Beweisergebnisse isoliert dargestellt....und dann bei Vorsatz vergessen....

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.10.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2219 Aufrufe

Eigentlich ein Beitrag, der in meine lose Serie "Basiswissen" gehört. Es geht heute um typische Urteilsfehler. Beweisergebnisse werden dargestellt, aber nur isoliert und nicht in ihrem Zusammenwirken gewürdigt. Und das Urteil vergisst so im Ergebnis auch Entlastendes zu würdigen. So etwas führt natürlich zur Urteilsaufhebung:

1. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatgerichts, das sich unter
dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld
des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen
des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich
sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Urteile
vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 und vom 1. Juli 2008
- 1 StR 654/07). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die
Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lü-
cken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem
Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage
entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als
reine Vermutung erweisen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12,
NStZ 2013, 420 mwN). Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass das Tatgericht
solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder
zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen
einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht
nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung
eingestellt worden sein
(BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 - 4 StR
371/13, NStZ-RR 2014, 87; vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14 und vom 12. Januar
2017 - 1 StR 360/16, NStZ-RR 2017, 185).

2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts
nicht gerecht. Das Landgericht hat die Annahme eines bedingten Vorsatzes
nicht tragfähig begründet. Wesentliche den Angeklagten entlastende Indizien
wurden nicht erkennbar in eine Gesamtwürdigung eingestellt.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. April 2016 - 5 StR
498/15, NStZ-RR 2016, 204) voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen
Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement),
weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest
mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Beide
Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung
oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung
aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteile vom
23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 11. Oktober
2016 - 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25; Beschluss vom 21. Dezember 2016
- 1 StR 112/16, NStZ 2017, 337).

b) Das Landgericht hat sich mit wesentlichen zu Gunsten des Angeklagten
sprechenden Umständen nicht umfassend auseinandergesetzt und diese
nicht erkennbar in eine Gesamtabwägung einbezogen.
Dabei kann dahinstehen,
ob die vom Landgericht gegenübergestellten Gesichtspunkte für und gegen
die Annahme eines bedingten Vorsatzes schon die Anforderungen an eine
Gesamtwürdigung erfüllen, weil das übergreifende wertende Element nicht erkennbar
ist. Jedenfalls wäre eine solche Gesamtwürdigung lückenhaft.

BGH, Beschluss vom 28.6.2017 - 1 StR 624/16

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen