Missglückte Generalprobe für das deutsche Völkerstrafrecht

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 30.09.2015


Nach den Äußerungen des Gerichtsvorsitzenden im Rahmen der Urteilsverkündung sowie der ersten Stellungnahmen der Bundesanwaltschaft wie der Verteidigung nach der Urteilsverkündung war der erste Prozess nach dem bereits am 30.6.2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), der vor mehr als vier Jahren beim OLG Stuttgart begann und am vergangenen Montag nach 320 Verhandlungstagen mit der Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen sein Ende fand, eine missglückte Generalprobe. Theaterleute kennen viele aus reinem Aberglauben heraus entstandene Regeln, wie auch diese, dass eine schlechte, pannenreiche Generalprobe ein gutes Omen für die Premiere ist (und natürlich auch umgekehrt).


http://m.spiegel.de/politik/deutschland/a-1055142.html

 

Im Prozess ging es um Kriegsverbrechen im Jahre 2009 in der Demokratischen Republik Kongo durch Angriffe der FDLR im Ostkongo mit Gemetzeln mit hunderten von Toten.

 

Mit den Mitteln der Deutschen StPO lasse sich ein solches Verfahren nicht in den Griff bekommen, erklärte der Vorsitzende im Rahmen der Urteilsverkündung. Neben unüberwindbaren logistischen Problemen bei der Beweismittelbeschaffung stehe der "extreme Opferschutz der Aufklärungsverpflichtung diametral entgegen“.

 

Folgt man der Einschätzung des Vorsitzenden ist ein Gerichtssaal in Stuttgart nicht der richtige Ort, um Verbrechen aufzuklären, die sich vor vielen Jahren tausende Kilometer entfernt in einem der blutigsten Bürgerkriege ereignet haben.

 

Der die Anklage vertretende Bundesanwalt spricht nicht von einem Scheitern des VStGBs, sondern antwortet ausweichend, dass es der Justiz nicht zustehe, dem Gesetzgeber zu sagen, was er falsch oder richtig gemacht habe.

 

Die Verteidigung moniert, dass jedenfalls dieser Prozess die Bewährungsprobe für das VStGB nicht gelungen sei. Die StPO gewährleiste kein faires Verfahren für Auslandsprozesse.


http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/olg-stuttgart-urteil-3-ste-6-10-ruanda-kriegsverbrechen-vstgb-kommentar/

 

Dass die deutsche Justiz gleichwohl völkerstrafrechtliche Prozesse mit den Mitteln der StPO führen kann, ist meine feste Überzeugung. Dies belegen allein schon die bereits durchgeführten äußerst umfangreichen Terrorismusverfahren, zumal wenn es um terroristische Vereinigung im Ausland ging. Erforderlich ist allerdings sich auf die veränderten Gegebenheiten bei Völker strafrechtlichen Verfahren einzustellen. Aber wie schon bei terroristischen Vereinigungen im Ausland kann nicht am Schreibtisch in Karlsruhe ermittelt werden, sondern dies kann nur vor Ort geschehen. Und wenn dies unterblieben sein sollte, ist das so gut wie irgend noch möglich nachzuholen. Die Ermittlungen werden mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden sein. Diese sind aber aktiv anzugehen und aus den gewonnenen negativen Erfahrungen muss sich ein Lern-und Umsetzungsprozess ergeben. Dies erfordert sicher auch erhebliche finanzielle Mittel (übrigens: das Stuttgarter Verfahren wird mit ca. 4,2 Millionen Kosten veranschlagt). Aber wenn der Gesetzgeber mit dem VStGB seinen Willen unterstreicht, Völkerstraftaten in Deutschland zu verfolgen, was ich für sehr wichtig halte, dann kann es damit allein nicht sein Bewenden haben.

 

Jetzt vertraue ich mal den Theaterleuten, nämlich dass auf eine missglückte Generalprobe die gelungene Premiere folgt.

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11 Kommentare

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Machbar sind die Verfahren wohl schon, wobei der BGH im Frankfurter Verfahren ja recht gnädig war, als er die Feststellungen aufrecht erhielt, um nicht eine jahrelange Beweisaufnahme wiederholen zu lassen.

Eine  Verteidigerin im Stuttgarter Verfahren hat sich ja bereits im delegibus-Blog dazu ausgelassen, dass und weshalb derartige Verfahren unzumutbar und grob rechtsstaatswidrig seien.  Dafür dauerten die Verteidigerplädoyers dann teilweise nur knappe 30 Minuten.

Interessant ist auch die Prozessberichterstattung der taz und das dort geschilderte Verteidigungsverhalten. Nachdem man erfolglos versucht hat, einen weiteren Pflichtverteidiger herauszukegeln, wurde eine der Verteidigerinnern plötzlich nach einer längeren Sommerpause krank...

Anders als im NSU-Prozess hat sich offenbar bei den bislang geführten VStGB-Verfahren noch keine Nebenkläger-Kompanie gefunden, die mit teilweise zweifelhaften Mandatsbeziehungen (siehe die gestrigen Berichte auf SPON zur verschwundenen Nebenklägerin) und Anträgen, die sich weniger mit der Tataufklärung als mit der  umfassenden Hintergrundaufklärung die Strafsenate quält...

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Also die Verurteilungen waren nur Show und der eigentliche Prozess folgt erst noch, oder was verstehen Sie unter einer Generalprobe?

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Der Vorsitzende äusserte in seinem Vorwort zur Urteilsbegründung folgendes: "So geht es nicht."
Nimmt man diese Äusserung ernst, hätte er das Verfahren mit Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO einstellen müssen. Stattdessen ignorierte er seine eigene Einschätzung und verurteilte die Angeklagten u.a. unter Missachtung seiner Sachaufklärungspflicht. Ich stimme Ihnen zu, dass die Durchführung solcher Verfahren unter der jetzigen Gesetzeslage mit einigen Gesetzesänderungen möglich sind, allerdings nur unter einer Vielzahl von Voraussetzungen (Aufzählung nicht abschliessend):
-restriktive oder besser keine Anwendung des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO
-Ausstattung der Verteidigung mit den notwenigen Mitteln zwecks eigener Ermittlungen (Waffengleichheit)
-erhöhte Anforderungen an die Sachaufklärungspflicht d.h. u.a. Zeugen vom Hörensagen, deren Quellen nicht überprüfbar sind, können nicht Grundlage der Urteilsfindung sein
-Zeugen, die nicht in das Bundesgebiet einreisen können, wollen oder dürfen sind vor Ort zu vernehmen
-Zuständigkeit ausgewählter Senate
-Zugang aller Prozessbeteiligten zu Unterlagen z.b. des ICC
-verpflichtende Hinzuziehung eines Landes- und Kulturwissenschaftlers
-Zulassungsbeschränkungen für Verteidiger
-verpflichtende Fortbildungen für die zuständigen Richter
-Trennung von Kosten- und Spruchsenat

Beste Grüße

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@ Michael Ried

 

Sie schreiben:

 

"-erhöhte Anforderungen an die Sachaufklärungspflicht d.h. u.a. Zeugen vom Hörensagen, deren Quellen nicht überprüfbar sind, können nicht Grundlage der Urteilsfindung sein"

 

Da werfen Sie Sachaufklärung und Beweiswürdigung durcheinander. Starre Beweisregeln (Keine Zeugen von Hörensagen) werfen den modernen Strafprozess 150 Jahre zurück...

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# 2 Wilfried

 

Den Bezug zu einer Generalprobe im Theater herzustellen, mag nicht glücklich gewesen sein. Natürlich war dieses Verfahren nicht nur eine Show!

 

Zum Ausdruck wollte ich bringen (siehe auch meinen Schluss): Auch wenn keiner der Verfahrensbeteiligten mit dem Gang dieses Verfahrens glücklich ist, sollte dies nicht heißen, dass wir uns vom Völkerstrafrecht "verabschieden" oder umgehend die StPO ändern, sondern aus den Erfahrungen lernen sollten (einschließlich etwaiger Forderungen de lege ferenda), um künftighin solche Verfahren besser zu bewältigen. 

 

Mit besten Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

 

@Gerald 

Die Sachaufklärungspflicht kann nicht an den hierzulande üblichen prozessualen Maßstäben gemessen werden. Die müsste sehr viel weiter gehen. Nur ein Detailaspekt: In der BGH-Hauptverhandlung kam z.B. zur Sprache, dass der Angeklagte O.R. in keiner Zeugenaussage bei früheren Verfahren erwähnt wurde. Dies liege, so das OLG Frankfurt, daran, dass die Zeugen nicht danach gefragt worden seien. Beleg dafür seien weitere Zeugen, die den Ermittlungsbehörden entstammen 

(https://openjur.de/u/733147.html, Rz. 365, 366).

Eine ethnologische Untersuchung, welche Rolle z.B. narrative Aspekte für die spätere Aussage spielen, wurde wohl nicht durchgeführt. Zumindest ergibt die Beweiswürdigung eine solche Untersuchung nicht. Offenbar vertraute das OLG der eigenen Sachkunde. Geht das hier in gleicher Weise wie bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung eines hiesigen Zeugen? Man müsste die Beweiswürdigung wohl auf eine breitere (Sach)Grundlage stellen.

Ob das und anderes von hier aus überhaupt zu leisten ist, ist die Frage. Dies gilt insbesondere für die Verteidigung, die wegen des Prinzips der Amtsermittlung kaum eine eigene originäre Möglichkeit hat, auf die Beweiserhebung einzuwirken. Einen Beweisantrag zu formulieren, ist schon im Hinblick auf Beweistatsachen schwierig, will man sich nicht dem Vorwurf einer Behauptung "ins Blaue hinein" aussetzen. 

Wie das zu verbessern kann, wird abzuwarten sein. 330 Tage für gut 50 Zeugen ist da wohl nur der Anfang. 

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Und was soll ein Ethnologe beitragen? Sachverständigengutachten dazu, dass der Afrikaner (oder jedenfalls der Ruander) gerne mal flunkert und/oder der Orientale gerne mal weitschweifige Märchen aus 1001Nacht erzählt? Das grenzt schon an recht unsubtilen Rassismus.

Und selbst wenn es empirische Daten zur Narrativtradition einer bestimmten Ethnie gäbe: wie soll das in die Würdigung einer individuellen Aussage einfließen? Etwa so: "Gegen die Glaubhaftigkeit des Zeugen spricht auch, dass der Sachverständige bekundet hat, in Ostruanda gebe es eine Tradition des Hexenglaubens und Juju-Zaubers sowie phantasiereichen Erzählungen über Waldgeister; da nicht auszuschließen ist, dass der Zeuge, der genau dort aufwuchs, derartigen Einflüssen ausgesetzt war, kann die Unwahrhypothese nicht widerlegt werden"

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ad # 5 MT

 

Warum das in Stuttgart jetzt zu Ende gegangene Verfahren nicht vor dem IStGH geführt wurde, kann ich leider konkret nicht beantworten. Aufgrund der Rechtslage gehe ich davon aus, dass sich wegen dieser Angeklagten niemand an das Gericht gewandt hat und auch die Chefanklägerin keine eigenständigen Ermittlungen geführt hat (zum sog trigger mechanisms, der das Tätigwerden des Gerichts auslöst, vgl Art. 13 IStGH-Statut). – Der IStGH beschäftigt sich mit sehr vielen Situationen aus Afrika, so dass schon von einem “Gerichtshof für Afrika“ die Rede ist. Dies ist wiederum nicht unproblematisch.

 

Der aus dem Völkerrecht selbst entstammende Strafanspruch setzt sich auf zweifache Weise durch: Entweder wird die Strafverfolgung unmittelbar durch ein internationales Organ, wie dem IStGH oder dem ICTY, wahrgenommen oder mittelbar durch ein nationales Gericht derjenigen Staaten, die ihre Zuständigkeit zur Strafverfolgung von Völkestraftaten durch entsprechende Ausgestaltung ihres innerstaatlichen Rechts erklärt haben, wie die Bundesrepublik Deutschland mit dem VStGB. Mit dem VStGB (da hat die BRD gegenüber unseren Nachbarstaaten eine Vorreiterrolle eingenommen) wollte Deutschland sicherstellen, die in die Zuständigkeit des IStGB fallenden Verbrechen selbst verfolgen zu können, wie das Verfahren Stuttgart zeigt. Während die Tatbestände des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit weitgehend originalgetreu aus dem IStG-Statut ins VStGB übernommen wurden, weisen die in §§ 8 - 12 VStGB behandelten Kriegsverbrechen eine abweichende Systematik auf. Vereinfachend kann aber gleichwohl gesagt werden, dass auch in diesem Bereich das VStGB weitgehend den Regelungen im IStGH-Statut entspricht.

 

Es ist also jedenfalls nicht so, dass Kriegsverbrechen, wie sie sich im IStGH-Statut finden, von einem deutschen Gericht nicht verfolgt werden können; das ist aber nur deshalb möglich, weil wir das VStGB haben.

 

Beste Grüsse

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

Irritierend ist für mich, dass das Völkerstrafrecht nicht auf Täter im oder aus dem Ausland beschränkt ist, dies aber hier implizit wird. Womit ist das Weglassen jedes Gedankens an eine Anwendbarkeit gegenüber deutschen Bürgern und Institutionsangehörigen im Inland motiviert?

Konkret würde mich interessieren, was aus juristischer Sicht zur aktuellen Strafanzeige des Anwaltes Schmitz bzgl. der Kriegsbeteiligung in Syrien und der entsprechenden Berichterstattung der Medien festzustellen ist.

https://www.rechtsanwalt-wilfried-schmitz.de/wp-content/uploads/2018/02/...

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