Strafrechtsreform der GroKo auf Abwegen: "Stalleinbruch" als Sondertatbestand?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 06.03.2018
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieMaterielles Strafrecht42|15790 Aufrufe

Noch ist nicht klar, wer in der künftigen Regierung der Großen Koalition das Amt des Ministers für Justiz und für Verbraucherschutz übernehmen wird, aber eine bestimmte Strafrechtsreform ist ihm oder ihr schon durch den Koalitionsvertrag aufgegeben. Dort heißt es in Zeile 4028 auf Seite 87:
„Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden.“

Während andere Pläne und Absichten im Koalitionsvertrag eher generell und global formuliert werden oder Anliegen größerer Bevölkerungsschichten betreffen, wird es an dieser Stelle konkret und kleinteilig. Aus der Abschnittsüberschrift ergibt sich, dass hier nicht die Strafjuristen oder Kriminalpolitiker, sondern die Agrarpolitiker tätig wurden.

Nachdem im letzten Jahr die Polizeigewerkschaften eine Strafrechtsverschärfung bei §§ 113, 114 StGB erfolgreich durchgesetzt haben, sind nun die Landwirte an der Reihe? Ich habe damals vorhergesagt, dass, wenn die Rechtspolitik beginnen sollte, jede Einzellobby mit strafrechtlichen Zückerchen zu befrieden, dass man dann schnell auf eine „schiefe Ebene“ gerät. An deren Ende stünde kein rationales, nach Strafrechtsgütern geordnetes und in der ganzen Welt für seine Abstraktionsstärke und Systematik gerühmtes deutsches Strafrecht mehr, sondern ein StGB, das aus vielen Einzelnormen zusammengestückelt ist, um Einzelinteressen zu befrieden.

Hintergrund ist der Protest radikaler Tierschützer gegen die Bedingungen der Massentierhaltung in Deutschland. Ihrer Ansicht nach werden in den Stallungen, in denen die Tiere produziert und gehalten werden, systematisch nicht nur ethische, sondern auch gesetzliche Normen des Tierschutzes verletzt. Um ihrer Position Öffentlichkeitswirksamkeit zu verleihen, dringen seit einigen Jahren Aktivisten mit Kameras in Ställe ein, filmen die dortigen Zustände und spielen die Filme der Presse und auch öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern sowie Polizei und Staatsanwaltschaft zu.

Erst nach der Koalitionsvereinbarung ergangen, aber in landwirtschaftlichen Fachzeitschriften durchaus in diesem Zusammenhang gebracht (agraronline), wird die Entscheidung des OLG Naumburg genannt – an anderer Stelle hier im Beck-Blog besprochen  – mit der ein Freispruch von Tierschutzaktivisten, die eben eine solche Tat begangen hatten, bestätigt wurde: Der Hausfriedensbruch sei aus § 34 StGB gerechtfertigt, das Interesse, die Tiere zu schützen, rechtfertige in diesem Fall den Hausfriedensbruch.

Normgenetisch betrachtet wäre die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung ein Musterbeispiel für eine Strafrechtskodifikation, die an den Interessen der Gesamtbevölkerung vorbei geht. Es geht hier nicht darum, ein Verhalten zu kriminalisieren, das in der Gesellschaft allgemein verpönt ist, die Ordnung und Sicherheit übermäßig gefährdet oder auf moralisch-ethische schwere Bedenken der Mehrheit stößt und deshalb die Ultima-Ratio-Wirkung des Strafrechts auslösen soll. Es geht auch nicht darum, dass nach einer intensiven öffentlichen Diskussion und transparenten Beratung im Bundestag ein umstrittener Bereich mit der Bundestagsmehrheit strafrechtlich geregelt wird (wie etwa beim Schwangerschaftsabbruch, bei der Sterbehilfe oder beim Sexualstrafrecht). Hier geht es darum, dass eine Gruppe von Interessenten die Verabredung eines Sonderstrafrechts für die von ihr vertretenen Landwirte bereits außerhalb und vor Beginn der normalen Parlaments- und Regierungsarbeit durchgesetzt hat. Das ist geradezu ein Triumph dieser Lobby, der auf „normalem“ Weg kaum erreicht werden konnte.

Dass es diese Norm tatsächlich einmal geben wird, erscheint mir aber noch nicht ausgemacht. Folgende Einwände können formuliert werden und ich hoffe darauf, dass genügend vernünftige Abgeordnete der Koalitionsfraktionen diese Einwände auch erkennen mögen.

1. Den Haupteinwand habe ich oben bereits formuliert: Eine solche Strafrechtsnorm widerspräche dem Interesse der Wählermehrheit und auch der Verbraucher. Einerseits mehr Tierschutz zu versprechen, andererseits aber strafrechtlich eine Sondernorm gegen diejenigen zu schaffen, die Tierschutzverstöße öffentlich machen wollen – das passt nicht zusammen.

2. Bislang stellt es einen Hausfriedensbruch dar, wenn Personen ohne Diebstahlsvorsatz in fremde Ställe eindringen. Müssen sie dazu etwa eine Scheibe oder ein Schloss beschädigen („Einbruch“), ist zusätzlich eine Sachbeschädigung verwirklicht. Dies ist übrigens auch bei einer Wohnung nicht anders. Steht die Tür offen, ist es „nur“ Hausfriedensbruch, muss sie erst aufgebrochen werden, ist zusätzlich eine Sachbeschädigung verwirklicht. Nach den Äußerungen der Befürworter einer solchen Norm soll es aber gar nicht primär um „Einbruch“ gehen, sondern auch um Fälle des gewaltlosen Eindringens, denn betriebsbedingt seien Stallungen nicht immer verschlossen zu halten.

3. Würde man den „Stalleinbruch“ nun gesondert oder besonders hart bestrafen, wären die Ställe der Tierhalter besser geschützt als die Wohnungen der Normalbürger. Wer etwa in eine fremde Wohnung eindringt, macht sich ebenfalls nur wegen Hausfriedensbruch strafbar. Für den Wohnungseinbruch gilt eine besondere Bestrafung erst, wenn ein Diebstahlsvorsatz besteht. Mit welchem Rechtsgut will man aber begründen, dass die Ställe, in denen Tiere gehalten werden, strafrechtlich besser geschützt werden sollen als die Wohnungen der Bürger?

4. (gestrichen wg. Redundanz)

5. Auch mit einem neuen Tatbestand wird man einen Freispruch wie in Naumburg aber nicht verhindern können, denn der rechtfertigende Notstand wird als allgemeine Vorschrift auch hier gelten.

6. Am meisten besorgt mich der zu befürchtende Akzeptanzverlust des Strafrechts, sollten künftig regelmäßig auf intransparentem Lobbyisten-Weg Partikularinteressen in strafrechtliche Form gegossen werden.

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42 Kommentare

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Die deutschen Tiermäster wollen offenbar auch noch die geringen Reste ihres letzten verbliebenen gesellschaftlichen Ansehens verspielen. Mich würde es nicht einmal wundern, wenn hinter dieser Vereinbarung die SPD stecken würde, d. h. das Tiermastland Niedersachsen.

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Ihre Kritik überzeugt mich nicht.

Zum einen halte ich schon das Urteil des OLG Naumburg für kaum vertretbar. Die Anwendung von § 34 StGB (der Richter der Vorinstanz wollte sogar § 32 StGB anwenden) für den Fall, daß die zuständige Behörde nicht eingreifen will oder kann (O-Ton Vorinstanz: „Wenn staatliche Organe ihre Arbeit nicht so machten, wie es sein sollte, müssten die Bürger eingreifen.“ - https://goo.gl/cJyMo2), läuft auf eine Privatisierung von staatlichen Aufgaben hinaus ohne die Bindungen, die für staatliches Handeln gerade gelten.

Aber wie dem auch sei – egal, ob das Urteil (und die beiden Urteil der Vorinstanzen – diese waren offensichtlich Anlaß für die Gesetzesinitiative) richtig oder falsch ist, selbstverständlich ist es in der Demokratie das Recht und die Aufgabe der Politik, auf Gerichtsentscheidungen, mit denen sie nicht einverstanden ist, mit Gesetzesänderungen zu reagieren. Ich halte nichts davon, diesen simplen Mechanismus mit dem Reizwort Lobby als anrüchig erscheinen zu lassen. Daß alle möglichen Interessengruppen in der Politik mitmischen, ist nichts problematisches, sondern der Normalfall, geradezu der Sinn der Sache. Die „Tierschützerlobby“ macht nichts anderes als die „Agrarlobby“ etc. Auch alle anderen Inhalte des Koalitionsvertrags sind auf Wunsch von irgendwelchen – mehr oder weniger organisierten - Interessengruppen zustande gekommen. Diese Politikvorstellungen fallen ja nicht vom Himmel. Und ein Koalitionsvertrag ersetzt nicht das parlamentarische Prozedere (in den Ausschüssen und im Plenum). Dort ist der Raum für Transparenz und Diskussion.

Wie genau der Primat des Gesetzgebers über die Rechtsprechung ausgeübt wird, ist eher eine Frage der Gesetzgebungstechnik. Der Einwand Nr. 5 wiegt auf den ersten Blick am schwersten, aber das relativiert sich bei näherer Betrachtung. Wenn man schon bei § 34 StGB zu einer umfassenden Rechtsgüterabwägung ansetzt, muß man selbstverständlich den in Form eines neuen Straftatbestands gegossenen Willen des Gesetzgebers, daß die Tat auch bei „hehren Zielen“ strafbar sein soll, mit einbeziehen. Oder anders gesagt: Was würden Sie dem Gesetzgeber raten, wenn er die Rechtsmeinung des OLG Naumburg „derogieren“ will? Den Primat des Gesetzgebers werden Sie ja nicht in Frage stellen. Sollte er direkt in der sedes materiae ansetzen und dem § 34 StGB einen wie auch immer formulierten zweiten Absatz anfügen, der klar stellt, daß die Rechtfertigungslösung des OLG nicht greifen soll? Das wäre erst recht ein kasuistischer Ansatz, der sich plump ausnehmen würde.

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Der Gesetzgeber darf es eben nicht: Unrecht schaffen.

Es wäre evident verfassungswidrig, die Rechtsprechung des OLG Naumburg per Gesetzgebung aushebeln zu wollen, denn bei der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG handelt es sich um eine an den Staat gerichtete objektive Verpflichtung mit Rechtsverbindlichkeit. Tierschutz wird damit zum verbindlichen Gestaltungsauftrag mit der Folge, diesem einen möglichst hohen Stellenwert im normativen Gefüge zuzuweisen. Dem Regelungsanliegen des Tierschutzes kommt daher eine eigenständige Bedeutung zu.

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Sehr geehrter OG,

es geht überhaupt nicht darum, dass der "Gesetzgeber"  "selbstverständlich" auf Gerichtsentscheidungen reagieren kann, denn hier liegt weder eine Entscheidung des Gesetzgebers vor noch eine Reaktion auf die Entscheidung des OLG Naumburg, die zum Zeitpunkt der Koalitionsvereinbarung noch gar nicht ergangen war.  

Dann schreiben Sie:

Daß alle möglichen Interessengruppen in der Politik mitmischen, ist nichts problematisches, sondern der Normalfall, geradezu der Sinn der Sache.

Wenn es der Normalfall ist, dass schon in der Koalitionsvereinbarung Strafrechtsnormen für kleinste Interessengruppen durchgesetzt werden, warum finden sich in der Koalitionsvereinbarung dann so wenige konkrete geplante Strafrechtsnormen?

Und ein Koalitionsvertrag ersetzt nicht das parlamentarische Prozedere (in den Ausschüssen und im Plenum). Dort ist der Raum für Transparenz und Diskussion.

Ja, stimmt, das hatte ich wohl "vergessen" und mich erdreistet, schon einmal hier in einem öffentlichen Forum gegen Methode und Inhalt dieses Gesetzesvorhabnes zu äußern, das sehr gute Chancen hat verwirklicht zu werden.

Ich habe nichts gegen Lobbyismus, wenn dieser transparent im "normalen" Gesetzgebungsprozess erfolgt. Ich halte es aber durchaus für "anrüchig" und demokratiefeindlich, wenn Partikularinteressen sich schon im Vorfeld außerhalb des Parlaments und ohne gewählte Regierung quasi durchsetzen. Es ist dies ein Triumph des Lobbyismus, gegen den man freilich nichts haben muss, wenn man das für "den Sinn der Sache" hält.

Wie genau der Primat des Gesetzgebers über die Rechtsprechung ausgeübt wird, ist eher eine Frage der Gesetzgebungstechnik.

Ja, eben.

Wenn man schon bei § 34 StGB zu einer umfassenden Rechtsgüterabwägung ansetzt, muß man selbstverständlich den in Form eines neuen Straftatbestands gegossenen Willen des Gesetzgebers, daß die Tat auch bei „hehren Zielen“ strafbar sein soll, mit einbeziehen.

Ja, und Art. 20a GG.

Das wäre erst recht ein kasuistischer Ansatz, der sich plump ausnehmen würde.

Die Plumpheit (und Frechheit) des Vorhabens würde dann immerhin ganz offen zutage treten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Lieber Herr Prof. Müller,

 

Quote:

es geht überhaupt nicht darum, dass der "Gesetzgeber" "selbstverständlich" auf Gerichtsentscheidungen reagieren kann, denn hier liegt weder eine Entscheidung des Gesetzgebers vor noch ...

 

Das verstehe ich nicht. Neben dem "Lobby"-Argument geht doch Ihre Kritik dahin, daß die geplante Strafrechtsänderung einen Fremdkörper in das StGB bringen würde. Also geht es auch darum, welche Handlungsmöglichkeiten der Gesetzgeber hat (auch im Sinne von "guter Gesetzgebung").

 

Quote:

... noch eine Reaktion auf die Entscheidung des OLG Naumburg, die zum Zeitpunkt der Koalitionsvereinbarung noch gar nicht ergangen war. 

 

Wie ich schon schrieb, geht der Punkt in der Koalitionsvereinbarung doch offenbar auf den Freispruch durch das LG Magdeburg mit Urteil vom 11.10.2017 zurück (https://dejure.org/2017,38246).

 

Quote:

Ich habe nichts gegen Lobbyismus, wenn dieser transparent im "normalen"

Gesetzgebungsprozess erfolgt. Ich halte es aber durchaus für "anrüchig" und demokratiefeindlich, wenn Partikularinteressen sich schon im Vorfeld außerhalb des Parlaments und ohne gewählte Regierung quasi durchsetzen. Es ist dies ein Triumph des Lobbyismus, gegen den man freilich nichts haben muss, wenn man das für "den Sinn der Sache" hält.

 

Ich sehe immer noch nicht, was hier "anrüchig" und demokratiefeindlich sein soll. Es wurden Gesetzgebungsabsichten definiert und sogar der SPD-Basis zur Entscheidung vorgelegt (wenn auch natürlich nur als Paket). Wäre es auch demokratiefeindlich, wenn eine Partei mit entsprechenden Forderungen in den Wahlkampf geht statt zu warten, bis der eigentliche Gesetzgebungsvorgang angestoßen werden kann?

 

Quote:

/Wenn man schon bei § 34 StGB zu einer umfassenden Rechtsgüterabwägung ansetzt, muß man selbstverständlich den in Form eines neuen Straftatbestands gegossenen Willen des Gesetzgebers, daß die Tat auch bei „hehren Zielen“ strafbar sein soll, mit einbeziehen. /

 

Ja, und Art. 20a GG.

 

Der wurde ja schon mitabgewogen (zu Art. 13 und 14 GG hingegen liest man im Urteil des LG Magdeburg nichts; mal sehen, ob sie im Revisionsurteil erwähnt werden). Wollen Sie mit dem Hinweis etwa sagen, daß das Gesetzgebungsvorhaben gegen Art. 20a GG verstoßen würde?

 

Sie gehen davon aus, daß die Entscheidungen des LG Magdeburg und OLG Naumburg richtig sind. Das bleibt Ihnen natürlich unbenommen. Aber nach der Meinung der Verfasser der Koalitionsvereinbarung sind die Entscheidungen nun einmal falsch. Dann handelt es sich nicht darum, "ein Verhalten zu kriminalisieren", sondern der eigenmächtigen Entkriminalisierung durch die Gerichte entgegenzutreten. Dann geht es nicht darum, wie Sie schreiben, ein "Sonderstrafrecht" zu schaffen, sondern das Sonderstrafrecht zugunsten von Tierschutzaktivisten, das das OLG geschaffen hat, wieder zurückzunehmen.

 

Quote:

/Das wäre erst recht ein kasuistischer Ansatz, der sich plump ausnehmen würde./

 

Die Plumpheit (und Frechheit) des Vorhabens würde dann immerhin ganz offen zutage treten.

 

Mich würde wirklich noch interessieren, was Sie den Abgeordneten raten würden, die die bisherige (zu unterstellende) Rechtsauffassung wiederherstellen wollen, daß das Verhalten der Tierschutzaktivisten strafbar ist. Wo sollten sie ansetzen? Die Schaffung eines neuen Straftatbestands halte ich auch für falsch (übrigens müßte er aber keineswegs einen höheren Strafrahmen haben als Hausfriedensbruch, wie Sie bei Argument 3 vorauszusetzen scheinen). Eine Ergänzung von § 34 StGB wäre, wie gesagt, unangemessen kasuistisch. Vielleicht wäre die Lösung eine neue Bestimmung im Tierschutzgesetz, die klarstellt, daß eigenmächtige Ermittlungseingriffe von privaten Tierschützern nicht rechtmäßig sind.

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Gast schrieb:

Wollen Sie mit dem Hinweis etwa sagen, daß das Gesetzgebungsvorhaben gegen Art. 20a GG verstoßen würde?

Wenn es dazu führt, dass das verfassungsrechtlich geschützte Tierwohl nicht mehr notstandsfähig sein soll, wäre das nicht so abwegig. Das hängt natürlich davon ab, was genau am Ende rauskommt.

Quote:

Dann handelt es sich nicht darum, "ein Verhalten zu kriminalisieren", sondern der eigenmächtigen Entkriminalisierung durch die Gerichte entgegenzutreten. Dann geht es nicht darum, wie Sie schreiben, ein "Sonderstrafrecht" zu schaffen, sondern das Sonderstrafrecht zugunsten von Tierschutzaktivisten, das das OLG geschaffen hat, wieder zurückzunehmen.

Wenn die Parteien meinen, dass es notwendig ist, das Gesetz zu ändern, dann heißt das augenscheinlich, dass sie die Entscheidung zwar für unerwünscht, aber gerade nicht für rechtswidrig halten.

Quote:

Mich würde wirklich noch interessieren, was Sie den Abgeordneten raten würden, die die bisherige (zu unterstellende) Rechtsauffassung wiederherstellen wollen, daß das Verhalten der Tierschutzaktivisten strafbar ist. Wo sollten sie ansetzen? Die Schaffung eines neuen Straftatbestands halte ich auch für falsch (übrigens müßte er aber keineswegs einen höheren Strafrahmen haben als Hausfriedensbruch, wie Sie bei Argument 3 vorauszusetzen scheinen). Eine Ergänzung von § 34 StGB wäre, wie gesagt, unangemessen kasuistisch. Vielleicht wäre die Lösung eine neue Bestimmung im Tierschutzgesetz, die klarstellt, daß eigenmächtige Ermittlungseingriffe von privaten Tierschützern nicht rechtmäßig sind.

Ich würde da ansetzen, dafür zu sorgen, dass ein effektiver Tierschutz besteht. Wenn man sich darauf verlassen kann, dass die zuständigen Behörden sich darum kümmern können, kommt 34 nicht mehr in Betracht.

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Ich sehe es ähnlich: Schon den Haupteinwand halte ich für "sehr weit hergeholt". Haltungs- bzw. Anbaubedingungen sind für die Verbraucher i.d.R. von sekundärem Interesse, ansonsten würden sich weder Obst noch Gemüse noch Fleisch noch Fisch aus konventionellem Anbau bzw. konventioneller Haltung verkaufen lassen.

Ich sehe hier auch keinen Widerspruch in Bezug auf Tierschutz vs. öffentlich machen von Tierschutzverstößen. Der Haupteinwand geht davon aus, dass eine Informationsgewinnung zu Tierschutzverstößen unweigerlich (ausschließlich) über das unbefugte Betreten von Tierställen möglich sei. Angesichts mittlerweile sehr einfach verfügbarer technischer Hilfsmittel (wie Endoskopkameras, Minidrohnen etc.) ist dies einfallslos und analytisch schwach.

Der "befürchtende Akzeptanzverlust des Strafrechts" scheint mir weniger ein Problem zu sein. Dass das Strafrecht gerne dafür herhalten darf das "Partikularinteressen in strafrechtliche Form gegossen werden" kennen wir spätestens seit der letzten Reform des Sexualstrafrechts.

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Der Notstand beurteilt sich nach den konkreten Umständen der Tat. Wenn ich keine Endoskopkamera habe, kann mir nicht entgegen gehalten werden, dass ich keine benutzt habe.

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Es bestanden entweder vorab Indizien für Verstöße oder nicht. Wenn ja, Anzeige bei der Behörde. Wenn nein -  so mal auf's Geratewohl einbrechen? Dann auch in Parteizentralen , Zentralen von Politaktivisten , Presseredaktionen, um mal zu gucken, was da so los ist ? Das "Urteil" des OLG Naumburg hat die volkstumsmäßige Überzeugungskraft wie gewisse Volksgerichtshofsurteile. Der Pöbel will - also ist das "gerechtfertigt".

Mein Beitrag befasst sich nicht mit dem Naumburger Urteil bzw. mit den Vorinstanzen, die beide ebenfalls eine Rechtfertigung annahmen. (Im Übrigen erfährt man aus dem Urteil des LG Magdeburg, warum die Information der Behörden in diesem Fall fruchtlos war.) Dazu können Sie beim passenden Beitrag von Frau Graß diskutieren. Hier geht es darum, dass nicht der von Ihnen so bezeichnete "Pöbel" eine Gesetzesänderung erreichen will, sondern eine kleine Gruppe von Agrarunternehmern eine gewünschte Kriminalisierung bzw. Strafverschärfung im Koalitionsvertrag verankert hat.

Über Letzteres kann man sich empören. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass wechselseitig durchaus die Gefahr von Gesundheitsrisiken bestehen (bspw. durch die Afrikanische Schweinepest). Insofern scheint mir die möglicherweise geplante Rechtsänderung nicht vollkommen "haltlos" zu sein.

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Auch wenn ich manchen Kritikpunkt von Ihnen verstehen kann, kann ich es hinsichtlich der Wucht und Polemik nicht. Ich bin auch der Auffassung, dass eine Diskussion auf diesem Niveau keinen weiterbringt.

Man sollte m.E. zwei Ebenen trennen.

Die erste Ebene ist der konkrete Fall des OLG Naumburg:

  • Ein Betreib hält sich nicht an gesetzliche Vorgaben und hat so einen Wettbewerbsvorteil ggü. den ehrlichen Landwirten.

  • Ökoaktivisten zeigen den Betreib bei den Behörden an. Es tut sich nichts.

  • Ökoaktivisten brechen in den Stall ein. Sie stehlen oder beschädigen nichts, machen aber Bilder.

  • Ökoaktivisten werden von den ordentlichen Gerichten in allen drei Instanzen freigesprochen.

Das man nun juristisch oder moralisch diskutieren. Ich persönlich habe eine gewisse Sympathie für die Ökos, weil sie sich ja um „obrigkeitliche Hilfe“ bemüht haben. Aber ich muss ja nicht immer Recht haben.

Davon zu unterscheiden ist das Thema dieses Blog-Beitrages. Nämlich, dass die große Koalition im Jahre 2018 es für wichtig genug hält, wegen eines ihnen nicht passenden Einzelfalles entweder einen neuen Straftatbestand zu kreieren oder in die Rechtsfertigungsdogmatik einzugreifen. Wir hatten in den Jahren ca. alle 8 Wochen eine „Reform“ im Strafrecht. Das ist m.E. etwas arg viel. Da lohnt sich eine Debatte, ob mehr Gesetze auch mehr Rechtsstaat bringen.

 

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Sehr geehrter Herr oder Frau Solkan. Wenn früh in dieserDebatte mit "Wucht" gesät wird (nicht Sie!), so:Die deutschen Tiermäster wollen offenbar auch noch die geringen Reste ihres letzten verbliebenen gesellschaftlichen Ansehens verspielen.Zitat Ende - dann ernten manche Wucht. So ein Öko-Brüller, der ganze Wirtschaftsweige beleidgt, soll nicht mimimi schrein, wenn er oder Gleichesinnte Wucht ernten.

Ihre Erwägungen hingegen sind weitgehend plausibel. Freilich wüsste ich zu Ihren ersten beiden Punkten nicht, wo sie rechtsstaatlich verbindlich festgestellt worden wären. Und  wenn - dann wurden Dienstaufchtsbeschwerde versucht, Gang in Presse und Öffentlichkeit? Kar - wer verleumdet, trägt die Last des Wahrheitsbeweises. An diesem Prinzip möchte ich im Land, in dem ich lebe, nichts gendert wissen. Kurzer Abgleich mit "Datenschutzvorstellungen" aus derselben Aktivistenecke fände ich gern. Initiativ-Durchsuchung von deren Privatwohnungen?

Ist "beschädigen nichts" festgestellt? Wohl ja, laut LG Magdeburg überstiegen Umzäunung und durch geöffnete Türen. Wie, sehr geehrter Solkan, sehen Sie das für Ihr Privatanwesen: Überklettern, und dann sind ja die Türen ggf. zur Terrasse offen. Und dann sollen reichen "Hinweise einer nicht näher feststellbaren Person" ? O weh,was da Unbekannte so frei von der Leber weg von Ihnen "hinweisen" könnten. Weiß man's?

Und wenn tatsächlich etwas faul war? Rechtfertigt das Eregebnis den Rechtsbruch? Retrospektiv? "Der Zweck heiligt die Mittel" - vor allem, wenn der Zweck erreicht wird? a) bei Staatsorganen b) bei selbsternannten Investigativlingen?

 

Es ist nicht das,sodnern das zweite Thema des Beitrags. Zu Recht haben Sie mE Skepsis gegenüber permanenter Strafrechtsänderung. Nicht nur dies - allgemein gegenüber staatlicher ( und EU-mäßiger!!) Regelungsintensität. Wichtiges auch zwingend regeln, notfalls drastisch absichern. Dann auch scharf kontrollieren. Geschmäcklereien ,wie weite Teile von Natur- und Umweltschutz, freigeben.Seit 1960 hat sicheiegntlch wertvoll im Wesentlichen entwickelt und intensiviert das Abfallwesen, Luftreinhaltung durch Industrie, Schadstoffe in Gewässern, und im Öko-Bereich einies weniges anderes. Bis die Öko-Oberlehrer kamen und absurde Grenzwerte etablierten. Niemand und nichts, nichts in den Urteien LG Magdeburg oder OLG Naumburg, deutet daraufhin, dass irgendeine Gesunds- auch nur Gefahr für Menschen bestand. Klar - Hermann Göring waren Natur-, Tier- und Jagdschutz sehr wichtig.

Ich hingegen bewerte: Höchstgut ist das menschliche Leben. Da gibt es tagesaktuell böse Zahlen, und aktuell Bestrebungen, Strafrecht zu ändern. Ob laut Urteil per 1.1.2013 neu eingeführte VO-Werte zum Borstenvieh-Wohlbefinden missachtet wurden, schert mich dazu im Vergleich die Bohne.

Zu dem Hintergrund des koalitionsvertraglichen Versprechens "Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden" unter der Vertragsüberschrift "Tierschutz, Tierwohllabel und Nutztierhaltung - Deutschland soll beim Tierschutz eine Spitzenposition einnehmen" ergänzend noch ein Zitat aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft von März 2015 "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" (6.4.2 Probleme politischer Prozesse im Bereich der Nutztierhaltung, Seite 271):

"Grundsätzlich kommt den Verbänden und Medien dabei im politischen Prozess eine wichtige Rolle zu, weil sie tatsächlich vorhandene Missstände aufdecken und auf die politische Agenda bringen. Allerdings hat die Fokussierung auf "Skandalmeldungen" auch problematische Aspekte. Da das Bild der Öffentlichkeit von der Tierhaltung in erster Linie durch Medien geprägt ist, kommt es hier auch zu verzerrten Wahrnehmungen über die Realität der Tierhaltung. Auch werden Aktivitäten der Verbände, die die Nutztierhaltung nicht insgesamt infrage stellen, wie etwa das Engagement des deutschen Tierschutzbunds für das Tierwohllabel, von den tierrechtlich organisierten Verbänden kritisiert. Diese Aktivitäten finden auch weniger Resonanz in den Medien.

Vor dem genannten Hintergrund hat sich der Politikprozess im Tierschutz über einen langen Zeitraum in einem Spannungsfeld zwischen medialer Entrüstung und geringer fachlicher Bearbeitungstiefe bewegt. Tierschutz liefert emotionale Bilder und kann medial entsprechend aufbereitet werden. NGOs sind in den letzten Jahren hier mit neuen – zum Teil auch gesetzeswidrigen – Aktionsformen (z.B. Stalleinbrüche, versteckte Videoaufnahmen) verstärkt aktiv geworden. Dagegen ist die fachliche Bearbeitungstiefe des Themas im agrarpolitischen Prozess bis in die jüngere Vergangenheit vergleichsweise verhalten gewesen."

(Aus dem Abkürzungsverzeichnis: NGO = Non-Governmental Organization)

https://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrBeirG...

Der Koalition geht es also offensichtlich darum, eine Skandalisierung der Nutztierhaltung durch straffreie "Stalleinbrüche" - auch wenn es sich in der Regel bloß um Stallaufenthalte handeln kann - mit der Härte des Strafrechts zu beenden, um die Öffentlichkeit vor "zu verzerrten Wahrnehmungen über die Realität der Tierhaltung" zu schützen. Denn das ist ein Störfaktor des politischen Prozesses im Bereich der Nutztierhaltung.

 

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Ah ja, so erlebt man "Rechts"-Fortbildung. Man setzt das Wort "Stalleinbrüche" in Anführungszeichen, und ersetzt es durch die Angabe "bloße Stallaufenthalte". Ich schlage im öffentlichen Recht wie auch Strafprozessrecht denn auch vor, das etwas schroffe Wort von "Durchsuchung" oder gar - heutzeitig gern pressjournaillehaft - "Razzia" zu ersetzen durch "Wohnungsaufenthalt", ggf. "mit Aufräum- und Ordnungshilfe". Wer wollte bei solch menschenfreundlicher Hilfe denn erst noch nach einem Richter fragen? Jeder hilft doch gern. 30.6./1.7.1934 war es wohl Mord. Danach wurde ebenso "Rechts"-Fortbildung betrieben: "Der Führer schützt das Recht." Man muss nur die "richtigen" wohlklingenden Begriffe nutzen. Hilfe zu Rechtsschutz. Wie erhaben - damals und jetzt.

Sollten die Verbände dann nicht besser die Zensur mißliebiger Berichte über die Tierhaltung fordern? Zensur ist zumindest harmloser als Bestrafung.... 

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Die Zensur missliebiger Berichte über die Tierhaltung wird zusätzlich schon auch noch kommen, der Agrarlobby traue ich in dieser Richtung alles zu ...

Zensur ist zumindest harmloser als Bestrafung...

Da konfligieren Sie aber offen mit dem Grundgesetz, was man tunlichst unterlassen sollte: "Eine Zensur findet nicht statt" (Art. 5. Abs. 1 S. 3 GG).  Es kann also - wenn überhaupt - nur eine Bestrafung geben, die ich aber schon wegen Art. 20a GG in jeder denkbaren Form wegen des dort geregelten Tierschutzes verfassungsrechtlich für sehr problematisch halte.

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Man setzt das Wort "Stalleinbrüche" in Anführungszeichen...

Kolos setzt das Wort "Stalleinbrüche" zu Recht in Anführungszeichen, weil es einen solchen Tatbestand (bisher) nicht gibt. In Anlehnung an den Hausfriedensbruch handelt es sich eigentlich um einen "Stallfriedensbruch" und nicht um einen "Einbruch". Der Begriff "Stalleinbrüche" ist selbst schon propagandistisch gefärbt, so dass man ihn völlig richtigerweise auf einen propagandafreien Begriff oder einen Begriff in Gänsefüsschen reduzieren darf.

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Nun gut, Gast, in der Tat ist "Stalleinbruch" bsher nciht legal definiert und rechtfertigt Anführungszeichen. Aber nicht die Verharmlosung als "bloßer Stallaufenthalt". Ein Recht zum Aufenthalt hat irgendwo, wer dahin darf. Sonst nicht.

Laut taz (vgl. a. lto - "BGH - Hühnerstall-Aufnahmen") wird der BGH demnächst auch den Hühnerstallfriedensbruch quasi legalisieren und die Verbreitung von im Wege eines "Bio"-Hühnerstallfriedensbruchs hergestellten Videos über die dortigen schlimmen Zustände erlauben. Die Vorinstanzen hatten noch jeweils dem Hühnerhalter Recht gegeben...

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Das ist die Meldung auf LTO dazu:

"BGH – Hühnerstall-Aufnahmen: Bildaufnahmen aus sogenannten Biohühnerställen, die Haltungsbedingungen im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen dokumentieren, dürfen wohl auch dann im Fernsehen gezeigt werden, wenn sie durch einen Hausfriedensbruch entstanden sind. Diese rechtliche Wertung zeichnet sich nach der mündlichen Verhandlung am Bundesgerichtshof in einem Streit zwischen der Erzeugergemeinschaft Fürstenhof und dem MDR ab, schreibt die taz (Christian Rath). Bei den fraglichen Aufnahmen seien Tiere in bemitleidenswertem Zustand zu sehen gewesen."

"Bemitleidenswert" , um den Ausdruck aufzugreifen, sind heutzutage eher der Rechtsstaat wie auch die Meinungsfreiheit im mangelnden Schutz gegen Löschung. Richtig ist der Befund, dass augenscheinlich nach Stand der Dinge Verbreitungsverbote nicht unmittelbar deshalb gelten, weil das Material productum sceleris ist. Insoweit anders als bei Verwertungsverboten im Verfahren. Allerdings fehlt es auch da an Systematik - was Verbrecher in der Schweiz durch Straftat an Daten einer Bank entnommen haben ( wo prinzipiell "Persönlicheitsschutzbreitbandheuler" auf das Deutlichste in D. - dem Rechtsstaat - Daten für heilig halten ) , verwenden und verwerten Organe des deutschen "Rechts"-Staats, rühmen sich dessen, bezahlen für den Abkauf in die Tasche der Verbrecher und tun plötzlich "empö", wenn jener andere Staat Ermittlungen gegen die Hehler und Käufer jener strafbar entwendeten Daten betreibt. Da passt systematisch einiges nicht zusammen.

Der Ankauf der Steuer-CDs berührt das Persönlichkeitsrecht nicht.

"Darüber hinaus enthielt der Datenträger Informationen über die finanzielle Situation der Beschwerdeführer, welche diese den innerstaatlichen Steuerbehörden vorzulegen hatten, jedoch keine Daten, die eng mit ihrer Identität verbunden wären." Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 06. Oktober 2016 – 33696/11.

"Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten ist nur für solche Fälle anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist." BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09.

 

 

 

 

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Es wird wohl für immer das Geheimnis des EGMR bleiben, wie Daten über eine finanzielle Situation, die einer Behörde vorzulegen seien, nicht "eng mit ihrer Identität verbunden" seien. Ging es um namentlich neutralisierte Statstiken und Umfragen? Ein Steuerverfahren wird eigentlich stets konkret mit einem "identischen", "identifizierbaren" Steuerpflichtigen geführt.

Daten über die finanzielle Situation berühren jedenfalls den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung in keiner Weise.

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So in der Tat das Merkmal beim BVerfG, wie zitiert. Und dagegen der EGMR, der angeblich ncht auf einen solchen "Kernbereich" abgestellt habe, sndern nur auf die "Identität". Soche Scheidung der Bereche sollte dann auch ausgewertet werden bei Verfolgung des millionenfachen Sozialleistungsbetrugs. Ansatzweise - ebeso zu Recht - bei Kontenüerwachungen durch Steuerbehörden.

Natürlich ist es legitim, wenn die Legislative aufgrund ihres gesetzgeberischen Primats auf ihr unliebsame Gerichtsurteile reagiert.

Dies gilt allerdings nur, soweit mittels der Gesetzesänderungen Ziele verfolgt werden, die überhaupt mit verfassungsrechtlichen Prämissen in Einklang stehen. Eben dies ist zweifelhaft:

- Zu den verfassungsrechtlichen Prämissen gehört gem. Art. 20 III GG die  Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht – mithin auch an die Vorgaben nach §§ 2 Nrn. 1 und 2, 16 I Nr. 1 TierSchG i. V. m. Art. 20a GG. Die Wahrnehmung dieses Gesetzesauftrags überfordert jedoch die Exekutive, wenn sie keine Hinweise auf Missstände aus der Öffentlichkeit erhält, schon aufgrund der Quantität der ihr obliegender Überwachungspflichten in der Massentierhaltung. Unterbindet  der Gesetzgeber Informationen an die Verwaltung mittels restriktiver strafrechtlicher Regelungen, untergräbt er den Kontrollauftrag der Verwaltung: Er trifft mithin Regelungen, die mittelbar dem Verfassungsauftrag nach Art. 20 III (2. HS) GG zuwiderlaufen.

- Das durch Art. 5 I GG geschützte Informationsrecht der Öffentlichkeit wäre gleichfalls durch die angestrebten strafrechtlichen Neuregelungen untergraben – ganz besonders, wenn der Öffentlichkeit gegenüber millionenfacher Rechtsbruch verheimlicht werden soll.  Art. 5 GG ist lt. Rechtsprechung des BVerfG für die Demokratie 'schlechthin konstitutiv'.

- Dem steht der besondere Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG als gegenläufiges Verfassungsrechtsgut kaum entgegen:  Ställe sind keine Wohnungen, in denen  es um höchstpersönliche, die Intimsphäre umfassendes Individualrechtsgüter natürlicher Personen geht.

Den Gesetzgeber wird dies alles vermutlich nicht sonderlich interessieren - wohl aber, ob sich die geplanten Strafrechtsverschärfungen 'wahltaktisch amortisieren'. Hiervon ist nicht auszugehen, denn die geplanten Gesetzesänderungen werden vermutlich nur von den betroffenen Agrarunternehmen (man sollte nicht von Bauern sprechen) gutgeheißen. Die Öffentlichkeit wird mit Aversionen auf derartige 'Sonderstrafverschärfungen' reagieren und die Regierungsparteien bei kommenden Wahlen weiter abstrafen. Deshalb ist die mit gerade mal einer Mehrheit von 9 Stimmen regierende GroKo auch machiavellistisch betrachtet gut beraten, von derartigen Gesetzesvorhaben abzusehen. 

Herrn Prfesor Cirsovius' einung kann ich nicht folgen. Art. 5 GG gewährt keine Informationsbeschaffungsfreiheit jenseits der Rechtsordnung. Auf diesem Wege wie C. weitergehend könnten wir privaten Datenschutz in die Tonne kloppen. Die abwegige Interpretation auch hier der Gerichte führt zu dem logischen Schluss: Art. 1 GG: "Die Würde des Schweins ist unantastbar." Die logische Ableitung dessen ist hier vorgelegt worden.

Mein Beitrag zur Debatte ist, dass der Datenschutz im Tierschutzrecht ohnehin massiv gelockert werden müsste, weil es sonst an einer effektiven Kontrolle der Verwaltung fehlt. Im Bereich Tierschutz funktioniert die Gewaltenteilung nicht richtig, weil die Geschädigten - die Tiere - nicht die Möglichkeit haben, die Gerichte um Rechtsschutz zu ersuchen. Das ist natürlich faktisch nicht möglich, wäre aber rechtlich umzusetzen durch Menschen, die quasi als Prozessstandschafter auftreten. Das geht den meisten von Ihnen sicherlich zu weit und ist auch nicht Gegenstand dieses Artikels, deshalb ab davon: Ich habe schon oft Tierschutzverstöße, die mir im Alltag zufällig begegnet sind, bei verschiedenen Veterinärämtern angezeigt. In den wenigsten Fällen hatte ich den Eindruck, dass die Behörden tatsächlich dagegen eingeschritten sind. Eindruck deswegen, weil ich bei Nachfragen immer mit dem Hinweis auf den Schutz der Daten des Tierhalters abgewiesen wurde. Dabei wollte ich weder seinen Namen noch seine Telefonnummer oder Adresse wissen, sondern nur, was mit den betroffenen Tieren passiert ist. In einem Fall war es derart absurd, dass ich sogar nach kurzer Google-Recherche den Namen des Tierhalters und private Aufnahmen aus seiner Wohnung im Internetauftritt der Bildzeitung gefunden habe. Mit denen hat der Mann nämlich ganz offen geredet darüber, wie er mit dem betroffenen Tier zusammenlebt - aber mir als Anzeigeerstatterin wurde vom Veterinäramt nicht das kleinste Fitzelchen Information zu ihrem Vorgehen gegeben. Ob und wie Veterinärämter gegen Verstöße vorgehen, ist deshalb in der Regel völlig ihrer Willkür überlassen. Insofern bleibt Tierschützern überhaupt keine andere Möglichkeit, als die Verstöße zu dokumentieren und damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Und selbst das funktioniert natürlich, wenn überhaupt, nur bei großen Skandalen, nicht beim alltäglichen Missbrauch des eigenen Haustiers zum Beispiel, weil in dem Bereich das öffentliche Interesse nicht besteht. Meines Erachtens sollten AnzeigeerstatterInnen deshalb ein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht gegenüber den Veterinärämtern haben und die Veterinärämter eine Pflicht zur Begründung ihres Vorgehens im Einzelfall, ähnlich §§ 29, 39 VwVfG. Hier muss natürlich die Reichweite dieser Informationsrechte noch mit den Persönlichkeitsrechten des Tierhalters abgewogen werden, aber bisher werden diese einfach als Totschlagargument für jedwede Nachfragen gebraucht und das hat mit Interessenausgleich gar nichts zu tun.

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Ich stehe solchen Auskunftsrechten skeptisch gegenüber, weil die Bediensteten der Veterinärämter noch weniger Zeit für die Tiere haben, wenn sie mit Papierkram beschäftigt werden. Die überbordende Bürokratie, die natürlich nicht nur, aber auch auf solchen Rechten beruht, sorgt schon jetzt in etlichen Bereichen dafür, dass Menschen mit Papierkram statt mit ihren eigentlichen Aufgaben beschäftigt sind. Bdeispielsweise ist es in Pflegeheimen inzwischen wichtiger, aufgabenerfüllung dokumentiert zu haben statt tatsächlich Aufgaben zu erfüllen. Ärzte müssen im eigenen Interesse jeden Diagnose- oder Behandlungsschritt dokumentieren. Polizisten haben oft mehr mit Innendienst und Zeugendienst zu tun als mit dem eigentlichen Aufgabenfeld. Usw.usw.

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Der Gesetzgeber schreibt in § 2 des Tierschutzgesetzes art- und verhaltensgerechte Unterbringung von Legehennen vor, deren Möglichkeiten zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden dürfen, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Wer einer Legehenne länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 17 Nr. 2.b). Das ist doch schon mal eine Vorgabe, mit der Tierschützer und Verbraucher - zunächst einmal - leben können.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ist zwar ermächtigt, Näheres zur Haltung von Legehennen durch Rechtsverordnung zu bestimmen. Näheres ist aber nicht Anderes. Für Vorschriften über Anforderungen hinsichtlich der Bewegungsmöglichkeit, zu denen das Ministerium ermächtigt wurde, gilt auch die vom Gesetzgeber gezogene Grenze: Die Bewegung darf nicht so eingeschränkt werden, dass Legehennen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.

Das BVerfG hat durch Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 - eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums kassiert, die eine benutzbare Bodenfläche von 450 Quadratzentimeter pro Henne zugelassen hatte. Die Rechtsverordnung setzte sich über die Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigung schon deswegen hinweg, weil durch diese Bewegungseinschränkung schon die Befriedigung des Schlafbedürfnis nicht möglich war - ausgehend von einem durchschnittlichen Körpermaß einer ausgewachsenen Legehenne von 47,6 x 14,5 x 38 cm. Die Frage, ob die in der Rechtsverordnung geregelten Nutzflächen und die durch sie bewirkte Einschränkung artgemäßer Bewegungsmöglichkeit den Tieren im Sinne des § 2 Nr. 2 TierSchG Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zufügt, hatte das BVerfG deshalb in seiner Entscheidung ausdrücklich offen lassen (Rn. 142). Darauf kam nicht mehr an.

Nach der heute geltenden Fassung der Rechtsverordnung dürfen auf 1 Quadratmeter 9 Legehennen gehalten werden. Dies entspricht 1111 Quadratzentimeter Nutzfläche pro Tier und immerhin wesentlich mehr als 450. Gleichwohl kann immer noch stark bezweifelt werden, dass das Bundesministerium sich damit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des Tierschutzgesetzes hält. Denn in den vom Bundesministerium zugelassenen Verhältnissen von Bewegungseinschränkung neigen Legehennen stark dazu, sich selbst und ihre Artgenossen schwer bis tödlich zu verletzen. Um das zu verhindern und ihrem Ausdruck des Leidens ein Ende zu bereiten, werden ihnen die Schnäbel gekürzt. Das bedeutet, dass ihnen die im Schnabel liegenden Nervenstränge mit einer 800 Grad heißen Nadel durchtrennt werden. Eine Prozedur, die jede Legehenne in der Massenhaltung heute über sich ergehen lassen muss und die sich inzwischen als selbstverständlich etabliert hat. Davon geht jedenfalls das von mir in meinem vorhergehenden Beitrag oben genannte und vom Bundesministerium veröffentlichte Gutachten aus. Die vom BVerfG noch offen gelassene Frage, ob den Tieren Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zufügt werden und die Bewegungseinschränkung ursächlich dafür ist, dürfte sich unschwer beantworten lassen - auch bei 1111 Quadratzentimeter Nutzfläche pro Tier (entspricht ca. anderthalb DIN A4-Blatt).

Mag die Rechtsverordnung des Bundesministeriums insoweit materiell rechtswidrig sein. Solange sie nicht aufgehoben ist, ist sie aber wirksam und wird entsprechend angewendet. Dass sie für ihre Regelungen der faktischen Verhältnisse auch noch die Auszeichnung mit einem Label beansprucht, nicht nur dem Tierschutz, sondern sogar noch dem Wohl der Tiere ("Tierwohllebel") zu dienen, das ist beißender Spott mit Verdacht auf debilen Zynismus, der allerdings weiß, wie man sich die Schwächen der Demokratie zunutze macht. Immerhin hat man es geschafft, sich in den Koalitionsvertrag einzubringen, ohne vorher das zum Wahlprogramm gemacht zu haben - natürlich. Wie auf Schnabelkürzen soll auf nicht-kurative Eingriffe verzichtet werden - natürlich freiwillig - mit dem Ziel, das Tierschutzrecht zu einer freiwilligen Angelegenheit zu machen (Zeilen 3987-3989 des Koalitionsvertrags). Zugleich sollen diejenigen, die sich Zugang zu Bildmaterial über Auswirkungen eines solchen Verzichtsvorbehalts verschaffen, effektiv zu Kriminellen gemacht werden. So etwas kommt in einem Wahlprogramm gewiss nicht gut an.

Ich teile die Hoffnung, dass Demokratie das den Spöttern und Zynikern des Tierschutzes nicht durchgehen lassen wird. Restzweifel bleiben dennoch. Ich wünschte mir, die Rechtsstaatlichkeit würde die Demokratie aber nicht völlig sich selbst überlassen, wenn es um gesetzgeberische Grenzen des Strafrechts geht. Höhere Anforderungen an die Zwecksetzung einer Strafrechtsnorm als die von BVerfG gestellten würden schon mal helfen. Damit ließe sich auch die Verhältnismäßigkeit gerichtlich besser überprüfen.

 

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