Gesetzliche Pflicht zum „Whistleblowing“ - Gefährdungsanzeige in der Klinik

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 17.02.2018
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtWeitere ThemenMedizinrecht13|6726 Aufrufe

Wann ist „Whistleblowing“ erlaubt? Zweimal hatte die Asklepios-Klinik vor dem Arbeitsgericht Göttingen eine Niederlage erlitten. Das Gericht: Der Klinikbetreiber darf gegenüber Beschäftigten, die aufgrund Personalmangels die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gefährdet sehen und dies dem Arbeitgeber anzeigen, nicht mit einer Abmahnung reagieren.

Die Fälle

Eine Krankenschwester wehrte sich gegen zwei Abmahnungen. Diese hatte sie erhalten, weil sie nach ihrem Dienst auf der Suchtstation der psychiatrischen Klinik eine Gefährdungsanzeige verfasst hatte. Mangels genügend Personals sah sie die Patientenversorgung gefährdet. Sie wies den Klinikbetreiber schriftlich darauf hin. Der mahnte sie ab und weigerte sich die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen, wie den Mitteilungen in der Fachpresse zu entnehmen ist (Az. des noch nicht veröffentlichten Urteils: 1 Ca 267/17).  

Bereits 2016 hielt eine Gesundheits- und Krankenpflegerin den Personalschlüssel in der psychiatrischen Klinik für unzureichend. Sie sollte als Vertretungskraft auf einer offenen Station mit 24 Patienten eingesetzt werden. Lediglich eine Auszubildende war noch anwesend (Az.: 2 Ca 155/17). Die Entscheidung des Arbeitsgerichts überrascht nicht. Die Abmahnungen waren jeweils unzulässig. Sie widersprächen dem Sinn und Zweck des Arbeitsschutzgesetzes. Es bestehe eine gesetzliche Pflicht, dem Arbeitgeber unverzüglich jede Gefahr für die eigene Gesundheit und Sicherheit oder die anderer Personen zu melden (§ 15 bzw. § 16 ArbSchG).

Was sich wie ein lange schwelender Streit zwischen Klinik-Leitung und Gewerkschaft, die den Krankenschwestern den Rücken stärkte, darstellt, gewinnt im Krankenhaus- und Pflegebereich zunehmend an Bedeutung.

Praxishinweise: Gesetzliche Pflicht zum „Whistleblowing“

Eine Gefährdungsanzeige ist wichtig, um den Arbeitgeber über die Überlastungssituation des Arbeitnehmers und die möglichen Risiken und Folgen zu informieren. Der Zeitpunkt zur Abgabe einer solchen Erklärung ist spätestens dann gegeben, wenn die Übersicht über die zu leistende Arbeit verloren gegangen und dem Beschäftigten die Abarbeitung nicht mehr möglich ist. Dabei kommt es nicht auf die objektive Gefährdungslage an. Es reicht, wenn sich die Situation subjektiven für den Arbeitnehmer so darstellt. Arbeitsrechtlich dürfen dem Beschäftigten keine Nachteile drohen (sogenanntes Maßregelverbot § 612a BGB). Der Arbeitgeber darf nicht mit einer Abmahnung reagieren. Eine Gegendarstellung seitens des Arbeitgebers ist gegebenenfalls erlaubt.

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13 Kommentare

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In den beiden Fällen wurden die Mißstände offenbar nur an den Arbeitgeber gemeldet. Das ist für meine Begriffe kein “Whistleblowing“. Dazu gehört betriebsnotwendigen die Information der Allgemeinheit, nicht der zuständigen Stellen.

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Das heisst selbstverständlich nicht “betriebsnotwendig“, sondern “begriffsnotwendig“, was mein Tablet wieder einmal verhunzt hat.

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Wieso mahnt man überhaupt ab, wenn auf Missstände intern hingewiesen wird und nicht via Presse etc.? Einzige Erklärung für mich: Weil die Führungsebene sich dann im Schadensfall nicht mehr mit "war so nicht bekannt" rausreden und ein paar Führungsetagen tiefer Bauernopfer suchen kann.

Wie steht es mit Gefährdungsanzeigen im staatlichen Bereich der Daseinsvorsorge? Dazu würde ich insbesondere auch den Justizbereich zählen. Besteht nicht auch eine Informationspflicht an die Öffentlichkeit, wenn die Rechtmäßigkeit der Rechtsprechung gefährdet ist oder bleibt das persönlichen Zwischenrufen von exponierten Funktionären gegen Cash vorbehalten? Wenn man Polen offiziell zur Rechtsstaatlichkeit ermahnt, dann sollte das doch innerstaatlich erst recht erste Amtspflicht sein. Warum äußern sich fast nur pensionierte Juristen zur Rechtsmangelwirtschaft made by Germany? Ist das nicht auch ein Thema des Verbraucherrechts, so dass auch die Betroffenen Öffentlichkeit herstellen können sollten, ohne deswegen stigmatisiert, sonderbehandelt oder sogar verräumt zu werden?

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Warum äußern sich fast nur pensionierte Juristen zur Rechtsmangelwirtschaft made by Germany?

Wie kommen Sie darauf? Aktive Richter und Staatsanwälte tun doch seit Jahrzehnten nichts anderes, als sich immer wieder über einen angeblichen Mangel an Richtern und Staatsanwälten zu beschweren (um dann lukrative Nebentätigkeiten auszuüben).

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Wenn man mal von den Bundesgerichten absieht: Wer übt welche "lukrativen Nebentätigkeiten" aus? Bitte Fakten; die würden mich interessieren.

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Lediglich eine Auszubildende war noch anwesend (Az.: 1 Ca 155/17)

Das Aktenzeichen des ArbG Göttingen lautet richtig "2 Ca 155/17", vgl. hier.

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Das OLG Koblenz hat doch mittlerweile in veröffentlichter Begründung auf den partiellen dort aber völligen Ausfall des Rechtsstaats hingewiesen.

Danke für alle Kommentare und Anregungen.

Vertiefend zum Begriff „Whistleblowing“:

„Das“ Whistlelowing gibt es nicht. Zu groß sind die kulturellen Unterschiede und zu viele Konstellationen und Fallgruppen sind denkbar. Als praktikable Unterscheidungskriterien werden genannt, die Identifizierbarkeit des Hinweisgebers, der Adressat des Hinweises und die Organisation des Hinweisgebersystems. Dabei kann zwischen internem und externen Whistleblowing im Rahmen des zweiten Kriteriums unterschieden werden. Ein internes Whistleblowing liegt vor, wenn die Benachrichtigung gegenüber einer Whistleblowing-Stelle, die viele Unternehmen, auch im Gesundheitssektor, eingerichtet haben, erfolgt. Ein externes Whistleblowing bezeichnet eine Meldung beispielsweise an Aufsichtsbehörden, Staatsanwaltschaft oder auch die Presse.

Dann hätte man besser von "internem Whistleblowing" sprechen sollen. Der Begriff "Whistleblowing" als solcher ist m. E. sehr wohl an die öffentliche Preisgabe geküpft und zwecks begrifflicher Klarheit von internen Gefahrenhinweisen (§ 16 Abs. 1 ArbSchG) etc. streng zu unterscheiden, vgl. a. hier.

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Den genauen Text der sog. "Mängelanzeigen" wüsste ich gern .Wenn er sachlich war, so erscheint mir das Ergebnis des Urteils vollkommen zutreffend. Kluge Menschen wissen, dass sie Fehler machen. Nur, wer glaubt, keine zu machen, dem mangelt es an Selbstkritik. Für Unternehmen gilt dasselbe.

Ich bin fassungslos! Wie kann jemand, der auch nur ansatzweise (Personal-)verantwortung trägt oder gar Jurist ist, überhaupt auf den Gedanken kommen, dass wegen der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht (§ 16 ArbSchG) eine arbeitsrechtliche Abmahnung gerechtfertigt sein kann? Ich hoffe, dass sich wenigstens aus den Urteilsbegründungen wenigstens der Ansatz einer Erklärung ergibt, andernfalls ich diesen Herrschaften wirklich nahelegen würde, sich andere Berufe zu suchen.

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