UmweltzonenOWi: Wie weit kann der Verfall reichen?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.05.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2145 Aufrufe

Der Verfall ist immer noch nicht in der Fläche angekommen. Weil er problematisch ist. Oder als problematisch empfunden wird. Wie viel kann etwa verfallen, wenn eine UmweltzonenOWi begangen wird? Damit hat sich das OLG Stuttgart befasst. Das Befahren der Umweltzone mit einem hierfür nicht zugelassenen Fahrzeug kann nach Ansicht des OLG den Verfall des durch den rechtswidrigen Einsatz des Fahrzeugs erlangten Nutzungsvorteils, nicht aber der ersparten Aufwendungen für die Nachrüstung eines Partikelfilters rechtfertigen.

Aus den Gründen:

Die Rechtsbeschwerde hat aufgrund der Sachrüge (vorläufig) Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 7. November 2016 ist rechtsfehlerhaft, weil der Verfallsbetroffene den für die Nachrüstung eines Rußpartikelfilters ersparten Geldbetrag nicht im Sinne des § 29a Abs. 2 OWiG durch die mit der Geldbuße bedrohte Handlung erlangt hat.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere das nach § 87 Abs. 6 i.V. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 und § 79 Abs. 1 OWiG statthafte Rechtsmittel.

2. Die Generalstaatsanwaltschaft führt in ihrer Zuschrift vom 16. Februar 2017 unter anderem aus:
„Die Anordnung des Verfalls gem. § 29a OWiG ist rechtsfehlerhaft.
Vorteile aus der mit Geldbuße bedrohten Handlung sind Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen. Hierbei ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Unmittelbarkeit. Das Erlangte muss unmittelbar aus der Tat dem Täter zugeflossen sein; zwischen Tat und Vorteil muss also eine unmittelbare Kausalbeziehung bestehen. Die Abschöpfung muss spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entsprechen. Dabei reicht es aus, dass der Verfallsbetroffene als Drittbegünstigter durch die Tat des für ihn Handelnden den wirtschaftlichen Vorteil erzielt (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom 16.12.2008 - 1 Ss 679/08, BeckRS 2009, 4684, beck-online m.w.N.). Der wirtschaftliche Vorteil kann auch in ersparten Aufwendungen liegen (Gürtler in: Göhler, OWiG, 16. A., § 29a Rdnr. 11).
Danach bietet § 29a Abs. 2 OWiG hier keine Rechtsgrundlage für eine Verfallsanordnung. Der Betroffene hat aus der Tat - fahrlässige Teilnahme am Verkehr trotz Verkehrsverbots zur Verminderung schädlicher Luftverunreinigungen gem. § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 StVG - keinen Vermögensvorteil geschöpft; eine unmittelbare Kausalität zwischen Begehung der Ordnungswidrigkeit und den ersparten Aufwendungen besteht nicht. Der Betroffene hat durch die Tat keine Aufwendungen für die Umrüstung des Fahrzeugs erspart. Vielmehr hat er durch die unterlassene Umrüstung das Fahrzeug erst in den Zustand versetzt, der bei Einfahren in die Umweltzone den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO begründete. Soweit der Mitarbeiter des Betroffenen dann innerhalb der Umweltzone eine Tätigkeit verrichtete, aus der der Betroffene einen Umsatz erzielte, stellt dies lediglich einen mittelbaren Vermögensvorteil dar. Der Betroffene hat also nicht aus dem Einfahren des Mitarbeiters in die Umweltzone einen Vermögensvorteil gezogen, sondern durch Einsparungen, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erst begründeten, einen Vermögensvorteil erzielt (vgl. insoweit auch OLG Stuttgart a.a.O.).
Folgte man der Auffassung der Verwaltungsbehörde und des Amtsgerichts, würde durch die Möglichkeit der Verfallsanordnung in Fällen der vorliegenden Art letztlich die Umrüstung des Fahrzeugs erzwungen bzw. die fehlende Umrüstung pönalisiert, was der Gesetzgeber so nicht vorgesehen hat.“

3. Der Senat schließt sich der rechtlichen Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft im Wesentlichen an. Allerdings hält er es nicht für ausgeschlossen, dass Feststellungen getroffen werden können, auf die sich eine Verfallsanordnung in rechtsfehlerfreier Weise stützen lässt. Daher folgt der Senat der Generalstaatsanwaltschaft insoweit nicht, als sie eine Sachentscheidung des Senats beantragt, sondern verweist die Sache an das Amtsgericht Stuttgart zurück.

a) Die Generalstaatsanwaltschaft stellt in ihrer Zuschrift maßgeblich auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit ab. Dieses Merkmal soll mittelbare Zuflüsse unter Einsatz oder Bewirtschaftung des Erlangten vom Verfall ausnehmen (vgl. Gürtler in Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 29a Rn. 10; BGH, Urteil vom 21. März 2002 - 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260, zitiert nach juris, Rn. 39; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2012 - 1 Ss 730/11, StraFo 2012, 159, zitiert nach juris, Rn. 12). Diese Abgrenzung steht aus Sicht des Senats im vorliegenden Fall jedoch nicht im Vordergrund. Vielmehr stellt sich primär die Frage, welcher Vorteil unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Verbotstatbestandes (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. September 2015 - 4 Ws 283/15, NStZ 2016, 28, zitiert nach juris, Rn. 13 mwN) als durch die bußgeldbewehrte Handlung des Mitarbeiters des Verfallsbetroffenen erlangt anzusehen ist.

Für die Bemessung des Verfallsbetrages gilt das Bruttoprinzip; auch ersparte Aufwendungen können als Vermögensvorteil abgeschöpft werden (Gürtler, aaO, § 29a Rn. 11 ff.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2012, aaO, Rn. 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Dezember 2014 - 2 (6) SsBs 601/14, juris, Rn. 6). Hypothetische rechtmäßige Kausalverläufe bleiben hierbei grundsätzlich außen vor (vgl. Gürtler, aaO, § 29a Rn. 10 mwN; OLG Oldenburg, Beschluss vom 9. Juni 2016 - 2 Ss (OWi) 110/16, juris, Rn. 15 mwN). Eine Schätzung ist nach § 29a Abs. 3 OWiG möglich (vgl. Gürtler, aaO, § 29a Rn. 27 mwN).

b) Nach diesen Maßstäben hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass Feststellungen getroffen werden können, auf die sich eine Verfallsanordnung in rechtsfehlerfreier Weise stützen lässt. Auszugehen ist davon, dass der in Frage stehende Ordnungswidrigkeitstatbestand das Fahren eines Lastkraftwagens mit roter Feinstaubplakette nicht überall, sondern nur innerhalb der Umweltzonen verbietet. Da der Verfallsbetroffene sein Fahrzeug außerhalb der Umweltzonen fahren lassen darf, kann der erlangte Vermögensvorteil nicht schematisch mit den ersparten Aufwendungen für den Einbau eines Partikelfilters gleichgesetzt werden. Der Verfallsbetroffene hat durch die mit Bußgeld bedrohte Handlung seines Fahrers somit nur den Vorteil erlangt, dass ein Fahrzeug innerhalb einer Umweltzone eingesetzt wurde, die es nicht befahren durfte. Der Senat hält es für möglich, diesen Nutzungsvorteil - ggf. durch Schätzung nach § 29a Abs. 3 OWiG - zu beziffern, zumal sich für die Anmietung vergleichbarer Lastkraftwagen ein Marktpreis ermitteln lässt. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgebrachte Einwand des Verfallsbetroffenen, seine Mitarbeiter hätten die Kundenreklamation in Stuttgart auch mit einem für die Umweltzone zugelassenen Personenkraftwagen erledigen können, ist als hypothetischer rechtmäßiger Kausalverlauf in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

Die Abschöpfung des durch die Fahrt in der Umweltzone erwirtschafteten Erlöses kommt nach dem Bruttoprinzip zwar grundsätzlich in Betracht, begegnet in der vorliegenden Konstellation nach Auffassung des Senats aber Bedenken. Eine solche Erlösabschöpfung dürfte - nach dem Schutzzweck des Verbotstatbestandes - voraussetzen, dass ein Verfallsbetroffener in der Umweltzone ausschließlich oder weit überwiegend Beförderungs- oder Transportleistungen erbringt, wie dies beispielsweise bei Taxidienstleistungen oder Paketauslieferung der Fall wäre. Aufgrund des amtsgerichtlichen Urteils und des Rechtsbeschwerdevorbringens liegt zumindest nicht nahe, dass vorliegend eine solche Konstellation gegeben ist.

OLG Stuttgart Beschl. v. 30.3.2017 – 4 Rb 24 Ss 163/17 , BeckRS 2017, 107163

Hinweis: Zum 1.7.2017 ändert sich § 29a OWiG. Inhaltlich ändert sich aber nichts Wesentliches. 

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