Diskussionstipp von Alexander Würdinger: Das BVerfG und der Inhalt des Klageerzwingungsantrags

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.09.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1738|99518 Aufrufe

Alexander Würdinger ist ja den Bloglesern schon bekannt. Er ist einer der wenigen Juristen, die sich seit langem und regelmäßig kritisch mit der Rechtsprechung zum Klageerzwingungsverfahren befassen. Er hat mich nun gebeten, doch einmal zu  BVerfG, Beschl. v. 2.7.2018 - 2 BvR 1550/17  eine Diskussion im Blog anzustoßen. Mach ich doch gerne!

Das BVerfG befasst sich in der Entscheidung mit der Frage, ob die Rechtsprechung der OLGe zum Klageerzwingungsverfahren noch verfassungsgemäß ist. Die Verfassungsbeschwerde war zwar erfolglos - das BVerfG lässt aber durchblicken: "Die OLGe sind zuuuuuu streng, was die Antragsprüfung angeht!"

 

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Oberlandesgericht Rostock habe seinen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und überspitzte Anforderungen an die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 StPO gestellt. Es setze sich nur pauschal mit dem Klageerzwingungsantrag auseinander, der den gesetzlichen Anforderungen an dessen Zulässigkeit genüge. Dieser enthalte insbesondere eine aus sich heraus verständliche Sachverhaltsdarstellung. Dem Antrag könnten auch die erforderlichen Tatsachen und Beweismittel entnommen werden, ohne dass die staatsanwaltlichen Akten hätten beigezogen werden müssen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zwar verletzt der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock den Beschwerdeführer in seinem Grundecht aus Art. 19 Abs. 4 GG (1.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung seiner in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Tat möglicherweise verjährt ist (2.).

1. Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Gericht überspannte Anforderungen an den Inhalt des Klageerzwingungsantrags gestellt hat.

a) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 13). Dies muss auch der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 96, 27 <39>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.). Formerfordernisse dürfen nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfGK 14, 211 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.). Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.).

Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 14).

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 15). Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO erfordert zwar nur die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>, m.w.N.), soweit diese im Einstellungsbescheid mitgeteilt wird (vgl. BVerfGK 14, 211 <216>). Eine Obliegenheit des Antragstellers, sich durch Akteneinsicht Kenntnis von der vollständigen Einlassung des Beschuldigten zu verschaffen und diese sodann auch vollständig mitzuteilen, besteht grundsätzlich nicht (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>). Etwas Anderes gilt aber, wenn der Beschwerdeführer seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung maßgeblich auch mit Inhalten aus den Ermittlungsakten begründet. In diesem Fall ist der Beschwerdeführer gehalten, soll die vom Gesetzgeber implizit vorgesehene und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Schlüssigkeitsprüfung allein auf der Grundlage des gestellten Antrags (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>) nicht unterlaufen werden, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, aus denen er auszugsweise vorträgt oder gar zitiert. Denn bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe von Teilen der Einlassung des Beschuldigten oder auch der Einvernahme von Zeugen kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann. Soweit dies den Antragsteller verpflichtet, gegebenenfalls auch Umstände vorzutragen, welche den Beschuldigten entlasten könnten, ist dies hinzunehmen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 15).

Der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens darf nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Für die gerichtliche Kontrolle im Klageerzwingungsverfahren kommt es vielmehr darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Oberlandesgerichts genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 19).

Das Gericht darf deshalb im Hinblick auf die norminternen Direktiven des Art. 19 Abs. 4 GG einen Klageerzwingungsantrag nicht vorschnell aufgrund der formellen Hürden des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verwerfen. Es hat insbesondere zu beachten, dass das Bestehen eines genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage keine Voraussetzung für den Zugang des Antragstellers zu Gericht ist, sondern für die Anklageerhebung (§§ 170 Abs. 1, 174 Abs. 1 StPO). Die Zulässigkeit des Antrags gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert nicht das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 22). Dessen Vorliegen ist vom Gericht erst im Verfahren gemäß § 173 StPO zu prüfen, wobei es lückenschließende Ermittlungen anordnen kann. Die formalen Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verlangen lediglich, dass der hinreichende Tatverdacht schlüssig dargelegt wird.

b) Gemessen daran halten die Erwägungen des Oberlandesgerichts Rostock den Anforderungen der Rechtsschutzgarantie nicht stand. Das Gericht hat die an einen Klageerzwingungsantrag zu stellenden Voraussetzungen überspannt.

aa) Der Klageerzwingungsantrag enthält entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts eine Darstellung des wesentlichen Inhalts der mitgeteilten Beweismittel.

Die Verpflichtung zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels dient dazu, dem Gericht die Überprüfung der schlüssigen Darlegung des genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage zu ermöglichen, nicht jedoch des hinreichenden Tatverdachts an sich. Sie hat ferner den Zweck, eine Irreführung des Gerichts über den Inhalt und den Beweiswert des Beweismittels zu verhindern. Deshalb sind auch die Tatsachen mitzuteilen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007 - 2 Ws 272/07 -, juris, Rn. 8). Bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe eines Beweismittels kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 15). Die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels versetzt das Gericht in die Lage, die Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 14).

Es gehört im Hinblick auf ein Sachverständigengutachten dagegen nicht zur Darstellung des wesentlichen Inhalts des mitgeteilten Beweismittels, dass die Ausführungen eines Sachverständigen vollständig wiedergegeben werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1107/16 -, juris, Rn. 23). Müsste der Klageerzwingungsantrag den weitgehend vollständigen Inhalt der Beweismittel enthalten, könnte das Gericht schon allein anhand der Antragsschrift das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts prüfen, und nicht nur dessen schlüssige Darstellung. Einer Beiziehung der Ermittlungsakte bräuchte es dann selbst zur Prüfung eines genügenden Anlasses für die Erhebung der öffentlichen Klage nicht mehr. Eine Arbeitserleichterung wäre mit einem derart umfassenden Darlegungserfordernis nicht verbunden, wenn das Gericht die Schlüssigkeit anhand eines Klageerzwingungsantrags prüfen müsste, dessen Inhalt und Umfang sich kaum von dem der beizuziehenden Ermittlungsakte unterscheidet.

Der Klageerzwingungsantrag gibt den wesentlichen Inhalt auch der Gutachten wieder, die gegen das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts sprechen. Dabei handelt es sich um die Auszüge aus dem vorläufigen Sektionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 16. August 2010, aus dem toxikologisch-chemischen Gutachten des Arbeitsbereiches Forensische Toxikologie und Alkoholanalytik des Universitätsklinikums G. vom 6. Januar 2011, aus dem Sachverständigengutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 6. Dezember 2012, dem Onkologischen Gutachten der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Gö. vom 10. Februar 2014 sowie der ergänzenden Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 18. Dezember 2016. Diese Gutachten werden in ihrem Kerngehalt und ihren Schlussfolgerungen dargestellt. Ein unzutreffendes oder entstellendes Bild des Ermittlungsergebnisses wird dem Gericht hierdurch nicht präsentiert und es werden auch keine Umstände verheimlicht, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller in seinem Klageerzwingungsantrag detailliert und argumentativ mit diesen Gutachten auseinandersetzt und versucht, deren Unrichtigkeit darzulegen. Zwar betont der Beschwerdeführer die für einen hinreichenden Tatverdacht sprechenden Umstände stärker und widmet diesen mehr Raum als Umständen, die gegen dessen Vorliegen sprechen. Das macht den Antrag jedoch noch nicht unzulässig. Die Würdigung der im Ermittlungsverfahren hervorgebrachten Beweise ist vielmehr eine Frage der Begründetheit des Antrags.

bb) Die Antragsschrift widerspricht im vorliegenden Einzelfall auch nicht deswegen den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil sie Scans von und Direktzitate aus Sachverständigengutachten enthält oder auf Anlagen Bezug nimmt.

(1) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 - 2 BvR 225/16 -, juris, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom 30. April 2004 - VerfGH 128/03 -, NJW 2004, 2728; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 1983 - 1 Ws 335/83 -, StV 1983, 498; OLG Celle, NStZ 1997, 406; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - III-1 Ws 521/14, 1 Ws 521/14 -, juris, Rn. 11; Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 172, Rn. 156; Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 172 Rn. 70; Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013; § 172 Rn. 37). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 2003 - 1 Ws 242/03 -, NStZ-RR 2003, 331; Moldenhauer, a.a.O.), insbesondere wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden jedoch für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das - anderenfalls notwendige - vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 11; Kölbel, a.a.O., Rn. 71). Anderenfalls läuft der Antragsteller Gefahr, zu wenig aus dem Gutachten eines Sachverständigen oder der Aussage eines Zeugen wiederzugeben, so dass sein Antrag an der Hürde zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels (vgl. aa) scheitern würde.

(2) Vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann es keinen Unterschied machen, ob der Antragsteller in einem Klageerzwingungsantrag entscheidende Passagen aus dem Gutachten eines Sachverständigen in indirekter Rede im Fließtext wiedergibt oder sich der Einfügung von Scans oder Direktzitaten bedient. Die in die Antragsschrift eingefügten Auszüge aus Sachverständigengutachten haben lediglich erläuternden Charakter. Sie dienen dazu, den wesentlichen Inhalt der Beweismittel darzustellen, die Argumentation der dem Antrag zugrunde gelegten Beweiswürdigung zu unterstreichen und die den Beschuldigten zur Last liegenden Pflichtverletzungen zu konkretisieren. Sie haben - gemessen am Gesamtumfang der Antragsschrift - einen nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Umfang. Das Gericht musste sich aus den eingefügten Scans und Direktzitaten nicht erst selbst den entscheidungserheblichen Sachverhalt oder den wesentlichen Inhalt der Beweismittel heraussuchen.

cc) Der Klageerzwingungsantrag widerspricht auch nicht deshalb den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil er angeblich auf weitere Anlagen mit einem Umfang von insgesamt 136 oder 196 Seiten Bezug nimmt, die das Oberlandesgericht hätte lesen müssen, um sich ein eigenes Bild vom Krankheitsverlauf und den durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu verschaffen. Der Strafsenat übersieht hierbei, dass die Anlagen nicht derart in Bezug genommen werden, dass die Kenntnis ihres Inhalts den im Klageerzwingungsantrag erforderlichen Sachvortrag ersetzen soll. Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Anlagen war bereits in einer § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügenden Art und Weise im Antrag selbst enthalten. Die an sich überflüssige Bezugnahme auf Anlagen kann einen zulässigen Klageerzwingungsantrag nicht unzulässig machen. Sie hatten offensichtlich nur den Zweck, die Übereinstimmung der Angaben des Antragstellers mit dem Akteninhalt zu belegen.

dd) Aus diesem Grund ist es auch unbeachtlich, dass die Anlagen erst nach Ablauf der Frist des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO beim Oberlandesgericht Rostock eingegangen sind. Nach Fristablauf ist eine inhaltliche Nachbesserung des Antrags nur dann nicht mehr möglich, wenn die Ausgangsfassung des Antrags nicht ausreichend und deshalb unzulässig war (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. November 1997 - Ws 1078/97 -, juris, Rn. 15; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 2 Ws 213/02 -, juris, Rn. 4; Kölbel, a.a.O., Rn. 58; Graalmann-Scheerer, a.a.O., Rn. 128). Der hier zur Beurteilung stehende Antrag war jedoch bereits vor Fristablauf in einer den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügenden Weise beim Oberlandesgericht Rostock eingegangen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt, weil deutlich abzusehen ist, dass sein Klageerzwingungsantrag auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. April 2012 - 2 BvR 211/12 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2016 - 1 BvR 1225/15 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2017 - 2 BvR 2157/15 -, juris, Rn. 32). Soweit sich aus dem Klageerzwingungsantrag schlüssig dargelegte Anhaltspunkte für eine fahrlässige Tötung ergeben könnten, wäre die Tat unter Zugrundelegung der im Antrag enthaltenen Darstellung des Gangs des Ermittlungsverfahrens verjährt.

 

a) Fahrlässige Tötung ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bedroht (§ 222 StGB). Die Verfolgung der Tat verjährt somit gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 78a Satz 1 StGB mit der Beendigung der Tat, vorliegend mit dem Tod der Ehefrau des Beschwerdeführers am 1. Juni 2010.

b) Als verjährungsunterbrechende Maßnahmen lassen sich dem Klageerzwingungsantrag lediglich die richterlichen Durchsuchungsanordnungen des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 3. Juni 2010, 9. August 2010 und 29. September 2010 entnehmen (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB).

Die eingeholten rechtsmedizinischen Gutachten haben den Lauf der Verfolgungsverjährung dagegen nicht unterbrochen. Aus dem Klageerzwingungsantrag ergibt sich nicht, dass die Beauftragung der Sachverständigen erfolgte, nachdem die Beschuldigten vernommen oder ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurden (§ 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB). Die Erfassung eines oder mehrerer Beschuldigter in einem staatsanwaltlichen Verfahren oder die Umschreibung eines UJs-Verfahrens in ein Js-Verfahren am 22. Oktober 2013 (vgl. Bl. 38 d. A.) stellen interne Akte innerhalb der Strafverfolgungsbehörde dar und stehen nach dem klaren Wortlaut von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB einer Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an die Beschuldigten nicht gleich.

Damit konnte die angezeigte Tat nach Ablauf des 28. September 2015 nicht mehr verfolgt werden.

3. Dass die Strafverfolgungsorgane keine Maßnahmen getroffen haben, die Verjährung zu unterbrechen, begegnet für sich genommen noch keinen Bedenken.

Zwar verpflichten Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 121, 317 <356>; BVerfGK 17, 1 <5>), wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht dazu in der Lage sind. Die wirksame Verfolgung von Gewaltverbrechen und vergleichbaren Straftaten stellt allerdings eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGK 17, 1 <5>), die Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte sein kann. Insoweit besteht ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung dort, wo der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter - Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person - abzuwehren und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann. In solchen Fällen kann ein Tätigwerden des Staates und seiner Organe auch mit den Mitteln des Strafrechts verlangt werden (vgl. BVerfGE 39, 1 <36 ff.>; 49, 89 <141 f.>; 53, 30 <57 f.>; 77, 170 <214>; 88, 203 <251>; 90, 145 <195>; 92, 26 <46>; 97, 169 <176 f.>; 109, 190 <236>). Bei Kapitaldelikten kann ein solcher Anspruch auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG auch nahen Angehörigen zustehen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015, a.a.O., Rn. 19 f.).

Die Landesjustizverwaltungen haben daher zum Schutz des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass Ermittlungsverfahren zeitnah abgeschlossen werden, so dass es dem Antragsberechtigten grundsätzlich noch innerhalb der Verjährungsfristen möglich ist, rechtzeitig einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 und Abs. 3 StPO zu stellen. Dass sie diese Pflicht verletzt haben, ist vorliegend jedoch nicht dargelegt.

 

BVerfG, Beschl. v. 2.7.2018 - 2 BvR 1550/17

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1738 Kommentare

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Nein, dann würden - ohne jeden sachlichen Differenzierungsgrund - "Inselchen" übrigbleiben, auf denen es keine MV gäbe. Das kann nicht das richtige Ergebnis sein.  

Wiederholung über Wiederholung. Würdinger ignoriert das Gesetz; Würdinger ignoriert die einhellige Meinung. Warum wird diesem Thread kein Ende bereitet?

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Nein, im Gegenteil: Ich ignoriere nicht das Gesetz, sondern ich wende das Gesetz, nämlich Art. 6 Abs. 1 EMRK, an. 

ohne jeden sachlichen Differenzierungsgrund

Da gibt es alle möglichen Gründe, nämlich dass es um Geld oder Strafrecht gehen muss, so auch der EGMR. Außerdem obliegt es nicht Ihnen, ein Gesetz oder die EMRK auszuhebeln, sondern einzig und alleine dem Bundesverfassungsgericht oder ggf. dem EGMR. Der in jeder Hinsicht winzigste klitzekleine Würdinger hat da - gottseidank - überhaupt gar nichts zu melden. Und das Bundesverfassungsgericht ist, wie zitiert, natürlich gänzlich anderer Ansicht als Würdinger und hat keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken, was überhaupt nicht verwundert: "Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04)".

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Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Art. 6 I EMRK schreibt als das höherrangige Gesetz die MV für das KlEV und für das EEV vor. 

Selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Art. 6 I EMRK schreibt die mündliche Verhandlung nur für enumerativ aufgezählte bestimmte Verfahrensarten vor, was im Prinzip jeder normalbegabte Erstklässler durch simples Buchstabieren in Erfahrung bringen kann, nicht aber unser extrem leseschwacher Würdinger: "Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird" (Art. 6 I EMRK). Daraus folgt: "Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen" (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04)

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Die Anwendung des Art.6 EMRK zugunsten von Verletzten von Straftaten kommt allein zur Geltendmachung von "civil rights" in Betracht, wie der grundlegenden Entscheidung des EGMR vom 12.02.2004 (47287/99; Perez gegen Frankreich) zu entnehmen ist. Da es im deutschen Rechtssystem keinen Vorrang der Strafjustiz vor der Ziviljustiz gibt, scheidet ein Anspruch des Verletzten aus Art.6 EMRK im Klageerzwingungsverfahren nicht nur nach dem Wortlaut der Norm, sondern auch nach der Rechtsprechung des EGMR zweifelsfrei aus.

Aber das kann man alles auch zum fünftausendsten Mal wiederholen...

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Nein, dann würden - ohne jeden sachlichen Differenzierungsgrund - "Inselchen" übrigbleiben, auf denen es keine MV gäbe. Das kann nicht das richtige Ergebnis sein.  

Vielleicht leuchtet Ihnen ja der Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK ein: Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK besteht darin, ein faires Gerichtsverfahren zu garantieren. Dieser Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK gilt natürlich für das KlEV und für das EEV genauso wie für jedes andere Gerichtsverfahren. 

Dieses verbissene Agieren in eigener Sache zum Klageerzwingungsverfahren, inzwischen stark verbunden mit kommerziellen Forderungen / Gründen, verliert in der Sache des Klageerzwingungsverfahrens selber meinem Eindruck nach an Akzeptanz und Glaubwürdigkeit beim Publikum.

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Man wird sehen, ob Sie das Klageerzwingungsverfahren selber weiterbringen in Ihrem Sinn und ob sich das für Sie dann auch so pekuniär auszahlt, wie Sie das ja fordern.

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...wird jedenfalls das OLG Frankfurt bzw. das OLG Naumburg meine Vorarbeit zu schätzen wissen.

So viel jeder Selbstkritik bare Hybris habe ich bisher noch nicht erlebt, jedenfalls nicht in Kollegenkreisen. Bisher hat - völlig zu Recht - jedenfalls noch kein einziges Gericht (!) Ihre Arbeit "zu schätzen gewußt". Jedes Mal sind Sie (meist incl. Mißbrauchsgebühren) kurz und bündig abgeblitzt.

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Auch wo Ermessensspielräume bleiben, können Entscheidungen im eigenen Sinne nicht erzwungen werden.

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Die Anwendung des Art.6 EMRK zugunsten von Verletzten von Straftaten kommt allein zur Geltendmachung von "civil rights" in Betracht, wie der grundlegenden Entscheidung des EGMR vom 12.02.2004 (47287/99; Perez gegen Frankreich) zu entnehmen ist. Da es im deutschen Rechtssystem keinen Vorrang der Strafjustiz vor der Ziviljustiz gibt, scheidet ein Anspruch des Verletzten aus Art.6 EMRK im Klageerzwingungsverfahren nicht nur nach dem Wortlaut der Norm, sondern auch nach der Rechtsprechung des EGMR zweifelsfrei aus.

Aber das kann man alles auch zum siebentausendsten Mal wiederholen...Würdinger ignoriert alles, was ihm nicht passt (Pippi-Langstrumpf-Prinzip), der Thread wird nicht geschlossen, obgleich stets nur der gleiche Quark umgerührt wird...

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Art. 6 Abs. 1 EMRK enthält unter anderem den Anspruch auf eine öffentliche und damit mündliche Gerichtsverhandlung. Diese ist zumindest zu irgendeinem Zeitpunkt im Laufe des Gerichtsverfahrens durchzuführen. Umfasst das Gerichtsverfahren nur eine einzige Instanz, ist die mündliche öffentliche Verhandlung also in dieser Instanz durchzuführen.[16][17][18]

In Deutschland steht die EMRK im Rang unter dem Grundgesetz auf Ebene des einfachen Bundesgesetzes.[26] Damit geht sie zwar landesgesetzlichen Bestimmungen vor, ist im Vergleich mit bundesgesetzlichen gleichartigen Regelungen allerdings dem „lex posterior“-Grundsatz unterworfen, könnte also unter Umständen hinter neueren gesetzlichen Regelungen zurücktreten. Da jedoch die Grundrechtsgewährleistung der EMRK weitgehend der des Grundgesetzes entspricht, hat das Bundesverfassungsgericht 1987 ausgeführt, dass andere gesetzliche Bestimmungen der Bundesrepublik (wie beispielsweise die Strafprozessordnung) im Lichte der EMRK auszulegen seien.[27] Dieser Auffassung folgen auch die oberen Bundesgerichte. Damit kommt de facto der EMRK im deutschen Recht zwar kein verfassungsrechtlicher, aber doch ein übergesetzlicher Rang zu.

  1. Urteil der IV. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 5. April 2016, Az. 33060/10, in der Sache Blum gegen Österreich, NJW 2017, 2455
  2. Karpenstein / Mayer, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK-Kommentar, 2. Auflage 2015, Rnrn. 60 ff. zu Art. 6 EMRK
  3. Jens Meyer-Ladewig/Martin Nettesheim/Stefan von Raumer: Europäische Menschenrechtskonvention. Handkommentar. 4. Auflage 2017, Rnrn. 170 ff. zu Art. 6 EMRK
  4. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987, Az. 2 BvR 589/79, Rn. 39, BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427 = MDR 1987, 815 = NStZ 1987, 421 = StV 1987, 325: "Auch Gesetze (…) sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag"

Art. 6 I EMRK schreibt die mündliche Verhandlung nur für enumerativ aufgezählte bestimmte Verfahrensarten vor, was im Prinzip jeder normalbegabte Erstklässler durch simples Buchstabieren in Erfahrung bringen kann, nicht aber unser extrem leseschwacher Würdinger: "Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird" (Art. 6 I EMRK). Daraus folgt: "Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen" (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Nein, dann würden - ohne jeden sachlichen Differenzierungsgrund - "Inselchen" übrigbleiben, auf denen es keine MV gäbe. Das kann nicht das richtige Ergebnis sein.  

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Vielleicht leuchtet Ihnen ja der Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK ein: Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK besteht darin, ein faires Gerichtsverfahren zu garantieren. Dieser Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK gilt natürlich für das KlEV und für das EEV genauso wie für jedes andere Gerichtsverfahren. 

Solange es das Gesetz gibt, haben Sie es zu respektieren. Aufhben kann es nur das Bundesverfassungsgericht, aber nicht Würdinger! Art. 6 I EMRK schreibt die mündliche Verhandlung nur für enumerativ aufgezählte bestimmte Verfahrensarten vor, was im Prinzip jeder normalbegabte Erstklässler durch simples Buchstabieren in Erfahrung bringen kann, nicht aber unser extrem leseschwacher Würdinger: "Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird" (Art. 6 I EMRK). Daraus folgt: "Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen" (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Würdinger schreibt: "Dieser Sinn und Zweck des Art. 6 I EMRK gilt natürlich für das KlEV und für das EEV genauso wie für jedes andere Gerichtsverfahren." Das trifft natürlich absolut nicht zu. Es wäre schon hilfreich, sich mal den Anwendungsbereich einer Norm anzusehen. Dann würde sehr schnell klar, dass das Klageerzwingungsverfahren nicht in den Anwendungsbereich des Art.6 EMRK fällt. Statt dessen behauptet Würdinger einfach irgendetwas drauf los, ohne sich vom juristischen Handwerk irgendwie beeinflussen zu lassen. Dementsprechend trifft auch jede juristische Argumentation bei ihm auf taube Ohren.

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Sie schreiben: "Dann würde sehr schnell klar, dass das Klageerzwingungsverfahren nicht in den Anwendungsbereich des Art.6 EMRK fällt." Meine Frage an Sie: Warum soll das so sein, wie Sie behaupten?

Anwendungsbereich:  "ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage"

a) "eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage" - ist ein Recht des Angeklagten.

b) "ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen2 - nur über diese Schiene wäre ein Recht aus Art.6 EMRK des Verletzten denkbar.  Die Anwendung des Art.6 EMRK zugunsten von Verletzten von Straftaten kommt allein zur Geltendmachung von "civil rights" in Betracht, wie der grundlegenden Entscheidung des EGMR vom 12.02.2004 (47287/99; Perez gegen Frankreich) zu entnehmen ist. Da es im deutschen Rechtssystem keinen Vorrang der Strafjustiz vor der Ziviljustiz gibt, scheidet ein Anspruch des Verletzten aus Art.6 EMRK im Klageerzwingungsverfahren nicht nur nach dem Wortlaut der Norm, sondern auch nach der Rechtsprechung des EGMR zweifelsfrei aus.

Kurz: Es gibt nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass das Klageerzwingungsverfahren NICHT in den Anwendungsbereich des Art.6 EMRK fällt.

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"In Disziplinarverfahren, in denen es um das Recht geht, seinen Beruf weiter auszuüben, geht es aber um Streitigkeiten über „zivilrechtliche Ansprüche“ iSv Art. 6 I EMRK (s. EGMR, 1978, Serie A, Bd. 27 Nr. 87 ff. = NJW 1979, 477 – König/Deutschland; EGMR, ÖJZ 2000, 728 Nr. 25 ff. – W. R./Österreich; EGMR, ÖJZ 2003, 855 Nr. 39 – Malek/Österreich; EGMR, Urt. v. 10.12.2009 – 31356/04 Nr. 21 – Goriany/Österreich). Weil es im Disziplinarverfahren gegen den Bf. um sein Recht ging, weiter als Rechtsanwalt zu praktizieren, ist Art. 6 I EMRK unter seinem zivilrechtlichen Aspekt anwendbar."
(EGMR NJW 2017, 2455, beck-online)

Es kann keine Rede davon sein, dass Art.6 EMRK "unterschiedslos für alle Gerichtsverfahren" gälte.

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Es ging aber um Vorläufigen Rechtsschutz (bei dem eine MV entbehrlich sein soll) vs. Hauptsacheverfahren, bei dem die Mündliche Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK zwingend vorgeschrieben ist. Darauf gehen Sie wohlweislich nicht ein. 

Nicht einmal das haben Sie verstanden! Es ging um das Disziplinarverfahren als Teil des "Zivilrechts"

Der GH hat aber ständig festgehalten, dass Disziplinarverfahren, in denen das Recht, einen Beruf weiterhin auszuüben, auf dem Spiel steht, »Streitigkeiten« über zivilrechtliche Ansprüche iSv. Art. 6 Abs. 1 EMRK begründen.

und um Aufgabe der Rechtsprechung, dass e. V. grundsatzlich keine "zivilrechtlichen Verfahren" seien

hat der GH den Ansatz aufgegeben, solche Verfahren automatisch dahingehend zu charakterisieren, dass sie keine Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen darstellen

wenn u. a.

das auf dem Spiel stehende Recht sowohl im Haupt- als auch im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung »zivil« iSd. Art. 6 EMRK ist

(EGMR, E. v. 5.4.2016 - 33060/10, Rdnr. 60 - "Blum vs. Österreich")

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Nein, es ging darum, ob es sich bei den Maßnahmen gegen Herrn Kollegen Blum aus Österreich der Sache nach um vorläufige Maßnahmen handelte - dann war keine MV nötig - oder ob es sich der Sache nach um ein Hauptsacheverfahren handelte - dann war, wie es Art. 6 I EMRK vorschreibt, eine MV nötig. Der EGMR sagt dazu auch noch, dass die "Beweislast" für das Vorliegen einer vorläufigen Maßnahme beim Staat Österreich läge.

Art.6 EMRK ist -wie jedes Gesetz- nur innerhalb seines Anwendungsbereichs anzuwenden. Das war in diesem Fall der 1. Anwendungsteilbereich "Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen". Dazu gehört das Klageerzwingungsverfahren ebensowenig wie zum zweiten Anwendungsteilbereich "eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage". Einen weiteren Anwendungsbereich des Art.6 EMRK gibt es nicht - auf Klageerzwingungsverfahren ist Art.6 EMRK ebenso wenig wie die VwGO anzuwenden, zu deren Anwendungsbereich das Klageerzwingungsverfahren auch nicht gehört.

Aber Ihnen erschließt sich offenkundig nicht, dass Gesetze nur innerhalb ihres Anwendungsbereichs anzuwenden sind. Wenn es Ihnen passt, halten Sie vermutlich auch das SGB oder die SGG auf das Klageerzwingungsverfahren für anwendbar....

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Wessen Auslegung nun sich durchsetzen wird, ist doch noch offen. Das wäre aber zu erkennen gewesen.

Würdinger wirbt argumentativ für seine Auslegung, das steht ihm zu, aber sie scheint noch nicht die einzig mögliche Auslegung zu sein.

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Würdinger scheint aber der Auffassung zu sein, alle Verfahrensschritte wären ausnahmslos öffentlich-mündlich zu verhandeln, wenn er Art. 6 I EMRK verletzt sieht.

"(1) 1Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. 2Das Urteil muß öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde."

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Sie sprechen von "allen Verfahrensschritten". Beim KlEV und beim EEV gibt es aber nur eine einzige Instanz, nämlich die vor dem OLG, § 172 IV StPO. Der springende Punkt ist: Wenn es also nur eine einzige Instanz gibt und Art. 6 I EMRK anordnet, dass irgend wann im Laufe des Hauptsachverfahrens einmal eine Mündliche Verhandlung stattfinden muss, dann muss wohl, nach aller Logik, die Mündliche Verhandlung vor dem OLG stattfinden, meinen Sie nicht auch?

...und Art. 6 I EMRK anordnet, dass irgend wann im Laufe des Hauptsachverfahrens einmal eine Mündliche Verhandlung stattfinden muss

Das ist beim Klageerzwingungsverfahren nicht der Fall. Das ist nur Würdingers Märchenstunde und sonst nichts.

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Mit welcher Begründung soll es vom Prinzip des Art. 6 I EMRK eine Ausnahme nur für das KlEV und das EEV geben? 

Weil es das Gesetz so regelt! Und das gilt auch für eine vielzahl anderer Verfahren, die nicht unter diese Vorschrift fallen, wie Bausachen, Steuersachen etc. aus dem Bereich des öffentlichen Rechts.

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Art. 6 I EMRK geht aber als das höherrangige Gesetz vor!

Ich selber dachte dabei nur mal an das Prüfverfahren bei einem gestellten Wiederaufnahmentrag, der ja verworfen werden kann ohne eine mündliche Verhandlung.

Aber auch Einsprüche gegen Behörden-Bescheide bei Verwaltungsgerichten, die ohne eine mündliche Verhandlung ergangen sind, werden m.W. durchaus auch ohne eine mündliche Verhandlung vom Verwaltungsgericht, nur nach Aktenlage entschieden.

Im übrigen hatte ich mit "einsichtsunfähig" mal genau das gemeint, was user I. S. ebenfalls stört: Es fehlt die Einsicht, dass diese Art des Schlagabtauschs nicht weiter führt in der Sache.

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Art. 6 I EMRK verlangt auch nur, dass irgendwann einmal im Laufe des gesamten Gerichtsverfahrens eine MV stattfinden muss. 

Genauer gesagt: Die Prozessparteien eine MV verlangen können. Ob die Prozessparteien trotzdem eine Entscheidungsfindung im Bürowege über sich ergehen lassen, ist dann wirklich deren Entscheidung. 

@ Herr Würdinger und seine Kontrahenten: Mit noch rechtlich unendschiedenen Fragen, aber auch mit überhaupt rechtlich unendscheidbaren Fragen, scheinen Juristen erhebliche Probleme zu haben.

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Hier ist aber die Sachlage die, dass die betreffende prozessuale Rechtsfrage bereits durch den EGMR entschieden wurde. 

Dass dieser Thread mit seinen Dauerwiederholungen ohne jeglichen Erkenntnisgewinn gefühlt auf den letzten 20 Seiten permanent die "neuesten Kommentare" verstopft, ist schon etwas lästig. Dagegen hilft dann nichtmal die Empfehlung "Lies es halt nicht."

Ich will ja auch den Spielplatz der sich gegenseitig fütternden Trolle hier nicht kaputt machen (vor allem weil der gleiche Senf sonst irgendwo anders in Dauerschleife auftaucht), deshalb nicht die Bitte um Threadschließung, sondern die Frage:

Wäre es wohl technisch möglich, wenn man als eingeloggter User bestimmte Threads ausblenden kann, so dass sie nicht mehr bei den "neusten Kommentaren" angezeigt werden?

Sie schreiben: "Spielplatz der sich gegenseitig fütternden Trolle" Wie kommen Sie dazu? Also alles Trolle außer "I.S."?

RA Würdinger schrieb:

Sie schreiben: "Spielplatz der sich gegenseitig fütternden Trolle" Wie kommen Sie dazu? Also alles Trolle außer "I.S."?


Also nach Ansicht eines Beck-"Experten" bin ich nicht nur selber ein Troll, sondern nichtmal ein Mensch.

Davon ab: Seit ich das geschrieben hatte, sind hier einige Mehrfachposts gelöscht worden.

Aber dennoch wiederholen sich die immer gleichen Argumentationsketten zwischen Ihnen und (mindestens einem) Gast immer wieder.
Möglicherweise ist Ihnen schon aufgefallen, dass Sie häufiger die gleichen Texte schreiben - oder schreiben "müssen", weil die "Diskussionspartner" auch immer die gleichen Argumente schreiben und Sie wechselseitig Ihre Ansichten nicht gelten lassen.

Dann wird eben über viele Seiten darüber diskutiert, ob die VwGO anwendbar ist oder die StPO, ob Art 6 EMRK auf diese Fälle anwendbar ist (bzw welche konkreten Auswirkungen er hat), welche konkreten Auswirkungen die 4 immer wieder zitierten BVErfG-Entscheidungen auf die Frage haben und insbesondere wie sie sich zu der BVErfG-Entscheidung von 2006 verhalten, nach der im Verfahren nach 172 StPO keine mündliche Verhandlung erforderlich ist.

Und dazu liest man (wenn man es tut), die immer wieder gleichen Textbausteine, da wird schonmal eine "Diskussion" dergestalt geführt, dass Sie und der Gast den gleichen Post mehrfach wiederholen etc.

Sowas meine ich mit Trollspielplatz. Das ist doch (aber das ist hier schon mehrfach festgestellt worden), keine Diskussion, weil beide Seiten nur immer ihre Meinung wiederholen und sich nur selten mal inhaltlich mit dem auseinandersetzen, was der andere schreibt, wenn man von "das ist falsch"-Posts mal absieht, verbunden mit einer Wiederholung von alten Aussagen.

Das wäre mir alles relativ Wurst, wenn es eben nicht die "Neusten Beiträge" regelmäßig verstopft und man nicht sehen würde, was sich hier sonst noch tut.

Ihre Zusammenfassung des Streitstandes gefällt mir ganz gut. Mir hatte halt nicht gepasst, dass Sie die Diskussionsteilnehmer pauschal als "Trolle" bezeichnen. 

Das ist nun aber eine Steilvorlage für eine kleine ironische Bemerkung: Trolle auf hohem Niveau, die kein Ende finden können.

Andere Kombattanten - ohne jeglichen Trollstatus - könnten den Knoten doch auch so lösen: "We agree to disagree".

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Wenn der Reihe nach das OLG Naumburg im Fall Oury Jalloh und das OLG Frankfurt im Fall  Jeremiah Duggan einen Termin zur Mündlichen Verhandlung ansetzen, bin ich gespannt, wie lange dann noch anonyme Gäste mich auf beck-blog rundheraus als "Querulanten" bezeichnen. 

Die Oberlandesgerichte können eine mündliche Verhandlung anberaumen, müssen es aber nicht. Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Da kein Grund zu erkennen ist, warum sich das OLG Naumburg und das OLG Frankfurt nicht an Recht und Gesetz halten sollten, gehe ich davon aus, dass sowohl das OLG Naumburg als auch das OLG Frankfurt sich an die zwingende Vorschrift des Art. 6 I EMRK halten und eine Mündliche Verhandlung anberaumen werden. 

Art. 6 EMRK gilt ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts nur in Verfahren über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine ... erhobene strafrechtliche Anklage", also nicht für ein Klageerzwingungsverfahren.

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