Berufungsbeschränkung des Verteidigers: Der dabei sitzende schweigende Angeklagte stimmt zu!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.04.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|8499 Aufrufe

Ich meine, einen entsprechenden Fall gab es in den letzten Jahren schon einmal hier im Blog: Der Verteidiger beschränkte die Berufung. Eine schriftliche Ermächtigung nach § 302 Abs. 2 StPO fehlte. Macht aber nichts, wenn der Angeklagte (bzw. in OWi-Sachen der Betroffene) daneben sitzt und schweigt:

 

 

Erklärt der Verteidiger, der die Berufung zunächst unbeschränkt eingelegt hat, in der Berufungshauptverhandlung die Beschränkung der Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte im Sinne des § 318 S. 1 StPO – hier auf den Rechtsfolgenausspruch –, liegt hierin eine Teilrücknahme, die gemäß § 302 Abs. 2 StPO der ausdrücklichen Ermächtigung durch den Angeklagten bedarf (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; KK/Paul, a.a.O., § 318 Rn. 3). Hierbei kann die Ermächtigung auch konkludent erteilt werden (vgl. OLG Hamm, a.a.O.) Von einer konkludenten Ermächtigung des Verteidigers durch den Angeklagten in diesem Sinne ist bereits auszugehen, wenn der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Angeklagte zu der Erklärung seines Verteidigers schweigt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). In dem Schweigen ist eine Billigung der Erklärung des Verteidigers zu sehen (vgl. OLG Hamm. a.a.O.; m.w.N.).

Liegt es wie hier, dass der Verteidiger die Beschränkungserklärung nicht lediglich in eigenem Namen abgibt, sondern – wie sich aus der Verwendung des Personalpronomens „Wir“ eindeutig ergibt – auch für den Angeklagten, bedarf es somit erst recht keiner ausdrücklichen Ermächtigung. Auch hier liegt in dem Schweigen auf die gemeinsame Erklärung der Beschränkung durch den Verteidiger jedenfalls eine konkludente Ermächtigung des Angeklagten.

 

OLG Hamm, Beschl. v. 19.2.2019 - 5 RVs 23/19

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Ich bin wirklich verblüfft über das Ergebnis und die Begründung des OLG Hamm, die nach 302 II StPO erforderliche "Ermächtigung" des Berufungsführers habe durch Anwesenheit und Schweigen erklärt werden können, obwohl das Gesetz von "einer ausdrücklichen Ermächtigung" spricht. Die erforderliche Ermächtigung ist nach den Regeln auszulegen, die  für Auslegung von Willenserklärungen gelten. Danach aber ist Schweigen weder eine konkludente, noch eine ausdrückliche Erklärung, weil Schweigen grundsätzlich überhaupt keine(!) Erklärung ist - von wenigen besonderen hier nicht genannten und ersichtlichen Ausnahmen abgesehen. Hierzu das OLG:
"Hierbei kann die Ermächtigung auch konkludent erteilt werden (vgl. OLG Hamm, a.a.O.) Von einer konkludenten Ermächtigung des Verteidigers durch den Angeklagten in diesem Sinne ist bereits auszugehen, wenn der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Angeklagte zu der Erklärung seines Verteidigers schweigt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). In dem Schweigen ist eine Billigung der Erklärung des Verteidigers zu sehen (vgl. OLG Hamm. a.a.O.; m.w.N.)". In der verwiesenen Entscheidung des OLG Hamm (offensichtlich Beschluss vom 13.10.2009 - 3 Ss 422/09) heißt es dazu wörtlich:

"Schweigt der in der Hauptverhandlung anwesende Angeklagte zu der Erklärung, durch welche dieser eine (teilweise) Rechtsmittelrücknahme - eine solche liegt in der Beschränkung des Rechtsmittels in der Berufungshauptverhandlung – erklärt, so ist darin eine Billigung dieser Erklärung zu sehen (vgl.BGH wistra 2002, 269; BayObLG NJW 1985, 754; Paul in KK-StPO 26. Aufl. § 320 Rdn. 22 und § 303 Rdn. 4)".

In der verwiesenen BGH-Entscheidung steht aber nichts über Billigung, mithin also nichts darüber, dass sie durch Schweigen erklärt werden kann. Vielmehr geht es darin um eine durch Nicken des Angeklagten erklärte Ermächtigung ("Eine hierzu erforderliche ausdrückliche Ermächtigung (§ 302 Abs. 2 StPO) ist in dem zustimmenden Nicken des Angeklagten zu sehen" (Beschluss vom 20. März 2002 - BGH 5 StR 1/02)). Im zustimmenden Nicken des Angeklagten kann zumindest eine Ermächtigung erklärt werden. Sie wird aber nicht ausdrücklich erklärt - wie das Gesetz verlangt, sondern konkludent.

Im Beschluss des OLG Hamm vom 13.10.2009 - 3 Ss 422/09, auf den sich der hier besprochene Beschluss (5 RVs 23/19) stützt, geht es interessanterweise im Wesentlichen nicht um die Ermächtigungserklärung des Angeklagten nach 302 II StPO, sondern um die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft nach 303 StPO. Anders als bei der Ermächtigungserklärung des Angeklagten, verlangt der Gesetzgeber bei der Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft keine Ausdrücklichkeit. Das Gesetz spricht lediglich von Zustimmung, die - wie das OLG zutreffen annimmt, auch konkludent erklärt werden kann. Zutreffend legt das OLG die Anwesenheit und das Schweigen des Vertreters der Staatsanwaltschaft nicht als Erklärung und als konkludente Zustimmung aus:

"Man wird zwar davon ausgehen können, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Erklärung des Verteidigers, auch wenn sie nicht erneut vorgelesen und genehmigt wurde, zur Kenntnis genommen hat. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass das Schweigen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft als konkludente Zustimmung gewertet werden könnte" (Beschluss des OLG Hamm vom 13.10.2009 - 3 Ss 422/09").

Was verblüfft, ist also, dass das OLG Hamm in der Anwesenheit des Staatsanwalts und in seinem Schweigen keine Erklärung in konkludenter Form erkennen will - zurecht, gleichwohl in Anwesenheit und durch Schweigen des Angeklagten eine Erklärung in ausdrücklicher Form erkennen will.

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