BGH: Zuständigkeit in OWi-Sachen bei Zweigstellen, die im Laufe des Verfahrens ihre Selbständigkeit verlieren!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.07.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3145 Aufrufe

Ein echtes OWi-Schmankerl. Den Beschluss werden nicht allzu viele Leser genau nachvollziehen. Es geht nämlich um Binnenschiffer. Interessant aber die zugrundeliegenden Fragen: Zunächst findet man selten Zuständigkeitsentscheidungen der Obergerichte in OWi-Sachen. Und dann geht es um die Frage: Ist die Zweigstelle einer Behörde zuständigkeitsbestimmend nach § 68 OWiG? Und: Was ist, wenn die Zweigstelle zuständigkeitsbestimmend war, diese Eigenschaft aber im Verfahren wegfiel?

Die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“
mit Sitz in Kiel erließ am 16. Februar 2015 einen Bußgeldbescheid über eine
Geldbuße von 250 Euro nebst Kosten gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit,
die er auf dem N. begangen haben soll. Darin
liege ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 BinSchAufgG in Verbindung mit § 3 Abs. 1,
§ 25 Nr. 1 BinSchPatentV und § 16 Abs. 5 Nr. 8, § 17 Abs. 2 Nr. 9 BinSchUO.
Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid hat die
Staatsanwaltschaft die Sache dem Amtsgericht Bonn vorgelegt. Dieses Gericht
hat sich durch Beschluss vom 16. Februar 2017 für unzuständig erklärt. Es hat
ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts richte sich nach dem Bezirk
der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen habe. Der Begriff
der Verwaltungsbehörde sei dabei in funktionellem Sinn zu verstehen. Zur Verwaltungsbehörde
werde sie durch Übertragung der Eingriffsbefugnisse, die mit
der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten verbunden seien. Daran
gemessen habe die Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen
und Schifffahrt bei Erlass des Bußgeldbescheids als eigenständige Behörde
gehandelt. Auch aus der Sicht des Empfängers habe diese den Bescheid
selbstständig erlassen. Zwar sei sie darin als Außenstelle der Generaldirektion
Wasserstraßen und Schifffahrt bezeichnet worden, jedoch habe sie die Anschrift
des Hauptsitzes nicht angegeben.
Nach Vorlage der Sache an das Amtsgericht Kiel hat sich dieses Gericht
durch Beschluss vom 2. März 2017 für unzuständig erklärt und die Sache
dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Dazu hat es ausgeführt, der Sitz der Außenstelle
Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Kiel begründe
keine Gerichtszuständigkeit; denn der Außenstelle sei die Verfolgung und Ahndung
von Ordnungswidrigkeiten nicht wirksam übertragen worden. Die Generaldirektion
Wasserstraßen und Schifffahrt habe ihren Sitz in Bonn. Auch wenn
eine Außenstelle die Sache bearbeitet habe, sei der Sitz der Hauptstelle für die
Gerichtszuständigkeit gemäß § 68 Abs. 1 OWiG maßgeblich. Anders wäre es
nur, wenn der Außenstelle die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von
Ordnungswidrigkeiten gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG übertragen worden wä-
re. Eine solche Übertragung sei aber nicht wirksam erfolgt. Dazu wäre eine Regelung
durch Rechtsverordnung erforderlich. Der Organisationserlass des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 genüge
nicht. Die organisatorische Neugliederung der Behörden habe keine selbständige
Behörde bei der Außenstelle geschaffen.

II.
1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht der
Amtsgerichte Kiel und Bonn gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 14
StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

2. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG
und in Verbindung mit § 7 Abs. 5 und 6 BinSchAufgG (Gesetz über die Aufgaben
des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt – Binnenschifffahrtsaufgabengesetz
– BinSchAufgG vom 15. Februar 1956, BGBl. II S. 317, Neubekanntmachung
am 5. Juli 2001, BGBl. I S. 2026) in der bis zum 31. Mai 2016
geltenden Fassung ist das Amtsgericht Kiel für die Entscheidung über den Einspruch
gegen den Bußgeldbescheid zuständig.

a) Für die Entscheidung ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht
zuständig, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Gemeint
ist damit die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat
(vgl. Müller, OWiG, 82. Lfg., § 68 Rn. 2; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG,
3. Aufl., 17. Lfg., § 68 Rn. 2).
Die Verwaltungsbehörde hat ihren Sitz grundsätzlich dort, wo ihre
Hauptstelle eingerichtet ist, also wo die betreffende Behörde den organisatorischen
Mittelpunkt ihres Dienstbetriebs hat. Erlässt eine Nebenstelle den Buß-
geldbescheid, ist für den Sitz der Behörde im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1
OWiG grundsätzlich der Ort der Hauptstelle maßgeblich. Etwas anderes gilt
aber dann, wenn die Aufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
der Außenstelle als eigenständiger Behörde zugewiesen wurde. Maß-
geblich für die Abgrenzung ist nicht die Betrachtung des Auftritts der Verwaltungsbehörde.
Bestimmt wird die Zuständigkeit vielmehr durch die rechtlichen
Gegebenheiten (vgl. BeckOK-OWiG/Gertler, OWiG, 15. Ed., § 68 Rn. 4;
Rebmann/Roth/Herrmann aaO).

Die Zuständigkeit der Behörden für den Erlass von Bußgeldbescheiden
folgt gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuvörderst aus dem Gesetz, das den Buß-
geldtatbestand und im Zusammenhang damit die Verfolgungszuständigkeit der
Behörde regelt. Wenn eine solche Regelung nicht vorhanden ist, bleibt der
Fachminister zuständig (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 OWiG); dieser kann gemäß § 36
Abs. 2 oder 3 OWiG eine Aufgabenübertragung durch Rechtsverordnung vornehmen.

§ 7 Abs. 5 BinSchAufgG in der bis zum 31. Mai 2016 geltenden Fassung
hat insoweit folgendes bestimmt: „Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36
Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die Wasser- und
Schifffahrtsdirektion.“ § 7 Abs. 6 Satz 1 BinSchAufgG in jener Fassung hat dies
wie folgt konkretisiert: „Örtlich zuständig ist nur die Wasser- und Schifffahrtsdirektion,
in deren Bezirk die Tat begangen ist.“ Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion
Nord, welche die Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit und der
Leichtigkeit des Verkehrs auf den Bundeswasserstraßen der deutschen Ostseeküste,
der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, der Unterelbe und ihren
Zuflüssen, dem Nord-Ostsee-Kanal, der Eider, der Untertrave und der Peene
hatte, war nach dieser Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Bußgeldbescheids
örtlich und sachlich zuständig.
Der Umstand, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
durch Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom
19. April 2013 (VkBl. 2013, S. 422 ff.) neu geordnet worden ist (zur Begründung
der späteren gesetzlichen Regelung vgl. BR-Drucks. 497/15 S. 25 ff.) und die
„Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord“ nicht mehr diese Bezeichnung trägt,
sondern als „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“
bezeichnet ist, berührt die ursprünglich durch § 7 Abs. 5 und 6 BinSchAufgG
begründete Zuständigkeit nicht. Sie umfasst auch Fälle der Rechtsnachfolge
oder geänderten Behördenbezeichnung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom
16. September 2014 – 3 A 223/13, RdTW 2015, 117, 118 f.). Soweit § 7 Abs. 5
BinSchAufgG in der bis zum 31. Mai 2016 geltenden Fassung bestimmt hat,
„Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
ist die Wasser- und Schifffahrtsdirektion“ und § 7 Abs. 6
Satz 1 BinSchAufgG die örtliche Zuständigkeit der Wasser- und Schifffahrtsdirektion
zugewiesen hat, in deren Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen wurde,
handelt es sich daher um eine Zuständigkeitsregelung, welche auch die
„Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ einschließt.
Der Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
vom 19. April 2013 hat insoweit keine Übertragung einer Zuständigkeit bewirkt,
sondern die bereits bestehende Zuständigkeit aufrechterhalten. Durch den Erlass
sind die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen zwar organisatorisch in die
neu geschaffene Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt eingegliedert
worden. Ihre Auflösung erfolgte aber nicht. Ihnen blieben vielmehr bis zum Inkrafttreten
des Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden
an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
(WSV-Zuständigkeitsanpassungsgesetz – WSVZuAnpG) vom 24. Mai 2016
(BGBl. I S. 1217 ff.) und der Verordnung zur Anpassung von Zuständigkeiten
von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
des Bundes (WSV-Zuständigkeitsanpassungsverordnung – WSVZuAnpV)
vom 2. Juni 2016 (BGBl. I S. 1257, 1728) die bisherigen Aufgaben zugewiesen.
Der Erlass bestimmte nämlich, dass für die den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen
zugewiesenen Aufgaben die hiermit funktional identischen Außenstellen
der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zuständig bleiben, eigen-
verantwortlich handeln und unmittelbar der Fachaufsicht des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterliegen. Die Außenstellen blieben
danach in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung selbständige
Behörden (vgl. Nehab, DVBl. 2014, 156, 161). Dies galt auch, soweit sie
nicht mehr unter der alten Behördenbezeichnung auftraten.

b) Die Tatsache, dass nach Erlass des angefochtenen Bußgeldbescheids
die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
nach § 7 Abs. 5 BinSchAufgG in der ab dem 1. Juni 2016 geltenden Fassung
der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zugewiesen wurde,
ändert nichts an der bereits begründeten Gerichtszuständigkeit
(vgl. KKOWiG/Ellbogen,
OWiG, 4. Aufl., § 68 Rn. 7; Rebmann/Roth/Herrmann aaO,
§ 68 Rn. 2). 

BGH, Beschl. v. 7.6.2017 - 2 ARs 203/17

Hinweis: es gab am gleichen Tagen mehrere Entscheidungen zu genau dieser Problematik! Bei Bedarf ist die BGH-Homepage zu Rate zu ziehen.

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