Lesetipp: Aufsatz zum Klageerzwingungsverfahren

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.12.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht218|27877 Aufrufe

Gerade habe ich entdeckt, dass Nomos einen schon etwas zurückliegenden Beitrag von mir frei zugänglich online gestellt hat. Es handelt sich um einen Beitrag zum Klageerzwingungsverfahren in der NJ aus 2016. Den Beitrag finden Sie H I E R.

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Das Ermittlungserzwingungsverfahren bzw. das Klageerzwingungsverfahren kommen ja erst dann zum Zug, wenn sich die Staatsanwaltschaft schon einmal - mehr oder minder eingehend - mit dem Fall befasst hat: Im Falle des Ermittlungserzwingungsverfahrens hat die StA gar nicht oder unzureichend ermittelt, im Falle des Klageerzwingungsverfahrens hat die StA keine Anklage erhoben. In beiden Fallvarianten hat sich die StA aber schon einmal mit dem Fall befasst, so dass kein Schaden dadurch entsteht, dass dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt wird, so wie es sich für einen Rechtsstaat gehört.   

Dirk Diehm behandelt mit seinem Aufsatz ''Der subjektive Anspruch auf effektive Strafverfolgung'' in: Fabian Scheffczyk und Kathleen Wolter: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 4, ISBN 978-3-11-042644-1, S. 223–246

https://books.google.de/books?id=GD57DQAAQBAJ&pg=PA235&lpg=PA235&dq=ansp...

die verfassungsrechtlichen Grundlagen des subjektiven Anspruchs des Verletzten auf effektive Strafverfolgung in Folge der Tennessee Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26. Juni 2014. Da dieser lesenswerte Aufsatz erst einige Zeit nach meinem Aufsatz erschienen ist, konnte ich ihn damals noch nicht als weiteren Beleg anführen. 

''Der subjektive Anspruch auf effektive Strafverfolgung'' heißt bei Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 60. Auflage 2017, Rn. 1a zu 172 StPO übrigens fettgedruckt "Verfassungsrechtlicher Rechtsanspruch des Verletzten auf wirksame Strafverfolgung gegen Dritte."

Diese Kommentarstelle lautet nämlich (ohne Fundstellen) vollständig:

"Über § 172 hinaus gibt es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Strafverfolgung eines anderen. Nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG besteht allerdings ein  verfassungsrechtlicher Rechtsanspruch des Verletzten auf wirksame Strafverfolgung gegen Dritte in bestimmten Fallkonstellationen.  Dies wurde angenommen bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit der Person, bei spezifischen Fürsorge- und Obhutspflichten des Staates ggü Personen, die ihm anvertraut sind sowie bei Vorwürfen, ein Amtsträger habe bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben Straftaten begangen."

Dort wird vor allem auf die Pressemitteilung des BVerfG zur Gorch Fock-Entscheidung vom 13. November 2014 Bezug genommen anstatt auf die (ältere) Tennessee Eisenberg-Entscheidung vom 26. Juni 2014. 

Das Wedeln mit dem BVerfG sollte auch bedenken, dass es gerade am 26.6.2014 diverse Verfasssungsbeschwerden als unbegründet verworfen hat. Von einer analogen Anwedung der VwGO ist schon gar nicht die Rede. Von Notwendigkeit einer mündlichen Vehandlung dazu erst recht nicht. In der EMRK ist davon auch nur de Rede bei a) zivilrechtlichen Streitigkeiten  b) bei Verfahren GEGEN den Betroffenen. DIESER hat ein Recht auf mündliche Verhandlung. Es ist Lebenserfahrung, dass Unterlegene stets auch noch eine 137. Instanz begehren.

Sie sprechen verschiedene Fragen an, die ich alle bereits beantwortet habe, aber - nur für Sie - das Ganze gern noch einmal von vorne:

1) Bei der Entscheidung des BVerfG vom 26.6.2014 ging es nicht um prozessuale Fragen, sondern um die Begründung des Anspruchs auf Strafverfolgung Dritter.

​2) Die analoge Anwendung der VwGO auf die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO hängt nicht davon ab, ob ein Gericht vorher schon einmal so entschieden hat, sondern hängt von der objektiven Rechtslage ab.

​3) Die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung in den Verfahren nach den §§ 172 ff StPO habe ich bereits ausführlich begründet.

 

Nicht ganz uninteressant für unsere Diskussion ist die ständige Praxis des Klageerzwingungsverfahrens: Am einfachsten und deswegen am beliebtesten ist der pauschale Vorwurf, die Antragsschrift sei nicht hinreichend substantiiert. Das führt - nach der ständigen Praxis - zur Unzulässigkeit des Antrags im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO. Es sind aber auch im übrigen - nach der ständigen Praxis - der Phantasie keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, einen Vorwand für die Unzulässigkeit der Antragsschrift zu suchen und zu finden: Sämtliche Vornamen des Beschuldigten sowie sein Geburtstag und sein Geburtsort seien nicht angegeben, deswegen sei es nicht möglich, den Beschuldigten zweifelsfrei zu identifizieren. Oder: In dem sich seit Jahren hinziehenden Verfahren seien nicht sämtliche Schriftsätze mit sämtlichen Daten sowie sämtlichen Fristläufen unter Darlegung der jeweiligen Fristeinhaltung im Antragsschriftsatz in einzelnen aufgelistet.

Nach der ständigen Praxis spielt man als Anwalt in den Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ein Spiel, das man schlechterdings nicht gewinnen kann: Hat man zwanzig mehr oder weniger sinnentleerte Formalismen erfüllt, scheitert man eben an dem einundzwanzigsten, frisch gekürten, Formalismus. Das ist die ständige Praxis des Klageerzwingungsverfahrens. 

Das ist in der Tat der ursprüngliche "Lesetipp". Inzwischen ist die Diskussion allerdings ein ganzes Stück weiter fortgeschritten.  

Der Service für die eiligen Leser meines Aufsatzes:

 

"XXII. Zusammenfassung

 

1. Durch die Tennessee-Eisenberg-Entscheidung (und die nachfolgende bestätigende Rechtsprechung) haben sich die Dinge gewaltig geändert: Der Verletzte hat jetzt einen echten, vollwertigen Rechtsanspruch auf effektive Strafverfolgung des Amtsträgers, den er vorher („seit Menschengedenken“) nicht hatte.

 

2. Beschränkt sich der Verletzte klugerweise darauf, durch Anrufung des gem. § 172 Abs. 4 StPO zuständigen OLG lediglich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Amtsträger zu erzwingen (und nicht die Erhebung der öffentlichen Klage), setzt der Verletzte damit prozessual genau den Rechtsanspruch um, den ihm die Rechtsprechung des BVerfG seit der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung gewährt.

 

3. Das OLG kann sich dann auf den Antrag des Verletzten hin nicht mehr – wie es der bisherigen ständigen Gerichtspraxis entspricht – hinter der vorgeblichen „Unzulässigkeit“ des Antrags des Verletzten verschanzen und auf diese Weise mutwillig jedwede Sachentscheidung torpedieren, sondern muss – bei etwaigen Lücken der Antragsschrift des Verletzten –  gem. § 86 Abs. 3 VwGO seiner richterlichen Aufklärungs- und Erörterungspflicht genügen. Der Verletzte erhält so in jedem Fall Gelegenheit, etwaige Lücken seiner Antragsschrift zu schließen. Das OLG muss dann – nach etwaiger Vervollständigung der Antragsschrift - eine Entscheidung in der Sache über den Ermittlungserzwingungsantrag des Verletzten treffen und die Staatsanwaltschaft zu straf-rechtlichen Ermittlungen gegen den beschuldigten Amtsträger verpflichten."

Und jetzt vergleichen Sie doch mal den Inhalt dieser Zusammenfassung mit dem Inhalt dieser aktuellen Entscheidung des OLG München:

http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2017-N-12...

Daran schließt sich meine Frage an: Haben Sie den Eindruck, dass das OLG München in seiner aktuellen Entscheidung eine ernsthafte Antwort auf die aufgeworfenen prozessualen Rechtsfragen gegeben hat?

Sie selbst stellen in Ihrer "Zusammenfassung" doch nicht die (abwegige) These auf, dass die VwGO anwendbar sei! Dann können Sie nicht erwarten, dass das OLG zu dieser absoluten (abwegigen) Mindermeinung, bzw. Einzelmeinung, mehr als ein Wort verliert, also sagt "nicht anwendbar".

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Ich habe sowohl in meinem Aufsatz als auch in meinen Schriftsätzen zum OLG München die These aufgestellt, die VwGO sei auf das vorliegende Ermittlungserzwingungsverfahren anwendbar. Es ist auch nicht so sehr erstaunlich, wenn ich Ihnen mitteile, dass ich meine These sowohl in meinem Aufsatz als auch in meinen Schriftsätzen zum OLG München eingehend begründet habe. 

Sie schreiben, es handele sich um eine "absolut abwegige Mindermeinung". Untersuchen wir doch mal die Bestandteile dieser Aussage:

 

1) "Mindermeinung"

Können Sie sich erinnern an die Diskussionen damals im Studium, was eine "h.M." ist und was die "h.M." wert ist? Gut. Dann werden Sie sich vielleicht auch an das Ergebnis der Diskussion erinnern, wonach die pure Quantität nichts darüber aussagt, ob eine Rechtsmeinung richtig oder falsch ist.

 

2) "Absolut abwegig"

Wenn meine Rechtsmeinung so "absolut abwegig" ist, wie Sie behaupten, dann müssen wohl alle gestandenen Juristen, die sich hier ernsthaft an der Diskussion beteiligen, komplett bescheuert sein. Sind sie aber nicht. Also scheint meine Rechtsmeinung dann doch nicht ganz  so "absolut abwegig" zu sein, wie Sie behaupten.

Die Nr. 3 der Zusammenfassung findet seine Grundlage auch gar nicht in der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sondern in § 86 III VwGO, im übrigen schlicht ein Gebot der prozessualen Fairness.  

Gebot der prozessualen Fairness

Bundesgerichte weisen ständige Verfassungsbeschwerden, Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen als unzulässig weil nicht anständig oder formvollendet begründet zurück. Ich fürchte, da ist ihr Wunsch der Vater Ihres Gedankens.

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Sie verfehlen das Thema: Die Diskussion geht nicht um die Rechtsbehelfe, die Sie aufzählen, sondern die Diskussion geht um das Verfahren in der einen und einzigen Instanz, die die §§ 172 ff StPO bieten. Und zumal es bei den §§ 172 ff StPO eben nur diese eine und einzige Instanz gibt, umso mehr ist es geboten, dass das Verfahren hier fair verläuft.   

Ja, so etwas kennen wir. Fair im Verfahren und richtig im Ergebnis ist nur, was der Antragsteller begehrt. Der Rest ist Fehlurteil, Verfassungsverstoß, Menschenrechtsverletzung usw. usw.

Um beurteilen zu können, ob etwas im einzelnen Fall fair im Verfahren und richtig im Ergebnis ist, muss man sich mit der konkreten Angelegenheit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auseinandersetzen. Haben Sie das in vorliegendem Fall getan?

Nö. Ich habe ja das Glück, nicht in einem Amt zu sein, in dem ich alle schriftlichen Eingaben lesen müsste. Die Vorgehensweise hier bietet allerdings mir nicht einmal den winzigsten Schimmer eines Indizes eines Anscheins dafür, dass es hier anders liegen könnte, als in meiner eher allgemeineren Überlegung dargetan. Aus der in mindestens XVIII-Abschnitte gegliederten anderweitigen Aufstellung habe ich jedenfalls nicht Tatsachen (!!)-Angaben gefunden, die mir den Schluss auf Rechtsbeugung auch nur näherlegten. Mag sich aber mit dem konkreten "Fall" beschäftigen, wer will.

Ihre "allgemeinere Überlegung" beschränkt sich offenbar darauf, dass die Justiz nach Ihrer geschätzten Meinung offenbar immer Recht hat, weil sie eben die Justiz ist. 

Oben schrieb ich: "Zuletzt argumentierte das OLG München in Rn. 8 seines Beschlusses v. 05.10.2017 – 2 Ws 1235/17 KL, 2 Ws 1238/17 KL juristisch fundiert: "Die VwGO ist nicht anwendbar."

 

Was ist der Grund, warum ich als Staatsbürger eine Gerichtsentscheidung als "richtig" akzeptieren soll? Ich denke, ich sollte die Gerichtsentscheidung dann als "richtig" akzeptieren, wenn die Gerichtsentscheidung zumindest in irgendeiner Weise vernünftig und nachvollziehbar begründet ist und zu einem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt. Was aber passiert, wenn die Gerichtsentscheidung noch nicht einmal ansatzweise in irgendeiner Weise begründet ist? Was passiert, wenn die Motivation für die Gerichtsentscheidung. die Interessenlage hinter der Gerichtsentscheidung, nur allzu durchsichtig ist?

Die Entscheidung ist sehr wohl "in irgendeiner Weise vernünftig", denn die VwGO gilt speziell für die Verwaltungsgerichte (vgl. Art. 95 Abs.1 GG), bzw. für den Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) und nicht für die Oberlandesgerichte im Rahmen des in der StPO geregelten Klageerzwingungsverfahrens. Das macht die Entscheidung nicht nur "in irgendeiner Weise vernünftig" oder "vertretbar", sondern unmittelbar überzeugend (vgl. § 40 VwGO). Ihnen steht es frei, für Ihre einzigartige Überzeugung zu streiten. Das bedeutet aber nicht, dass Sie alle (nämlich wirklich alle) anderen, die gesetzlich begründeter anderer Ansicht sind bedenkenkenlos als "unvernünftig", "unvertretbar", "interessegeleitet" etc. beschimpfen sollten.

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Neben allem anderen, was Sie sagen, ist u.a. auch falsch Ihr Hinweis auf § 40 VwGO: § 40 VwGO behandelt die Frage, welcher Zweig der Gerichtsbarkeit zuständig ist, für welche Streitigkeiten also VG, VGH/OVG und das BVerwG zuständig sind. Darum geht es hier aber nicht. Es ist hier völlig unstreitig, dass für die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO gem. § 172 IV StPO das OLG zuständig ist. 

Es ist hier völlig unstreitig, dass für die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO gem. § 172 IV StPO das OLG zuständig ist

...und damit die VwGO nicht anwendbar ist.

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Nein, das sind zwei verschiedene Fragen:

1) Wenn ich einen Antrag auf Erzwingung einer Anklageerhebung oder einen Antrag auf Erzwingung von Ermittlungen stellen möchte, muss ich diesen Antrag beim Strafsenat des OLG stellen, das gebietet § 172 IV StPO.

2) Die andere, weitere, Frage ist dann, ob der Strafsenat des OLG nur nach "pflichtgemäßem Ermessen" (das ist nach der ständigen Praxis seit 140 Jahren ein anderes Wort für pure Willkür) verfahren muss, oder ob sich der Strafsenat des OLG an ein gesetzlich im einzelnen geregeltes, austariertes Verfahren halten muss, eben so, wie es in der VwGO niedergelegt ist. 

Herr Würdinger, vielleicht sollten Sie als Angebot zur Kompensation neue Gesetze oder Auslegungen zu §§ 258a und 339 StGB entwerfen, die die Erzwingung von Ermittlungen und Anklagen entsprechender Taten weitgehend ausschließen. Ist die Gefahr der praktischen Anwendbarkeit dieser Strafgesetze durch eine Klageerzwingung nicht gerade das entscheidende Problem für Amtsträger?

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Ja, so ist es.

So ist es. Die VwGO hat in der StPO nichts zu suchen.

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Den vorangegangenen Text haben Sie aber gelesen und verstanden?

Meine Zustimmung bezieht sich auf "Gast kommentiert am Mo, 2018-01-22 09:1".

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Ich habe auch schon oben dem "Gast" erklärt, dass und warum er falsch liegt. Soll ich Ihnen dasselbe nochmal von vorne erklären oder können Sie selber lesen?

In meinem Aufsatz lege ich dar, dass - setzt sich meine Rechtsmeinung durch - der Strafsenat des OLG richterliche Hinweise gem. § 86 III VwGO i.V.m. Art 103 I GG erteilen muss. Muss der Strafsenat richterliche Hinweise erteilen, können Antragsschriften in den Verfahren nach den §§ 172 ff StPO nicht mehr - wie es die ständige Praxis der Justiz ist - als "unzulässig" abgebürstet werden. Es ist dann den Strafsenaten des OLG nicht mehr möglich, mit dem Vorwand, auf Seite 35 fehle ein Komma - wie es der bisherigen ständigen Praxis der Justiz entspricht - nach Belieben jeden Antragsschriftsatz in den Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ins Archiv zu verfrachten. Der Unterschied zwischen einem echten, vollwertigen Rechtsanspruch und einem bloßen Reflexrecht wirkt sich also erst im Ermittlungs- bzw. Klageerzwingungsverfahren aus.

Ich schrieb gerade eben: "Der Unterschied zwischen einem echten, vollwertigen Rechtsanspruch und einem bloßen Reflexrecht wirkt sich also erst im Ermittlungs- bzw. Klageerzwingungsverfahren aus." Oder haben Sie irgend eine Erklärung dafür anzubieten, welche praktisch greifbaren Auswirkungen die Tennessee Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26. Juni 2014 (samt den nachfolgenden Entscheidungen) sonst haben soll?

Nirgendwo steht, dass für jedes gerichrliche Verfahren (hier: Klageerzwingungsverfahren) eine ausformulierte Verfahrensordnung zur Verfügung stehen muß. Das Grundgesetz verlangt, dass die Justizgrundrechte eingehalten werden. Mehr nicht. Dazu braucht es keine ausformulierte Verfahrensordnung. Insbesondere darf man auch die richterliche Hinweispflicht der einzelnen Verfahrensordnungen nicht mit dem rechtlichen Gehör nach dem Grundgesetz gleichsetzen. Die Verletzung gesetzlicher Hinweispflichten stellt nur dann einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt hat (BAG, B. v. 25.1.2017 - 10 ABR 78/16, Rdnr. 3)

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Sie schreiben: "Das Grundgesetz verlangt, dass die Justizgrundrechte eingehalten werden." Das ist ungenau: Zudem verlangt nämlich Art. 6 I EMRK, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet. Sie scheinen zudem den vorangegangenen Text schlicht und ergreifend nicht gelesen zu haben: Ich habe oben bereits im einzelnen ausgeführt, dass die ständige Gerichtspraxis die gängigen Justizgrundrechte mit Füßen zu treten pflegt. Angesichts dieser Umstände bedarf es selbstverständlich einer ausformulierten Verfahrensordnung, eben um die Einhaltung und Umsetzung der Justizgrundrechte in einfaches Prozessrecht sicherzustellen. 

Art. 6 I EMRK bezieht sich nicht auf das Klageerzwingungsverfahren, vgl. hier oder hier. Oder kennen Sie (natürlich außer Ihrer werten eigenen Ansicht) eine einschlägige Stelle?

 

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Haben Sie in Ihrem Berufsleben schon einmal von der Methode der Subsumtion gehört? Nein? Gut, dann erkläre ich Ihnen diese Methode:

1) Ich habe da einen Obersatz, der heißt hier: "Art. 6 I EMRK sagt, dass irgendwann mal im Laufe eines langen, langen Gerichtsverfahrens zu irgendeinem Zeitpunkt eine mündliche Verhandlung stattfinden muss."

2) Und ich habe da einen konkreten Lebenssachverhalt, der hier lautet: "Die beiden Verfahrensvarianten nach den §§ 172 ff StPO stellen ein Gerichtsverfahren dar, das genau eine Instanz lang dauert, dann tritt bereits die Rechtskraft ein."  

3) Die Zuordnung dieser beiden Sätze überlasse ich Ihrem juristischen Scharfsinn.  

Ihr Obersatz stimmt schon nicht. Dann kann selbstverständlich auch die Subsumtion nicht stimmen. Kommen Sie uns also doch bitte nicht mit solchen windigen Taschenspielertricks!

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Und was soll daran nicht stimmen? Sind Sie in der Lage, Ihre pauschale Behauptung in irgend einer Weise zu substantiieren?

Und was soll daran nicht stimmen?

Diese jungfräulich-unschuldige schnippisch mit Schmollmund gestellte Frage ist doch nicht der Ernst eines in vielen Kämpfen gestählten Rechtsanwalts, oder? Nichts einfacher als das. Der (vereinfachte) Obersatz lautet: "Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird" (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Trotz aller Erweiterungen, die der EGMR dem nationalen Verständnis des fettgeschriebenen Satzteils hat angedeihen lassen, fällt das Klageerzwingungsverfahren immer noch weder unter "Zivilrecht" noch unter "erhobene strafrechtliche Anklage".

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Auch wenn es Ihnen sichtlich schwerfällt: Vorschriften kann und soll man auslegen:  Die Auslegung des Art. 6 I EMRK ergibt hier - auch nach der Kommentarliteratur, die Sie hartnäckig ignorieren - dass auch die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO unter die Vorschrift des Art. 6 I EMRK zu subsumieren sind. 

Der EGMR hat sogar explizit ausgeführt, dass die von Ihnen vertretene Auffassung nicht zutrifft:

"Der Gerichtshof erinnert daran, dass sich aus der Verpflichtung nach Art. 2 EMRK, das Recht auf Leben zu schützen, in Verbindung mit der allgemeinen Verpflichtung des Staates aus Art. 1 EMRK, „allen (seiner) Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten” zuzusichern, die Pflicht ergibt, wirksame amtliche Ermittlungen anzustellen, wenn Gewaltanwendung, insbesondere durch Bedienstete des Staates, den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat. Diese Ermittlungen müssen geeignet sein, zur Identifizierung und Bestrafung der Verantwortlichen zu führen (s. u.a. EGMR, Slg. 1999-III, Nr. 88 = NJW 2001, 1991 - Oğur/Türkei). Diese Verpflichtung unterscheidet sich von der aus Art. 6 EMRK, der ein Recht auf Strafverfolgung gegen Dritte nicht garantiert (s. u.a. EKMR, 1985, DR Bd. 43, S. 184 - Wallén/Schweden)."
(NJW 2001, 1989, beck-online)

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Das ist die überholte Rechtslage des Jahres 2001 "(NJW 2001, 1989, beck-online)".

Das ist die überholte Rechtslage des Jahres 2001

Dann können Sie uns doch sicher sagen, mit welcher Entscheidung das Gericht wie von dieser Auffassung abgerückt sein soll, bzw. daran nicht mehr festhält, denke ich.

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Ja, mit der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2014, nebst gleichlautenden nachfolgenden weiteren Entscheidungen, wie vielfach bereits besprochen. 

Seit wann soll die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsprechung des EGMR ändern können ?

Im Übrigen befasst sich die von Ihnen zitierte Entscheidung des BVerfG in keiner Weise mit Art.6 I EMRK.

 

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(Leider in Fettdruck:) Sie hatten selbst das Thema geändert in "Recht auf Strafverfolgung gegen Dritte". Darauf habe ich geantwortet. Und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nun mal für D maßgeblich. 

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