BVerfG zu den Konsequenzen abwertender Äußerungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 23.01.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|5508 Aufrufe

Im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens, insbesondere nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung, rutschen dem Arbeitnehmer mitunter abwertende Bemerkungen über den Arbeitgeber und die Arbeitsverhältnisse raus, die negative Folgen für ihn zeitigen können. Das war auch das Grundthema einer Entscheidung der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG (Beschluss vom 8.11.2016 - 1 BvR 988/15 - BeckRS 2016, 55564).

Hier lag der Sachverhalt wie folgt: Während eines Rechtsstreits um Schadensersatzansprüche wegen Mobbings nahm der Arbeitnehmer ohne sachlichen Anlass und unter Umgehung des eigenen Anwalts telefonisch Kontakt mit dem Prozessbevollmächtigten der Arbeitgeberin auf und warf diesem vor, im Gütetermin Lügen und Verleumdungen über ihn verbreitet zu haben. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis. In der zweiten Instanz löste daraufhin das LAG Köln das Arbeitsverhältnis nach §§ 9, 10 KSchG gegen eine Abfindung auf. Zahlreiche Anhaltspunkte stützten die Prognose, dass zukünftig eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht zu erwarten sei. Nicht nur das Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten belege, dass der Beschwerdeführer seiner Arbeitgeberin und seinen Vorgesetzten zutraue, ihn gezielt und in strafbarer Weise Schaden zufügen zu wollen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Arbeitnehmer unter anderem eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das LAG habe sein Vorbringen im Schadensersatzprozess zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses herangezogen, ohne bei der Bewertung des Vorbringens die Meinungsfreiheit und die Prozessgrundrechte beachtet zu haben. 

Die gegen die Auflösungsentscheidung des LAG gerichtete Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung angenommen worden. Das LAG habe - so die Verfassungsrichter - mit der Entscheidung zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses weder Art. 103 Abs. 1 GG noch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt. Das LAG habe an die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu Recht strenge Anforderungen gestellt und dadurch das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses als seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage berücksichtigt, dem das Kündigungsschutzrecht auch in Ausprägung des Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 97, 169 <175> m.w.N.). Bei der Prüfung, ob eine weitere den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien zu erwarten ist, dürften zum Nachteil des Arbeitnehmers auch Äußerungen aus dem laufenden Gerichtsprozess berücksichtigt werden. Grundsätzlich seien allerdings auch wertende Äußerungen im Prozess durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>) und, soweit sie im Hinblick auf die konkrete Prozesssituation zur Rechtsdurchsetzung geeignet und erforderlich erscheinen, gleichzeitig durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfGE 64, 135 <143 f.>). Verfahrensbeteiligte dürften in gerichtlichen Auseinandersetzungen auch starke, eindringliche Ausdrücke und Schlagworte benutzen, um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2015 - 1 BvR 3217/14 -, juris, Rn. 16). Diese Maßgaben seien gerade dann zu beachten, wenn ein Anspruch wegen Mobbings geltend gemacht wird, da Beschäftigte in diesem Zusammenhang unerlaubte Handlungen des Arbeitgebers darlegen und beweisen müssten (vgl. BAG, Urteil vom 14. November 2013 - 8 AZR 813/12 -, juris, Rn. 11), sich also zwangsläufig negativ über den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder auch Kolleginnen und Kollegen äußerten. 

Dies habe das LAG vorliegend nicht verkannt. Es habe seine negative Prognose einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit maßgeblich auf die zahlreichen Konflikte zwischen dem Beschwerdeführer und der Arbeitgeberin gestützt, die im Zusammenhang mit der gescheiterten Bewerbung des Beschwerdeführers um eine Führungsposition und seiner unterdurchschnittlichen jährlichen Zielerreichungsquote und Leistungseinschätzung entstanden sind. Die Äußerungen im Prozess seien insoweit lediglich als Beleg für eine verfestigte negative Einstellung des Beschwerdeführers zu seiner Arbeitgeberin, seinen Vorgesetzten und seinen Kollegen gewertet worden, die auch an zahlreichen anderen Stellen zum Ausdruck gekommen sei. Die darauf beruhende Entscheidung, ob diese Umstände im Einzelfall die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, sei nicht vom Bundesverfassungsgericht zu treffen, sondern Sache der Fachgerichte. 

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