BAG zum Kündigungsschutz nach Entlassungsverlangen des Betriebsrats

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 28.03.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|3987 Aufrufe

 

§ 104 BetrVG gibt dem Betriebsrat das Recht vom Arbeitgeber die Entlassung betriebsstörender Arbeitnehmer zu verlangen. Kommt der Arbeitgeber einem begründeten Verlangen des Betriebsrats nicht nach, so kann dem Arbeitgeber die Entlassung auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht aufgegeben werden. Das geschieht in der Praxis sicherlich nicht sehr häufig. Ein solcher „exotischer“ Fall hat nunmehr das BAG (Urteil vom 28. März 2017 - 2 AZR 551/16 – PM 19/17) erreicht. Es stellt sich in solchen Fällen eine interessante Rechtsfrage. Wie sind die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers zu beurteilen, wenn dem Arbeitgeber im Vorfeld rechtskräftig aufgegeben worden ist, den betreffenden Arbeitnehmer zu entlassen? Klar ist, dass formelle Mängel der Kündigung (mangelnde Schriftform, keine Vertretungsmacht, Nichtbeachtung der Kündigungserklärungsfrist etc.) mit der Kündigungsschutzklage erfolgreich geltend gemacht werden können. Wie steht es aber mit dem eigentlichen Kündigungsgrund? Der jetzt entschiedene Fall lag wie folgt:

Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Versicherungsunternehmen langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt. Ende April 2015 forderte der Betriebsrat die Beklagte auf, die Sachbearbeiterin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Zur Begründung verwies er auf Vorfälle, die sich zwischen der Klägerin und ihren Arbeitskollegen im Oktober 2014 und Januar 2015 ereignet haben. Die Beklagte kam dem Verlangen zunächst nicht nach. In dem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren gem. § 104 Satz 2 BetrVG gab das Arbeitsgericht der Beklagten antragsgemäß auf, die Klägerin „zu entlassen". Die Klägerin war in dem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016. Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat gemeint, es liege weder ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden ist, die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage wurde jedoch abgewiesen.

Das BAG bestätigt jetzt die Rechtsansicht der Vorinstanzen. Aufgrund der - auch im Verhältnis zur Klägerin - rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach die Beklagte die Klägerin zu entlassen hatte, sei ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung gegeben. Dagegen sei der Beklagten durch den Beschluss nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden. Das BAG geht also gleichsam von einer präjudiziellen Wirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren für den Kündigungsschutzprozess aus, jedenfalls dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer in diesem Verfahren angehört worden ist. Das ist in der Literatur nicht unumstritten (dagegen z.B. GK/Raab, § 104 BetrVG Rn. 25) Das BAG vermeidet so die missliche Situation, die sich ansonsten für den Arbeitgeber ergeben könnte, dass er nämlich aufgrund divergierender Entscheidungen zwar verpflichtet ist, den Arbeitnehmer zu entlassen, er dieser Verpflichtung aber nicht nachkommen kann, weil das Gericht im Kündigungsschutzprozess die Kündigung als unwirksam ansieht.

Ein kleiner Hinweis noch am Rande: Bei der Kündigung braucht der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht nach § 102 BetrVG zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigung dem Entlassungsverlangen des Betriebsrats entspricht; denn die Kündigung geht in diesem Fall auf Anregung des Betriebsrats zurück. Das hat das BAG schon vor 20 Jahren entschieden (BAG 15.5.1997, NZA 1997, 1106).

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Das BAG geht ausweislich der PM nicht von einer präjudiziellen Wirkung, sondern von einer auch gegenüber der Klägerin wirkenden Rechtkraft aus. Die Klägerin war Beteiligte des Beschussverfahrens, anderenfalls hättte sie auch nicht nach § 83 Abs. 3 ArbGG angehört werden können. Daher geht es auch nicht mehr um den "eigentllichen Kündigungsgrund", sondern nur noch darum, dass der Arbeitgeber zur Entlassung verpflichtet ist.

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