vorteilen für den Staat (etwa durch Übernahme von Unterhaltspflichten durch leistungsfähige Personen) auch bei solchen Beziehungen Vorteile (z.B. Einkommensteuerfreibeträge) gewährt, halte ich aber für denkbar.

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Der Inzest bzw. das Inzestverbot hat viele Facetten in der Geschichte der Menschheit, und die Strafgesetze und Eheverbote heute sind ein Niederschlag noch davon.

Den altägyptischen Gott-Königen war der Inzest erlaubt, historisch auch  noch sonst ja weit verbreitet gewesen.

Die genetische Komponente ist die auftretende Degeneration dabei, in der Tiier- und Pflanzenzucht wird dann streng selektiert bei auftretenden Degenerationen bei der geschlechtlichen Vermehrung. Tierzüchter wenden die sog. "Linienzucht" auch an.

Aber ohne eine geschlechtliche Vermehrung gibt es diese genetische Komponente der Degenerationen ja nicht.

Mehr aber will ich nicht dazu noch anmerken.

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Herr Lippke,

natürlich kann man das Ehrgefühl eines Heteros verletzen, wenn man ihn für einen Homo hält oder ihn als solchen bezeichnet. Das kann umgekehrt genauso sein und ist nicht despektierlich für die eine oder andere sexuelle Ausrichtung gemeint. Das hat vielmehr etwas mit der besonderen Bedeutung der Geschlechtsidentität für die persönliche Identität des Einzelnen zu tun. So kann z.B. auch die Schmähung als "Jude" ehrverletzend sein, nicht weil Jude sein etwas Schlimmes wäre, sondern weil darin die Zuweisung einer Zwangsidentität steckt.

Im Institut der Ehe spielen Geschlecht und Geschlechtsidentität eine eminent wichtige Rolle. Daran ändert sich für Heteros natürlich nichts, wenn sie sich das Institut nunmehr mit Homos teilen. Aber sie werden durch die Ehe nicht mehr ohne Weiteres von außen als Heteros identifiziert werden können. Das in der Ehe bisher steckende und nach außen offen verkündete Bekenntnis zur Heterosexualität fällt damit weg.

 

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Sie haben so gesehen natürlich vollkommen recht. Die sexuelle Identität ist ein Wesensmerkmal des selbstbestimmten Bürgers und unterliegt gerade deswegen dem Diskriminierungsverbot. Dazu gehört das Recht auf offene Bekenntnis zur Sexualität, wie auch der berechtigte Anspruch auf Diskretion. Vermutlich sind wir uns einig, dass nur der Weg über eine Verfassungsänderung mit 2/3 Mehrheit den Ausgleich des traditionellen und gewohnten Grundrechts mit den Forderungen nach vollständiger Gleichstellung von homosexuellen Paaren genügen könnte. Zuvor hätte es eine öffentliche Diskussion über den gesellschaftlichen Sinn von Ehe, Partnerschaft und die selektiven grundrechtlichen Schutzzwecke geben sollen. Stattdessen wurde von den Befürwortern erst affektiv jedes Bedenken skandalisiert und ausgegrenzt, um dann durch die Hintertür in das Grundgesetz einzugreifen. Wobei das ja noch strittig ist. Das könnte nun aber auch zu anderen Grundrechten mit deutlich unangenehmeren Folgen weitergeführt werden und das Grundgesetz weiter aushöhlen. Das mag nicht der erste Kniff zur Umgehung einer Verfassungsänderung gewesen sein, aber die Begriffsumwandlung zeigt sehr deutlich, wie einfach das scheinbar geht.  Dieser grundsätzliche Teil zum verfahrenstechnischen Umgang mit den Grundrechten wird gern unterschlagen und stattdessen allein einem gefühlten momentanen Zeitgeist gehuldigt. Dazu gehört offensichtlich unbedingt das auf wenige Wochen beschränkte Taktieren vor der kommenden Bundestagswahl. Diese Tatsache ist doch wohl eine ganz besondere Verletzung der Ehre des Grundgesetzes mit seinen jahrhundertealten Wurzeln.            

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Zuvor hätte es eine öffentliche Diskussion über den gesellschaftlichen Sinn von Ehe, Partnerschaft und die selektiven grundrechtlichen Schutzzwecke geben sollen

Darüber wurde seit vielen Jahren diskutiert. Dass Sie diese Diskussion verschlafen haben, geht mit Ihnen heim. Sie schlafen seit Oktober 2013 und jetzt beklagen Sie sich, warum man Sie nicht geweckt hat.

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In Ihren Belegen für die Diskussion seit vielen Jahren dokumentiert sich Ausgrenzung von Bedenken und innere Widersprüche. Einerseits wird behauptet, dass die Ehe im GG vollkommen losgelöst von Familie und Nachwuchs normiert wäre und andererseits wird gerade der Bezug zur Familienbildung (Adoption etc.) als wesentlicher Grund für eine Notwendigkeit der Ehe für Honosexuelle herausgetellt. Zu Ehe für Alle (siehe Karrenbauer) findet sich nichts Aussagekräftiges. Die Skandalisierung vorsichtiger Diskussionsversuche mit massiven persönlichen Angriffen haben Sie wohl verschlafen.  Eigenwillig für Linke und Grüne ist auch das Einfordern des Steuervorteils der Ehe, obwohl die Abschaffung bzw. Ersetzung durch eine Entlastung für Famiien seit Jahren auf deren Agenda steht. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den Folgen von einfachgesetzlichen Änderungen der Bedeutung von Grundrechten fand offensichtlich auch nicht statt. Alles ist nur darauf ausgerichtet, dass es praktisch durchführbar ist, so wie auch die Verteidigung am Hindukusch einfachst für verfassungsgemäß erklärt wurde. Gratulation an den links-grünen Pragmatismus beim Mitwirken beim Aushöhlen des Grundgesetzes. Davon abgesehen, mir ist es in der Sache egal, ob die bürgerliche Ehe für Homosexuelle geöffnet wird bzw. wurde, ob nun bald auch Geschwister heiraten können oder nur gleichgeschlechtliche Geschwister und Mehrfach-Ehen möglich sind. Was mir nicht egal ist, dass unausgegorene, affektive Politik mit mangelnder Achtung vor rechtsstaatlichen Prinzipien betrieben wird und der geistige Horizont von "jahrelangen Diskussionen" gerade mal von früh bis mittag und die Gedanken ans nächste Fressen reicht. Da kann auch jeder Affenzirkus mithalten.

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Genau all das haben Sie verpennt. Sie sollten eine Tageszeitung abonnieren. Ihr postfaktisches Gemäkel geht, wie immer, am hiesigen Thema völlig vorbei.

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Mich hätte zuvorderst mal interessiert, was die sexuellen Vorlieben überhaupt in der Politik zu suchen haben und warum die nicht einfach im Schlafzimmer verbleiben.

 

Lutz Lippke schrieb:

Vermutlich sind wir uns einig, dass nur der Weg über eine Verfassungsänderung mit 2/3 Mehrheit [...] genügen könnte.           

Ich bin mir inzwischen nicht sehr sicher, ob eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 ausreichen würde. Jedenfalls reicht die einfache Mehrheit nicht zur Einführung der "Ehe" für alle.

Wenn man mit dem BVerfG die Verschiedengeschlechtlichkeit für ein Wesensmerkmal der Ehe hält und diesem Wesensmerkmal die Bedeutung des Wesensgehalts zuweist, dann wäre die Verschiedengeschlechtlichkeit unantastbar. Auf den ersten Blick erschließt sich einem nicht die hohe Bedeutung dieses Merkmals, dass man es mit der Ewigkeitsgarantie versehen dürfte. Aber wenn man erkennt, dass der Ehe das Bekenntnis zur Heterosexualität innewohnt, dieses Bekenntnis ein Teil der Geschlechtsidentität ist, wozu auch die sexuelle Orientierung gehört, die Geschlechtsidentität ein Teil der personalen Identität ist und diese wiederum ein Teil der Menschenwürde ist, dann kommt man dem Bereich schon sehr nah, der unantastbar ist.

Man könnte mit Matthias Jestaedt einwenden, dass die Sprache des neuen Gesetzes eine andere sei als die der Verfassung. Denn jedenfalls die Homo-Ehe des BGB sei quasi ein aliud zur Ehe des Grundgesetzes. Ich halte diesen Einwand für ganz schön pfiffig. Damit geht man der Mehrheitsfrage scheinbar aus dem Weg.

Versucht man die "andere Sprache" des Gesetzgebers nicht nur ihrem Gewand nach, sondern auch ihrem Inhalt nach zu verstehen, dann stößt man auf Schwierigkeiten. Ich persönlich werde dabei sofort an Orwells Neusprech erinnert. Heteros und Homos sollen danach durch dieselbe Tür des BGB gehen können und dabei einen völlig anderen Raum betreten, die einen nur den BGB-Raum und die anderen auch noch den GG-Raum? Wie soll man sich das vorstellen? Das erscheint mir noch schwieriger als die Würfelverdopplung. Vielleicht muss man sich diesen Rechtsraum analog zu dem Paradoxon von Banach und Tarski als Punktmenge denken. Jedenfalls gestaltet sich der Zugang zu dem Inhalt dieser "anderen Sprache" als sehr schwierig.

Vielleicht muss man sich das so vorstellen, dass Heteros wie Homos zwar durch dieselbe Tür denselben BGB-Rechtsraum betreten, aber nur den Heteros der Zugang zu einem weiteren Raum, dem GG-Schutzraum zustehen soll. Wenn dem auch so wäre, dann auch u.a. deswegen, weil die GG-Ehe die Geschlechtsidentität der Heteros schützen soll. Der Schutz dieser Geschlechtsidentität ist aber nicht gewährleistet, wenn beide Paare denselben Rechtsraum in demselben (Sprach-)Gewand betreten. Mit anderen Worten: Eine "andere Sprache" bedarf aus Gründen des Identitätsschutzes eines anderen Sprachgewands. Oder: Es gibt ein "Gleichbezeichnungsverbot". Im Grunde müsste sich das aber doch von selbst verstehen.

Im Übrigen, die gesellschaftliche Toleranz homosexueller Paare ist ja nichts Neues. Das gab es belegbar auch schon im Alten Reich der Ägypter und auch schon in der griechischen und römischen Antike. Sie ist also schon in den tiefsten Wurzeln unserer Kultur verankert. Aber noch niemals und zur keiner Zeit in diesen Kulturen hat jemand nur ansatzweise in Zweifel gezogen, dass die Ehe schon begrifflich allein die Bastion heterosexueller Paare sei. Dazu gehören auch Begriffe wie z.B. "verheiratet", "geschieden", "verwitwet".

 

 

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Dass der einfache Gesetzgeber das BGB ändern kann, dürfte nicht ernsthaft bestreitbar sein.

Ob der Ehebegriff des GG wie bisher identisch mit dem des BGB sein wird, ist eine dagegen verfassungsrechtliche Frage. Letztlich geht es darum, ob ein sachlicher Grund besteht, die Ehe Gleichgeschlechtlicher verfassungsrechtlich anders zu behandeln als die Ehe Verschiedengeschlechtlicher. Einige sehen diesen Grund und stützen sich dafür auf die ältere BVerfG-Rechtsprechung. Andere (zu denen ich mich zähle) sehen keinen sachlichen Grund, weil sie die Ehe als rechtlich verbindliche dauerhaft angelegte Paarbeziehung mit besonderen, auch gesamtgesellschaftlich dienlichen Lasten verstehen, wobei das Geschlecht keine Rolle spielt.

 

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Im Prinzip kann der einfache Gesetzgeber das BGB ändern, ja - wie jedes andere Gesetz ja auch. Aber Bestand haben kann das nur dann haben, wenn es verfassungskonform ist bzw. verfassungskonform ausgelegt werden kann.

Denken Sie z.B. an das Elternrecht (auch Art. 6 GG), das in den BGB-Regeln zum Sorgerecht ausgestaltet ist. Angenommen der Gesetzgeber würde eine Sorgerechtsregel nach dem alten "BGB-Recht" fassen, wonach die elterliche Sorge nach Trennung und Scheidung stets nur auf ein Elternteil zu übertragen sei, sodass die gemeinsame elterliche Sorge ausgeschlossen wäre. So war das früher. Ist gar nicht soooo lange her. Dass dies heute nicht mehr so ist, das ist auch nicht dem Gesetzgeber zu verdanken, sondern dem Bundesverfassungsgericht.

 

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"Dass dies heute nicht mehr so ist, das ist auch nicht dem Gesetzgeber zu verdanken, sondern dem Bundesverfassungsgericht."

Wenn ich die These von Prof. Dr. H. Gersdorf mit der Erstarkung heranziehe:

"Bei einem Entzug bereits eingeräumter Rechtspositionen bedürfte es in der Tat einer Verfassungsänderung i.S.d. Art. 79 GG."

dann hätte diese heutige Situation zwar auch enfachgesetzlich vom Gesetzgeber so beschlossen werden können, zurückgenommen aber nur mit einer 2/3 Mehrheit und auch vom BVerfG dann immer noch gekippt werden können, solange das GG nicht geändert wurde mit einer 2/3 Mehrheit.

Und diese Änderung des GG könnte auch noch überprüft werden durch das BVerfG.

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Wenn ich die These von Prof. Dr. H. Gersdorf mit der Erstarkung heranziehe

Da liegt Gersdorf wohl falsch. So einfach geht eine Verfassungsänderung nicht. Geschützt ist nur das Institut der Ehe in der grundgesetzlichen Form.

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Der "Entzug bereits eingeräumter Rechtspositionen"  unterliegt einer verfassungsrechtlichen Prüfung. Ganz allgemein dürfte man da, soweit vermögensrechtliche Positionen betroffen sind, an eine Prüfung aufgrund des Eigentumsschutzes denken. Soweit der Entzug nichtvermögensrechtliche Rechtspositionen betrifft, kommt es auf die entsprechenden Grundrechte an. Die Auslegung der Grundrechte kann sich natürlich ändern.

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Homoehe verfassungsgemäss ?
  • Ja, sagt dagegen die Bonner Familienrechtlerin Nina Dethloff. Das Grundgesetz enthalte keine Definition der Ehe: "Zu einer Zeit, in der die Homosexualität unter Strafe stand, war selbstverständlich, dass unter einer Ehe nur die Verbindung von Mann und Frau zu verstehen war." Doch die Ehe werde heute als rechtliche Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zweier Menschen geschützt, nicht mehr aufgrund tatsächlicher oder potenzieller Fortpflanzungsfähigkeit der Eheleute. Die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner sei daher "nicht mehr als unabänderliches Strukturprinzip des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs zu verstehen".

  • Quelle: Der Spiegel

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Der Autor irrt, wenn er Art. 6 GG als normgeprägtes Grundrecht bezeichnet. Anders als das Eigentum bedarf der Ehebegriff keiner normativen Konkretisierung. Alle Definitionsmerkmale sind bereits in Art. 6 GG enthalten. Jestaedt hat völlig recht, wenn er den Ehebegriff des Art. 6 GG mit Rücksicht auf den Regelungswillen des Verfassungsgesetzgebers interpretiert. Jede Änderung dieses Begriffsverständnisses ist eine Fortentwicklung der Verfassung und keine Auslegung mehr. Da das Grundgesetz selbst an Änderungen der Verfassung hohe Hürden anlegt (2/3-Mehrheit und Ewigkeitsklausel), muss der Interpret (hier der für Verfassungsänderungen unzuständige einfache Gesetzgeber, im Falle eines Verfahrens in Karlsruhe das BVerfG) dies besonders berücksichtigen. Das Ergebnis ist eindeutig: Die gleichgeschlechtliche Ehe unterfällt nicht dem Grundrechtsschutz von Art. 6 GG. Das muss nun nicht zwingend bedeuten, dass sie verfassungswidrig ist. Aber jedenfalls ist ihr Schutz nur einfachgesetzlich gewährleistet. Das hat zur Folge, dass etwa bei Abwägungskonflikten zwischen einer Hetero-Ehe und einer Homo-Ehe erstere kraft Art. 6 GG einen normativen Vorrang genießt.

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"Das muss nun nicht zwingend bedeuten, dass sie verfassungswidrig ist. Aber jedenfalls ist ihr Schutz nur einfachgesetzlich gewährleistet."

Das stimmt so nicht.

Aus der Verfassung steht nichts, rein gar nichts der Änderung des Ehebegriffs im BGB entgegen. Man kann ohne Weiteres konstatieren, dass die bürgerlich-rechtliche Ehe für Gleichgeschlechtliche offensichtlich verfassungsgemäß ist.  

Ob der Schutz der Ehe für Gleichgeschlechtliche nur durch das BGB oder auch durch das GG gesichert ist, ist gerade die Frage. Meiner ganz persönlichen Meinung nach gibt es keinen nachvollziehbaren Grund (mehr), der Ehe für Gleichgeschlechtliche den Schutz durch das GG zu versagen. Aber da kommt es nicht auf meine Meinung an, sondern auf die Mehrheitsmeinung der entscheidenden Verfassungsrichter (die in dieser Frage ganz gewiss nicht schlauer als wir anderen sind, aber die da halt das Sagen haben).

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Schulze schrieb:
Aus der Verfassung steht nichts, rein gar nichts der Änderung des Ehebegriffs im BGB entgegen. Man kann ohne Weiteres konstatieren, dass die bürgerlich-rechtliche Ehe für Gleichgeschlechtliche offensichtlich verfassungsgemäß ist.  

Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn die verfassungsrechtliche (Hetero-)Ehe unter besonderem Schutz steht, ist das m.E. ein deutliches Indiz für ein Abstandsgebot. Aber ich gebe zu, da ist die verfassungsrechtliche Ausgangssituation nicht eindeutig.

Schulze schrieb:
Meiner ganz persönlichen Meinung nach gibt es keinen nachvollziehbaren Grund (mehr), der Ehe für Gleichgeschlechtliche den Schutz durch das GG zu versagen.

Ich teile diese Meinung. Aber es kommt, wie Sie richtig schreiben, nicht auf Ihre und meine Meinung an. Aber es darf auch nicht auf die rechtspolitische Meinung der Verfassungsrichter ankommen. Diese haben schlicht die Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zu respektieren. Wenn die ganz überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, so wie wir beide, kein Problem mit der Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften hat, dann muss eben der Verfassungsgesetzgeber tätig werden. Solange er das nicht tut, bleibt es beim status quo.

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Nein, es ist eine Auslegungsfrage, was unter den Begriff der Ehe fällt. Da muss kein Verfassungsgesetzgeber tätig werden. Er müsste nur dann ändernd tätig werden, wenn das BVerfG sich der Mehrheit der Bevölkerung widersetzt.

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Das ist mal wirklich absurd. Voraussetzung einer Rechtsfortbildung (nicht Auslegung, wie Sie es nennen) ist also, dass das Gericht zunächst eine Allensbach-Umfrage in Auftrag gibt. Wenn die Mehrheit sagt, das ist okay, darf das Gericht so auslegen/fortbilden. Und wenn nicht, muss der Gesetzgeber ran. Ist das Ihr Ernst?!

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Christopher Schmidt meint heute in der NJW 2017, 2225, die "Ehe für alle" hätte durch ein "verfassungsänderndes Gesetz" beschlossen werden müssen, übersieht dabei aber offenbar völlig das u. a. von Jestaedt vorgebrachte zutreffende Argument, dass einfachgesetzlich mehr gegeben werden kann, als verfassungsrechtlich garantiert ist.

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Das ist richtig. Nur hat der Gesetzgeber hier nicht nur etwas gegeben, sondern auch etwas genommen.

Das BVerfG hielt bisher in seiner Rechtsprechung die Verschiedengeschlechtlichkeit ausdrücklich für ein Wesensmerkmal der Ehe - wohl nicht ohne Grund. Die Ehe ist wohl auch ein besonderes Institut der Geschlechtsidentität heterosexueller Paare, das eben auch "unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" steht. Durch Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare hat der Gesetzgeber in diesen Schutzbereich eingegriffen und das Institut der Geschlechtsidentität aufgehoben.

Aus welchem Grund das BVerfG nunmehr die Verschiedengeschlechtlichkeit nicht mehr für ein Wesensmerkmal der Ehe halten und seine Rechtsprechung insoweit aufgeben sollte, erschließt sich mir nicht.

 

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M.E. gehört die sexuelle Orientierung zur Geschlechtsidentität. Ich kann das aber nicht belegen. Vielleicht ist es aber sinnvoller, von sexueller Identität zu sprechen - wie auch schon einige Landesverfassungen, wenn man auch - wie ich oben - die sexuelle Orientierung meint.

 

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Der Gesetzgeber hat Ihnen nichts genommen. Insbesondere nimmt Ihnen niemand Ihnen das, was Sie Geschlechtsidentität nennen. Wenn Sie heterosexuell sind, bleiben Sie das doch auch nach der Änderung des BGB. 

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Klar, aber ich werde nicht mehr als Heterosexueller erkannt, wenn ich z.B. sage, ich sei verheiratet, geschieden oder verwitwet. Mit diesen Angaben laufe ich nunmehr Gefahr, dass man mir eine falsche Identität zuweist.

 

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Das Arguemt sticht nicht! Es gibt ein Recht auf Gleichbehandlung, aber kein Recht auf Bevorzugung. Mit dem gleichen Arguemnt hätte man sich gegen das Wahlrecht für alle wenden können, weil man damit nicht mehr sofort als Grundbesitzer erkennbar war, gegen den Fürherschein ab 18 weil man nicht mehr sofort als 21jähriger Erwachsener erkennbar war etc. pp. Keiner hält Sie für einen Asozialen weil Sie wählen dürfen und für einen milchbärtigen Jüngling weil Sie einen Führerschein haben.

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Männer liefen nach Einführung des Frauenwahlrechts auch nicht Gefahr, für Frauen gehalten zu werden. Denn sie konnten immer noch äußerlich wie namentlich als Männer identifiziert werden. Die Ehe kann gleichwohl nicht mit dem Wahlrecht verglichen werden. Sie ist ein verfassungsrechtliches Institut mit Strukturprinzipien, die in ihrer Gesamtheit exklusiv für sie reserviert sind. Dazu gehört auch der Adressatenkreis, an den sich das Institut richtet (vgl. BVerfG Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01, Rn. 103).

Während bisher mit Angaben wie verheiratet, geschieden und verwitwet dezent eine Aussage zu der sexuellen Identität gemacht wurde und sämtliche Zweifel an der sexuellen Orientierung beseitigt werden konnten, wird damit nunmehr keine Aussage darüber gemacht werden können. 95 Prozent der Bevölkerung werden jetzt zusätzliche Angaben machen müssen, um nicht fälschlicherweise für homosexuell gehalten zu werden.

Im Übrigen noch zum Recht auf Gleichbehandlung: Niemand hält dieses Recht für verletzt, wenn eine Behörde z.B. Frauen- und Männertoiletten getrennt hält.

Gleichstellung - ja. Ohne Bedenken. Aber doch bitte unter einem anderen Namen. Das ist nicht nur ein Wunsch.

 

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W.R.K schrieb:

Im Übrigen noch zum Recht auf Gleichbehandlung: Niemand hält dieses Recht für verletzt, wenn eine Behörde z.B. Frauen- und Männertoiletten getrennt hält.

Wobei Sie aber schon wissen, daß es dabei ja nicht stehen geblieben ist.

Zitat:

Gender-Debatte Berlin Grüne planen Unisex-WCs in Berliner Behörden

Die erste Vorlage, das erste Thema: Berlins neuer Justizsenator Dirk Behrendt lässt die Einrichtung von "Toiletten aller Geschlechter" für öffentliche Gebäude prüfen.

http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/gender-debatte-berlin-gru...

Dazu enthalte ich mich aber weiterer Kommentare, wg. offenbar auch hier möglicher "shitstorms".

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