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Multisensory Law?

Peter Ebenhoch

2010-12-05 13:07

Sehr geehrte Gruppe!

Mich hat das Konzept eines „multisensorischen Rechts“ von Anfang an begrifflich sehr fasziniert.

Meine Versuche, es inhaltlich zu fassen und auf die im Eingangsbereich des Forums hinterlegten Grundsatzfragen Antworten zu finden, waren allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Ich formuliere im Folgenden einige Gedankengänge dazu, die bei mir zu substanziellen Zweifeln an der Viabilität des Konzepts (als Nutzbarkeit zur Lösung einer selbst definierten Aufgabenstellung) führen.

Jedes Wissenschaftsgebiet benötigt einen Gegenstand und eine Methode. Gegenstand des Rechts sind vorwiegend Rechtsnormen, seine Methoden sind die der Rechtserzeugung (Gesetzgeber), der Rechtsanwendung (Gerichte, Behörden) und der Reflexion der Rechtsanwendung (Rechtswissenschaft). Das ist sehr verkürzt dargestellt und es gibt unterschiedliche Auffassungen dazu. Zum Beispiel ist Recht nach Luhmann’s Systemtheorie die Stabilisierung kontrafaktischer Verhaltenserwartungen durch eine Unterscheidung von Recht und Nicht-Recht.

Egal welcher rechtstheoretischen Konzeption man folgt: Ohne intersubjektiv nachvollziehbare Information und Kommunikation ist Recht nicht denkbar.

Die in der Kommunikation verwendeten Zeichen müssen im sozialen Kontext eine Bedeutung tragen bzw. zugewiesen bekommen und dürfen keine rein intrasubjektive Wertigkeit haben. Aus Selbstgesprächen entsteht kein Recht, aus Selbstgesprächen über das Recht keine Rechtswissenschaft.

Recht kann demnach ohne intersubjektiv nachvollziehbare konstitutive Rechtsgestaltungserklärungen und normative Verhaltensanordnungen nicht entstehen oder bestehen. Ohne Gegenstand nutzt auch eine Methode nichts.

Intersubjektiv nachvollziehbare Information und Kommunikation benötigt Zeichen, die von intrasubjektiven Einzelwahrnehmungen unabhängig sind. Das sind jedenfalls visuelle Schrift- und Bildzeichen, deren Bedeutungen willkürlich festgelegt worden sind, also abstrakte Symbole im Peirc'schen Sinn. Das Beispiel der Verkehrszeichen  belegt, dass dies auch mit Bildzeichen problemlos funktioniert.

Bei ikonischen Bildern, die auf eine Ähnlichkeit  zu einer Sinneswahrnehmung abstellen – ohne zusätzliche arbiträre semantische Kodierung oder ohne referenzsicherenden Begleittext, sinkt die kommunikative Präzision stark zugunsten einer subjektiv-kontextbezogenen Auslegung ab. Ikonische Bilder eignen sich vermutlich für rechtsdidaktische Zwecke, aber nicht, um sie mit der im Recht und den Rechtswissenschaften notwendigen Exaktheit einsetzen zu können.

Die Exaktheit ist hier unabdingbar, nicht nur weil Wissenschaft sonst nicht denkbar ist, sondern auch -- und vor allem -- weil Rechtsfolgen in die Privatsphäre von Rechtssubjekten eingreifen, ja diese sogar konstitutieren. Jede Nachlässigkeit hier führt zu rechtsstaatlich nicht vertretbaren Folgen und zur Rechtslosigkeit.

(Schrift und Sprache haben letztendlich unseren demokratischen Rechtsstaat ermöglicht und sichern die Freiheit des Einzelnen. Es geht deshalb darum, den präzisen und transparenten Spracheinsatz zur Erhöhung der Rechtsqualität zu fordern, aber nicht darum, auf die Sprache zu Gunsten unpräziserer, ungeeigneter oder gar überhaupt keiner Ausdrucksformen von vornherein zu verzichten.)

Sofern wir Sprache hören, greift die kommunikative Exaktheit der Sprache. Wenn es um das Wahrnehmen von Umweltgeräuschen geht, fehlt diese.  Umgekehrt können wir Sprache intrasubjektiv nachvollziehbar wiedergeben, aber nicht nichtsprachliche Umweltgeräusche.

Bei den Sinneseindrücken wie Tasten, Riechen und Schmecken gilt das gleiche. Wir können damit wahrnehmen, das Wahrgenommene aber nicht mit den gleichen Sinnen intersubjektiv nachvollziehbar kommunizieren. Und zwar prinzipiell nicht: Über Sinneseindrücke wie Tasten, Riechen und Schmecken können Menschen nicht in einer intersubjektiv und kontextunabhängig nachvollziehbaren Weise kommunizieren, ohne sich (der Kreis schließt sich) symbolisch-arbiträrer Schrift- und Bildzeichen zu bedienen (Bsp. Brailleschrift).

Nur Schrift- und (eingeschränkt auf abstrakte logische) Bildzeichen verfügen über die notwendige Abstraktionsleistung, gerade VON DEN INDIVIDUELLEN UND PERSÖNLICHEN SINNESEINDRÜCKEN, um die im Recht notwendige Situationsunabhängigkeit und zeitlich versetzte Nachvollziehbarkeit sicherzustellen und Verhaltenserwartungen wirksam schützen zu können.

Eine Gesetzgebung oder Rechtssprechung oder eine Gesetzessammlung, die sich des Tastens, Riechens oder Schmeckens bedient, ist deshalb nicht denk- und vorstellbar, weil diese Sinne sich nicht für eine rechtsrelevante oder rechtskonstitutive Kommunikation eignen und auch die Reflexion darüber nicht möglich ist.

Dies heißt natürlich nicht, dass sämtliche Sinneseindrücke nicht Gegenstand rechtlicher Sachverhalte oder Wahrnehmungen sein oder im Rechtsunterricht eingesetzt werden können. Nur die rechtserhebliche Kommunikation darüber erfolgt eben mit Schrift- und ggf. auch mit Bildzeichen, und zwar ausschließlich.

Diese Ausführungen stellen das Konzept eines multisensorischen Rechts von Grund auf in Frage. Sie führen nach meiner Einschätzung auch die Visualisierung des Rechts auf einen unsichereren Grund als notwendig.

Ich möchte meine Ergebnisse deshalb als Anregung sehen, ob nicht eine stringente Selbstbeschränkung auf die „Visualisierung des Rechts“ oder wenigstens zu einer „Multimedialität des Rechts“  zu mehr Durchsetzungsfähigkeit und wissenschaftlicher Standhaftigkeit führen könnte. (Im Unterschied zu Multisensorik trägt “Multimedialität“ das Medium als Kommunikationsform bereits im Namen.)

Meine Ausführungen stellen einen Versuch dar, auf die im Forum seit fast einem Jahr hinterlegten und bislang unbeantworteten Grunsatzfragen eine konstruktive Antwort zu finden. Ich freue mich schon sehr auf Kritik dazu und auf eine interessante wissenschaftliche Diskussion!

 

Dr. Peter Ebenhoch | ebenhoch@yahoo.com

Heidelberg, 05.12.2010

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SpracheMultimediaintersubjektive Nachvollziehbarkeit