"Ich bin Ausländer. Das ist strafmildernd zu bewerten!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.11.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht6|6965 Aufrufe

Na, das wäre zu komisch. Der Angeklagte vermisste aber die strafmildernde Berücksichtigung der Tatsache, dass er Ausländer ist, in seinem Urteil. Das OLG hatte damit keine Probleme:

Der Angeklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein für die konkrete Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB bedeutsamer, für ihn günstiger Umstand keine ausdrückliche Erwähnung im Rahmen der Strafzumessungserwägungen des Landgerichts gefunden hat. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommender Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Die Begründung eines Urteils muss jedoch erkennen lassen, dass die wesentlichen Gesichtspunkte gesehen und in ihrer Bedeutung und ihrem Zusammenwirken vertretbar gewürdigt wurden (vgl. BGH NStZ 2008, 288). Dabei ist es nicht ohne Weiteres rechtsfehlerhaft, wenn ein in den sonstigen Urteilsgründen dargestellter Strafzumessungsgrund im Abschnitt über die Strafzumessung nicht ausdrücklich wiederholt wird (BGH NStZ-RR 2012, 168); es kommt darauf an, ob nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter den Gesichtspunkt bei der Zumessungsentscheidung übersehen hat. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles vom Tatrichter zu entscheiden (BGH, Urteil vom 31. Juli 2014, Az. 4 StR 216/14, zitiert nach beck-online, m.w.N.; BGH NStZ-RR 2012, 336). Das Landgericht Essen war nicht gehalten, die Ausländereigenschaft des Angeklagten als wesentlichen Strafzumessungsgesichtspunkt zu dessen Gunsten zu berücksichtigen. Die Ausländereigenschaft begründet für sich allein keine besondere Strafempfindlichkeit; nur besondere Umstände wie etwa Verständigungsprobleme, abweichende Lebensbedingungen und erschwerte familiäre Kontakte können ausnahmsweise zu einer anderen Beurteilung führen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 337). Zwar ist der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig, jedoch führt dies vorliegend auch nicht ausnahmsweise dazu, dass das Landgericht eine besondere Strafempfindlichkeit aufgrund der Ausländereigenschaft des Angeklagten hätte berücksichtigen müssen. Das Landgericht Essen hat zur Person des Angeklagten festgestellt, dass sich dessen Bewährungshelfer darum bemüht hatte, dass dieser an einem von der Volkshochschule angebotenen Deutschkurs teilnehmen konnte. Der Angeklagte hat den Kurs jedoch nur einige Male besucht und eine weitere Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, der angebotene wöchentliche Umfang von 1,5 Stunden sei aus seiner Sicht zu wenig, um die deutsche Sprache zu erlernen. Vor diesem Hintergrund kann sich der Angeklagte aber nicht darauf berufen, er sei als Ausländer besonders haftempfindlich, da er der deutschen Sprache nicht mächtig sei.

  Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 22.9.2016 - 5 RVs 68/16

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6 Kommentare

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"Der Angeklagte hat den Kurs jedoch nur einige Male besucht und eine weitere Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, der angebotene wöchentliche Umfang von 1,5 Stunden sei aus seiner Sicht zu wenig, um die deutsche Sprache zu erlernen. Vor diesem Hintergrund kann sich der Angeklagte aber nicht darauf berufen, er sei als Ausländer besonders haftempfindlich, da er der deutschen Sprache nicht mächtig sei."

Und wenn ihm kein Deutschkurs angeboten worden wäre, wäre das strafmildernd zu berücksichtigen? Was ist denn das für eine Verknüpfung: Kann ein Engpass bei Integrationsleistungen den strafrechtlichen Schutz Dritter schwächen dürfen?

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Man muss wohl Strafrechtler sein, um die Idee nachvollziehen zu können, dass man eine Strafmilderung bekommt, weil man sich nicht gut verständigen kann. Dann sitzt der Deutsche bei derselben Tat einen Monat länger im Knast.

 

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Könnte man den Tatvorwurf im Beitrag ergänzen? Kann das Urteil in einer freien Datenbank nicht finden.

Um nachvollziehen zu können, ob die Zumessung im Einzelfall zu Recht unterblieben ist, müsste man die Besonderheit des Falles zumindest grob kennen.

 

"Schützt vor Strafe nicht" ist was anderes als "kann sich nicht strafmildernd auswirken." Man darf zB nicht auf den Gehweg oder die Straße spucken... Da ist aber auch ein Strafbereich... Wenn du es öfter tust ist die Strafe höher als bei einem Erstvergehen. Und menschenunwürdige Umstände (wie das Vorenthalten von Grundbedürfnissen) müssen natürlich berücksichtigt werden.

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