Gut gemacht: "Ich saufe nicht mehr. Lieber Mozart und so!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.06.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2116 Aufrufe

Schön, was für Sachverhalte es doch immer wieder gibt. Da ist ein Rentner. Der säuft. Und geht gern mit dem Hund Gassi. Und legt anlässlich einer spontanen Eingebung beim Gassigehen einen § 315c StGB mit Unfall hin - 3,12 Promille hatte er nämlich getrunken. Gassigehen klappt dabei wohl besser als Autofahren. Aber dann wendet sich sein Leben: Er wird abstinent. Geht zum Psychologen. Aber das Weinregal in seiner Wohnung baut er aus therapeutischen Gründen nicht ab. Aha. Ein Schelm, wer Böses denkt. Im Urteil heißt es weiter: "Das Ehe- und Familienleben des Angeklagten hat sich seit der Alkoholabstinenz verändert. Er geht gemeinsam mit seiner Ehefrau nunmehr ins Kino oder zu kulturellen Veranstaltungen, an denen er vorher nie teilgenommen hat. Zugleich besucht er zwei bis drei Mal die Woche ein Fitnessstudio." Gut so. Und: Das alles führte dazu, dass ihm 14 Monate später nicht mehr die Fahrerlaubnis entzogen wurde.

 

"3. Dem Angeklagten, ist neben der Strafe die Fahrerlaubnis nicht zu entziehen. Zwar liegt in der vom Angeklagten begangenen Tat ein Regelfall des §§ 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, der nach Auffassung des Gesetzgebers regelmäßig zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt. Der Angeklagte weist jedoch in seiner Person als auch in dem Nachtatverhalten wesentliche Besonderheiten auf, durch die die indizielle Bedeutung des Regelbeispiels zum jetzigen Zeitpunkt kompensiert wird.

Der Angeklagte hat selbständig, ohne dass es äußeren sozialen Druckes bedurfte, seit dem 03. April 2016, also mehr als 1 Jahr, keinen Alkohol mehr zu sich genommen. Dabei hat er sich bewusst - entgegen dem Rat seiner Frau und Familie - dafür entschieden, dass das in der Wohnung des Angeklagten befindliche Weinregal und die Hausbar nicht entfernt werden sollen, um den Umgang mit der Abstinenz zu erlernen.

In der Zeit vom 3. April 2016 bis zum 4. April 2017 hat der Angeklagte erfolgreich eine verkehrspsychologische Einzeltherapie bei Dipl-Psych. R. absolviert, bei der er in 18 Einzelsitzungen (á 50 Minuten) sich intensiv mit dem Umgang mit Alkohol und seiner Tat auseinandergesetzt hat. Daneben hat er bislang vier spontan stattfindende Urin-Screenings im Rahmen eines Drogenabstinenzprogramms durchgeführt, die jeweils einen negativen Befund aufwiesen.

Die Ehe- und Familiensituation hat sich nach den glaubhaften Angaben der Ehefrau des Angeklagten dahingehend geändert, dass der Angeklagte offener und zugänglicher geworden ist, indem sie gemeinsam kulturelle Veranstaltungen wahrnehmen und der Angeklagte zwei bis drei Mal in der Woche Sport treibt, welches vor dem Unfall undenkbar gewesen sei. Der Angeklagte geht mit seinem Alkoholismus offen in der Familie und dem Freundeskreis um und erfährt zahlreiche Unterstützung. Selbst einen tragischen Zwischenfall in seiner Familie, bei dem der Angeklagte Ende des vergangenen Jahres um das Leben seines Sohnes bangen musste, hat er ohne „zur Flasche zu greifen“ überstanden und auch diese für das Gericht nachvollziehbar schwere Situation gemeistert.

Nach alledem ist das Gericht - auch vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seit dem Tattag am 11. Februar 2016 und damit mehr als 14 Monate ohne Führerschein ist und das Verfahren rund 10 Monate andauert - überzeugt, dass dem Angeklagten eine günstige soziale Prognose gestellt werden kann. Es besteht für das Gericht kein Zweifel, dass der Angeklagte (wieder) geeignet ist am Straßenverkehr als Fahrzeugführer teilzunehmen.

4. Entgegen der Auffassung des Verteidigers konnte auch von einem deklaratorischen Fahrverbot abgesehen werden, welches in der Regel zu verhängen ist, wenn in den Fällen einer Verurteilung wegen (fahrlässiger) Trunkenheit die Entziehung der Fahrerlaubnis unterblieben ist, § 44 Abs. 1 S. 2 StGB. Dabei ist das Gericht davon ausgegangen, dass zwischen der Hauptstrafe (hier der Geldstrafe) und der Nebenstrafe des Fahrverbots eine Wechselwirkung besteht. Die Nebenstrafe darf nur verhängt werden, wenn die Hauptstrafe allein den mit der Nebenstrafe verfolgten spezialpräventiven Zweck nicht erreichen kann, und beide zusammen die Tatschuld nicht überschreiten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10. Januar 2007 - (3) 1 Ss 389/06 (125/06) -, juris). Dies vorangestellt, ist das Gericht überzeugt, dass die Geldstrafe ausreicht, dem Angeklagten sein Fehlverhalten vor Augen zu halten. Die unter Ziffer 3 aufgezeigten besonderen Umstände, gebieten es von der Regelvermutung des § 44 Abs. 1 S. 2 StGB abzuweichen. Hinzu kommt, dass seit der Tat rund 14 Monate vergangen sind, sodass der Sinn und Zweck eines Fahrverbot als Warnungs- und Besinnungsstrafe durch Einwirken in angemessenem zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter nicht mehr erfüllt werden kann."

 

AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 28.04.2017 - (315 Cs) 3023 Js 2034/16 (254/16)

 

 

 

 

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