Der Anwalt muss sich nicht verbiegen

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 02.06.2017
Rechtsgebiete: Vergütungs- und Kostenrecht14|5426 Aufrufe

Welche Konsequenzen es für den anwaltlichen Vergütungsanspruch hat, wenn der Anwalt den - sachwidrigen - Anweisungen seines Mandanten nicht folgt, hat den BGH im Urteil vom 16.02.2017 - IX ZR 165/16 beschäftigt. So hat sich der BGH auf den Standpunkt gestellt, dass, wenn der Revisionsanwalt nach Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde das Mandat kündigt, weil er dem Rechtsmittel aufgrund einer inhaltlich zutreffenden Begutachtung keine Erfolgsaussichten bemisst und darum die von dem Mandanten gewünschte Begründung und Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde ablehnt, er seinen Vergütungsanspruch gegen den Mandanten nicht verliert. Denn wenn der Prozessbevollmächtigte nach gründlicher Prüfung die der Sach- und Rechtslage entsprechende Überzeugung der Aussichtslosigkeit eines Rechtsmittels gewinnt, bringe ihn das Beharren des Mandanten auf Durchführung des Verfahrens in einen unauflöslichen Konflikt, weil die Befolgung der Weisung mit seiner Stellung als Organ der Rechtspflege unvereinbar ist. Der Anwalt sei nicht gehalten, einer Weisung des Mandanten zu folgen, die seinem wohl durchdachten Rat widerspreche und mit wirtschaftlichen Nachteilen für die vertretene Partei verbunden ist.

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14 Kommentare

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Der Anwalt muss sich nicht verbiegen

Ich "verbiege" mich doch nicht, wenn ich - nach gehöriger Belehrung des Mandanten - weisungsgemäss ein Rechtsmittel so gut es eben geht begründe. Und oft ergeben sich bei näherem Hinsehen doch noch Grundsatzfragen, die der Klärung bedürfen, manchmal sogar im Sinne einer Änderung der Rechtsprechung. Jedenfalls ist kein Anwalt dazu da, der Justiz Arbeit vom Hals zu schaffen, auch nicht als "Organ der Rechtspfleger". Der Anwalt ist in erster Linie Sachwalter seines Mandanten und nicht Sachwalter der Justiz. Das gilt auch für die BGH-Anwälte, die sich zwar immer als etwas sehr überirdisch-besonderes empfinden, aber auch nur Anwälte sind. Die Grenze, die man nicht überschreiten sollte, liegt wahrscheinlich nur da, wo das Bundesverfassungsgericht Missbrauchsgebühren gegen Prozeßvertreter verhängt.

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Der geschilderte Sachverhalt ist nur der letzte Teilakt eines zusammenhängenden Geschehens. Es geht nämlich eigentlich um folgende Vorgeschichte, die vermutlich Alltag beim BGH ist:

Sie führen einen Zivilprozess vor dem Bundesgerichtshof (ab jetzt nur noch kurz BGH). Um zu einem Prozesserfolg vor dem BGH in Ihrer Zivilsache zu kommen, müssen Sie zwei unterschiedliche Stufen bewältigen und dabei zwei verschiedene Fragen zur Zufriedenheit des BGH beantworten:

In einer ersten Stufe geht es darum, überhaupt den Zugang zum BGH zu ergattern. Denn normalerweise wird Ihre Revision zum BGH vom Oberlandesgericht, dem Berufungsgericht (vor dem Sie gerade eben Ihren Zivilprozess verloren haben) gar nicht zugelassen. Also müssen Sie beim BGH versuchen, dass der BGH Ihre Revision zulässt. Dazu müssen Sie den BGH davon überzeugen, dass Ihre Rechtssache insgesamt oder einzelne Aspekte Ihrer Rechtssache in irgendeiner Weise eine grundsätzliche Bedeutung aufweisen. D.h., Ihre Rechtssache oder Aspekte Ihrer Rechtssache müssen für eine Vielzahl von anderen Rechtsfällen, für eine Vielzahl von mehr oder minder parallelen Rechtsfällen, ebenfalls von Bedeutung sein. Ihr Job besteht also in dieser ersten Stufe darin, dass Sie den BGH davon überzeugen, dass Ihre Rechtssache eine Vielzahl von wahnsinnig spannenden, von wahnsinnig ungeklärten Rechtsfragen aufweist. Vor allem muss Ihnen in dieser ersten Stufe, bei der Sie den Zugang zum BGH erst noch ergattern müssen, immer klar sein, dass es in dieser ersten Stufe überhaupt nicht darum geht, ob Sie in der Sache Recht haben oder nicht. Dafür interessiert sich in dieser ersten Stufe, bei der Zulassung zum BGH, kein Mensch. In dieser ersten Stufe ist es vollkommen gleichgültig, ob das Oberlandesgericht, das Berufungsgericht, Ihre Sache richtig oder falsch entschieden hat, darüber müssen Sie sich im Klaren sein.  

Sie werden sich fragen, was der Unsinn soll. Da müssen Sie den Gesetzgeber fragen, was er sich dabei gedacht hat. Der Gesetzgeber hat sich dabei gedacht, dass der BGH in Zivilsachen nur mit denjenigen Rechtssachen behelligt werden soll, die die Allgemeinheit betreffen. Der BGH soll sich in Zivilsachen – nach der Intention des Gesetzgebers - nur mit den großen Leitlinien beschäftigen. Das führt dazu, dass sich der BGH in Zivilsachen bevorzugt mit Rechtsfragen beschäftigt wie der Frage, ob der Verbraucher für Warenrücksendungen an den Unternehmer Portokosten zahlen muss oder ob der eine Nachbar die Tannenzapfen des anderen Nachbars von seinem Grundstück wegräumen muss. Das sind die weltbewegenden Rechtsfragen. Das liegt in der Logik des Systems: Rechtsfragen wie die Frage, wer die Portokosten zahlen muss oder wer die Tannenzapfen wegräumen muss, betreffen immer eine Vielzahl von Personen, eine Vielzahl von gleichgelagerten Sachverhalten. Die Rücksendung einer mangelhaften Ware und dass Tannenzapfen von dem einen Grundstück auf das Nachbargrundstück fallen, das passiert ständig, das ist Alltag. Also ist das von allgemeiner, von grundsätzlicher Bedeutung. Also müssen solche eminent wichtigen Rechtsfragen vom BGH geklärt werden. Damit die Allgemeinheit weiß, was Recht und was Unrecht ist bei der Frage, wer das Porto zahlen muss und bei der Frage, wer die Tannenzapfen wegräumen muss. Schwachsinn? Schwachsinn!

Das Ding, mit dem Ihr Anwalt für Sie die Zulassung zum BGH ergattern soll, heißt übrigens „Nichtzulassungsbeschwerde“ oder im Fach-Jargon kurz „NZB“. Um es Ihnen nochmal klar zu machen, wenn Sie es mir immer noch nicht glauben können: Der Job Ihres Anwalts, wenn er Ihre „NZB“ schreibt, ist also vorrangig gar nicht, dem BGH zu erläutern, wer in Ihrer Sache im Ergebnis Recht oder Unrecht hat. Sondern Ihr Anwalt muss in Ihrer „NZB“ dem BGH vorrangig erläutern, dass Ihre Rechtssache viele, schöne, ungeklärte Rechtsfragen aufwirft, die alle eine grundsätzliche Bedeutung aufweisen und die alle noch vom BGH für die Allgemeinheit zu klären seien. Deswegen, so schließt die „NZB“, müsse der BGH die Revision zulassen.    

Ach ja, fast hätte ich vergessen, Ihnen noch von der zweiten Stufe zu erzählen: Wenn Sie also wider jedes Erwarten die erste Stufe bewältigt haben und die Zulassung zum BGH ergattert haben, dann erst legt Ihr Anwalt die sog. „Revision“ ein. Erst dann muss der BGH darüber entscheiden, ob Sie in Ihrer blöden kleinen Sache, in der es vielleicht um Ihre wirtschaftliche Existenz geht, Recht haben oder nicht.

Und zum Schluss noch eine Leseempfehlung: Lesen Sie den Aufsatz in der NJW 2016, Seiten 922 – 925 (Heft 13/2016) aus der Feder des Rechtsanwalts beim Bundesgerichtshof Dr. Thomas Winter mit dem Titel „Die Nichtzulassungsbeschwerde – ein Scheinrechtsmittel“.

In meinem Text war jeweils mit dem Wort "Sie" nicht Sie persönlich gemeint, sondern das mitlesende Publikum. Es lag nicht in meiner Absicht, Sie in irgendeiner Weise anzugehen. Im Gegenteil, Sie haben ja Recht mit Ihrem Ergebnis, dass Sie den Gebührenprozess, wenn ich Sie richtig verstehe, offenbar genau anders herum entschieden hätten. Ich übrigens auch.    

Nach meiner Ansicht steht das Urteil im Widerspruch zur Entscheidung des selben Senats vom 29.9.2011, wo es im Leitsatz ausdrücklich heißt: "Kündigt der Rechtsanwalt das Mandatsverhältnis, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, steht ihm ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als der Mandant einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen muss..." (BGH, Urteil vom 29. 9. 2011 - IX ZR 170/10).  Wenn es im aktuellen Urteil jetzt heißt, es sei eine Vertragsverletzung des Mandanten anderer Rechtsansicht zu sein, als der Anwalt, ist das nur eine Finte, um diesen offenen Widerspruch zu vernebeln. Jeder hat nämlich ein Recht auf Dummheit und jeder darf anderer Meinung sein, als sein Anwalt, ohne vertragsbrüchig zu werden. Damit zeigt ausgerechnet gerade dieser Fall auch, dass es durchaus lohnen kann, gegen eine bestehende Rechtsprechung anzugehen (jedenfalls wenn man BGH-Anwalt ist und im Interesse des eigenen Gerichts vor dem eigenen Gericht in eigener Sache auftritt).

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"als der Mandant einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen muss"

Warum sollte der Mandant einen anderen PB neu bestellen müssen, wenn die Sache aussichtslos ist?

Die überaus polemische Darstellung von Herrn Würdinger zur NZB steht natürlich klar gegen die Intention des Gesetzgebers. Dass die Möglichkeit einer Revision besteht, dient nicht der Einzelfallgerechtigkeit, sondern der Klärung grundsätzlicher Fragen. Um es glasklar zu sagen: Der Rechtsstaat erfordert überhaupt kein Vorhandensein von Rechtsmitteln, er erfordert nur die Möglichkeit, EINE (1) richterliche Entscheidung herbeizuführen. Rechtsstaat und Rechtsmittelstaat sind zweierlei.

Es wäre völlig absurd, eine Revision beim BGH für jeden Fall zuzulassen, nur weil er wirtschaftlich bedeutend ist. Grundsätzlich sollte die landgerichtliche Entscheidung ausreichen. Aber wenn das nicht der Fall ist, reicht ganz gewiss die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts, um der Einzelfallgerechtigkeit zu genügen. 

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Da verdrehen Sie aber etwas. Der Rechtsstaat definiert die vollständige Anwendung des geltenden materiellen Rechts (100%) und nicht einen beliebigen Teil davon. Unvermögen, Versehen und Willkür sind grundsätzlich rechtsstaatswidrig und könnten nie zur Rechtskraft gelangen, wenn nicht die Rechtsmittel zur Durchsetzung des materiellen Rechts formal beschränkt würden. Das wesentliche Argument für den "ungerechteren" Rechtsmittelstaat ist die Herstellung von Rechtsfrieden. Dass die zulässigen Rechtsmittel aber des Öfteren für die Erlangung des Rechtsfriedens nicht ausreichend sind, ist wohl kaum zu bestreiten. Allein durch gegenteilige Behauptungen und Beschränkung von Verfahrensrechten lässt sich das Problem nicht nachhaltig lösen. Die wohl gravierenste Auswirkung solcher Vorgehensweisen ist eine Delegitimierung der Organe des Rechts(mittel)staats, die unmittelbar mit der bereits häufiger thematisierten Erosion des Rechtsstaats einhergeht. Gern wird in diesem Zusammenhang Ursache und Wirkung verwechselt.

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Der Rechtsstaat als solches setzt in der Tat erstmal nur eine Instanz voraus. Alles was darüber hinausgeht, ist nicht erforderlich, um einen Staat als Rechtsstaat bezeichnen zu können. Entsprechend ist es dafür auch egal, wenn die Zulassung zur zweiten bis letzten Instanz an (objektiv festgelegte) Zulassungshürden geknüpft ist.

Andersrum gilt sogar: Eine Beschränkung der Rechtsmittel ist in einem Rechtsstaat zwingend erforderlich!

Wie alle Menschen arbeiten Richter nicht fehlerfrei. Fehler machen können auch Richter der höheren Instanzen und dadurch ggf. sogar ein ursprünglich "richtiges" Urteil nochmal ändern. ("Richtig" in Anführungsstrichen, weil es vielfach gar kein "richtig" oder "falsch" gibt, sondern lediglich andere Auslegungen der Gesetzestexte, die nicht mit der eigenen überein stimmt.) Deshalb könnte man "Unvermögen, Versehen und Willkür" in der Theorie nur ausschließen, wenn es eine unbegrenzte Zahl an Revisionsinstanzen gäbe.

Wenn aber beide Seiten die Möglichkeit hätten, einen Rechtsstreit durch beliebig viele Instanzen zu ziehen, wäre ein wirksamer Rechtsschutz nicht mehr gegeben und damit lägen nicht mehr alle Voraussetzungen für einen Rechtsstaat mehr vor.

Folge: Rechtsmittel müssen in einem Rechtstaat geregelt und beschränkt sein. (Das bedeutet nicht, dass die Beschränkung so streng sein muss, wie das in .de der Fall ist.)

Die Rechtskraft gehört zum Rechtsstaat. Warum Entscheidungen durch Rechtsmittel zwingend "richtiger" werden sollten, erschließt sich mir nicht. Rechtsfrieden wird jedenfalls eher hergestellt, wenn es keine Rechtsmittel gibt.

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Das Urteil wird in der aktuellen JZ 2017, 846 von Deckenbrock in mehrfacher Hinsicht zu Recht zerpflückt, wobei aber nach wie vor völlig unklar bleibt, warum sich der BGH zu einem solchen enttäuschend offensichtlichen Fehlurteil hat hinreißen lassen, wenn nicht verdeckt aus rein egoistischen Motiven reduzierter Arbeitsbelastung.

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Offensichtlich ist überbordende Regelungswut ("Regelungswahn") wieder einmal eine "typisch deutsche" Erscheinung (cum grano salis), denn (Zitat):

Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.

(Richard Wagner. (1813 - 1883), deutscher Komponist)

Quelle: https://www.aphorismen.de/zitat/110211

Stimmt`s, da ja auch hier im Blog öfters "um des Kaiser´s Bart" erbittert gestritten wird?

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