Verfahren gegen Böhmermann nach § 170 Abs.2 StPo eingestellt - ist jetzt alles gut?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.10.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtMaterielles Strafrecht66|23695 Aufrufe

Die Mainzer Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts der Türkei, Recep Tayyip Erdogan (§§ 103, 185 StGB) gem. § 170 Abs.2 StPO eingestellt (zum Fall hier der Blog-Beitrag von Prof. von Heintschel-Heinegg). Die StA  argumentiert, schon die Erfüllung des objektiven Tatbestands sei zweifelhaft, aber jedenfalls der Vorsatz Böhmermanns sei nicht nachweisbar.

Hier Auszüge aus der gestrigen Pressemitteilung:

Im Rahmen der Prüfung, ob ein Beleidigungsdelikt objektiv in strafbarer Weise verwirklicht ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 und 3 Grundgesetz, also Meinungs- und Kunstfreiheit eine die Strafbarkeit begrenzende Wirkung entfalten.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt, es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 103, 185 Strafgesetzbuch gehören. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Strafvorschriften muss indes das eingeschränkte Grundrecht wiederum interpretationsleitend berücksichtigt werden, damit dessen wertsetzender Gehalt auch bei der Rechtsanwendung gewahrt bleibt. Dies verlangt grundsätzlich eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits. Dabei ist zu beachten, dass Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf. Insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist. Dies gilt insbesondere in allen Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und im politischen Meinungskampf.

Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrschutz zurücktreten wird. Diese die Meinungsfreiheit beschneidende Folge gebietet es indes von verfassungswegen hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzulegen. Auch überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung zur Meinungsfreiheit gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.

Überdies dürfte der Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz eröffnet sein. Als das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“, anzusehen. Ob die Darbietung auch Äußerungen enthält, die bei isolierter Betrachtung Meinungsäußerungen darstellen, ist hierbei nicht maßgeblich. Dass mit einem Kunstwerk eine bestimmte Meinung zum Ausdruck gebracht wird, nimmt ihm nicht die Eigenschaft als Kunstwerk.

Der in Rede stehende Beitrag dürfte als satirische Darbietung diesen Anforderungen genügen. Dabei ist es der Kunstgattung der Satire und Karikatur wesenseigen, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten; daher erfordert ihre rechtliche Beurteilung die Entkleidung des in “Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes”, um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Missachtung gegenüber der karikierten Person enthalten. Dabei muss beachtet werden, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns; denn ihr ist die Verfremdung wesenseigen.

Entstehungsgeschichte, aktuelle zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten „Schmähgedichts“ hinausgehende Gestaltung des Beitrages ziehen in Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Prinzipien die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes in Zweifel.

Soweit die Begründung zum objektiven Tatbestand. Zum subjektiven Tatbestand heißt es:

Letztlich kann dies jedoch offen bleiben, da dem Beschuldigten jedenfalls ein vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachzuweisen ist. Der Vorsatz muss das Bewusstsein umfassen, dass eine Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung einer Person darstellt. Dass es einem Täter um Kritik an tatsächlichen oder auch nur angeblichen Missständen geht, schließt - bedingten - Vorsatz nicht aus. Andererseits genügt nicht, dass ein Täter weiß oder damit rechnet, dass der Adressat oder Dritte eine Äußerung als ehrverletzend empfindet. Ein Täter muss vielmehr den (objektiv) beleidigenden Charakter der Äußerung als solchen wollen oder in Kauf nehmen.

Der Beschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, es sei ihm an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen, dass die fehlende Ernstlichkeit und das Fehlen eines ernst gemeinten Bezuges zur persönlichen Ehre der Person jedem Hörer unmittelbar erkennbar sein sollten und sofort klar werde, dass es sich um einen Witz oder Unsinn handele.

Diese Einlassung wird durch die objektiv feststellbaren Umstände, nämlich den Inhalt des Stückes, seine Entstehung und die Art der Darbietung gestützt. Maßgebend insoweit ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerungen versteht. Insoweit ist bereits zu berücksichtigen, dass der Beitrag Bestandteil einer bekanntermaßen satirischen Fernsehsendung war und ein durchschnittlich informiertes verständiges Publikum mithin davon ausgehen dürfte, dass dort getätigte Äußerungen vielfach mit Übersteigerungen und Überspitzungen einhergehen und ihnen die Ernstlichkeit häufig fehlt. Von einem solchen Empfängerhorizont dürfte auch der Beschuldigte ausgegangen sein; zumal er den Charakter der Sendung im Rahmen des Beitrages durch die wiederholte Bezeichnung des Formats als „Quatsch-Sendung“ hervorhob.

Bereits dies lässt eine ernst gemeinte Herabwürdigung als nicht naheliegend erscheinen. Ferner findet sich in dem Text des so genannten „Schmähgedichts“ selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehlt. Mit Blick auf die somit bewusst vorgenommenen, in der Tat „unsinnig“ und absurd wirkenden Übertreibungen wird mangels entgegenstehender Erkenntnisquellen nicht zu belegen sein, dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten billigend in Kauf nahm.

Die Reaktionen fielen gestern und heute früh sehr kontrovers aus. Prantl meint in der SZ, die Verfahrenseinstellung lese sich selbst wie  Satire, sie sei  "pseudojuristisches Geschwurbel", andere lobten die Mainzer Staatsanwaltschaft über den grünen Klee (so etwa MEEDIA). Zum Teil wird jetzt die damalige Entscheidung der Bundesregierung kritisiert, die Ermächtigung zur Strafverfolgung überhaupt zu erteilen. RA Schertz (der Böhmermann zivilrechtlich vertritt) schreibt:

Die öffentliche juristische Bewertung der künstlerischen Arbeit von Herrn Böhmermann durch die Bundeskanzlerin stellte vor dem Hintergrund der heutigen Einstellung um so mehr nicht nur eine Kompetenzüberschreitung und eine nicht hinzunehmende Verletzung der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung dar, sondern kam einer öffentlichen Vorverurteilung gleich, die umso schwerer wiegt, als dass sie von der türkischen Regierung als Ermutigung aufgefasst werden konnte, straf- und zivilrechtlich gegen Herrn Böhmermann vorzugehen.

Was meinen Sie? ist die Einstellung gerechtfertigt? Oder wird es Böhmermann (und anderen Comedians) jetzt zu leicht gemacht, sich durch den "Kontext" und "war nur ein Witz/Unsinn" von wörtlich ausgesprochenen Schmähungen zu distanzieren? Hat die Kanzlerin durch ihre Äußerung, die Satire Böhmermanns sei bewusst verletzend oder die Ermächtigung zur Strafverfolgung die Gewaltenteilung verletzt?

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66 Kommentare

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Zu Prantl: Wieder mal ein Mißgriff à la „Heribert Prantl schreibt einfach irgendwas“ (http://verfassungsblog.de/heribert-prantl-schreibt-einfach-irgendwas/). Hätte nicht, aus seiner Sicht, "Geschwurbel" gereicht - oder "viel zu lang"? Wir werden nie erfahren, was an den Ausführungen "pseudojuristisch" sein soll - also nur scheinbar juristisch, in Wirklichkeit mit gar nicht existierenden Kategorien und Begriffen hantierend. Vielleicht meint Prantl auch etwas anderes: Daß es nur eine Scheinbegründung ist und die wahren (politischen?) Gründe hinter den amtlichen Gründen liegen. Zu dieser Meinung mehr zu erfahren, wäre noch interessanter. Zumal er die Entscheidung im Ergebnis für richtig hält. Also: Juristisch nicht begründbar, aber politisch richtig? Soviel zum Kurzzeit-Staatsanwalt Prantl.

Die Einstellungsentscheidung ist richtig. Alles andere wäre eine Quälerei über Jahre gewesen. Sicherlich hätte sich das eine oder andere Gericht gefunden, das zu einer Verurteilung gekommen wäre, aber beim OLG oder BVerfG wäre mit größter Wahrscheinlichkeit die Straffreiheit festgestellt worden. Eingehender: https://gabrielewolff.wordpress.com/2016/04/29/deutschland-und-die-tuerk...

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Wenn Prantl schreibt: "Sie [die Einstellungsverfügung] besagt nur, dass Böhmermann nicht bestraft wird; ..." Mehr Inhalt steht einer Strafverfolgungsbehörde auch nicht zu. Punkt. Die glossale Interpretation des Journalisten ist zulässig, aber auch entbehrlich.

Was mich umtreibt (und eine Aufgabe für einen Investigativ-Reporter sein kann), ist die Frage, ob die Spitze der Exekutive (die Bundesregierung, nicht die Kanzlerin, wie Prantl schreibt; vgl. § 104a StGB) vor, bei und/oder nach ihrer Entscheidung unmittelbaren Gesprächskontakt zu Ermittlungsbehörde unterhalten hat. Denn das vorliegende Ergebnis ist aus der respektiven Vogelperspektive betrachtet das - zumindest von mir - gewünschte.

 

Entgegen Heribert Prantl halte ich die PM nicht für pseudojuristisches Geschwurbel. Ihr Inhalt besagt auch nicht, wie Prantl annimmt: "Auf einen groben Klotz gehört auch mal ein grober Keil." Trotz der detaillierten Begründung wundert es mich etwas, dass die Bezugnahmen auf die konkrete Sendung dürr bleiben:

die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten „Schmähgedichts“ hinausgehende Gestaltung des Beitrages

Was genau beinhaltet diese Gestaltung, was ist der Inhalt, was ist die satirische Umkleidung und wodurch genau beeinflusst letzteres den Inhalt derart, dass die äußerliche Schmähung als "Witz/Unsinn/Satire/nicht ernst gemeint" zu verstehen ist und damit den objektiven, zumindest aber den subjektiven Tatbestand ausschließt? Ich hätte mir natürlich gewünscht (auch von anderen Diskutanten, z.B. Herrn Garcia), dass sie auf folgenden Sachverhalt eingehen bzw. diesen bewerten: Das "Gedicht" (und NUR dieses) wurde türkisch untertitelt, der Kontext bzw. die satirische Einkleidung, der ganze Rest der Sendung nicht. Was bedeutet dies für den Empfängerhorizont - also türkisch (nicht deutsch) sprechende Zuschauer, zu denen wohl auch Erdogan gehört? Vorausgesetzt natürlich, die Untertitel stimmten mit dem deutschen Text überein.

Lieber Herr Müller, Ihrem Wunsch hat die StA doch entsprochen:

Ferner findet sich in dem Text des so genannten „Schmähgedichts“ selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehlt.

Ihre Frage:

Was bedeutet dies für den Empfängerhorizont - also türkisch (nicht deutsch) sprechende Zuschauer, zu denen wohl auch Erdogan gehört?

 geht von der sehr unwahrscheinlichen Annahme aus, daß sich ein nicht Deutsch sprechender Türke eine deutsche Satiresendung anschaut. Aber selbst dieser nicht auszuschließende Einzelfall muß angesichts dieser Unmenge an Unflätigkeiten davon ausgehen: "Das kann der Kerl doch nicht ernst meinen!" Im übrigen - und damit sind wir wieder beim subjektiven Tatbestand - gehen die Produzenten eher nicht davon aus, daß solche Einzelfälle deutsches Fernsehen schauen.

Und ja: Die türkischen Untertitel dürften nicht ohne Hintergedanken unter den deutschen Text gelegt worden sein. Aber selbst dadurch dürfte es sich nicht um eine gezielte Ehrkränkung handeln, sondern um die Provokation eines erwarteten Automatismus, wenn auch nicht in dieser extremen Form, wie wir es nun erlebt haben.

Sehr geehrter Herr Hoenig, verzeihen Sie , dass ich doch (obwohl ich die Verfahrenseinstellung richtig finde) um der Diskussion Willen noch ein bisschen wider den Stachel zerre.

Sie schreiben:

geht von der sehr unwahrscheinlichen Annahme aus, daß sich ein nicht Deutsch sprechender Türke eine deutsche Satiresendung anschaut. Aber selbst dieser nicht auszuschließende Einzelfall muß angesichts dieser Unmenge an Unflätigkeiten davon ausgehen: "Das kann der Kerl doch nicht ernst meinen!" Im übrigen - und damit sind wir wieder beim subjektiven Tatbestand - gehen die Produzenten eher nicht davon aus, daß solche Einzelfälle deutsches Fernsehen schauen. Und ja: Die türkischen Untertitel dürften nicht ohne Hintergedanken unter den deutschen Text gelegt worden sein...

Natürlich gehören die Untertitel zum Gesamtkonzept. Wenn man sie extra anfertigt, dann doch wohl nur deshalb, weil man sehr wohl davon ausgeht, dass die Sendung auch von nicht deutsch sprechenden Türken angesehen wird. Ihre Einschätzung, dies sei "unwahrscheinlich", wäre in den 1990er Jahren noch realistisch gewesen, ist aber heute geradezu grotesk. Die Sendung wurde natürlich (und auch dies war beabsichtigt) im Internet in alle Winkel der Welt verbreitet, in der Menschen leben, die sich für den Konflikt zwischen deutschem Fernsehen (vorher Extra3) und türk. Präsidenten interessierten.  Möglicherweise haben das Gedicht sogar mehr Türken als Deutsche gesehen (das ist zugegeben eine Spekulation, aber jedenfalls naheliegender als Ihre Annahme, dies sei "sehr unwahrscheinlich").

Aber selbst dadurch dürfte es sich nicht um eine gezielte Ehrkränkung handeln, sondern um die Provokation eines erwarteten Automatismus, wenn auch nicht in dieser extremen Form, wie wir es nun erlebt haben.

Provokation und Schmähung sind keine Gegensätze. Die Schmähung ist ja gerade Gegenstand der Provokation.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Lieber Herr Müller,

ich stimme Ihnen in beidem zu: Die Einzelheiten in der Subsumtion sind nicht mitgeteilt worden. Frau Keller ist die Behördenleiterin und Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Mainz. Sie hat die wahrscheinlich ausführlicheren Gründe der Einstellungsverfügung auf das aus ihrer Sicht Wesentliche eingedampft (was aber Kommentatoren wie Prantl immer noch zu viel ist). Vielleicht wird die Verfügung einmal veröffentlicht. Dem Anwalt von Erdogan und der Türkei wird die Verfügung mitgeteilt. Es spricht nichts dagegen, daß er das "Skandaldokument" (http://www.tagesschau.de/inland/boehmermann-verfahren-eingestellt-105.html) zur Anprangerung veröffentlicht.

Aus dem Gesichtspunkt der Untitelung nur des "unstreitig" strafbaren Schmähgedichts (und nicht des Gesamtbeitrags, der die Einrahmung ausmacht und für die Etablierung des Empfängerhorizonts entscheidend ist) könnte sich auch meiner Meinung nach eine Strafbarkeit wegen Beleidigung ergeben. Wer für die Untertitelung zuständig war, ist nicht bekannt. Auch nicht, ob die Staatsanwaltschaft in diese Richtung ermittelt hat oder diesen Gesichtspunkt - "beraten" durch den Anwalt des Anzeigeerstatters - in Erwägung gezogen hat.

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@Katja G.,

"bewusst verletztend" bezog sich auf Merkels Kritik am Gedicht. Sie hatte sich so ausgedrückt und diese Einmischung dann später als Fehler bezeichnet. 

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@fernetpunker
Letzteres ist mir bekannt - ersteres eine reine Interpretation Ihrerseits, die aus dem verlinkten Beitrag nicht hervorgeht.

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Innenpolitisch und innerstaatlich juristisch wäre die Einstellung eine wegweisende Entscheidung für Freiheit vs. Beleidigung. Stinkefinger, Bullenschwein oder auch Amtsarsch lösen hierzulande für den normalen satirischen Bürger wohl häufiger erhebliche Strafgelder und andere Schwierigkeiten wegen Beleidigung aus. Aber angesichts des Gedichts "Schmähkritik", was sollen diese Zuweisungen anderes als satirische Übertreibungen sein? Wenn einem Autofahrer der Stinkefinger gezeigt wird, was bedeutet das konkret im jeweiligen Kontext? Gibt es Bullenschweine, zu deren Art man in beleidigender Weise zugeordnet werden kann? Wer kann tatsächlich einen Arsch beleidigen? Mindestens müsste es doch ein Arsch mit Ohren sein, oder? Also doch alles unernste, absurde Übertreibungen und keine Beleidigungen. Niemand meint so etwas ganz konkret und bierernst. Muss man als nicht öffentlich und zwangsfinanzierter Satiriker aber erst Kunst oder Satire als Nebengewerbe anmelden, um wegen künstlerischem Umgang im Alltag eine Strafverfolgung zu vermeiden? Wann macht die "Lügenpresse" daraus einen Themenabend in der Anstaltsgemeinschaft Realitätsfremder Deutscher (ARD) oder dem Zweiten Deutschen Fakekanal (ZDF) und nimmt sich das Beschwerdeverfallsgericht (BVerfG) oder der Beleidigten-Gerüchtshof (BGH) der Sache noch grundsätzlich an?    

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Wenn man diese Einstellungsentscheidung wirklich juristisch ernst nehmen und verallgemeinern will, ist sie der Anfang vom Ende der Strafbarkeit der Beleidigungsdelikte. Sie wird aber wohl eine durch kleinkarierte Angst vor der Presse motivierte Einzelfallentscheidung bleiben, auf die sich der gemeine Nicht-Presse-Straftäter nicht wird berufen können. Das nennt sich dann "Gleichheit vor dem Gesetz" (Art. 3 Abs. 1 GG). Schöne neue Welt. Und Böhmermann spielt sich schon wieder auf und gibt die Rolle des zu Unrecht verfolgten, statt den Schwanz einzuziehen und dem Himmel durch Wallfahrerei tagelang zu danken, dass dieser Kelch völlig unberechtigterweise noch einmal an ihm vorüberzugehen scheint, dem ZDF-Justiziar sei Dank...

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Eben, da hat sich die StA einfach nicht getraut - und natürlich sollte Erdogan auf das Empfindlichste beleidigt werden. Vergessen wird, dass auch Menschenrechtsfeinde nicht Freiwild sind und ihnen auch Grundrechte zu Teil werden

Wie läge es denn wenn Erdogan bei Böhmermann zu Gast gewesen wäre und Böhmermann ihm im Mäntelchen der Satire mal richtig ordentlich aufs Maul gehauen hätte, von wegen "das dürfte man aber nicht in unserer Gesellschaft"

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Also wenn eine anderweitig (z.B. satirisch) motivierte Beleidigung nur extrem genug ist, dann spricht das gegen die Erfüllung des subjektiven TBS?

Im Kontext von Dresden und der Zuwendung die Frau Merkel vom deutschen Volk empfangen hat wird man dann wohl fragen müssen: war es genug Hass?

Ferner findet sich in dem Text des so genannten „Schmähgedichts“ selbst eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten - offensichtlich beabsichtigt - fehlt. Mit Blick auf die somit bewusst vorgenommenen, in der Tat „unsinnig“ und absurd wirkenden Übertreibungen wird mangels entgegenstehender Erkenntnisquellen nicht zu belegen sein, dass der Beschuldigte einen ernstlichen Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten billigend in Kauf nahm.

Dass Frau Merkel eine Volksverräterin sein könnte scheinen zumindest die Mainstream-Medien vollkommen absurd zu finden und dass in erster Linie die politische Wirkung gewolt war dürfte auch allen Beteiligten klar gewesen sein.

Zumindest die Anreizwirkung dürfte so nicht vom Gesetzgeber gewollt gewesen zu sein..

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Meine einzige Kritik an de Staatsanwaltschaft: Die selbstverständliche Einstellung hat ziemlich lange gedauert. Warum schaffen Staatsanwälte das nicht schneller?

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Laut Pressemitteilung hat die Verteidigung erst mit Schriftsatz vom 1. September 2016 zur Beschuldigung Stellung genommen. Danach brauchte die Staatsanwaltschaft nur noch 4 Wochen.

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Sie können davon ausgehen, dass in dieser Sache die Staatsanwaltschaft fleißig Berichte mindestens an die Generalstaatsanwaltschaft und/oder ans Ministerium geschickt hat und man dort geprüft hat, ob die Begründung so passt.

Bei 103 StGB ist die Berichtspflicht in Nr. 210 RiStBV zudem in geregelt.

Das dauert dann etwas länger als in anderen Fällen.

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Jetzt vergleichen wir doch mal die Causa Bö mit meiner Angelegenheit: In meiner Angelegenheit hatte ich einen Strafsenat des OLG München mit einem Nazi-Vergleich überzogen, ein anderer Strafsenat desselben OLG München stellte nun - zugegeben, zu meiner Überraschung -  fest, ich dürfe das. Nachlesen können Sie meine Angelegenheit z.B. in NJW 2016, 2759 oder auch im Anwaltsblatt 2016, 767 oder auch in meinem Profil. In beiden Angelegenheiten geht es im Prinzip um dasselbe Rechtsproblem: Es geht um die sog. "Schaukeltheorie", um die Balance zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz. Ich versuche der Causa Bö auf den Grund zu gehen, indem ich die beiden Angelegenheiten in folgenden zwei Punkten vergleiche:

I. Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB ist vergleichbar der Kunstfreiheit

Bö beruft sich offenbar vorrangig auf die Kunstfreiheit. Ich berufe mich in meiner Angelegenheit v.a. auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB. Der "Mechanismus" ist in beiden Fällen derselbe: Der Tatbestand des § 185 StGB ist erfüllt. Es geht um das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes.  § 193 StGB und Kunstfreiheit haben dabei m.E. denselben "Rang": Beides sind schlicht, strafrechtlich gesprochen, Rechtfertigungstatbestände. Und um bereits an dieser Stelle auf die Causa Bö einzugehen: Für eine "Verklärung" oder eine sonstige Überhöhung der Kunstfreiheit sehe ich eigentlich keine Veranlassung.    

II. Legitimität der Beleidigung oder einfacher: Vernünftige Gründe für die Wahl der sprachlichen Mittel

Ich wurde bis heute nicht so recht schlau draus, was Bö mit seinen "wahnnsinnig lustigen" Ausdrücken eigentlich bezwecken wollte: Wollte Bö dem staunenden Publikum erklären, warum die Kurden 1919, als es um die praktische Umsetzung des Selbstbestimmungrechts der Völker ging, leer ausgingen und Erdogan deswegen das Recht habe, die Kurden umbringen zu lassen? Zum Vergleich meine Angelegenheit: Nachdem ich schon beim Amtshaftungsprozess gegen den Freistaat Bayern nach allen Regeln der Kunst mit vereinten Kräften reingelegt worden war, hatte ich versucht, die bayerische Justiz dazu zu zwingen, dass sie wenigstens ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rechtsbeugung einleitet und damit wenigstens die strafrechtliche Verjährung unterbricht. Ich habe also - wie dann auch der 5. Strafsenat des OLG München judizierte - gegenüber dem "beleidigten" 2. Strafsenat des OLG München mich im Rahmen desjenigen Verfahrens bewegt, das das Prozessrecht mir zur Verfügung stellt und ich habe in erster Linie in dem inkriminierten Schriftsatz den Vorwurf der Rechtsbeugung durch völlige Nichtlektüre der Gerichakten noch einmal eingehend begründet. Ich habe also genau das gemacht, was der Rechtsstaat mir vorschreibt bzw. welche Optionen der Rechtsstaat mir verschafft. Nicht mehr und nicht weniger. Und um wieder zur Causa Bö zurückzukehren: Eigentlich stört mich an der Causa Bö am meisten, dass es eigentlich nur um Unterleibs-Witzchen geht  - da johlt das Publikum, und zwar wie auf Knopfdruck - und nicht um eine in irgendeiner Weise ernsthafte Sache. Bei mir dagegen geht es um eine ernsthafte Sache, das ist der Unterschied.      

Der Grund, warum bei Ihren Freisler-Witzchen (?) das Publikum nicht johlt, könnte schlicht sein, daß Sie kein begnadeter Humorist sind. Muß ja nicht jeder sein. Ärgern Sie sich nicht.

"genau das gemacht, was der Rechtsstaat mir vorschreibt" - schön zu hören, daß Sie noch nicht zur nächsten Stufe übergegangen sind, die in Ihrem Wikipedia-Motto beschrieben ist: "Da die Bundesrepublik Deutschland faktisch kein Rechtsstaat ist, bin ich durchaus der Meinung, dass ein Kampf gegen den Staat und seine Institutionen, der sich nicht auf das Führen von Gerichtsprozessen beschränkt, legitim sein kann." (https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:ErwinLindemann)

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Grüß Gott Herr Garcia,

Sie haben sich offenbar mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt in keiner Weise beschäftigt, sonst würden Sie nicht so antworten.

Mit freundlichen Grüßen

Grüß Gott Herr Garcia,

bleiben wir bei der Causa Böhmermann. Es gibt nämlich bei den beiden beschriebenen Angelegenheiten noch einen weiteren, nicht ganz unerheblichen, Unterschied: Ich mache bei der Verfolgung meiner Angelegenheit eben keine "Witzchen". Und ich halte es auch unter politischen Gesichtspunkten nicht für angebracht, wenn man Witzchen macht, um dadurch "auf Umwegen" die Politik von Erdogan anzuprangern. Im übrigen: Ob das Schmähgedicht "gerade noch so" von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist mir ehrlich gesagt ein bisschen gleichgültig.  

Mit freundlichen Grüßen

Sehr geehrter Herr Würdinger,

ich stimme Ihnen in dem Vergleich der "Schaukel-Theorie" zu, auch wenn sich immer wieder zeigt, dass die Ergebnisse willkürlich werden können, trotz identischer Einsatzvariablen.

Sie schreiben am Ende:

Eigentlich stört mich an der Causa Bö am meisten, dass es eigentlich nur um Unterleibs-Witzchen geht  - da johlt das Publikum, und zwar wie auf Knopfdruck - und nicht um eine in irgendeiner Weise ernsthafte Sache. Bei mir dagegen geht es um eine ernsthafte Sache, das ist der Unterschied.     

Hier vergleichen Sie unterschiedliche Kategorien, nämlich den Anlass Ihrer Äußerung mit dem Inhalt des Schmähgedichts von Böhmermann. Auch im Fall Böhmermann ging es jedoch im Anlass um eine "ernste Sache", nämlich um die Tatsache, dass der türkische Präsident die Meinungsfreiheit im eigenen Land durch zahlreiche Beleidigungsklagen gegen Journalisten und Schriftsteller - aber nicht nur dadurch - einschränkte und dann sogar (mit der Beschwerde zu extra3) ausländische Medien anging. Ich finde, dass dieser Anlass durchaus zu einer Reaktion berechtigte, ebenso wie Ihr provozierender Schriftsatz sicher ernsthaften Anlass im Prozessverhalten der von Ihnen angegangenen Richter hatte. Was Sie stört ist also doch nicht so sehr der Anlass der causa Böhmermann, sondern die Niveaulosigkeit der Witze im Vergleich zum (intellektuell aus Ihrer Sicht höher stehenden) Freisler-Vergleich. Aber natürlich zielten sowohl Sie auch Herr Böhmermann unter die jeweils passende Gürtelllinie der Kontrahenten.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

@ Alexander Würdinger

Ich habe es in der vorherigen Diskussion zu Böhmermann schon vielfach geschrieben. Wahrscheinlich lässt es sich dort detaillierter nachlesen.

Ganz einfach auf den Punkt gebracht aber hat Erdogan versucht seine sehr eingeengte Sicht der Meinungsfreiheit nach Deutschland zu projezieren. Dazu hat er nach dem mittlerweile berühmten extra3 Beitrag den deutschen Botschafter einberufen lassen, der sich stellvertretend einen Einlauf abholen durfte. Eine völlige Überreaktion aus deutscher Sicht. Es gab noch weitere Fälle, in denen das passiert ist, die ich jetzt nach der längeren Zeit nicht mehr gewärtig habe.

Böhmermann hat das zum Anlass genommen, Herrn Erdogan, der deutschen Öffentlichkeit und ehrlich gesagt auch weiten Teilen der Juristerei mal zu erklären, wo eigentlich die Grenze der Meinungsfreiheit tatsächlich ist. Das ist nämlich gar nicht so einfach, in Deutschland etwas zu sagen, was nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Schließlich haben wir hier Gangsta Rap, man nehme nur Bushido's "Stress ohne Grund", was zwar 100%ig derbste Beleidigungen und geschmacklose Anspielungen auf Gewalt enthält, aber dennoch 100%ig von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Also musste für Böhmermann das Schmähgedicht her, um die Grenze der Meinungsfreiheit plakativ darzustellen. Was viele (immer noch) nicht verstanden haben, ist dass es auf den Kontext mit der Vorgeschichte Erdogan vs extra 3, den Einbestellungen von Botschaftern und der Einkleidung des Schmähgedichts durch Böhmermann in der Sendung selbst ankommt. Beachtet man das wird nämlich ein Schuh draus: Um aufzuzeigen wo die Grenze ist, hat Böhmermann dargestellt was von Meinungsfreiheit gedeckt ist und was nicht - das erklärt er in der Sendung -, um sodann in medias res zu gehen mit dem Schmähgedicht.

Damit hat Böhmermann auch dem letzten Erdogan-Versteher klargemacht, wo in Deutschland die Grenze der Meinungsfreiheit liegt - und dass das ganz sicher nicht bei dem zahmen "Erdowie Erdowo Erdogan" ist.

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Gast schrieb:

Böhmermann hat das zum Anlass genommen, Herrn Erdogan, der deutschen Öffentlichkeit und ehrlich gesagt auch weiten Teilen der Juristerei mal zu erklären, wo eigentlich die Grenze der Meinungsfreiheit tatsächlich ist. Das ist nämlich gar nicht so einfach, in Deutschland etwas zu sagen, was nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

 

Sie haben lustige Ideen. In Deutschland gibt es nicht mehr Meinungsfreiheit als in der Türkei. In beiden Fällen werden Sie bestraft wenn sie etwas sagen, was das Regime gefährden könnte. Böhmermann hat im Auftrag von Merkel (öffentlich-rechtlich) bzw. in ihrem Sinne beleidigt, also war seine Aussage selbstverständlich von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Die Grenzen der Meinungsfreiheit erleben in Deutschland nur diejenigen, die ernsthaft Widerstand gegen die Regierungsparteien leisten, also rechts- und links-radikale.

Volksverhetzung ist mittlerweile so breit definiert, dass die Gerichte willkürlich entscheiden können und letztlich nur den Willen der aktuellen Regierung vollziehen. Angeklagt wird meist ohnehin nur wenn es politisch nützlich ist, also bei Führungspersonlichkeiten.

In NRW kenn ich mittlerweile eine ganze Reihe von vollkommen lächerlichen Fällen. Recht war mal das Mittel um die Meinungskontrolle systematisch, effizient und möglichst wenig eingriffs-intensiv umzusetzen. Heute ist es eher so, dass Juristen damit beschäftigt sind die Willkür der Exekutive zu rechtfertigen, um den Schein von Regelmässigkeit und Legitimität zu erhalten. Mangels Konsistenz des Exekutivhandelns ist das aber auch nicht mehr möglich.

 

Die Einstellung basiert auf dem Willen der Exekutive, die Begründung hat man sich nachträglich passend ausgedacht. Wenn das keine Beleidigung war, kann man sich den Ehrschutz besser gleich komplett sparen.

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Sehr geehrter MT,

Sie schreiben:

Was viele (immer noch) nicht verstanden haben, ist dass es auf den Kontext mit der Vorgeschichte Erdogan vs extra 3, den Einbestellungen von Botschaftern und der Einkleidung des Schmähgedichts durch Böhmermann in der Sendung selbst ankommt. Beachtet man das wird nämlich ein Schuh draus: Um aufzuzeigen wo die Grenze ist, hat Böhmermann dargestellt was von Meinungsfreiheit gedeckt ist und was nicht - das erklärt er in der Sendung -, um sodann in medias res zu gehen mit dem Schmähgedicht.

Ich stimme völlig mit Ihnen überein. Aber wie schon oben geschrieben: Nur das Gedicht, nicht der Kontext, waren auch in türkischer Sprache verfügbar. M. E. müsste  das einen Einfluss auf die Bewertung haben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:
Aber wie schon oben geschrieben: Nur das Gedicht, nicht der Kontext, waren auch in türkischer Sprache verfügbar. M. E. müsste  das einen Einfluss auf die Bewertung haben.

Henning Ernst Müller

Ich wüßte nicht, dass Böhmermanns Sendung in einem Sender in der Türkei ausgestrahlt worden wäre.

 

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Sehr geehrter Herr Schulze,

die Sendung wird (vom ZDF) in die Mediathek eingestellt und ist daher weltweit verfügbar. Die türkische Untertitelung (nur des Gedichts) wurde auch bewusst vorgenommen, weil man offenbar davon ausging, dass es (nur) türkischsprechende Zuschauer geben würde, gleich ob sie in der Türkei oder anderswo auf der Welt leben.  Im Übrigen verweise ich auf meinen Kommentar oben. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

ich habe es meine ich in dem anderen Thema zum Fall Böhmermann schon einmal so ähnlich geschrieben.

Die Untertitel sind meines Erachtens eine satirische Anspielung auf den Extra 3 Beitrag zu Erdogan. Der wurde, wenn mich nicht alles täuscht, nachträglich türkisch untertitelt als der Beitrag international bekannt geworden war. Das hat man bei Neo Magazin Royale aufgegriffen als Teil des satirischen Gesamtkunstwerks - eben die Tatsache das ein kleiner Beitrag aus dem deutschen Fernsehen entgegen dem was sonst üblich ist für ein fremdsprachiges Publikum untertitelt wurde. Und eben nur der Teilbeitrag, der in der Türkei als anstößig empfunden wurde, nicht die ganze extra 3 Sendung.

Jedenfalls aber kann man m.E. unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten aus der Untertitelung keine eigenständig zu beurteilende Strafbarkeit herleiten ("Böhmermann könnte sich, indem er Erdogan durch Untertitel in türkischer Sprache als [die bekannten Ausdrücke aus dem Gedicht] bezeichnete wegen Beleidigung strafbar gemacht haben"). Denn verfassungsrechtlich zählt immer die Gesamtbetrachtung im Kontext. Selbst wenn man die Untertitelung in der Abwägung gegen Böhmermann gelten lässt, bedeutet das noch nicht, dass auch die Gesamtabwägung contra Böhmermann ausgehen muss. Es sind pro und contra abzuwägen, wobei nicht jedes Contra 'wegdiskutiert' werden muss. Solange die Gesamtabwägung zugunsten der Meinungs- bzw. Kunstfreiheit ausgeht, ist die Beleidigung gerechtfertigt.

Freundlichen Gruß,

MT

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@Henning Ernst Müller: Danke für den Hinweis auf die Untertitelung des Böhmermann-Videos in der ZDF-Mediathek. Das war mir bisher nicht bekannt - und wäre meines Erachtens in der Tat unter strafrechtlichen Gesichtspunkten eigenständig und anders zu bewerten. Wissen Sie, ob dieser Tatbestand auch angezeigt worden ist? Und müsste dahingehend nicht doch zuerst geklärt werden, wer dieses das eigentliche Anliegen von Jan Böhmermann offensichtlich konterkarierende Vorgehen verantwortet? Anders formuliert: Es ist nicht gesagt, dass das Einstellen in die ZDF-Mediathek und die dabei selektiv und sinnverfälschend vorgenommene Untertitelung, die die Sache natürlich in der Türkei enorm hochheizen musste, tatsächlich noch in den Verantwortungsbereich von Jan Böhmermann gefallen ist. Ich habe das Vorurteil, dass das eher nicht zutreffen dürfte.

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Ich muss ganz ehrlich gestehen es fällt mir schwer aus dem Beitrag von Thomas Fischer zum Thema Böhmermann einen zusammenhängend sinnvollen juristischen Kern herauszulesen.

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Sie hätte anders ausfallen können. Auch wenn ich absolut nichts von Obama halte, bestehen doch gravierende Unterschiede. Dass Obama sich bei einer entsprechenden Sendung wie der Extra3-Sendung wie der Tyrann Erdogan verhalten hätte, gab es nicht und kann ich mir auch nicht vorstellen. Das Verhalten Erdogans nach der Extra3-Sendung ist aber zwingend bei der Bewertung von Böhmermanns Schmähgedicht zu berücksichtigen. Die Bewertung des Schmähgedichts kann verfassungsgemäß gar nicht anders als pro Meinungsfreiheit ausfallen.

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Die Stellungnahme der GStA weist aber eine Lücke auf: Die Darbietung von Böhmermann fand vor einem Livepublikum statt. Sollte sie eine Straftat darstellen, dann kann sie insoweit medienrechtlich nicht verjähren. Lediglich der nächste Schritt, die Ausstrahlung der strafbaren Äußerungen, ist von dieser Verjährungsvorschrift erfaßt.

 

Das führt zu einer verfahrensrechtlichen Frage: Wenn - aufgrund der Verjährung - nur noch eine Bestrafung wegen der "Live-Tat" im Raum steht, dann dürfte der Gerichtsstand, der auch in Mainz gegeben war (§ 12 StPO), weggefallen sein und nur noch der Gerichtsstand Köln gegeben sein (die Sendung Neo Magazin Royale wird in einem Studio in Köln produziert). § 16 StPO könnte so auszulegen sein, daß die örtliche Zuständigkeit im Zeitpunkt der gerichtlichen Eröffnungsentscheidung gegeben sein muß, nicht im Zeitpunkt der Aufnahme der staatsanwaltlichen Ermittlungen (also keine perpetuatio fori). Und dann stellt sich die Frage: Kann (und müßte) im Klageerzwingungsverfahren das OLG Koblenz, wenn es zugunsten von Erdogan entscheiden sollte, anordnen, daß die (mit dem Fall noch gar nicht befaßte) Staatsanwaltschaft eines anderen Landes (Nordrhein-Westfalen) die öffentliche Klage vor dem AG oder LG Köln erhebt (§ 175 StPO)? Oder muß in einem solchen Fall der Verletzte das Verfahren noch einmal vor der zuständigen Staatsanwaltschaft neu durchlaufen? Was für Erdogan hier allerdings sehr wünschenswert wäre - neues Spiel, neues Glück.

Mit anderen Worten: Die Verjährung könnte für Erdogan eine Chance sein, den Fall noch einmal zu drehen.

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Ich frage mich, ob die Gründe des BVerfG, das die Verjährungsregelung des LMG dem Presserecht zurechnet,  auch auf den außenpolitisch motivierten § 103 StGB zutreffen, wobei die Außenpolitik ja bekanntlich ausschließliche Komptenz des Bundes ist (Art. 71 Abs. 1 Nr. 1 GG). Es spricht m. E. einiges dafür, dass die Verjährungsregelung des Landesrechts in diesem Fall nicht greift und die Verjährungregelung des ausschließlich kompetenten Bundesgesetzgebers gilt.

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Und was mich von Anfang an am meisten an der Debatte über die Causa Bö gestört hat: Bö betreibt mit seinem Unfug politisch im Ergebnis das Geschäft von Erdogan. Kein Mensch guckt mehr hin, was in der Türkei gerade politisch vor sich geht. Stimmen, die an sich etwas über die aktuelle Politik in der Türkei zu sagen hätten, gehen im Geplapper über die Causa Bö vollständig unter. Z.B. der Leitartikel auf dem Titelblatt der aktuellen Ausgabe von "Die Zeit": Dort schreibt Can Dundar, der Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet". Die Überschrift seines Artikels lautet "Sie holen uns". An sich müsste der Zeitungsartikel von Can Dundar einen einzigen Aufschrei der Empörung über die Politik von Erdogan auslösen. Aber das wird nicht geschehen. Der Artikel von Can Dundar wird in der öffentlichen Wahrnehmung der Bundesrepublik genauso untergehen wie alle anderen ernsthaften Stellungnahmen zur aktuellen politischen Situation in der Türkei. Denn das Geplapper über die Unterleibs-Witzchen des Herrn Bö ist ja viel interessanter und viel aufregender. Das zieht die öffentliche Wahrnehmung der Gesellschaft der Bundesrepublik auf sich. Da ist für die ganz reale aktuelle Politik in der Türkei kein Platz mehr.            

Dasselbe ist es übrigens mit dem Aufsatz "Der abhanden gekommene Richter" von Prof. Rumpf im aktuellen Heft der NJW, genaue Fundstelle: NJW-aktuell, Heft 45/2016, S. 14. Meinen Sie, dass das irgend jemand zur Kenntnis nimmt? Meinen Sie, dass der Artikel irgend eine Auswirkung hat? Stattdessen dominieren die Schenkelklopfer im "Stil" von Herrn Bö die öffentliche Wahrnehmung.    

Für mich persönlich verkommt die Diskussion um Bö zu einer reinen Spiegelfechterei.

Gerade neulich wurde ein Handwerker zu 3000 Euro Strafe verurteilt, weil er geschrieben hat, er fände Claudia Roth "ekelhaft".

Da ist von Kontext bis politischer Meinungsäusserung alles dabei und das Adjektiv ist nach meinem Empfinden auch noch harmlos.

Der Aufschrei der Juristen blieb bislang aus.

Also wird  doch nicht nach Recht und Gesetz Stellung bezogen, sondern mehr nach politischer Verortung?

Von diesem Makel können sich die Befürworter einer Straffreiheit für Bö trotz aller virtuosen Verkehrungen nicht befreien.

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