"Die Wahrheit ist komplexer als Sie hören wollen."

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.02.2019
Rechtsgebiete: Strafrecht18|5380 Aufrufe

Mit diesem treffenden Satz zu einer komplizierten Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Völkermord in Ruanda endet der Trailer zu „Black Earth Rising“. In der ebenso beeindruckenden wie viel gelobten Netflix-Serie (Kritik in der ZEIT hier) geht es um die schwierige Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda, bei dem 1994 in nur 100 Tagen über 800.000 ruandische Männer; Frauen und Kinder brutal abgeschlachtet wurden. Erzählt wird die Geschichte von Kate, die als junges Mädchen dem Genozid entkommen konnte und von einer Frau in Großbritannien adoptiert wird, die als Anklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag arbeitet. Als ihre Mutter Anklage gegen einen ruandischen General erhebt, der damals den Genozid gestoppt hatte, wird Kate ebenso mit ihrer Vergangenheit als mit den Abgründen der Gegenwart konfrontiert.

 

Eines Tages wird der Anklägerin von einem jungen Mann vorgehalten, der internationale Gerichtshof sei „neokolonialer Bullshit“ und „westlicher Paternalismus“. Dieser Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Bislang beschäftigte sich der IStGH ausschließlich mit Afrika. Die Frage, mit welchem Recht lediglich für Afrika die Umsetzung von Gerechtigkeit nach Den Haag ausgelagert wird, stellt die Serie mit Recht in vielschichtiger Weise.

 

Die Euphorie der Neunzigerjahre, die zur Errichtung des IStGH führte und in Deutschland ein Völkerstrafgesetzbuch entstehen ließ, ist verflogen. Nach den Geschehnissen in Ruanda kam mit großen Hoffnungen verbunden die Diskussion um ein humanitäres Interventionsrecht in Gang. Davon ist so gut wie nichts mehr geblieben.

 

Je mehr die westliche Wertegemeinschaft zerfällt, umso mehr ist auch zu befürchten, dass wir die so wichtige Errungenschaft, dass massive Verletzungen des Völkerrechts (Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) durch ein internationales Strafgericht verfolgt werden können, verlieren.

Upadate vom 18.2.2019 hier

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

18 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

In der Tat. Und in D wagt ein Verfassungsgericht nicht, Regierungshandeln im Sept 2015 auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Wenn die AfD zu dumm ist, in Karlsruhe zulässige Anträge zu stellen, sollten ihre Juristen noch einmal die Schulbank drücken.

0

Ja, die "Entscheidung" meine ich. Dr. Barley drängt ja darauf , geschichtlich zu denken. Generalisierend kann man über die Zeiten hinweg wohl sagen: Rechtsanwendung hat auch mit dem Bäckerhandwerk zu tun. Wer die Spruchmacht nach dem momentanen System jeweils hat, kann "das Recht" kneten. Im Sprachgebrauch der Verhöhnung waren also wohl v. Schleicher, v. Bredow, Jung, Klausener "zu dumm", um zu erkennen, dass ihnen widerfuhr, was bald darauf im Reichsgesetzblatt stand. Die Maßnahmen waren "als Staatnotwehr rechtens". Heute deklariert man ein Prüfungsbegehren als "unzulässig". Das deutet auf unterschiedliche Einnschätzungen der jeweils vorhandenen Justiz hin. Hitler hat wohl nicht geglaubt, damals ein deutsches Gericht zu finden, das auf den piffigen Bäckereinfall gekommen wäre, Kontrolle von Rechtsbruch wegen Harmonie mit einem von der Führung in Anspruch genommenen "Staatsinteresse" der Notwehr gegen unhübsche Filmaufnahmen für "unzulässig" zu erklären. 

Also mE wurde der NATO-Angriff auf Jugoslawien 3 Jahre nach Ruanda sehr wohl mit "humanitärer Intervention" begründet, so ganz versandet ist das eher nicht. 

Und bei der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung gab es bezügl. Ruanda  gab es neben den IStGH-Verfahren  zwei größere Verfahren in Stuttgart und Frankfurt. Dass es jetzt eine Auflösungstendenz gäbe bei der Verfolgung sehe ich nicht so ganz, die USA haben sich ja immer schon - bereits vor Trump - sehr widerwillig gezeigt was die Unterstellung unter eine internationale Gerichtsbarkeit angeht..

0

Ja, niemand garantiert ihnen und ihren Reräsentanten ja, stets auf der Siegerseite zu sein, die man nicht packen kann.

Wünschen Sie sich wirklich „humanitäre Interventionen“ der „westlichen Wertegemeinschaft“?

Was sind das für Werte? Werden die vorgeblichen Werte tatsächlich gelebt oder ist das nur ein Narrativ? Praktisch sämtliche Interventionen der westlichen Wertegemeinschaft seit 1945 gründeten sich auf Lügen (heutzutage sagt man dazu auch verniedlichend 'fake news'). Wenn die westliche Wertegemeinschaft ihre Interessen gefährdet sieht, die nicht edel, sondern profan sind – es geht immer nur um Profit und geostrategische Interessen – greift sie an. Ob legal oder illegal interessiert nicht. Das zurückbleibende Elend des Krieges interessiert sie noch weniger. Dem treudoofen Publikum wird etwas von „Werten“ erzählt, von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit. Zum Beweis werden dann ein paar Angeklagte – komischerweise niemals aus Ländern der „westlichen Wertegemeinschaft“ - präsentiert.

Es gibt einen Lackmustest, mit dem die "deutsche westliche Wertegemeinschaft" demonstrieren könnte, daß sie es ernst meint: Anklage gegen Schröder und Fischer für ihre Beteiligung an dem in jeder Hinsicht völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien, indem die deutsche Luftwaffe Serbien bombardierte.

Der Welt wäre sehr geholfen, wenn DIESE „westliche Wertegemeinschaft“ zerfallen würde. Es gäbe bedeutend weniger Krieg und Elend und die wahren Täter könnten endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Es wird nicht passieren.

0

Nun, die Zeit berichtet: " Immer wieder war das Milošević-Regime durch den UN-Sicherheitsrat aufgefordert worden, die brutale Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung der albanischen Bevölkerung im Kosovo zu beenden, ohne Erfolg. Am Ende monatelanger, ergebnisloser Verhandlungen, während derer das Morden im Kosovo andauerte, hatte sich die Nato zum Krieg entschlossen." (19.3.2009). Zu welchen Faktenaussagen hierbei möchten Sie erwidern?

Fragen Sie mal zB Bundeswehrangehörige, die im Rahmen der KFOR (nach dem Krieg) im Kosovo stationiert waren, was die so über das Treiben kosovarischer Milizen, Regierungsstellen und organisierter Krimineller (Schnittmengen der vorgenannten drei Gruppen gibt es auch noch) zu berichten wissen......Das rechtfertigt und entschuldigt Milosevic sicher nicht, aber ein hehren humanitären Idealen verpflichtetes Völkchen scheint da im Kosovo nicht unbedingt zu leben....

0

Nun, wenn ich selbst aus eigener Kunde dazu nichts weiß - was sagen mir UN-Resolutionen? Des Sicherheitsrates? 

Und auf welcher Rechtsgrundlage tat die NATO das? Durfte sie das? Nein, sie durfte nicht. Einzig der UN-Sicherheitsrat hätte eine solche Entscheidung treffen dürfen. Hat er aber nicht. Der Angriff war völkerrechtswidrig.

0

Allein der Umstand, dass die Türkei immer noch zur NATO gehört, widerlegt das Gerede von einer "Wertegemeinschaft".

0

Vielen Dank für den Filmtipp!
Humanitäre Interventionen sind eine schwierige Sache. Schon die waffenlose Sanktion "böser Herrscher" oder Unterstützung ihrer Widersacher schafft Verstrickungen in Verantwortlichkeiten und Übergriffigkeit, die nicht im Humanitären bleiben. Bei militärischen Interventionen ist das wohl die Regel.
Selbst mit den anständigsten Motiven kann man sein Handeln oder Unterlassen nicht diesen Verantwortlichkeiten entziehen. Dieser Komplexität der dialektischen Verstrickungen in Recht und Unrecht kann nur sachlich und normativ begegnet werden und nicht durch Moral. Aber gerade in letzter Zeit werden Interventionen und verstärkt durch Moral und humanitäre Motive begründet. Wenn von "westlichen Werten" gesprochen wird, frage ich mich, ob damit die Lippenbekenntnisse zu Völkerrecht und Menschenrechten gemeint sind oder nur das westliche Niveau von deren Beachtung. Letzteres würde bedeuten, dass im Umkehrschluss das westliche Niveau der Missachtung von Rechten ebenso zu den westlichen Werten gehört. Als Angehöriger der westlichen Wertegemeinschaft stößt mir diese Seite besonders auf, da sie nur wenig reflektiert wird, wohl auch um humanitäre Interventionen nach innen unterlassen zu können. Wer wirklich Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als Werte begreift, setzt sie im Inneren durch, entwickelt sie gerade bei sich selbst weiter, statt das Scheinbild dessen auch mittels Übergriffen und militärischer Gewalt in die Welt zu verticken. Das es anderswo schlimmer ist als hier, ist keine hinreichende Begründung für die Unterlassung der Selbstkritik. Vielmehr zeigt sich daran die geringe Bindung an die proklamierten Werte. Dann wird es kompliziert. Das ist etwas Anderes als Komplexität, die Kompetenz und Engagement herausfordert. Das Komplizierte im Tarnmantel des Komplexen stößt ab. Es kann so widerlich sein, dass es das offenkundige Unrecht noch übertrifft. Ist so gesehen "kompliziert" vielleicht auch ein westlicher Wert, der gern exportiert wird?

0

 Auch insoweit pflichte ich Ihnen sehr bei. "Kompliziert" - das soll es stets sein,wenn Siffis anderen vorwerfen, sie schlügen "einfache" Lösungen  vor. Dabei wäre vieles sehr einfach: Von den Nicht-EU-Mitgliedern sog. "Asylanten" oder "Flüchtlingen"  vor der Grenze hat Niemand, null % ( 0 Prozent) ein Recht auf Einreise. Null Prozent - da fällt "prüfen" leicht. Da fiele "prüfen" leicht, und ebenso effektive Abwehrmaßnahmen. §§ 10 - 12 UZwG etwa. Und wer zu verschwinden hat, steht nach rechtskräftigen Bescheiden ebenso "einfach" fest. Raus heißt raus. Effektiv. Und Polizisten verdienen absoluten Schutz vor persönlicher Beenträchtigung. Sobald Gewaltattacke - Abwehr, mit ALLEN Mitteln, die sicheren Erfolg verheißen. 

" setzt sie im Inneren durch" - ja in der Tat. Durchsetzen, Herrschaft des Rechts. Brutalstmöglich, mit voller Härte des Gesetzes.

Das ist vor allem auch wichtiger, als als Weltoberlehrer herumzutuckeln.

Ich verstehe nicht so Recht, was Sie unter brutalstmöglicher Durchsetzung der vollen Härte des Gesetzes verstehen. Klingt kompliziert und wütend.

0

Nun, es sind termini technici publici: Roland Koch (brutalstmöglich), "volle Härte des Gesetzes" ( Assessor Maas).

Was ist gemeint mit dem Begriff "westliche Wertegemeinschaft"?

Was ist gemeint mit dem Begriff "Westen"?

Soll "Westen" stehen für Gesellschaften mit abendländischer Tradition?

Für Gesellschaften mit einer christlichen Bevölkerungsmehrheit?

Für Gesellschaften deren Staatswesen ein demokratisches ist?

Aber welches Staatswesen ist wirklich nicht nur theoretisch sondern auch tatsächlich demokratisch? 

Oder soll der Begriff für Staaten gelten, in denen die Menschenrechte geachtet werden?

Aber in welchen Staaten werden die Menschenrechte nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis geachtet?

Darüber gibt es verschiedenen Meinungen, insbesondere je nachdem welche Völker man fragt.

Sollen wir dabei auf die jeweils aktuell in Deutschland herrschende Meinung abstellen?

Aber ist es nicht chauvinistisch, Meinungen anderer Völker nicht zu berücksichtigen, bzw. diese anderen Völker von deutschland aus (oder von den USA, die ja oft als Vorbild für Deutschland dienen, und deren Medien auch in Deutschland viele Kunden und Konsumenten finden) zu bevormunden?

Oder soll der Begriff "Westen" schlicht die USA und deren Verbündete stehen?

Und wie sieht es mit dem Begriff "Wertegemeinschaft" aus?

Leben wir Deuschen tatsächlich in einer Gemeinschaft mit den US-Amerikanern?

Manche Deutsche glauben das vielleicht, aber wenn sie das in den USA den Leuten auf der Straße erzählen würden, würden sie dort wohl laut ausgelacht.

Und wenn man das dem Führungspersonal in Washington erzählen würde, würde man zwar nicht laut ausgelacht, aber vermutlich leise und heimlich ausgelacht.

Mit dem Begriff "Werte" sind wohl nicht Ölfelder, Edelmetalle, Aktien, oder schödes Geld, geeint, sondern sozial nützliche Ideale, die auch bei Handlungsentscheidungen Berücksichtigung finden oder finden sollten.

"Werte" wie etwa Menschlichkeit oder Rücksichtnahme oder Hilfsbereitschaft gibt es aber nicht nur im Westen, sondern in fast allen Völkern und in fast allen Gesellschaften, auch wenn die konkrete Ausformung sehr unterschiedlich ausfällt.

Viele Medien neigen leider dazu, zu sehr das Trennende zu betonen, und zu wenig Gemeinsamkeiten zu beachten.

Kulturpessimismus birgt in sich die Gefahr, mutlos zu werden.

In den letzten rund 100 Jahren hat es jedoch fast überall auf der Welt erhebliche Fortschritte gegeben, und es spricht einiges dafür, daß es langfristig betrachtet auch weitere Fortschritte geben wird.

Man sollte weder zu vertrauensselig oder naiv sein, noch zu mutlos werden, sondern man sollte pragmatisch gucken was man besser machen kann, und in den letzen hundert Jahren ist ja wie bereits gesagt schon Vieles besser geworden.

0

Kommentar hinzufügen