Die Lösung: Bedingten Vorsatz einfach abschaffen?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 30.05.2018
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieMaterielles Strafrecht32|11482 Aufrufe

Als Aufhänger dienen die Raserfälle, die auch hier im Beck-Blog schon ausgiebig diskutiert wurden. Aber es geht um deutlich mehr. Kollegin Hörnle hat in der FAZ (Kolumne Einspruch) vorgeschlagen, die seit jeher problematische Differenzierung zwischen bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) und bewusster Fahrlässigkeit abzuschaffen („Die Dichotomie gehört abgeschafft“) und beide in einer neuen Zwischenkategorie „Leichtfertigkeit“ o.ä.  (angelehnt an die „recklessness“ im amerikanischen Strafrecht) zu vereinen.

Für diese Fälle sei eine Strafdrohung unterhalb der bislang für vorsätzliches Verhalten und oberhalb derjenigen für Fahrlässigkeit angemessen. Diese Kategorie verzichtet auf das voluntative Element des Vorsatzes, so dass man nicht auf Spekulation oder den fragwürdigen Nachweis angewiesen sei, was dem Täter kurz vor oder bei der Tat durch den Kopf gegangen sei („wird schon gutgehen“ vs. „na, wenn schon“). Thomas Fischer hat sich auf Spiegel Online deutlich dagegen positioniert. Eine solche neue Kategorie verschiebe das Problem des Nachweises des subjektiven Tatbestands nur an eine andere Stelle des Prüfprogramms und berge in Wahrheit eine versteckte Strafschärfung.

Sicherlich haben beide Ansichten etwas für sich, doch tendiere ich zur Ansicht von Fischer. Zunächst halte ich das Problem nicht für so breit angelegt, wie es zunächst den Anschein hat. Zwar handelt es sich beim Vorsatz um ein Merkmal des Allgemeinen Teils. Das Abgrenzungsproblem existiert aber (fast) nur bezüglich des Tötungsvorsatzes und ist daher eher eine Frage des Besonderen Teils. In anderen praktisch häufigen Fällen (Diebstahl, Körperverletzung) tritt es dagegen nicht auf, da sich der Vorsatz in der Praxis meist aus der Handlung unmittelbar erschließt und nur Fälle des Irrtums für die Abgrenzung relevant sind. Insofern würde die Problematik auch bei einer Revision der Tötungsdelikte zu berücksichtigen sein.

Die problematische Lücke der Strafandrohung zwischen vorsätzlichem Totschlag (oder gar Mord) und fahrlässiger Tötung ist im StGB an einigen Stellen teilweise schon durch entsprechende Gefährdungsdelikte geschlossen worden – und hier scheint mir auch der passendere Ansatz zu liegen: Wer vorsätzlich eine konkret das Leben gefährdende Handlungsweise durchführt, sollte einer höheren Strafdrohung unterliegen, wenn zumindest eine konkrete Lebensgefahr ausgelöst wurde, ohne dass es dabei auf den Vorsatz hinsichtlich eines tödlichen Erfolgs ankäme – strukturell ähnlich ist dies etwa in § 315c Abs.3 Nr.1 StGB geregelt.

Als Gefährdungsdelikt (allerdings als abstraktes) ist ja jetzt auch die Beteiligung an einem Autorennen geregelt.

Ich bin aber gespannt auf Ihre Diskussionsbeiträge.

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32 Kommentare

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Auf den erste Blick hielt ich den Vorschlag für überflüssig, weil es sich um ein reines Anwendungsproblem handelt. Aber andererseits... wieso nicht auch im Strafrecht zurückkehren zu der Wertung, dass grobe Fahrlässigkeit und Vorsatzgleich zu behandeln sind, vielleicht mit Unterschieden in der Strafzumessung? Das würde einige Probleme lösen.

Beispielsweise sehe ich seit Studienzeiten nicht, wieso die Rechtsprechung bei Geisterfahrer-, jetzt auch bei Raserfällen einen Vorsatz verneint, weil ein Schadenseintritt auch immer den Täter oder die Täterin umfassen könnte? Liegt nicht gerade in der billigenden Inkaufnahme der "Kick", der Mutbeweis? Hier wird m. E. der tatsächliche Wille des Täters quasi ersetzt durch das, was der Richter oder die Richterin als vernünftig erachtet. Dabei aber wird verkannt, dass Richter und Richterinnen tendenziell sehr viel "vernünftiger" sein werden als die Kunden und Kundinnen vor der Richterbank. Für, so behaupte ich, 99,99% aller Richterinnen und Richter wird auch kaum nachvollziehbar sein, wieso sich jemanden im Namen seines unsichtbaren Freundes in die Luft jagt, nur um ein paar Passanten und Passantinnen zu töten. Passiert aber trotzdem. Und genau rasen einige selbstmörderisch durch die Innenstadt. Der Todeswunsch wird dort nicht so ausgeprägt sein. Aber letztlich pauschal anzunehmen, er sei nicht vorhanden, weil Selbsttötungen unvernünftig seien und dann im Zweifel gegen Vorsatz zu entscheiden, greift m. E. zu kurz. Und ja, ich vergleiche gerade Raser und islamistische Selbstmordattentäter - man sehe auf den sozialen Hintergrund der Täter. Diese gleichen sich häufig verblüffend darin, dass die Täter - nachvollziehbarerweise - keine großartige Zukunft vor sich sehen. Und unter solchen Umständen ist einem Menschen sein (und typischerweise "sein", nicht "ihr") Leben nicht viel wert.

Im Prinzip wäre das Problem lösbar über eine gesetzliche Beweisregel: Grobe Fahrlässigkeit indiziert Vorsatz. Aber eine solche Regelung dürfte problematisch sein im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte Unschuldsvermutung.

Daher ist eine Änderung im materiellen Recht m. E. jedenfalls diskussionswürdig. Ich würde sie, soweit ich das bisher durchdacht habe, unterstützen.

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Sehr geehrter Herr Leser,

ich denke, Sie haben die Problematik um die es hier geht nicht verstanden. Beleg dafür ist, dass Sie Geisterfahrer, Raser und Selbstmordattentäter in einen Topf werfen.

Ein sachliches Argument findet sich nicht.

 

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Sehr geehrter Herr Beckhaus,

lesen Sie sich Ihren Kommentar vielleicht einmal nach dem Maßstab durch, den Sie an meinen anlegen wollen, und stellen Sie sich die Frage, ob Sie ein sachliches Argument erstens zum Thema, zweitens zu meinem Verständnis der hier diskutierten Rechtsfrage vorgebracht haben.

Über eine inhaltliche Diskussion würde ich mich freuen.

Liebe Grüße

Leser

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Sie schreiben z.B.:

"Beispielsweise sehe ich seit Studienzeiten nicht, wieso die Rechtsprechung bei Geisterfahrer-, jetzt auch bei Raserfällen einen Vorsatz verneint, weil ein Schadenseintritt auch immer den Täter oder die Täterin umfassen könnte?"

Sie haben demnach bis heute die Unterscheidung von den drei Vorsatzformen auf der einen Seite und der Fahrlässigkeit auf der anderen Seite nicht verstanden. Warum eine solche (differenzierte) Unterscheidung durchgeführt wird, dürften Sie ebenfalls nicht verstanden haben.

Worauf wollen Sie denn bei einem sog. Geisterfahrer den Vorsatz beziehen? Und mit welcher Begründung? Und mit welcher Begründung meinen Sie das Verhalten eines Geisterfahrers und eines Rasers direkt vergleichen zu können?

Was haben sog. Selbstmordattentäter mit alledem zu tun? Und wie kommen Sie zu Ihrer Behauptung von den etwa 99,99% der Richter? Was denken Sie, wie viele Selbstmordattentäter der durchschnittliche deutsche Strafrichter bisher auf seiner Anklagebank sitzen hatte?

Wie kommen Sie zu der Annahme, ein "Raser" sei "selbstmörderisch"? Ist ein Autofahrer, der bei einer Geschwindigkeit von 14 Meter in der Sekunde (etwa 50 km/h) drei Sekunden auf sein Smartphone schaut und so etwa 42 Meter im Blindflug zurücklegt ebenfalls "selbstmörderisch"?

Wie stellen Sie den Zusammenhang zwischen "selbstmörderisch" und der vorsätzlichen Tötung eines anderen her?

Dies ist nur ein Teil der Fragen, die sich mir beim Lesen Ihres Kommentars stellen.

Sie möchten dennoch über das Thema sprechen? Warum tauchen in Ihrem Kommentar dann aber nicht die Begriffe "Leichtfertigkeit", "bewusste Fahrlässigkeit" und "Eventualvorsatz" auf? Denn darum geht es doch!

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Gast schrieb:
Sie haben demnach bis heute die Unterscheidung von den drei Vorsatzformen auf der einen Seite und der Fahrlässigkeit auf der anderen Seite nicht verstanden. Warum eine solche (differenzierte) Unterscheidung durchgeführt wird, dürften Sie ebenfalls nicht verstanden haben.

Ich verstehe die Unterscheidung. Ich zweifle bloß an der Korrektheit der Anwendung. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.

Gast schrieb:
Worauf wollen Sie denn bei einem sog. Geisterfahrer den Vorsatz beziehen? Und mit welcher Begründung?

Das ist eine Frage des Einzelfalls.

Gast schrieb:
Und mit welcher Begründung meinen Sie das Verhalten eines Geisterfahrers und eines Rasers direkt vergleichen zu können?

Vergleiche und Gleichsetzung sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Aussage: "Äpfel und Birnen sind dasselbe." wäre falsch. Aber eine Aussage: "Äpfel sind runder als Birnen." ist möglich.

Und so können wir auch Raser und Geisterfahrer vergleichen. Beide missachten Verkehrsregeln und gefährden damit sich und andere. Die konkrete Verkehrsregel ist unterschiedlich. Aber die Auswirkungen sind recht ähnlich. Die Motivationslage kann differerieren, muss es aber nicht. Auch ein Geisterfahrer mag sich des "Kicks" wegen für seine Tat entschieden haben.

Gast schrieb:
Was haben sog. Selbstmordattentäter mit alledem zu tun?

Die Annahme, dass bspw. Raser den eigenen Tod nicht billigend in Kauf nehmen, rührt meiner Einschätzung nach daher, dass ein vernünftiger Mensch - was Richter und Richterinnen meist sein werden - so nicht handeln oder denken würde. Ich habe den Verdacht, dass da die Denkweise eines Volljuristen oder einer Volljuristin im Staatsdient gleichgesetzt wird mit der eines - so jedenfalls teilweise das Täterbild - Menschen mit geringer sozialer Anerkennung, geringem Bildungsgrad und anderem soziokulturellen Hintergrund.

Vergleichen Sie doch einmal die Lebensumstände der in der Presse bekannt gewordenen Raser und Selbstmordattentäter. Beide teilen häufig geringen Grad an beruflicher Qualifikation, ein schwach ausgeprägtes sozialen Netz, mangelnde familiäre Bindung (d. h. Frau und Kinder), das männliche Geschlecht, Migrationshintergrund und Kleinkriminalität. Beide handeln, um Anerkennung zu gewinnen, in einem Fall durch andere "Raser" und Zuschauer(innen), im anderen Fall durch andere Attentäter, radikale Prediger usw.

Vielleicht ist das kein Zufall? Vielleicht sind beides unterschiedliche Ausprägungen derselben Misere. Und vielleicht teilen beide eine gewisse Gleichgültigkeit bezüglich des eigenen Überlebens.

Gast schrieb:
Und wie kommen Sie zu Ihrer Behauptung von den etwa 99,99% der Richter?

Ich schlussfolgere das aus der bisher sehr geringen Zahl an Richtern und Richterinnen, die an Selbstmordattentaten teilgenommen haben. Die Geisteshaltung scheint mir eine andere zu sein. Oder fehlt es den Kolleginnen und Kollegen nur am Zugang zum Sprengstoff?

Gast schrieb:
Was denken Sie, wie viele Selbstmordattentäter der durchschnittliche deutsche Strafrichter bisher auf seiner Anklagebank sitzen hatte?

Keine. Tote stellen wir nicht mehr Gericht.

Gast schrieb:
Wie kommen Sie zu der Annahme, ein "Raser" sei "selbstmörderisch"? Ist ein Autofahrer, der bei einer Geschwindigkeit von 14 Meter in der Sekunde (etwa 50 km/h) drei Sekunden auf sein Smartphone schaut und so etwa 42 Meter im Blindflug zurücklegt ebenfalls "selbstmörderisch"?

Wie stellen Sie den Zusammenhang zwischen "selbstmörderisch" und der vorsätzlichen Tötung eines anderen her?

s. o.

Gast schrieb:
Sie möchten dennoch über das Thema sprechen? Warum tauchen in Ihrem Kommentar dann aber nicht die Begriffe "Leichtfertigkeit", "bewusste Fahrlässigkeit" und "Eventualvorsatz" auf? Denn darum geht es doch!

Ich gehe davon aus, dass die Zielgruppe dieses Blogs mit diesen Begriffen vertraut ist oder zumindest die verlinkten Artikel gelesen hat und meinen Beitrag auch versteht, ohne dass ich alles erkläre.

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Bitte entschuldigen Sie,

aber Sie verwenden Begriffe anders, als ich es tue. Ein "Geisterfahrer" ist für zunächst jemand, der sich in falscher Fahrtrichtung eingeordnet hat. Meist geschieht dies auf Autobahnen. Über "Geisterfahrer" die entgegengesetzt der Fahrtrichtung fahren, weil sie einen "Kick" suchen, habe ich noch keinen strafrechtlich abegurteilten Fall gelesen. Vielleicht kennen Sie einen?

Auch argumentieren Sie teilweise anders, als im Augsangspost: Dort haben Sie den "Vorsatz" von "Geisterfahrern" verallgemeinert und nunmehr stellen Sie auf den Einzellfall ab, ohne wenigstens die Rahmenbedingungen zu bennennen (wie könnte ein solcher Einzelfall aussehen?), geschweige denn, dass Sie einen solchen Fall belegen.

Abschließend: Dieses Zitieren (aus einem anderen Post), kommentieren, wieder zitieren, wieder kommentieren ... ist kein guter Diskussionsstil in einem (Text-) Forum. Wie meinen Sie, soll ich darauf antworten und denken Sie, wie übersichtlich wird die darauf folgende Antwort von Ihnen aussehen?

Insofern: Meine Fragen wurden nicht beantwortet. Ich belasse es dabei.

 

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Gast schrieb:
Insofern: Meine Fragen wurden nicht beantwortet. Ich belasse es dabei.

Tut mir leid, wenn ich zum Verständnis nicht beitragen konnte. Ich hätte gedacht, dass eine direkte Beantwortung Ihrer Fragen Ihre Fragen am direktesten beantwortet. Aber vielleicht setzen Sie ja nur Antworten, die Ihnen nicht gefallen, mit dem Ausbleiben einer Antwort gleich.

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Um dem Würze zu geben, sollte man das mal mit dem Tatbestand der Rechtsbeugung durchspielen. Ideen oder Beispiel Deeg?

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Ich kann dieser/ Ihrer Aufforderung nicht folgen.

Warum meinen Sie, dass der Tatbestand der Rechtsbeugung (der zudem nur von einem sehr geringen Teil der Bevölkerung tatsächlich begangen werden kann) ein gutes Beispiel dafür sei, die Überlegungen der Professorin Hörnle einemal "durchzuspielen"?

Was hat das mit "Deeg" (gemeint ist wohl Herr M. Deeg, der seit 15 Jahren den Vorwurf der Rechtsbeugung gegen Richter und Staatsanwälte eines ganzen Landstrichs erhebt) zu tun?
 

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Es geht dabei weniger um Beispiele. Da das Thema eine übergreifende Regel ist, also in gewisser Weise eine Abstraktion vom konkreten Tatbestand erfordert, zählt Ihr Argument der vergleichsweise geringen Zahl möglicher Täter nicht. Eine Theorie, nach der eine allgemeine / abstrakte Regel insgesamt taugt, wenn sie für das Übliche, Häufigste oder gerade im Fokus Stehende taugt, gibt es nach meinem Wissen nicht. Es gibt abstrakte Methoden der Prüfung und auch Methoden, die die Grenzen, Ausnahmen ausloten. Insofern stellt Rechtsbeugung sicherlich ein solches Grenz-/Ausnahme-Beispiel dar. 

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Alles schön und gut, aber meine Frage(n) haben Sie dennoch nicht beantwortet. Sie nehmen lediglich Bezug auf das, was ich in Klammern geschrieben habe und somit ausdrücklich zu verstehen gegeben habe, dass dies nur ein Nebenaspekt meiner Frage ist.

Also: Warum Rechtsbeugung und warum Deeg?

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Weil ich davon ausgehe, dass das hiesige Thema durch einen Fokus auf (alltägliche?) Rechtsbeugung und diese durch den Fokus auf den Deeg-Blog Substanz bekommt. Wem zu Deeg nur pauschale Abwertung einfällt, um der Beschäftigung mit den Tatsachen auszuweichen, dem liegt auch nichts an Rechtsstaatlichkeit. Ein Lackmus-Test also.

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Sehr geehrter Herr Lippke, sehr geehrte andere Kommentatoren,

ich habe mich entschlossen, eine Diskussion über den Fall Deeg an dieser Stelle nicht zuzulassen, weil sie "off topic" ist. In anderen Kommentarspalten in diesem Blog haben es Herr Deeg u.a. schon geschafft, die Diskussion auf diesen Fall quasi abzulenken und ich möchte im Interesse auch anderer Leser diese fruchtlose Diskussion an dieser Stelle nicht wiederum beginnen. Das liegt vor allem daran, dass anders als Herr Lippke offenbar annimmt, der Tatbestand Rechstbeugung überhaupt kein geeignetes Beispeil ist, um die Frage der Abgrenzung zwischen Fahrlässigkeit und bedingten Vorsatz und damit den Vorschlag von Frau Hörnle "durchzuspielen" und erst recht nicht der Fall Deeg zu dieser Diskussion passt. Rechtsbeugung ist nach allg. Auffassung eng auszulegen, um die richterliche Unabhängigkeit zu schützen, weshalb sie nicht bei jeder Fehlentscheidung(oder wenn ein Richter eine Fehlentscheidung  für möglich hält)  angenommen wird, sondern nur bei einer "bewussten" und schwerwiegenden Abwendung vom Recht. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich die nachfolgenden Kommentare, die schon für sich belegen, dass die Diskussion sich vom gesetzten Thema udn einer sachlichen Debatte  sehr weit entfernt (einschließlich der völlig unangebrachten Diskussion über die psychische Befindlichkeit aller Betroffenen, quasi im Denunziationsmodus gegen alle Seiten) "unpublished" stelle. 

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Müller,

ich kann Ihre Entscheidung nachvollziehen. Es war nicht meine Absicht abzudriften oder auf einen bestimmten Fall zu fokussieren. Frau Hörnle kritisiert in ihrem Artikel die anlassbezogene Regelung von Grundsatzfragen, fällt aber nach meiner Auffassung dann selbst darauf zurück. Abstraktion, Klassifikation wäre notwendig, wenn allgemeingültige Regeln definiert werden sollen. In einem fallorientierten Bereich wie Rechtswissenschaften offenbar schwierig. Als Hilfsmittel hatte ich methodisch die Prüfung an einem gegensätzlichen Beispiel zu den fokussierten Raser- und Tötungsfällen angeregt. Den Gegensatz stellen Sie selbst heraus. Während eine härtere Bestrafung von gefährdendem Verhalten im Straßenverkehr viel Zuspruch erhält und die Diskussion um Fahrlässigkeit vs. bedingtem Vorsatz beflügelt, wird vor der gleichen Frage Fahrlässigkeit oder bedingter Vorsatz bei gesetzwidrigem Amtshandeln geflüchtet. Dabei betrifft die von Fr.Hörnle aufgeworfene Grundsatzfrage auch fahrlässiges und bedingt vorsätzliches,gesetzwidriges Amtshandeln. Die richterliche Unabhängigkeit zeigt sich in der Bindung an Gesetze, Neutralität und Sorgfalt. Wird das durch Straflosigkeit von Verstössen oder besondere Milde vernachlässigt, kommt es wie bei Raserei zur Missachtung von Pflichten gegenüber konkret oder potentiell Betroffenen. Übersetzt auf die Raserei würde "Schutz der richterlichen Unabhängigkeit durch enge Auslegung der Strafvorschriften" mit "Schutz der automobilen Unabhängigkeit"korrelieren. Da sehe exemplarische Widersprüche

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Da sehe ich exemplarische Widersprüche, die man nicht grundsätzlich umgehen sollte. Vielleicht gibt es bessere Gegenbeispiele. Deswegen hatte ich nach entsprechende Ideen gefragt.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Lippke

 

PS: Leider kommt mein Mobilgerät mit der Kommentarfunktion nicht klar, daher produziere ich hier manchmal Stückwerk.

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Ich würde noch ergänzen wollen, dass die Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit neben den Tötungsdelikten auch allgemein beim "unechten" Unterlassungsdelikt eine wichtige Rolle spielt, da sich der Vorsatz dort gerade nicht aus der Handlung erschließen kann. Wie m.E. zuletzt die causa "VW" und auch die hier diskutierte WAP-Billing-Problematik gezeigt haben, ist das insbesondere bei der Geschäftsherrenhaftung virulent, speziell wenn es um Fälle von "willful blindness" auf Leitungsebene eines Unternehmens(-verbunds) geht.

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Die erste Hürde, die man bei der Frage "Bedingten Vorsatz einfach abschaffen?" nehmen muss, das ist: ernst bleiben. Denn wenigstens eine Art inneres Schmunzeln wird man sich nicht verkneifen können bei der Vorstellung, wie das überhaupt gehen sollte. Mit einem Appell? Selbst dem Gesetzgeber, wenn er auch wollte, dürften doch weitgehend die Hände gebunden sein.

Abschaffung des bedingten Vorsatzes - jetzt nur rein theoretisch - kommt in der Konsequenz der Abschaffung des Schuldprinzips gleich, beginnend mit der Schwächung. Das Schuldprinzip ist für eine Strafrechtsordnung sicher nicht zwingend. Es geht auch ohne, jedenfalls mit einem anderen Stellenwert als bei uns. Das angloamerikanische Strafrecht ist nur ein Beispiel. Bei uns ist das Schuldprinzip aber das tragende Fundament schlechthin. Nimmt man es raus, dann fällt das gesamte Strafrechtsgebäude in sich zusammen. Klar, man könnte es nach dem Vorbild anderer Länder neu aufbauen, aber man kann es auch lassen - mit guten Gründen.

Tatjana Hörnle geht es nicht nur um den bedingten Vorsatz und die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit, sondern um den subjektiven Tatbestand an sich. Daher versucht sie die Bedeutung der inneren Einstellung und Haltung des Täters für die Strafe schon dadurch herabzusetzen, dass sie behauptet, es sei religiöser Herkunft und suggeriert, es sei nicht mehr zeitgemäß. Mit der Herkunft mag sie vielleicht gar nicht so unrecht haben (müsste man etwas genauer untersuchen). Aber auch der Verfassungsstaat ist doch ein Derivat des Christentums - wie Josef Isensee schon eindrucksvoll belegt hatte. Und ist es deswegen etwas Schlechtes? Muss man denn christlich sein, um seine Vorzüge zu erkennen?

Tatjana Hörnle stellt in der Überschrift ihres FAZ-Beitrags die Frage: "Ist Vorsatz verwerflicher als Fahrlässigkeit?"

Ja, deswegen ist nur der vorsätzliche Versuch strafbar.

 

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Ich kenne mich kaum bis gar nicht mit dem amerikanischen Strafrecht aus. Ich weiß aber, dass auch dort ein Angeklagter (meist) von  einer Jury für "schuldig" oder "nicht schuldig" befunden wird. Das Strafmaß wird in einem weiteren Verfahren festgelegt.

Ich vermute daher, dass auch das angloamerikansiche Strafrechtssystem nicht dem (reinen) Utilitäsprinzip folgt.

Da Sie hier aber eben jenes unterstellen, können Sie hierzu Belege/ weiterführende Informationen angeben, Herr Kolos?

 

 

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Das angloamerikanische Strafrecht kennt durchaus den subjektiven Tatbestand mit Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie die schuldangemessene Strafe. Es kennt aber daneben auch die Rechtsfigur der "strict criminal liability", die strafrechtliche Verantwortlichkeit ohne Schuld bzw. ohne dass sie eine Rolle spielen würde oder nachgewiesen werden müsste.

 

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Sehr geehrter Herr Kolos, besten Dank für diesen jedenfalls für mich weiterführenden Hinweis. Des weiteren ist zu beachten, dass selbstredend im US-Recht auch ganz andere Straftatbestände exisitieren. Das wird hochaktuell virulent etwa im Indictment gegen Herrn Dr. Winterkorn - "conspiracy". Nach unsere deutschen Virstellungen eine geradezu abenteuerlich substanzlose Attacke mit Rundwurf ohne exakte tatbestandliche Bezüge. Man lese jenes Papier! Angeblich conspiracy seit 2007 - im gesamten (!!)Text erstmals Dr. W. erwähnt für Mai 2014, und da nicht einmal eine Handlung. 

Vor allem Herren Wegner und Kolos geben wertvolle Hinweise. Wenn man systematisiert: Das eine ist die letztlich zu beurteilende Tatsachensituation, wie vom Richter mit Spruch in der Rechtsfolge auszusprechender Konsequenz. Sie ist im geordneten Verfahren zu ermitteln, "zur Überzeugung des Gerichts". Eine Konsequenz bzw. damit verbundener Grundsatz: Die Verurteilung setzt Gewissheit voraus, diese kann fehlen aus mehreren Gründe, namntlich also: das Gegenteil des Strafbaren steht st; oder: die Sache ist nicht klar ( in dubio....). Wie die Erkenntnisgewinnung organisiert wrd, das besagen die Grundsätze der Beweisaufnahme. Was zu beurteilen ist, das ist ein auszuwertendes Tatsachenpaket, gemessen an einer Regelung, die an bestimmte Voraussetzungen die Strafandrohung koppelt. Gemessen an einer (geschriebenen) Strafandrohung, nulla poena sine lex ( scripta).  Zu den Voraussetungen gehören eben auch subjektive Umstände, d.h.Vorsatz.  Sehr abgeschwächt scheint mir die subjetive Vorausssetung beiFahrlssigkeit - da geht es eigentlich nur um Wissen oder gar vorwerbar fehlnden Wissen um Tatschen und die gesellschaftlich normierte anfordernde Erwartung, es mit genügender , "verlehrserforderlicher" Sorgfalt dfür zu sorgen, dass eine definierte ungewünschte Konsequenz nich eintritt. Mir war nie zweifelhaft, unerklärlich oder dubios, im Studium und seither, dass "Vosatz" bedeutend schlimmer ist als bei gerade fehlendem (!! ) Vorsatz "Fahrlässigkeit". Auch nicht die (theoretische) Differenzierung des Vorsatzes mit Wissen und Wollen (nämlich des tatbestandserfüllenden Tat-"Erfolgs") abgeschieden von der Situation es Fehlens de Vorsatzes, aber Fahrlässigkeit. Auch nicht unlogisch die Trennung zwschen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit. - Nichtüberzegend wirkt dann, wegen (!!) Problemen bei der Umsetzung, nämlich der Beweisaufnahme beiFeststellung des subjektiven Moments des Wollens, und sei es bedingtes Wollen, dann das materielle System mit Frau Hörnle umzustoßen und eine Art "Ruchlosigkeitstatbestand" zu konstruieren. Die bisherige Fahrlässigkeit ist für populistische Anwandlungen schon gefährlich genug, in den bisher gesetzlich abgetrennten Fällen "grober" Fahrlässigkeit erst recht. Das dann noch dadurch anzuheizen, dass erklärtermaßen bisherige Fahrlässigkeitsfälle in den Wertungsbereich des Vorsatzes geschoben werden, überzeugt jedenfalls mich nicht. Das in der Beweisaufnahme z bewältigende Probem verdoppelt sich: einerseits zur immer nch doch wohl verbleibenden "allgemeinen" ahrlässigkeit, andererseits zu der ja wohl ebenfalls immer nch verbeibenden Feststellun von "klassischem", ggf. "direkten", Vorsatz.

Sehr geehrter Herr Dr. Peus,

den Straftatbestand der "conspiracy" gibt es auch im englischen Recht. Gemeint ist eine Verabredung, illegale Handlungen zu begehen noch vor und unabhängig von der eigentlichen Tatbegehung. Das ist auch in Deutschland strafbewehrt. Man kann durchaus auch argumentieren, dass die deutsche Rechtspraxis Unternehmer zu wenig für ihr Handeln zur Rechenschaft zieht. Andere Länder kennen auch ein sehr viel weitreichenderes Unternehmensstrafrecht. Das hat durchaus positive Auswirkungen auf die praktizierte Verantwortung von Unternehmern und erhöht damit Rechtssicherheit und Sicherheit.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

sie schreiben dass es einen ähnlichen Ansatz im US-amerikanischen Recht mit "recklessness" gibt. Kennen Sie eine vergleichende Bewertung identischer Fälle nach deutschem/ amerikanischem/ englischem Recht? Die Strafmasse werden sicherlich unterschiedlich sein. Aber wie wäre es generell mit der Verurteilung? Mit welchem Staffelung an Vorsatz/ bedingtem Vorsatz/ Fahrlässigkeit/ "rechlessness" im Strafrecht würden Täter in welchen Fällen nicht verurteilt, in welchen Fällen würden Verdächtige deutlich anders verurteilt? Und gibt es überhaupt ein Problem in der bundesdeutschen Praxis oder wurde dass bisher durch die individuelle Strafzumessung austariert?

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Ich bin entsetzt über ihr sorgloses Plädoyer für die Strafbarkeit von "conspiracy". Vielleicht werden Sie etwas kritischer darüber denken, wenn Sie dazu die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages vom 9.10.2007 (WD 3-311/07) gelesen haben.

https://www.bundestag.de/blob/419240/db63d68adf32566a02e477c98b7ebf4c/wd...

Darin wird auf die ausführliche Ausarbeitung vom 28.09.2007 (WD 7 - 187/07) unter Fußnote 1 verwiesen, die ich aber im Netz so schnell nicht finden konnte. Vielleicht haben Sie mehr Erfolg.

Ergänzend empfehle ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2016 (2 BvR 175/16). Das BVerfG hatte die Auslieferungsentscheidung des OLG Frankfurt aufgehoben, wonach ein Schweizer aufgrund des Haftbefehl des U.S. District Court, Southern District of New York, wegen  "Verschwörung" zu Steuerdelikten an die USA ausgeliefert werden sollte.

Verschwörung zu Steuerdelikten! Ich fass es nicht. Irgendwie erinnert mich das an die früheren Diskussionen in Sachen Mollath.

 

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Sehr geehrter Herr Kolos, zu WD7 - 187/07habe ich angefragt. 

Ihre Bedenken wegen "conspiracy" teile ich.

Sehr geehrter Herr Abrell, sowit Sie mich ansprechen: Sie meinen im Kern wohl § 30 bzw. " 129 StGB. Ich überblicke nicht deutsche noch erst recht US-Rechtsprechung zu solchen Vorwürfen. Dem historisch bewanderten Juristen ist zudem erinnerlich, dass wohl im Nürnberger Prozess auch eine "conspiracy" vorgeworfen wurde 1945/46. Ichnahme nichtan , dass deutsche Rechtsprechung für eine "Verabredung" ganz besondere Formen voraussetzt, etwa gar notarielle Beurkundung.  Aber ob das im Indictent ua. gegen Dr. Winterkorn so reicht? z.B. "ab 2007"? - Was das Pauschalschagowrt eines "Unternehmensstrafrechts" angeht - mir ist bisher unklar, odamitgemeint sein soll a) neue Tatbestandsdefinitionen, Tathandlungen? b) Neuadressierung von Rechtsfolgen, da "das Unternehen" wohl strafhaftunempfindlich ist, dann aa) hierzu zu Lasten der Organwalter  ?  bb) Geldstrafen?  cc) Verwaltungsrechtliche konzipierte Strafssanktionen,etwa "Tätigkeitsverbot"?

Sehr geehrter Herr Abrell, bevor man über Strafbarkeitserweiterungen nachdenkt, würde ich bevorzugen, erst einmal das vorhandene Recht, freilich - O-Ton Maas - in seiner "ganzen Härte" anzuwenden.  Und da habe ich wenig Zweifel, dass gegen Unternehmensverantwortliche schon durchaus zackig vorgegangen wird. Aber was ist mit dem Staat und seinen Organen? Hierzulande scheint es political correct ja ungangbar, durch schlichte Lektüre von § 266 iVm. § 263 Abs 3 Nr. 4 StGB wahrzunehmen, dass Untreue a) strafbar ist b) augenscheinlich auch von Staatsorganen begangen werden kann c) was § 263 Abs 3 Nr 4 StGB sogar drastisch strafverschärfend aufgreift. Das erfasst auch so "Kleinschäden" wie vom BMin abgeschätzte 78 Milliarden € "bis 2022". 

Die Kritik am bedingten Vorsatz ist schon berechtigt. Prof. Tonio Walter hat bereits mE überzeugend sprachlich herausgearbeitet, dass die Formel aus dem Lederriemen-Fall, an der ja weiterhin vieles hängt, kaum Erkenntniswert hat, wenn man sie sprachlich dekonstruiert. Er schreibt zu Recht in seinem Buch "Stilkunde für Juristen", dass das Merkmal "Sich abfinden" bereits daraus folge, dass der Täter handele (in der Tat ist das so, wenn man willentlich agiert) - insbesondere dann, wenn man sich (siehe Lederriemen-Fall) auch dann abfindet, wenn der Erfolg höchst unerwünscht sei. Es bleibt also vom bedingten Vorsatz die Vorstellung von der ernsthaften Möglichkeit des Erfolgseintritt. Diese hat er auch bei der bedingten Fahrlässigkeit; dort soll das entscheidende Abgrenzungskriterium ja sein, dass der Täter "pflichwidrig" auf das Ausbleiben vertraue.

Wie soll man denn überhaupt bei einer derart ernsthaften Möglichkeit noch pflichtkonform vertrauen? Es bleibt von der Formel daher nur das Wort "vertrauen", wenn man die Bereinigung von Worthülsen weiter betreibt. Walter zeigt ferner, dass "Vertrauen" nach allgemeinem Sprachgebrauch innere Gewissheit voraussetzt; in Wahrheit sei eine "Hoffnung" gemeint durch die Formel der Rechtsprechung. Dies widerspreche aber wiederum dem Grundsatz, dass Vorsatz auch eintreten könne, wenn der Erfolg unerwünscht sei. Es sei unklar, ob es für die Hoffnung darauf ankomme, dass sie subjektiv besonders berechtigt sei (der Täter hält den Erfolg für wenig wahrscheinlich) oder objektiv (die Gefahr ist objektiv gering).

Dass Fischer den Mainstream verteidigt, ist verständlich. Aber die Kritik und die zahlreichen Vorsatztheorien gründen ja gerade darauf, dass BGHSt 7, 363 und BGHSt 36, 1 eben Formeln aufstellen, die womöglich im Fall zum "richtigen" Ergebnis führen, aber einer genauen Analyse kaum standhalten. 

Fischer hat insoweit Recht, als es stets Abgrenzungsschwierigkeiten gibt, so lange man so etwas wie "bedingten Vorsatz" hat (wie wäre es vielleicht einmal mit Rechtsvergleichung (willful blindness-Doktrin einmal anschauen?!). Aber vermutlich ist vieles in diesem Bereich zwangsläufig unvollkommen. 

Meines Erachtens können die Probleme aus dem Raserfall (das PRoblem ist ja nicht, dass ggf. bedingter Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann, sondern dass man das Gefühl hat, bei Bejahung werden die Täter zu hart bestraft, bei Verneinung dagegen zu lasch) wie folgt gesetzgeberisch (!) gemildert werden: 

bedingt vorsätzlicher Mord rechtfertigt in der Regel nicht die lebenslange Freiheitsstrafe, da ja das Unrecht des bedingten Vorsatzes geringer ist (anerkannt bei anderen Tatbeständen mit Strafrahmen). Hier sollte den Gerichten die Möglichkeit eines Strafrahmens gegeben werden. 

Objektive Umstände lassen sich in der Regel leichter feststellen; und im Raserfall quälte man sich von der Schlussfolgerung von objektiven auf subjektiven Elementen (wie auch sonst ohne Geständnis). Warum dann aber nicht fahrlässige Tötung qualifizieren (zB fahrlässige Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln)? Stattdessen wählt der Gesetzgeber immer im jeweiligen Sachbereich (jetzt: Straßenverkehr) eine an Tötung anknüpfende Erfolgsqualifizierung, was das Gesetz unübersichtlich macht und bei der nächsten "Strafbarkeitslücke" wiederum die rechtspolitische Debatte ankurbelt. 

 

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Sehr geehrter Herr Jäger,

danke für Ihren Beitrag. Ihr Lösungsvorschlag:

"Warum dann aber nicht fahrlässige Tötung qualifizieren (zB fahrlässige Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln)?"

ähnelt meinem Gedanken, indem er im Besonderen Teil (also bei den Tötungsdelikten) ansetzt und keine Universallösung der Abschaffung des bedingten Vorsatzes anstrebt. Er ist aber deutlich enger als die Gefährdungslösung, die mir vorschwebt: Wer (vorsätzlich) gemeingefährliche Mittel einsetzt, sollte nach meiner Auffassung schon bei konkreter Lebensgefahr für andere strafbar sein und nicht erst, wenn zufällig ein tödlicher Erfolg eintritt. Sonst wird der Rennfahrer im Straßenverkehr, bei dem es gerade nochmal gut gegangen ist, gegenüber dem, bei dem der Unglücksfall (für den kein Vorsatz nachgewiesen werden kann) eingetreten ist, unsachgemaäß privilegiert. Entsprechendes gilt für andere, die mit hochgefährlichem Material oder etwa mit tödlichen Waffen hantieren ohne Tötungsvorsatz zu haben, dabei aber konkrete Lebensgefahren für andere verursachen.

Auch meine Lösung könnte als Qualifikation an § 222 StGB anknüpfen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Der Lösungsansatz, eine neue Kategorie der "Leichtfertigkeit" einzuführen, trifft meines Erachtens den Hauptaspekt aus Sicht des Angeklagten nicht: Die Sanktionsschere. Auch die Einordnung, ob eine Tat "leichtfertig" (mit dann höherer Strafdrohung) begangen wurde, ist letztlich eine, die das Gericht vornimmt. Immerhin eröffnen die bisher bestehenden Schwierigkeiten, das voluntative Element überzeugend darzustellen, Spielräume auch für die Verteidigung. Entfallen diese, wird die Thematik vollständig in die Strafzumessung verschoben - mit dann noch größeren Möglichkeiten für das Gericht, doch noch den geliebten § 257c zustande zu bekommen. Reformen des Strafprozesses sollten mit der Wortlautprotokollierung der Verhandlung beginnen und bei einem Revisionsrecht aufhören, dessen Hauptbestandteil nicht o.u.-Beschlüsse sind - eine "Zwischenkategorie" ist da wenig hilfreich.

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