Einzelraser im Kraftfahrzeugrennen? Zum neuen § 315d StGB

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 20.06.2017

In den letzten Wochen dieser Legislaturperiode werden quasi im Tagestakt noch Strafgesetze entworfen, diskutiert und verabschiedet. An diesem Mittwoch (21. Juni) geht es im Rechtsausschuss um § 315d StGB „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“, einen Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs 18/10145). Ich bin dort als Sachverständiger geladen.

In der Tat haben in den letzten Jahren mehrere tödlich verlaufene Rennen im Straßenverkehr (zuletzt in Mönchengladbach) ein starkes Bedürfnis für eine Strafbarkeit angezeigt. Das Problem ist allerdings schon eine Weile bekannt und in der Diskussion.

Es werden voraussichtlich alle Experten darin übereinstimmen, dass das gesetzliche Anliegen legitim ist: Die Teilnahme an Rennen ist bislang als Ordnungswidrigkeit völlig unzureichend erfasst und das hohe Risiko von Unfällen mit schweren Folgen fordert geradezu eine angemessene strafrechtliche Reaktion. Aber im Detail sind einige Fragen offen, die voraussichtlich zu unterschiedlichen Expertenmeinungen führen (Stellungnahmen der Sachverständigen)

Diskussionspunkte sind vor allem folgende:

1. Sollte man die Teilnahme an Kraftfahrzeugrennen im Straßenverkehr tatsächlich als abstraktes Gefährdungsdelikt regeln oder sollte dies besser (in Anlehnung an § 315c StGB) als konkretes Gefährdungsdelikt geschehen? Ich hatte mich bislang unterschiedlich dazu geäußert, siehe hier.

Für die abstrakte Gefährdungsregelung spricht, dass eine Strafbarkeit schon bei Rennbeginn begründet wäre, nicht erst, wenn es zu riskanten Situationen gekommen ist. Allerdings gibt es auch gewichtige Einwände gegen eine solche Regelung (vgl. Stellungnahme Deutscher Anwaltverein).

2. Entsteht möglicherweise eine Strafbarkeitslücke, wenn jemand zwar äußerst riskant fährt, möglicherweise sogar einen schweren Unfall verursacht, ihm aber die Teilnahme an einem Rennen nicht nachzuweisen ist? Die Koalitionsfraktionen haben dieses Problem schon aufgegriffen und haben in letzter Minute einen Änderungsantrag eingebracht: Nun soll § 315d StGB auch den „Einzelraser“ bestrafen. Aber systematisch scheint es unbefriedigend, wenn nun mit der Überschrift „Rennen“ auch Einzelraser gemeint sein sollen.

3. Die „Einzelraser“ verweisen m. E. auf ein viel größeres Problem: Muss nicht angesichts der statistisch viel höheren Unfallzahlen und der ebenso gravierenderen Unfallschäden daran gedacht werden, das zu schnelle Fahren generell strafrechtlich besser zu erfassen? Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen hat dazu einen eigenen Entwurf vorgelegt, nach dem in § 315c Abs.1 Nr.2 d) die Worte „an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen“ gestrichen werden sollen (BT Drs. 18/12558) Auch dieser ist Gegenstand der Anhörung.

Unter Unfallforschern und Verkehrssicherheitsexperten wird seit langem beklagt, dass ausgerechnet das objektiv schwerste Risiko, nämlich die zu hohe Geschwindigkeit, nicht hinreichend strafrechtlich erfasst wird. Ich hatte dazu vor einigen Jahren an einem Forschungsprojekt des UDV (Unfallforschung der Versicherer) teilgenommen und entsprechende Änderungen des § 315c StGB vorgeschlagen (Studie UDV 2011).

Natürlich stehen momentan die Rennen im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Schwere Unfälle auf unseren Straßen werden aber in weit größerem Umfang vom fast alltäglichen „Rasen“ verursacht. Auch wenn die Politik gern auf die spektakuläreren Nachrichten reagiert, meines Erachtens dürfen darüber wichtigere, weniger medienträchtige Anliegen nicht vergessen werden.

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9 Kommentare

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Die unmaßgebliche Meinung eines anonymen Kommentarschreibers:

1. Die Einführung einer Strafbarkeit ist vom Grundsatz her gut.

2. Der Tatbestand sollte m. E. eher zu weit als zu eng gefasst werden. Das ist zwar für Straftatbestände grundsätzlich kein guter Ansatz. Es besteht in dieser Konstellation aber ausnahmsweise nur eine geringe Gefahr, eigentlich zu billigendes oder nicht bestrafungswürdiges Verhalten versehentlich zu erfassen. Denn Raserei ist auch ohne Rennen gefährlich. Falls das generell oder im Einzelfall "en passant" mit bestraft wird, nur zu. Natürlich darf keine Gießkannenbestrafung erfolgen, auch muss die Einzelfallgerechtigkeit gewahrt bleiben. Aber anders als bspw. im Informationsrecht bewegt man sich hier m. E. auf relativ sicherem Boden - es wird, ganz plump gesagt, schon die Richtigen treffen.

3. Statt Rennen - die schwer nachweisbar sein können - direkt Geschwindigkeitsüberschreitungen härter zu bestrafen, erscheint mir sinnvoll, aber politisch schwer durchsetzbar. Die Parteien sind zu autoverliebt, um dem Rasertum wirklich den Kampf anzusagen; man fürchtet den Zorn des Wählers. Denn auch der Raser = potentielle Mörder ist schließlich Wähler, so dass man sich ihm anzubiedern hat.

4. Beim "Einzelraser" verstehe ich nicht, ob die Regierungsfraktionen nun die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung bestrafen wollen (dann nehme ich meinen Punkt 3. zurück und spreche meinen Respekt aus), ob man auf eine innere "Rennabsicht" abstellen will oder wie man sonst abgrenzen will. Mir erscheint eine solche Abgrenzung problematisch. Nicht nachvollziehbar wäre, wenn bestraft würde, wenn zwei Fahrer gleichzeitig dieselbe Strecke in "Rennabsicht" abfahren, das aber nicht passiert, wenn diese Nacheinander fahren und um die Bestzeit konkurrieren, oder auch ein einzelner Täter, um Mut oder Fahrgeschick zu beweisen, unvernünftig fährt. Im Kern ist das alles dasselbe. Vielleicht könnte man Geschwindigkeitsüberschreitung + Rücksichtslosigkeit als Schwelle nehmen; damit würde man auf bekanntes Merkmal abstellen, mit dem man diese Fälle wohl erfassen könnte. In die Begründung oder einen Beispielkatalog könnten Straßenrennen u. ä. aufgenommen werden.

5. Den Ansatz eines abstrakten Gefährdungsdeliktes finde ich gut und richtig. Gegenwärtig ist doch das kuriose Problem des Sprungs von relativ geringem Bußgeld bei Rennen/Rasen ohne Unfall zu potentiell lebenslänglicher Strafe bei Rennen/Rasen mit Unfall. Das sollte behoben werden. Ein konkretes Gefährdungsdelikt würde zwar eine Zwischenstufe einbauen, aber immer noch einen kuriosen Sprung haben, jetzt nur von Rennen/Rasen ohne Unfall zu Rennen/Rasen mit Beinaheunfall. Besser wäre es m. E., gleich "an der Startlinie" anzusetzen und das Verhalten von Anfang an zu pönalisieren. Daneben würde es Beweisprobleme vermeiden, soweit das als Argument zählt.

6. Den Entzug von Fahrerlaubnis und Fahrzeug unmittelbar nach der Tat (bzw. deren Entdeckung) fände ich extrem wichtig. Gerade letzteres dürfte die angesprochene Klientel eher wahrnehmen als Strafverfahren, die Jahre später stattfinden und mit - so jdf. häufig die Wahrnehmung - windelweichen Du-Du-Du-Urteilen enden. Daneben wäre so der Schutz der Bevölkerung eher sichergestellt. Das wäre aber möglicherweise eher polizei- als strafrechtlich zu verwirklichen.

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Sehr geehrter Leser,

danke für Ihren Beitrag zur Diskussion. Ich möchte kurz auf einige Ihrer Einwände und Erwägungen antworten.

zu 2.: Ja, möglicherweise trifft es "die Richtigen", wenn man es für abstrakt gefährlich erklärt. Mir erscheint allerdings trotzdem die Anknüpfung an die Rennteilnahme (ein nicht gut zu erfassendes Merkmal, das wegen seiner subj. Tendenz jederzeit wieder aufgegeben werden kann) trotzdem problematisch. Besser wäre es, direkt an eine genauer zu definierende besonders riskante Fahrweise anzuknüpfen, denn diese ist objektiv erkennbar und nachweisbar und die Tatsache ihrer abstarkten Gefährlichkeit ist unumstritten.

zu 3.: Der Änderungsantrag lautet:
Wer im Straßenverkehr ... "als Kraftfahrzeugführer die zulässige Höchsgeschwindigkeit erheblich, grob verkehrswidrig und rücksichtslos überschreitet, um eine besonders hohe Geschwindigkeit zu erreichen".
Eine Rennabsicht braucht hier nicht zu bestehen.
Als Grundelement für eine abstrakte Gefährdung ist das m.E. gut vertretbar, allerdings ist die Unbestimmtheit zu besorgen, was das Merkmal "erheblich" angeht. Hier könnte man durchaus genauer sein ("um x km/h" überschreitet).

zu 6. Natürlich ist auch der Entzug der Fahrerlaubnis als Strafe im Entwurf vorgesehen. Ebenso wie die Einziehung des Fahrzeugs, was einige der Rennenthusiasten besonders treffen würde.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

Vielen Dank für das Feedback.

Zu 2.: Zum subjektiven Tatbestandsmerkmal stimme ich Ihnen zu. Eine innere Geisteshaltung ist kaum belegbar und kann zu willkürlich wirkenden Urteilen führen. Daneben muss man sagen, dass wenn zwei Personen ein Rennen innerhalb der Verkehrsregeln führen, das zwar verboten, aber wohl nicht strafwürdig ist. Allerdings wäre es m. E. trotzdem wünschenswert, den Tatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt auszugestalten, d. h. letztlich auf ganz einfache Kriterien wie Geschwindigkeitsüberschreitungen abzustellen. Ich sehe dabei ein, dass das politisch wohl nicht durchsetzbar sein dürfte, aber rechtstechnisch wie inhaltlich wäre das m. E. am besten.

Zu 3.: Danke für die Erläuterung. Das erscheint mir als nahezu untauglicher Ansatz: Ob jemand handelt, "um eine besonders hohe Geschwindigkeit zu erreichen", ist doch nur mit der Wünschelrute zu ermitteln. Auf objektive Kriterien abzustellen, wäre deutlich zweckmäßiger.

Rechtstechnisch finde ich es lustig (nicht unbedingt falsch, aber lustig), dass objektiver Tatbestand (Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit) und subjektiver (Erreichung einer besonders hohen Geschwindigkeit) sprachlich auf den ersten Blick nahezu identisch wirken ("Ich esse einen Apfel, um einen Apfel zu essen."). Gemeint dürfte im Prinzip sein, dass bestraft wird, wer absichtlich (i. S. v. dolus directus ersten Grades) die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreitet; bestraft werden soll aufgrund der Motivlage. Das ist inhaltlich wohl vertretbar, lässt sich vielleicht sprachlich aber etwas griffiger formulieren.

Zu 6.: Erfreulich! Hoffentlich erfolgt die Einziehung dann nicht erst nach dem Urteil - bis dahin wäre das gute Stück vermutlich ohnehin bereits verkauft, bestenfalls "an die Partnerin"* oder den nächsten Raser*.

Liebe Grüße,

ein Leser

*Vorsorglich für die Freunde geschlechterpolitisch korrekter Schreibweisen: Ich verspreche, die Schreibweise nach der Verurteilung der ersten Täterin ordentlich durchzugendern. Aber erst einmal dürfte der Kundenkreis der Norm sich auf heterosexuelle Männer des Phänotyps "Macho" fokussieren.

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P. S.:

Erlaubt die Konkretisierung der erheblichen Überschreitung mit einem konkreten Wert ("um x km/h" überschreitet)" eine ausreichende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls? Eine Überschreitung von 30 km/h in einer stark beruhigten Spielstraße ist etwas anderes als auf einer Landstraße. Wenn, müsste man m. E. eher mit einem prozentualen Wert herangehen, bspw. 50%. Auch das würde ich persönlich bei aller Begeisterung für nach Maß und Zahl bestimmte Vorgaben vielleicht nicht bevorzugen, um dem Richter Spielraum für verkorkste Sonderfälle zu geben. Einen Prozentwert oder meinethalben auch konkrete Werte als Beispielfälle ("80 km/h bei einer Beschränkung auf 50 km/h") könnte man bspw. in die Gesetzesbegründung aufnehmen.

Nebenbei: Was ist eigentlich mit Rennen auf Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen? Kann es sein, dass die vergessen wurden? Das Schadenspotential ist dort m. E. ähnlich groß: Zwar mag die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geringer sein, aber wenn, verursacht man eher eine Massenkaramboulage als in einer Spielstraße.

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@Leser:

Die Schweizer Musterlösung im Rahmen der sog. "Via Sicura"-Gesetzgebung ist im Art. 90 Schweizer Straßenverkehrsgesetz zu finden:

3 Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.

4 Absatz 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um:

a.
mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt; (also 70 km/h)
b.
mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt; (also 100 km/h, innerorts)
c.
mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt; (also 140 km/h, außerorts)
d.
mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt. (also bei CH- Autobahnen mit 120 km/h Limit also 200 km/h)
 

 

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Zur Verfolgungsverjährung: Siehe § 78 Abs.3 StGB: Fünf Jahre (ab Tatzeitpunkt) für Taten nach § 315d Abs. 1-4, zehn Jahre bei Taten mit tödlichem Ausgang nach § 315d Abs.5.

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