28. August 2009: Schicksalstag eines Proberichters

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.12.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht78|9012 Aufrufe

In der Presse und auch der juristischen Öffentlichkeit ist der Fall des Proberichters, der einem Angeklagten eine Zelle gezeigt hatte und ihn auch kurz einmal zur Probe eingesperrt hatte, bereits thematisiert worden. Man hätte nun hoffen können, dass über 9 Jahre nach der Tat endlich einmal ein Schlussstrich gezogen werden kann. Geht aber nicht. Der BGH hat gerade alles nochmals "auf Null" gesetzt. Zum durchaus aus Praktikersicht interessanten Sachverhalt heißt es beim BGH:

 

Beim Aufruf der Sache am 28. August 2009 erschien der Beschuldigte
zunächst nicht. Nach einer kurzen Wartezeit regte der Sitzungsvertreter der
Staatsanwaltschaft an, den Einspruch gegen den Strafbefehl zu verwerfen.
Damit war der Angeklagte nicht einverstanden. Schließlich erschien der Beschuldigte,
so dass die Hauptverhandlung durchgeführt werden konnte. Der
Staatsanwalt verlas den Strafbefehl. Anschließend stellte der Angeklagte fest,
dass der Beschuldigte rechtzeitig Einspruch eingelegt habe. Dabei wies der
Angeklagte zumindest einmal darauf hin, dass es im Weiteren nur noch um die
Höhe einer Geldstrafe gehe, und gab seine Rechtsauffassung damit zu erkennen,
dass der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt sei.

Der Angeklagte belehrte den Beschuldigten, dass es ihm freistehe, sich
zu den Vorwürfen zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, woraufhin dieser
Angaben machte und dabei zunächst bei seiner bisherigen Einlassung
blieb, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Daran änderte sich auch nichts, als
der Angeklagte dem Beschuldigten bei seiner intensiven Befragung vorhielt,
dass er im Wiederholungsfalle mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen habe, wobei
er im Gefängnis ein leichtes Opfer für sexuelle Übergriffe durch Mithäftlinge sei.
Auch der Hinweis des Staatsanwalts, ein Geständnis könne sich strafmildernd
auswirken, blieb ohne Wirkung. Der Angeklagte wurde immer ungeduldiger, da
er unbedingt wollte, dass der Beschuldigte die Tat in vollem Umfang einräumte.
Aus seiner Sicht benötigte er das Geständnis, um bei dem Beschuldigten die für
die geplante Weisung erforderliche Therapieeinsicht zu wecken. Der Beschuldigte
schwankte während dieser Befragung zwar, ob er nicht doch – entsprechend
dem tatsächlichen Geschehen – ein vollumfängliches Geständnis ablegen
solle, konnte sich letztlich aber nicht entschließen, weil er befürchtete, in
Zukunft überwacht zu werden, und auch eine Geldstrafe unbedingt von sich
abwenden wollte.
In dieser Verfahrenssituation entschloss sich der Angeklagte, den Druck
auf den Beschuldigten dadurch zu erhöhen, dass er ihn in den Gewahrsam des
Amtsgerichts führen und ihm dort eine Gewahrsamszelle zeigen ließ. Er sprang
deshalb plötzlich mit den Worten auf: „Sie kommen jetzt mit, ich zeige Ihnen
mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“ Der Angeklagte verließ mit dem Beschuldigten
den Sitzungssaal, ohne den anderen Verfahrensbeteiligten mitzuteilen,
was er vorhatte. Während der Beschuldigte im Foyer des Amtsgerichts wartete,
begab sich der Angeklagte zunächst zur Wachtmeisterei und anschließend
– begleitet von einem Wachtmeister – in den Gewahrsamsbereich in den Keller
des Amtsgerichts. Dort forderte er den mittlerweile verängstigten und einge-
schüchterten Beschuldigten auf, eine der drei Zellen zu betreten, was dieser
ohne jeden Widerstand tat, wobei dieser fragte, ob er das WC in der Zelle benutzen
dürfe. Der Angeklagte, der durch dieses Verhalten irritiert war und den
Eindruck hatte, der Beschuldigte nehme die Situation nicht ernst, lehnte dies
ab, weil die Toilette ansonsten wieder gereinigt werden müsse. Er sagte ihm
aber zu, gleich eine normale Toilette im Erdgeschoss benutzen zu können. Vor
diesem Hintergrund entschloss sich der Angeklagte, den Beschuldigten für eine
kurze Zeit in der Gewahrsamszelle einzusperren, um ihn dadurch zusätzlich
unter Druck zu setzen und von ihm sodann ein vollumfängliches Geständnis zu
erlangen. Der Angeklagte fragte ihn deshalb, ob er einmal sehen wolle, wie es
in einer Zelle so sei. Er werde die Tür für ca. eine Minute schließen, aber nicht
verriegeln. Der Beschuldigte könne jederzeit klopfen, wenn er Angst habe und
die Zelle verlassen wolle. Der nunmehr völlig verängstigte Beschuldigte leistete
diesen Anweisungen des Angeklagten Folge und setzte sich auf die in der Zelle
befindliche Bank. Sodann schloss der anwesende Wachtmeister auf Anweisung
des Angeklagten die Zellentür und legte von außen einen Riegel vor. Nach einer
kurzen Zeitspanne, möglicherweise weniger als eine Minute, öffnete der
Wachtmeister die Zellentür auf Anweisung des Angeklagten. Der Beschuldigte
verließ die Zelle und äußerte dabei, man habe in einer solchen Zelle viel Zeit
zum Nachdenken. Der Angeklagte erschien mit dem Beschuldigten, der zuvor
noch eine Toilette im Erdgeschoss aufgesucht hatte, wieder im Sitzungssaal,
wobei die Unterbrechung etwa fünf Minuten gedauert hatte. Dort wurde die
Hauptverhandlung – ohne weitere Erklärung oder Nachfrage der anderen Verfahrensbeteiligten
– fortgesetzt.
Der Beschuldigte bestritt die Tat weiterhin. Daraufhin verlas der Staatsanwalt
auf Bitte des Angeklagten aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen
dessen Einschätzung des Beschuldigten vor. Danach liege bei
diesem ein sexueller Masochismus vor, zudem bestehe der Verdacht auf einen
Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen sowie auf einen
Fetischismus. Insoweit lägen die Voraussetzungen einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit nach § 21 StGB und auch die medizinischen Voraussetzungen
einer Unterbringung nach § 63 StGB vor. Der Angeklagte wollte durch die Verlesung
den Druck auf den Beschuldigten nochmals erhöhen, um endlich das
erstrebte Geständnis zu erreichen. Dass das Gutachten durch Verlesen nicht
prozessordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt werden konnte, war dem
Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst. Auch teilte er dem Beschuldigten
nicht direkt mit, dass er eine Unterbringung gar nicht in Erwägung
zog. Diesem war jedoch durch die vorangegangenen Äußerungen des Angeklagten
klar, dass ihm eine Gefängnisstrafe oder die Unterbringung in einer geschlossenen
Einrichtung nur bei weiteren Straftaten drohen könnten.
Nach Erörterung dieses Gutachtens mit dem Beschuldigten räumte dieser,
auch unter dem Eindruck des Aufenthaltes in der Zelle, den vorsätzlichen
Verstoß gegen § 183 StGB ein und war vor diesem Hintergrund auch bereit,
sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen. Die Beweisaufnahme wurde
geschlossen. Der Staatsanwalt beantragte, den Beschuldigten unter Vorbehalt
einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 € zu verwarnen und ihm eine
Therapieweisung zu erteilen. Abschließend erklärte der Beschuldigte, dass ihn
der Verhandlungstermin sehr mitgenommen habe und er sich umgehend um
eine Therapie kümmern wolle.
Der Angeklagte verkündete dem staatsanwaltschaftlichen Antrag entsprechend
ein Urteil, wobei die Tagessatzhöhe lediglich 7 € betrug. Im Rahmen
des Bewährungsbeschlusses wurde dem Beschuldigten die Weisung erteilt,
sich innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft des Urteils in eine ambulan-
te Therapie zu begeben. Anschließend belehrte der Angeklagte den Beschuldigten
über die Möglichkeit, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen, und wies
auch auf die Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts hin, wobei ihm bewusst
war, dass eine entsprechende Erklärung des Beschuldigten auch auf dessen
Aufenthalt in der Gewahrsamszelle zurückzuführen wäre. Sowohl der Beschuldigte
wie auch der Staatsanwalt verzichteten noch in der Hauptverhandlung auf
Rechtsmittel. Der Angeklagte fertigte das schriftliche Urteil am 25. September
2009, wobei er in den Urteilsgründen weder den Strafbefehl noch den Einspruch
erwähnte, vielmehr – auf entsprechende allgemeine Empfehlung eines
Kollegen – ein vollumfängliches Strafurteil schrieb.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit
mit Aussageerpressung verurteilt. Dieser habe sich als Richter bei der
Leitung einer Rechtssache zum Nachteil des Beschuldigten einer Beugung des
Rechts schuldig gemacht, indem er diesen unter Verstoß gegen § 136a Abs. 1
Satz 2 StPO in die Gewahrsamszelle einsperren ließ, um hierdurch ein Geständnis,
die Einwilligung in eine ambulante Therapie und einen Rechtsmittelverzicht
zu erzwingen. Dieses Verhalten des Angeklagten erfülle auch den Tatbestand
der Aussageerpressung nach § 343 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB.

II.
Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Aussageerpressung begegnet auf der
Grundlage der nunmehr getroffenen, zum Teil gegenüber dem Freispruch abweichenden
Feststellungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken....

BGH, Beschluss vom 15.8.2018 - 2 StR 474/17

 

 

Zusammenfassend hat der BGH (in seiner erst heute online gestellten Entscheidung) sowohl bei der Aussageerpressung, als auch bei der Rechtsbeugung Schwierigkeiten...ob sich diese natürlich in einem neuerlichen "Aufguss" beheben lassen, darf man sicher skeptisch sehen.

 

Die ausführliche Entscheidungsbegründung ist hier nachzulesen!

 

 

 

 

 

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Jedes Drücken zu einem Geständnis halte ich für verwerflich. Durch U-Haft, durch Verlängerung von U-Haft, so erst recht auch.

Der BGH bestätigt in seinem Beschluss vom 15.8.2018 - 2 StR 474/17, freilich ohne das explizit zu sagen, den Wegfall der sog. "Sperrwirkung" des § 339 StGB: Er behandelt zunächst in den Rnrn. 13 ff die Aussageerpressung gem. § 343 StGB, es folgt sodann eine Überleitung in Rn. 19, um sodann in den Rnrn. 20 ff zur Prüfung der Rechtsbeugung gem. § 339 StGB zu gelangen. Die vorrangige Prüfiung der Aussageerpressung gem. § 343 StGB macht aber nur dann Sinn, wenn dem § 343 StGB eine eingenständige Bedeutung neben dem § 339 StGB zukommt. Denn wenn es die "Sperrwirkung" des § 339 StGB noch gäbe, wie nach der früheren Rechtsprechung, müsste der BGH nur § 339 StGB prüfen und könnte sich Ausführungen über den § 343 StGB sparen.     

Den Beschluss des BGH vom 15.8.2018 - 2 StR 474/17 sehe ich deshalb mit großem Interesse, als er für meinen Fall bedeutet, dass auch der Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB eine eigenständige Bedeutung neben dem § 339 StGB zukommt. Es machen sich also in meinem Fall auch die Münchner Staatsanwälte jedenfalls wegen (versuchter) Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB strafbar, ohne dass gleichzeitig auch eine Rechtsbeugung gem. § 339 StGB nachweisbar sein müsste.  

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass seit dem Urteil des BGH vom 13. Mai 2015 die sogenannte "Sperrwirkung" nicht mehr zugunsten des beschuldigten Amtsträgers zum Zuge kommt:[1] Nach der älteren Rechtsprechung vor dem 13. Mai 2015[2] kam dem Tatbestand der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB nämlich zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege eine sogenannte "Sperrwirkung" zu: Wegen einer Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache konnte nach anderen Vorschriften als dem § 339 StGB nur verurteilt werden, wenn zugleich der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt ist. Der BGH gab diese Rechtsprechung jedoch mit Urteil vom 13. Mai 2015 ausdrücklich auf.[3] Danach besteht für eine derartige "Sperrwirkung" kein Begründungsansatz mehr, nachdem der Gesetzgeber den § 339 StGB mit der Strafrechtsreform von 1974 dahingehend geändert hat, dass auch bedingter Vorsatz ausreicht, um den subjektiven Tatbestand zu erfüllen. Damit blieben die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand der anderen Strafrechtsnormen, die denkbar im Zusammenhang mit einer Rechtsbeugung begangen werden können, nicht mehr hinter denen der Rechtsbeugung zurück.[4] Das bedeutet im Ergebnis, dass eine Verurteilung wegen einer Aussageerpressung[5] auch dann in Betracht kommt, wenn eine Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB nicht nachweisbar sein sollte.[6]

 

 

   
  1. Christoph Safferling, Rechtsbeugung und „Sperrwirkung“
  2. BGHSt 10, 294; 32, 364
  3. Jens Bülte, BGH, Urt.v . 13.5.2015 - 3 StR 498/14: Urkundenfälschung durch den Richter und Sperrwirkung des § 339 StGB (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  4. BGH, 13. Mai 2015, Az. 3 StR 498/14
  5. Rechtsbeugung und Aussageerpressung, Bewährungsstrafe für ehemaligen Proberichter veröffentlicht auf LTO am 28. Juni 2017
  6. Rechtslupe, Nachträgliche Abänderung eines Urteils durch den Richter – Rechtsbeugung oder nur Urkundenfälschung?

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass seit dem Urteil des BGH vom 13. Mai 2015 die sogenannte "Sperrwirkung" nicht mehr zugunsten des beschuldigten Amtsträgers zum Zuge kommt:[6] Nach der älteren Rechtsprechung vor dem 13. Mai 2015[7] kam dem Tatbestand der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB nämlich zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege eine sogenannte "Sperrwirkung" zu: Wegen einer Tätigkeit bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache konnte nach anderen Vorschriften als dem § 339 StGB nur verurteilt werden, wenn zugleich der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt ist. Der BGH gab diese Rechtsprechung jedoch mit Urteil vom 13. Mai 2015 ausdrücklich auf.[8] Danach besteht für eine derartige "Sperrwirkung" kein Begründungsansatz mehr, nachdem der Gesetzgeber den § 339 StGB mit der Strafrechtsreform von 1974 dahingehend geändert hat, dass auch bedingter Vorsatz ausreicht, um den subjektiven Tatbestand zu erfüllen. Damit blieben die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand der anderen Strafrechtsnormen, die denkbar im Zusammenhang mit einer Rechtsbeugung begangen werden können, nicht mehr hinter denen der Rechtsbeugung zurück.[9] Das bedeutet im Ergebnis, dass eine Verurteilung wegen einer Strafvereitelung im Amt auch dann in Betracht kommt, wenn eine Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB nicht nachweisbar sein sollte.[10]

 

 

  1. Christoph Safferling, Rechtsbeugung und „Sperrwirkung“
  2. BGHSt 10, 294; 32, 364
  3. Jens Bülte, BGH, Urt.v . 13.5.2015 - 3 StR 498/14: Urkundenfälschung durch den Richter und Sperrwirkung des § 339 StGB
  4. BGH, 13. Mai 2015, Az. 3 StR 498/14
  5. Rechtslupe, Nachträgliche Abänderung eines Urteils durch den Richter – Rechtsbeugung oder nur Urkundenfälschung?

Der Wegfall der Sperrwirkung hat eine sehr große Bedeutung: Es ist jetzt möglich, eine effektive Strafverfolgung gegen Amtsträger zu betreiben, ohne dass diese sich hinter den übertriebenen Anforderungen an den Nachweis einer Rechtsbeugung i.S.d. § 339 StGB verschanzen können.    

Na ja, so ganz "weggefallen", wie Sie meinen, scheint die Sperrwirkung wohl doch nicht so unbedingt, vgl.:
"Die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestandes bleibt also ungeschmälert – und im Einklang mit ihrer Ratio – erhalten, soweit sie sich daraus ergibt, dass ein richterliches Handeln bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache einen anderen Straftatbestand erfüllt, aber keinen bewussten Rechtsbruch darstellt. Denn dann ist der Tatbestand der Rechtsbeugung – genauer: das subjektive Moment der Tathandlung – nicht erfüllt und damit die Strafbarkeit aus dem anderen Tatbestand gesperrt.
Auch die Ausnahme von der Sperrwirkung hat hiernach ihren – ebenfalls mit der Ratio der Sperrwirkung übereinstimmenden – Anwendungsbereich. Sie erfasst die Fälle, in denen der Richter bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache durch einen bewussten Verstoß gegen das Recht einen anderen Tatbestand als den des § 339, nicht aber die objektiven Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestandes, erfüllt.[79] Das wird – wie im zweiten Ausgangsfall – vor allem dann in Betracht kommen, wenn die Pflichtverletzung des Richters bewusst erfolgt, aber keinen für den Verbrechenstatbestand der Rechtsbeugung ausreichend gravierenden Rechtsverstoß bildet."

Kuhlen, Zur Rechtsbeugung und ihrer Sperrwirkung, HRRS 2015, 492 ff. [500]

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Das ist die Meinung des Autors des Aufsatzes. Die Rspr. des BGH seit dem 15.5.2015 ist aber, wie gezeigt, eine andere: Nach der Rspr. des BGH seit dem 15.5.2015 ist die sog. Sperrwirkung des § 339 StGB schlicht weggefallen. 

...meinen Sie! Wenn ich die Wahl zwischen Ihrer Einschätzung und der Einschätzung des Prof. Kuhlen, Uni Mannheim, habe, würde ich wohl der letzteren Meinung aus auf der Hand liegenden Gründen wesentlich höheres Gewicht beimessen. Der Name "Würdinger" steht ja leider nicht gerade für die Wissenschaftlichkeit und Überzeugungskraft seiner immer von "seiner Sache" geprägten Rechtsansichten...

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Das Urteil bezieht den Wegfall des Haftungsprivilegs auf ein Handeln des Richters, "das nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme der Verhandlungsleitung zur Erfüllung eines Straftatbestands führt, sondern- wie hier - bereits für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt" (BGH, U. v. 13.5.2015 - 3 StR 498/14, Rdnr. 17). Hiernach entfällt die "Sperrwirkung" also nach wie vor insbes. nicht bei Taten "im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung". Kuhlen hat also Recht...

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Richtig ist demnach der Satz: "Hiernach entfällt die "Sperrwirkung" also nach wie vor insbes. bei Taten "im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung".

Sie sollten das Urteil des BGH und den Aufsatz von Kuhlen schlicht einmal lesen und nicht immer einfach so unbelehrbar vor sich hinbrabbeln. Sie haben einfach Lese- und Verständnisschwierigkeiten mit der Verneinung "nicht", die Sie immer gerne überlesen. Der BGH sagt: "Vor allem aber fordert es die verfassungsrechtlich gewährleistete richterliche Unabhängigkeit nicht, das Haftungsprivileg auch auf ein Handeln des Richters zu erstrecken, das nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme der Verhandlungsleitung zur Erfüllung eines Straftatbestands führt, sondern - wie hier - bereits für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt (dem zuneigend bereits BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 657)"  (BGH, U. v. 13.5.2015 - 3 StR 498/14, Rdnr. 17).

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Das fehlende Puzzle-Teil in Rdnr. 17 ist vielleicht dieser zum Zitat hinführende Teil:

"lndem der Gesetzgeber mit der Neufassung des Rechtsbeugungstatbestandes durch das EGStGB vom 2. März 1974 klargestellt hat, dass für die subjektive Tatseite der Rechtsbeugung auch bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. LK/Hilgendorf, StGB, 12. Aufl., § 339 Entstehungsgeschichte Rn. 86 mwN), ist ein Begründungsansatz für die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestandes bereits weitgehend obsolet geworden; denn damit bleiben die Anforderungen an die subjektive Tatseite der denkbaren Strafvorschriften, die nach heutiger Gesetzeslage durch eine richterliche Entscheidung neben § 339 StGB verletzt werden können, nicht mehr hinter denjenigen des Rechtsbeugungstatbestandes zurück."

"Vor allem aber ..." verstärkt diese Feststellung nur für dasjenige Handeln des Richters, dass nicht im Zusammenhang mit einer Außenwirkung einen anderen Straftatbestand erfüllt. Damit erklärt der BGH aber gerade nicht, dass die Sperrwirkung in strafbaren Fällen mit Außenwirkung bestehen bleibt. "Ein Begründungsansatz ... bereits weitgehend obsolet geworden" lässt jedenfalls nicht die Annahme zu, dass eine Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestands irgendeine grundsätzliche Bedeutung hat. Nun könnte man die von Gerichten verhandelten und entschiedenen Fälle seit der Gesetzesänderung mal durchgehen. Ist ja offiziell ein ganz seltenes Delikt.

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Missverständlich und widersprüchlich ist bezüglich des Wegfalls der Sperrwirkung im übrigen die Kommentierung bei Thomas Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, Rn. 48 zu § 339 StGB.

Anders jetzt die aktuelle 66. Auflage von 2019 seines Kommentars zum Problem der "Sperrwirkung": Seine aktuelle Kommentierung nähert sich mittlerweile, wenn auch nach wie vor etwas gewunden und verklausuliert, der aktuellen Rechsprechung seit BGH, 13. Mai 2015, Az. 3 StR 498/14 an, wonach die sog. "Sperrwirkung der Rechtsbeugung" schlicht abgeschafft ist.  

Wenn Sie - ganz ausnahmsweise - in einem lucidum intervallum einmal lesen und bestenfalls auch verstehen würden, was man oben schon längst geschrieben hat, würden Sie Ihre dumme Frage nicht stellen. Für Sie bräuchte man im Internet noch einen Stzeinmeißler! Denn nur elektronische Texte sind bei Ihnen völlig nutzlos. Sie sind wirklich eine Plage! Ich wiederhole, damit beim 325. Anlauf auch Sie es endlich verstehen: "Die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestandes bleibt also ..ungeschmälert..." (Kuhlen, Zur Rechtsbeugung und ihrer Sperrwirkung, HRRS 2015, 492 ff. [500]). Details s. o...

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Ihre Meinung ist schlicht abwegig. Sie sind ein Glühwürmchen und Prof. Dr. Lothar Kuhlen, Universität Mannheim, ist eine Leuchte!

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Sie sind so was von borniert! Der BGH hat, wie oben schon ausführlichst und mehrfachst dargelegt, nur gesagt "dass das Haftungsprivileg der Sperrwirkung nicht auch auf ein Handeln zu erstrecken sei, dass wie hier bereits für sich alleine und nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme gegen ein Strafgesetz verstößt" (Safferling, Rechtsbeugung und „Sperrwirkung"). Eigentlich sollte man Ihnen sogar den Glühwürmchenstatus aberkennen. Da leuchtet nämlich gar nichts...

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Der Wegfall der sog. "Sperrwirkung" des § 339 StGB ist vor allem auch eingedenk des seinerzeitigen Diktums des BVerfG gerechtfertigt:

"Ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung kann auch dort in Betracht kommen, wo der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben, weil ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann. In diesen Fällen muss bereits der Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt werden." (Tennessee-Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26. Juni 2014, 2 BvR 2699/10, Rn. 11)    

Da steht kein Wort von "Sperrwirkung" und auch nicht von Rechtsbeugung. Das alles rotiert wieder alles nur in Ihrer krankhaft übersteigerten Fantasie!

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...und gewährt in bestimmten Fällen einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, besagt aber nichts über Sperrwirkung oder Rechtsbeugung, und auch nicht über Ihre geliebte VwGO etc. pp.

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...und selbstverständlich natürlich auch die Ausstellung eines Waffenscheins für eine Uzi, damit Sie den Staatsanwalt mal so richtig "effektiv zur Strafverfolgung" in Ihrem Sinne zwingen können. Nicht wahr?

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Nein, ich verlasse mich mehr auf die Waffen, die mir der Rechtsstaat zur Verfolgung meiner Rechte zur Verfügung stellt:

IV. Überblick über die beim BayVerfGH und beim BVerfG anhängigen Verfahren:

1. Beim BayVerfGH anhängig sind die Verfahren

Vf. 46-VI-18, Beschuldigte: Richter des OLG München
Vf. 47-VI-18, Beschuldigte: Richter des BayVerfGH
Vf. 48-VI-18, Beschuldigter: StA Mayer
Vf. 50-VI-18, Beschuldigter: StA Heidenreich
Vf. 51-VI-18, Beschuldigter: StA Bombe
Vf. 56-VI-18, Beschuldigte: StAin Selzam
Vf. 77-VI-18, Beschuldigte: Richter des BayVerfGH
Az. noch unbekannt, Beschluss des LG München I vom 8.11.2018, Az. 15 S 8616/18 (Mietprozess Dr. Tholl)

2. Beim BVerfG anhängig sind die Verfahren

2 BvR 1490/18, Beschuldigte: Richter des OLG München
2 BvR 1721/18, Beschuldigte: Richter des BayVerfGH
2 BvR 1683/18, Beschuldigter: StA Mayer
2 BvR 1682/18, Beschuldigter: StA Heidenreich
2 BvR 1681/18, Beschuldigter: StA Bombe
2 BvR 1861/18, Beschuldigte: StAin Selzam
2 BvR 2598/18, Beschuldigte: Richter des BayVerfGH
Az. noch unbekannt, Beschluss des LG München I vom 8.11.2018, Az. 15 S 8616/18 (Mietprozess Dr. Tholl)

ich verlasse mich mehr auf die Waffen, die mir der Rechtsstaat zur Verfolgung meiner Rechte zur Verfügung stellt

Den Wegfall der Sperrwirkung stellt Ihnen der Rechtsstaat aber eben auch nicht zur Verfügung!

Überblick über die beim BayVerfGH und beim BVerfG anhängigen Verfahren

Typisch ein Querulant!

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Den Beschluss des BGH vom 15.8.2018 - 2 StR 474/17 sehe ich deshalb mit großem Interesse, als er für meinen Fall bedeutet, dass auch der Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB eine eigenständige Bedeutung neben dem § 339 StGB zukommt. Es machen sich also in meinem Fall auch die Münchner Staatsanwälte jedenfalls wegen (versuchter) Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB strafbar, ohne dass gleichzeitig auch eine Rechtsbeugung gem. § 339 StGB nachweisbar sein müsste.  

Sie irren! Nur weil Sie "Ihren" komischen Fall verloren haben, machen sich "die Münchner Staatsanwälte" keineswegs "jedenfalls wegen (versuchter) Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB strafbar". Wenn Sie "Ihren Fall" auf die gleiche Weise aufgezogen haben, wie seit Jahren Ihren Kleinkrieg mit der Münchener Justiz, was ich angesichts Ihres Verhaltens leider vermuten muss, haben Sie Ihn völlig zu Recht verloren, leider auch Ihre unschuldigen Mandanten.

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Ich habe am 22.12.2017 eine 112-seitige Strafanzeige erstattet gegen die Münchner Staatsanwältin Nicole Selzam, die seinerzeit die Strafverfolgung des Richters Reich vereitelte. Dabei habe ich mich an den Text des Urteils

www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-110444?hl...

gehalten, bei dem derselbe Sachverhalt schon einmal abgehandelt wurde. Wenn Sie also die ausführliche Begründung meiner Strafanzeige im einzelnen nachlesen wollen, müssen Sie nur das soeben verlinkte Urteil nachlesen. Dieses Verfahren gegen die Münchner Staatsanwältin Nicole Selzam - unter dem Az. 2 Ws 306/18 KL - ist eine der insgesamt sechs anhängigen Verfassungsbeschwerden. U.a. richtete ich an das OLG München in dieser Sache folgenden kurzen Schriftsatz:

"Nachdem Sie mit Ihrem Schreiben vom 12.7.2018 Ihre Rechtsverweigerung in den parallel gelagerten Fällen dokumentiert haben, bitte ich Sie, sich wenigstens in dem vorliegenden Verfahren an die allgemein anerkannten Grundprinzipien von Recht und Gesetz zu halten und die StA zur förmlichen Einleitung der Ermittlungen gegen die beschuldigte StAin Selzam anzuweisen."

Sodann verfasste ich am 2. März 2018 folgendes Schreiben: 

"Sehr geehrter Herr OStAHAL Heidenreich,  

bei Ihrer Verfügung vom 22.2.2018 handelt es sich um eine strafbare versuchte Strafvereitelung im Amt in Tateinheit mit Rechtsbeugung (§§ 258a II, 339 StGB). Ich werde deshalb unmittelbar das Ermittlungserzwingungsverfahren zum OLG München betreiben und gegen Sie Strafanzeige erstatten.

Mit freundlichen Grüßen"  
 

Das OLG München lehnte den Antrag mit Beschluss vom 19.7.2018 ab. Nach Anhörungsrüge vom 26.7.2018  erhob ich unter dem 10.8.2018 Verfassungsbeschwerde zum BVerfG (187 Seiten, Az. 2 BvR 1861/18) und zum BayVerfGH (195 Seiten, Vf. 56-VI-18). Ich erhob hierbei die prozessuale Rüge von Verletzungen des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs wegen fehlenden richterlichen Hinweisen gem. § 86 III VwGO und wegen fehlender mündlicher Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK i.V.m. § 101 I VwGO. Weiter erhob ich die materiellrechtliche Rüge der Verletzung meines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektive Strafverfolgung auf der Grundlage der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2014, 2 BvR 2699/10, Rn. 11.

Die Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus spricht die heutigen Juristen und deren gesellschatliches Selbstverständnis mit ihrem aktuellen Buch direkt an: "Justiz als gesellschaftliches Über-Ich - Zur Position der Rechtsprechung in der Demokratie".

Für den Tatbestand dieses Falls, wie auch für dessen rechtliche Behandlung könnte die Lektüre eine Offenbarung sein. Mit der "Zellenprobe" zur Erzwingung von Prozesshandlungen zeigt der Fall die Durchlässigkeit der "Gewaltenteilung" zwischen Judikative und Exekutive. In der NS-Justiz waren diese Schranken weitestgehend aufgehoben.

In der rechtlichen Behandlung ist auch die rechtsetzende Tradition der Justiz erkennbar, die just mit der Einführung von Demokratie und Parlamentarismus in Deutschland einsetzte und den Gesetzgeber bis heute zum Stichwortgeber degradiert. Ingeborg Maus bezeichnet die als Rechtsfortbildung verharmloste Eigenermächtigung als "Selbstprogrammierung der Justiz". In der Weimarer Zeit war die fehlende Bindung an legitim erzeugte Gesetze ein wesentliches Einfallstor für die folgende Gleichschaltung der Justiz und das exekutive Durchentscheiden im NS-Regime, wie Ingeborg Maus aus den Quellen eindrucksvoll herausarbeitet.

Möglicherweise ist nun mit aktivem Zutun der Rechtswissenschaften und der Justiz auch nach 1945 eine Situation eingetreten, die sich nicht so leicht auflösen lässt. Die Qualität und Legitimität der Gesetzgebung steht allgemein in der Kritik, die Exekutive schafft sich mit der Begründung der faktischen Notwendigkeit selbst rechtsfolgenfreie Aktionsräume und die Justiz bedient sich mit gleicher Begründung aus einem Katalog von unbestimmten Begrifflichkeiten und Regelungen, die sie selbst variabel einsetzen und allein kontrollieren kann.

Für den normalen, unbescholtenen Bürger ist es von praktischem Vorteil, jeden Kontakt mit diesen Konstrukten zu vermeiden und für den Fall der Unvermeidbarkeit vom möglichst erfahrenen Anwalt durchs schummrige Dickicht der unbestimmten Rechtspraxis geführt zu werden. Das ist schon mal absurd, wenn man Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ernst nimmt und diese Begriffe von Intransparenz und Willkür unterscheiden kann. Der einer Straftat tatsächlich Verdächtige und somit nicht willkürlich mit Strafe Bedrohte sollte seine Schutzrechte kennen und nutzen dürfen, ohne in Angst und Schrecken versetzt zu werden. Insofern offenbart auch die Erläuterung "wobei er im Gefängnis ein leichtes Opfer für sexuelle Übergriffe durch Mithäftlinge sei" welch geistigen Ursprungs die Vorgehensweise in diesem Fall war.        

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Cool Herr Lippke, wie Sie die morderne deutsche Rechtstaatlichkeit mit der NS-Rechtsprechung verquicken.

Sowas darf natürlich in einem seriösen Expertenkommentar fehlen.

Nicht wahr?

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Sehr geehrter Herr Rudolphi,

cool ist daran gar nichts. Was Sie " mein verquicken" nennen, basiert auf seriösen, quellenbasierten Forschungen durch anerkannte Experten, wie Maus, Rüthers, Görtemaker. Beliebt sind die Erkenntnisse nicht, das ist mir bewusst. Es geht dabei allerdings in erster Linie um eine methodologische und personelle Kontinuität in der deutschen Justiz über die Zeit 1933 - 1945 hinweg, weniger um die inhaltliche Befüllung und Ausrichtung der jeweils unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln. Sicherlich ist die heutige Rechtspraxis inhaltlich nicht mit der der NS-Zeit vergleichbar und die personelle Kontinuität hat sich biologisch erledigt. Aber die in Rechtswissenschaft und Justiz der Weimarer Republik zunehmend präferierte Abwendung von der Gesetzesbindung hin zu an unbestimmten "Werten" und der unbegrenzten Auslegung orientierten Rechtsprechung ist mit der heutigen Vorgehensweise vergleichbar. Diese Rechtswissenschaft und juristische Praxis der Weimarer Republik war strukturell schon allein durch inhaltliche Umstellung und exekutive Vorgabe der "neuen" Werte an das totalitäre NS-Regime anpassbar. Juristen, die in diesen Wertewandel nicht passten, wurden schlicht entfernt. Die Mehrheit jedoch fügte sich ohne methodische Änderung der Arbeitweise und nicht selten im vorauseilendem Gehorsam nahltlos ein.

Um aber auf den aktuellen Fall zurückzukommen. Unstreitig ist wohl die Drohung des Richters mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit durch erwartete Übergriffe im Strafvollzug und das "Probesitzen" in der Zelle, um ein Geständnis zu erzwingen. Das "natürlich" nur aus Fürsorge für den Angeklagten, obwohl Strafvollzug gar nicht zur Debatte stand. Selbst wenn man angesichts des als bewiesen angenommenen unsittlichen Tatverhalten des Angeklagten für diese Vorgehensweise materiell-rechtliche Entschuldigungen finden sollte, worin unterscheidet sich das Vorgehen methodisch von Fällen, bei denen in der NS-Vergangenheit politische Haltungen oder Abstammungsfragen als strafbar und unsittlich definiert wurden oder auch zukünftig wieder definiert werden könnten? Ist methodische Kontinuität der Rechtswissenschaft und Justiz über beliebig totalitäre und demokratische Gesellschaftsverfassungen hinweg etwa seriöses Expertentum und eine Auszeichnung für Rechtsstaatlichkeit?

Ihre Meinung dazu, interessiert mich tatsächlich.               
 

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Quatsch! Das war ein individueller Fehler eines unbeleckten Proberichters, der mit der NS-Vergangenheit überhaupt nichts zu tun hat!

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Also ich freue mich eigentlich immer, wenn Lutz Lippke seine Sichtweise auf beck-blog beisteuert. Denn Lutz Lippke nimmt in seinen Kommentaren auf beck-blog sehr oft sehr grundsätzlich Stellung. Zu dieser Grundsätzlichkeit gehört eben u.a. auch der historische Zusammenhang der betreffenden Vorschrift. Bei meinen Kommentaren hingegen werden Sie diese Zusammenhänge nur sehr selten finden, weil ich mich mehr mit der rein technisch-juristischen Seite der Sache beschäftige.    

Sie haben sicherlich recht, Gast. Einen direkten Zusammenhang zwischen dem konkreten Handeln des Proberichters und der NS-Vergangenheit hatte ich auch gar nicht hergestellt. Vielleicht hat er tatsächlich ein "der Sache" angemessenes Ergebnis gewollt. Was "der Sache" angemessen ist, kann man sehr unterschiedlich bewerten. Von solch subjektiv und zeitlich sehr unvorhersehbar zu treffenden Bewertungen lässt sich aber das "WIE in der Sache verfahren wird" sehr konkret unterscheiden. Eine Bindung des Richters nur an das richtige Ergebnis, stellt also keine verbindliche normative Struktur dar, wohingegen die Bindung an normierte Verfahrensweisen für die Verfahrensgerechtigkeit sorgen soll, die Rechtsstaatlichkeit erklärtermaßen zum Ziel hat. Nur dafür ist ein Richter im Rechtsstaat da. Wer als Amtsperson trotz Bindung an Recht und Gesetz vorsätzlich gegen diese normierten Verfahrensweisen verstößt, kann sich demnach nicht auf ein vermeintlich richtiges Ergebnis oder dessen Beabsichtigung berufen. Der BGH sieht das offenbar anders. In diesem "Anderssehen" besteht methodologisch eine Kontinuität in der deutschen Rechtsgeschichte ohne methodischen Bruch über die NS-Zeit hinweg, wie man bei Maus und Rüthers nachlesen kann. Der Verweis auf die NS-Zeit ist gerade nur deshalb notwendig, weil insbesondere Ingeborg Maus nachgewiesen hat, dass eine solche auf Moral und richterliche Ermessensfreiheit basierende Rechtsprechung kaum Anpassungsschwierigkeiten für das gesellschaftliche Umschlagen ins Totalitäre bereitet. Abgesehen davon ist es allerdings auch erstaunlich, dass gerade ein "unbeleckter" Proberichter mit seinem Wissen aus einem recht aktuellen rechtswissenschaftlichen Studium solche Grenzen auslotet, statt im sicheren Fahrwasser des Verfahrensrechts zu bleiben. Hat das vielleicht doch etwas mit der massiven Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Kontrolle des Richterhandelns durch BGH-Rechtsprechung zu tun? Wie ist diese Rechtsprechung zur Rechtsbeugung historisch entstanden?      

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Der BGH sieht das offenbar anders

Das sieht der BGH bei verbotenen Vernehmungsmethoden überhaupt nicht anders.

Abgesehen davon ist es allerdings auch erstaunlich, dass gerade ein "unbeleckter" Proberichter mit seinem Wissen aus einem recht aktuellen rechtswissenschaftlichen Studium solche Grenzen auslotet, statt im sicheren Fahrwasser des Verfahrensrechts zu bleiben

Aber auch das hat nichts mit der NS-Vergangenheit zu tun, sondern nur mit den beklagenswerten Mißständen unserer Juristenausbildung und damit, dass unsere RTL-gebildete TV-Bevölkerung immer alles lieber gestern als heute oder gar morgen hinter Gittern sehen will.

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Zu dem, was der BGH nach meiner Wahrnehmung u.a. anders sieht:

§ 343 StPO stellt die Aussageerpressung durch Amtsträger auch in minder schweren Fällen unter Strafe. Nötigung ist die dazu verbotene Vorgehensweise, soweit sie durch Drohung oder Anwendung von körperlicher oder seelischer Gewalt erfolgt. Laut § 240 StGB liegt bei Nötigung zudem ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter Amtsträger ist und seine Befugnisse und Stellung mißbraucht. Die Verwerflichkeit und damit Rechtswidrigkeit der Nötigung ergibt sich aus dem verfolgten Zweck, nämlich der strafbaren Aussageerpressung. Das Motiv der Aussageerpressung ist im diskutierten Fall wohl unstreitig.

In den Entscheidungsgründen stellt der BGH aber fest, dass das erzwungene "Probesitzen in der Zelle" in der dargestellten Weise keine Nötigung ist, also kein Mißbrauch der Stellung und Befugnisse des Richters, also auch kein verbotenes Verfahrensmittel. Das heißt also, auch mit Zeugen, natürlich gerade denen mit Aussageverweigerungsrecht (z.B. Ehefrauen, Kinder, Opfer), wie auch mit beteiligten Anwälten, Gutachtern oder sogar Richterkollegen kann ebenso verfahren werden. Das Gesetz unterscheidet nämlich die Betroffenen oder deren Stellung im Verfahren nicht. Jeder denkbare Beteiligte in einem Straf- Bußgeld- oder Disziplinarverfahren muss also erdulden, von einem Richter spontan in den Verwahrkeller geführt und dort in der Zelle eingeschlossen zu werden, aus der er/sie/es ohne fremde Hilfe nicht wieder herauskommt. Das ist aus den Feststellungen des BGH in Rn 15 herleitbar.

Wenn solches Amtsvorgehen demnach als eine mit der Verstrickung in ein rechtsstaatliches Verfahren regelmäßig verbundene seelische Belastung gilt, kann es auch nicht als seelische Qual zur Zermürbung der geistigen und seelischen Widerstandskräfte herhalten.

Denn der BGH erklärt in Rn 16: "Nach dem Willen des Gesetzgebers genügt damit aber nicht jede seelische Einwirkung auf die Widerstandskräfte zur Verwirklichung des Tatbestands, mag sie auch in dem Bestreben erfolgt sein, die Aussagebereitschaft des Betroffenen zu beeinflussen (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 279)."

Bei der Bundestagsdrucksache handelt es sich übrigens um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung(!) von 1973
https://dejure.org/Drucksachen/Bundestag/BT-Drs._7/550
Also keineswegs bezieht sich der BGH mit seiner Quellenangabe auf den Willen des Gesetzgebers.

Ziel des Gesetzentwurfes der Exekutive war übrigens ein nachdrücklicher Schutz gegen Aussageerpressung. Zur seelischen Qual erklärt der Gesetzentwurf auf S.278 "Einwirkungen auf den seelischen Bereich eines zu Vernehmenden erfüllen daher den Tatbestand der Aussageerpressung nur, wenn sie den Betroffenen über unvermeidbare seelische Belastungen hinaus seelische Peinigungen aussetzen, die seine geistigen und seelischen Widerstandskräfte zermürben."

Der BGH sieht die Einschüchterung durch "Zelleneinschluss" demnach als eine im Verfahren zulässige oder sogar unvermeidbare seelische Belastung an.

Den 2. Teil verstehe ich, kann das aber nicht einschätzen. Mir ging es auch eigentlich nicht um die Vergangenheit selbst, sondern gerade um den erheblichen Zweifel an der fragwürdigen These, dass die Staatsgewalt vom "RTL-Volk" in die Rechtswidrigkeit "getrieben" wird oder jemals wurde.  

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In den Entscheidungsgründen stellt der BGH aber fest, dass das erzwungene "Probesitzen in der Zelle" in der dargestellten Weise keine Nötigung ist, also kein Mißbrauch der Stellung und Befugnisse des Richters, also auch kein verbotenes Verfahrensmittel.

Das sind leider alles Fehlschlüsse. Die Tat ist nach BGH nur keine "Aussageerpressung" gem. § 343 StGB. Nicht alles, was nach StGB nicht strafbar ist, ist aber nach der StPO erlaubt. Die StPO regelt viel mehr, als was das StGB verbietet oder erlaubt. Sehr wohl kann die angeklagte Tat also ein "Mißbrauch der Stellung und Befugnisse des Richters" und insbes. auch ein "verbotenes Verfahrensmittel" iSd § 136a StPO ("Verbotene Vernehmungsmethoden") sein.

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