Terror, Amok, Massaker - zur kriminologischen Neubewertung des Anschlags in München 2016

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.10.2017
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologie60|16100 Aufrufe

Zwei Anlässe gibt es für diesen Beitrag. Zum einen ist es das Attentat in Las Vegas, bei dem der Täter 58 Menschen tötete und einige hundert weitere verletzt hat. Eine in der Kriminalgeschichte der USA, die vergleichsweise reich ist an „Mass Shootings“, herausragend grausame und folgenreiche Tat. Zum anderen ist es die neuere Bewertung des Attentats im Münchener Olympia-Einkaufszentrum. Im Juli 2016 wurden dort neun junge Menschen erschossen.

Nicht viel verbindet die beiden Fälle, aber in beiden Fällen ist die kriminologische Einschätzung bislang unklar bzw. umstritten.

Glasperlenspiel?

Das wirft zunächst die Frage auf, warum wir überhaupt eine kriminologisch-phänomenologische Einstufung benötigen. Handelt es sich dabei nicht um ein Glasperlenspiel, um Schubladendenken, um fruchtloses Nachdenken und eine letztlich nicht nur hilflose sondern auch nutzlose und daher überflüssige Diskussion? Ist es angesichts der vielen Opfer und ihrer Schicksale nicht völlig egal, zu welchem Motiv in welche Klasse von Taten man uneindeutige Einzelfälle einordnet? Niemand wird davon wieder lebendig. Auch akute strafrechtliche Entscheidungen hängen nicht davon ab, denn die Täter sind tot, haben sich oft selbst getötet, bevor man sie festnehmen konnte oder wurden von der Polizei erschossen.

Wie Sie sich denken können, halte ich als Kriminologe das wissenschaftliche Nachdenken über und auch die Klassifizierung von solchen Straftaten für sinnvoll. Es ist ein wichtiges Ziel der Kriminologie, Straftatphänomene zu erfassen, dicht und objektiv zu beschreiben und zu klassifizieren, und dies ist wichtige Voraussetzung für Erwägungen zu Ursachen und – falls überhaupt möglich und sinnvoll – zur Prävention. Ähnlichkeiten und Unterschiede (in qualitativer wie quantitativer Hinsicht) festzustellen ist entscheidende Voraussetzung für „Fortschritte“ in der Kriminologie, die als interdisziplinäre Spezialwissenschaft besonders geeignet ist, die sozialen und die individualpsychologischen Hintergründe sowie die gesellschaftspolitischen Folgen solcher Delikte zu erfassen.

Schnell, schnell, schnell!

Aber die Kriminologie ist nicht allein mit ihrem Interesse an einer Klassifikation. Kaum gehen Nachrichten über ein solches Attentat um die Welt, werden auch schon Versuche der Klassifizierung angestellt, teilweise ohne jegliche nähere Informationen zu verarbeiten – oft reicht der Name (klingt er deutsch, amerikanisch oder irgendwie nahöstlich?) bzw. das Äußere (ist dieses irgendwie „südländisch“), um Schlussfolgerungen zu ziehen (sehr aufschlussreich dazu: Artikel von Graeme Wood). Die Medien, und dazu gehören inzwischen auch private Verbreiter von Nachrichten auf Twitter und Facebook, wollen die ersten sein, die die Motivschublade bezeichnen: islamistisch, rechtsextrem, ein Amoklauf. Es folgen kurz darauf die Ursachenvermutungen (die Bundeskanzlerin ist schuld, die Computerspiele, das Mobbing, die Nazi-Hassreden im Internet, eine psychische Störung oder Erkrankung) und kaum sind diese vermerkt (nach wie vor oft ohne jeden Hintergrund zu kennen), werden auch schon Politiker mit Präventionsvorschlägen vorstellig oder damit konfrontiert: Verbot von Computerspielen, Verschärfung von Waffengesetzen, Kontrolle des Internet, Grenzen dicht für muslimische Flüchtlinge, höhere Strafen für Vorbereitungshandlungen, bessere Polizeibewaffnung, Videoüberwachung, Metalldetektoren, alles, um irgendwie „Zeichen“ setzen, aber zugleich „cool bleiben, nicht von den Terroristen beeindrucken lassen“ etc.

Oft zu spät: Die kriminologische Analyse

Wenn die Kriminologie sich nach sorgfältiger Betrachtung meldet, ist die Tat für Medien, Politik und Öffentlichkeit meist schon (halb) vergessen, die übernächste Straftat ist in den Medien und muss kommentiert und klassifiziert werden, Wahlen sind abgehalten, neue Gesetze bereits in Kraft getreten. Die kluge kriminologische Analyse wird in Fachzeitschriften publiziert, von Kollegen gelesen und gelobt, aber sie wird ansonsten kaum wahrgenommen.

Und weil die Kriminologie meist spät kommt, sind die polizeilichen und politischen Einschätzungen schon festgelegt: Jeder, der sich jetzt in den Medien äußert, gerät (auch) in den politischen Meinungskampf, wird je nach Ergebnis seiner Analyse von den Befürwortern oder Kritikern der eingeschlagenen Regierungspolitik benutzt und setzt sich Anfeindungen der jeweiligen Gegenseite aus. Ja, auch Wissenschaftler werden schon frühzeitig befragt und begehen dann entweder denselben Fehler (Schlussfolgerungen aufgrund unsicherer Datenbasis) oder es wird ihre redliche Zurückhaltung in der Bewertung als fehlende Expertise missdeutet.

Natürlich haben auch Kriminologen oft schon ein bestimmtes Vorverständnis, eine rechtspolitische Grundhaltung, eine eher soziale, liberale oder konservative Meinung, sie gehören bestimmten wissenschaftlichen Kreisen, Zusammenhängen und Institutionen an, sind eher sozialwissenschaftlich, eher kritisch-kriminologisch oder eher psychologisch oder psychiatrisch orientiert. Und natürlich gibt es auch in der Kriminologie differierende Zugangsweisen, Methoden und Ansichten, die sich in den Veröffentlichungen wiederfinden. Das alles machte eine Bewertung (von innen oder außen) nicht einfacher.

Fall Olympiaeinkaufszentrum München 2016

Im Münchener Fall haben sich Polizei und bayerisches Innenministerium darauf festgelegt, der Täter sei nicht politisch-extremistisch motiviert gewesen, sein Motiv entstamme vielmehr seiner privaten, individualpsychologischen Befindlichkeit, die Ursache sei v.a. gravierendes Mobbing in der Schule, für das er sich habe rächen wollen:

„David S. war unter Gleichaltrigen weitgehend isoliert. Hierzu haben vermutlich psychische Auffälligkeiten beigetragen, aufgrund derer es ihm schwer fiel, sich zu integrieren. Über Jahre hinweg wurde er von Mitschülern „gemobbt“, dabei kam es auch zu körperlichen Misshandlungen. David S. entwickelte ersichtlich einen Hass auf Personen, die hinsichtlich Alter, Aussehen, Herkunft und Lebensstil den ihn mobbenden Jugendlichen ähnlich waren; dies waren vor allem Angehörige südosteuropäischer Bevölkerungsgruppen. Diese machte er für seinen von ihm empfundenen schulischen Misserfolg und das Mobbing verantwortlich. David S. schuf sich ein irrationales Weltbild. Darin befasste er sich beispielsweise mit der Vorstellung, dass die von ihm gehassten Personen mit einem Virus infiziert und deshalb ggf. zu vernichten seien. Aufgrund psychischer Störungen befand er sich wiederholt in psychiatrischer Behandlung. In seiner Freizeit spielte David S. exzessiv am Computer, insbesondere sog. Ego-Shooter Spiele. Er entwickelte Rachephantasien und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Amok. Insbesondere war er fasziniert von den Anschlägen, die Anders Breivik 2011 in Norwegen verübt hatte. Über einen längeren Zeitraum hinweg plante er dann den von ihm selbst verübten Amoklauf. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er bei dem Amoklauf die einzelnen Opfer gezielt ausgewählt hat. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Tat politisch motiviert war.“

(Quelle: Ermittlungen zum Münchner Amoklauf abgeschlossen, LKA 17.03.2017)

Von drei wissenschaftlichen Gutachtern kommen derzeit ganz andere Einschätzungen. Aus dem Bericht der SZ ("Darum war der Tattag kein Zufall" vom 3.10.2017):

„Das Datum ist der Jahrestag des Attentats des Rechtsterroristen Breivik, den S. als Vorbild gesehen hat. Anders als Amokläufer habe S. nicht an seiner eigenen Schule gemordet, er kannte keines seiner Opfer. Er wusste jedoch, dass am OEZ viele Menschen mit Migrationshintergrund anzutreffen sein würden. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass S. selbst iranische Eltern gehabt habe. Durch die Abwertung von Migranten habe er sich als "echter Deutscher" beweisen können. Individuelle und politische Motive müssten sich nicht ausschließen. "Rache und Politik, Aufmerksamkeit und Mission, Amok und Terror verschmelzen", schreibt Matthias Quent, Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. "Eine persönliche, individualisierte Kränkungsideologie" mache gerade den Einsamen-Wolf-Terrorismus aus, den der Politikwissenschaftler Florian Hartleb in diesem Fall konstatiert. Die Ermittler hätten außer Acht gelassen, dass S. seine Tat lange Zeit und akribisch vorbereitet habe und dass er in seinen Augen München vor Überfremdung habe schützen wollen. Dass S. keine Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen pflegte, ist für Hartleb kein Beleg dafür, dass er kein Terrorist sei - so wie Innenminister Joachim Herrmann argumentiert. Vielmehr liege ein Fall eines Einzeltäters vor, der ohne Unterstützung einer Organisation handelt, ein Produkt der Selbstradikalisierung, ein "Einsamer Wolf" also. Dies sei ein "seltener, wenngleich immer häufiger vorkommender Sonderfall des Terrorismus". Dies qualifiziert die Tat bereits als Hassverbrechen. Das Kriterium der Zugehörigkeit zu einer extremistischen Gruppe sei ohnehin nicht mehr zeitgemäß, zeige ein stark antiquiertes Verständnis der Behörden, so Hartleb. Für Matthias Quent blenden die Behörden Vorurteile und Rassismus aus. Die Opfer von David S. "wurden nicht ermordet, weil möglicherweise ihnen ähnlich sehende Personen David S. gemobbt haben, sondern weil David S. einen pauschalisierenden Hass entwickelt hat auf alle Menschen mit aus seiner Sicht spezifischen Merkmalen". Was sei dies anderes als Rassismus - insbesondere aus Sicht der Betroffenen? Verstärkend kämen die Bezüge von David S. zum Rechtsextremismus hinzu. Dies qualifiziere die Tat bereits als ein Hassverbrechen und erfülle die Kriterien des polizeilichen Definitionssystems für rechte Straftaten. (…) Die Ermittlungsbehörden hingegen bleiben bei ihrer Einstufung, wie das Innenministerium auf Anfrage mitteilte: Dass S. nur Menschen mit Migrationshintergrund als Opfer ausgesucht habe, dürfte "dem persönlichen, aber verallgemeinerten Feindbild der ehemaligen Mobber geschuldet sein".“

Terror, Amok, Termok?

Der Kern der Auseinandersetzung liegt zum einen in der Rolle, die die Begriffe „Terrorismus“ und „Rassismus“ mittlerweile in der politischen Auseinandersetzung innehaben, zum anderen in der mittlerweile eingetretenen realen Verschiebung in diesem Phänomenbereich. Die Differenzierung zwischen (überwiegend) individualpsychologisch bzw. psychopathologisch zu erklärenden „Amok“-Taten einerseits und politisch-extremistisch zu deutenden „Terror“-Taten andererseits ist in einigen Fällen, darunter dem Münchener, nicht mehr klar zu treffen. Die Phänomengrenzen verwischen hier zu einem (möglichen) Zwischentypus „Termok“. Terrorismus war bis vor kurzer Zeit eindeutig als extremistisch gewalttätige Variante politischer Aktion zu werten, die mehrere Personen involvierte, die auf diesem Weg ihre gemeinsamen politischen Ziele befördern wollten. Die Taten waren zwar extrem, aber konnten in der Logik der entsprechenden Ideologie als strategisch oder taktisch sinnvoll und rational angesehen werden, zumindest in der Zielsetzung "Angst und Schrecken" zu verbreiten oder den Staat als schwach vorzuführen bzw. als "faschistisch" zu demaskieren. Die Amoktaten einzelner, mehrfach in Schulmassakern, aber auch in der Öffentlichkeit begangen, waren hingegen nicht ideologisch deutbar, sondern hatten Beweggründe, die man meist (retrospektiv) nur als Folge einer gestörten oder krankhaften Psyche deuten konnte, z.B. irrationale Rachegefühle, narzisstisch übertriebene Heldenbestrebungen.

Innerhalb dieser Differenzierung haben sich Polizei und Innenminister im Münchener Fall auf die Seite „Amok“ gestellt: Es gab hier keine Gruppe, in deren Namen der Täter auftrat, es gab nicht einmal (wie bei Breivik) ein rechtsextremes Pamphlet, mit dem er seine Taten rationalisierte. Die Gesinnung des Münchener Täters wurde daher als nebensächlich angesehen, da andere Indizien eher auf persönliche Rachegefühle hindeuteten. Das scheint auch einer gewissen Zurückhaltung in Bayern zu entsprechen, rechtsextremistische Taten als solche zu identifizieren (beginnend mit dem Wiesn-Anschlag 1980).

Termok

In Termok-Fällen ist aber die Differenzierung nicht mehr klar zu leisten: Die beiden Phänomene bewegen sich aufeinander zu, es gibt irrationale und zugleich politische Taten von Einzeltätern: Der psychisch unter Druck Geratene sucht sich eine Ideologie (oder nimmt die schon zuvor gehegte) und verbindet somit seine persönliche Kränkung mit der Politik. Er begreift z.B. seine Widersacher als Teil einer (durch Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung) umgrenzten Gruppe („die“ Flüchtlinge, „die“ Muslime, „die“ Ungläubigen, „die“ Schwulen, "die" mächtigen Industriellen etc.), der er – im „negativen" Sinne – sein persönliches Leid anlastet und an der er Rache nimmt. Oder – im „positiven“ Sinne – von der er seine „Heimat“ befreien will, weil diese Gruppen aus seiner Sicht minderwertig sind, unrein oder bedrohlich. Wer durch sein Massaker zum „Helden“ oder „Märtyrer“ werden will, hat dadurch – soweit eine passende Religion oder Ideologie ihm diesen Heldenstatus nach einem Terrorakt zu verleihen verspricht, ein Interesse daran, sich als politischer bzw. religiöser Attentäter zu präsentieren. Für die Nachwelt ist es dann nahezu unmöglich zu bestimmen, was innerpsychisch eigentlich den Ausschlag gab.

Heldenstatus versprechen etwa jihadistische Terrorgruppen, aber auch rechts- und linksextreme Ideologien. Deshalb machen die eigentlich auf dem politischen Sektor zu verankernden terroristischen Richtungen auch dem potentiellen Amoktäter ein „Angebot“, nämlich das der Rationalisierung und damit Veredelung seiner Tat. Das ist möglicherweise ein Hintergrund, auf dem auch „einsame Wölfe“ sich ideologisch oder religiös radikalisieren und ihre Taten politisieren. Durch die informationelle Vernetzung ist eine Radikalisierung heute nicht mehr unbedingt auf direkte Kontakte in Gruppen angewiesen, sondern kann auch allein am Computer zuhause stattfinden.
Der IS hat das erkannt und provoziert selbst (möglicherweise) einsame Wölfe zu islamistischen Anschlägen, ohne dass diese Personen organisatorisch oder logistisch in den IS eingebunden sind Bei einigen der vom IS reklamierten und von den meisten Beobachtern eindeutig als islamistisch-jihadistisch angesehenen Taten könnte daher auch die Schablone „Amok“ passen.

Fazit

Sich widersprechende Deutungen können Resultat sein von verschiedenen Zugängen zum selben Fall, der sich einer eindeutigen Zuordnung entzieht, weil er phänomenologisch auf der Grenze zwischen Terror und Amok liegt. Die bisherige klare Zweiteilung entspricht zumindest in solchen Fällen nicht mehr der Realität.

Update (6.10.2017):
Die drei Gutachter kommen ansatzweise zu ähnlichen Ergebnissen wie mein obiger Beitrag anklingen lässt. Sie sind im Netz verfügbar. 
 

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60 Kommentare

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Dieser Satz ist hübsch: "Das scheint auch einer gewissen Zurückhaltung in Bayern zu entsprechen, rechtsextremistische Taten als solche zu identifizieren (beginnend mit dem Wiesn-Anschlag 1980)."

Die Bezeichnung "Termok" als ein gedachtes Bindeglied zwischen einerseits politischen oder weltanschaulichen, inklusive religiösen Terrorattacken in einem organsierten Rahmen, siehe auch beim IS o.ä., und andrerseits solchen Attacken von reinen Einzelpersonen, erscheint mir nicht ganz schlüssig zu sein. Denn "Amok" selber im "heutigen Verständnis" bei z.B. Wiki hat schon eine solche Bindungsfunktion bereits ja dort erhalten.

Da ist von einer solchen "klare(n) Zweiteilung" bereits keine Rede mehr.

Ansonsten Gratulation zu Ihrem Beitrag.

(Eine Anmerkung aber noch zum Begriff des "Rassismus": Als jüngst eine Muslimin wegen ihres Kopftuchs verbal angegangen wurde, revanchierte sie sich gleich mit "rassistisch".

Dieser Zusammenhang zwischen einer offen gezeigten Religionszugehörigkeit und "rassistisch" im Sinne der Zugehörigkeit zu einer "Rasse" erschließt sich mir nicht bei Moslems, nur mal nebenbei erwähnt und bitte auch nicht als von mir gewünschte Themenabschweifung zu verstehen. Aber möglichst genaue Definitionen halte ich eben überall für sehr wichtig, und alleine darum habe ich das noch zur Erläuterung gebracht.)

 

Bisher wird, auch wenn meine Ansicht keine absolute Neuheit darstellen mag, ganz überwiegend eine solche Zweiteilung (entweder Terrorismus ODER Amok) vorgenommen. Termok soll kein "Bindeglied" bezeichnen, sondern Phänomene, bei denen sowohl Merkmale der bisher überwiegend als "Amok" (auch dieses Wort ist umstritten) bezeichneten Straftaten  als auch solche des Terrorismus vorliegen. Die Differenzierung erfolgt heute ganz überwiegend anhand eines erkennbaren politischen Motivs. Die behördlichen Einstufungen verlangen für Terrorismus zudem einen organisatorischen Zusammenhang mit politisch/ideologisch orientierten Gruppen oder Gemeinschaften. Letzteres Merkmal wird neuerdings bestritten und zB für München ein Einzelpersonterrorismus festgestellt (siehe oben und heutige Pressemeldungen). Meine Position ist, dass auch dann, wenn politische Motive (hier: gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) existieren, individualpsychologische Hintergründe nicht vernachlässigt werden sollten, ebensowenig wie umgekehrt ggf. die Klassifizierung als Amok-Einzeltat den politischen Hintergrund verleugnen darf. Überdies: Da man den Täter meist nicht mehr befragen kann und Äußerunegn oft fehlen, ist es sehr schwierig, eine Tat eindeutig zu klassifizieren, so dass etliche Taten zunächst in die neue Kategorie Termok fallen könnten. Ich wende mich, und hoffe das ist aus dem Text hervorgegangen, zudem dagegen, möglichst schnell und quasi auf Stichwort eine (endgültige) Einstufung zu veranlassen und damit den Blick zu verengen.

Zu Ihrer "Rassismus"-Kritik. Der Oberbegriff ist "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", der auch solche feindlichen Akte und Überzeugungen erfasst, die sich nicht auf Herkunft/Hautfarbe beziehen, sondern zB auf Religion. Vielleicht wegen der Sperrigkeit wird aber von Betroffenen sowie Medien manchmal jede solche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als "Rassismus" bezeichnet. Die Ungenauigkeit in der Bezeichnung halte ich allerdings für weitaus weniger schlimm als eine Frau wegen ihres Kopftuchs "anzugehen".

Auch da stimme ich Ihnen ja in allen nun genannten Punkten zu, das Bemühen allerdings um etwas klarere Definitionen und auch Differenzierungen halte ich dennoch für besonders notwendig in heutigen Zeiten, in denen m.E. zu oft ein Schwarz-Weiß-Denken mit zu einfachen "Klassifizierungen" vorherrscht.

Henning Ernst Müller schrieb:

 [a] Die Ungenauigkeit in der Bezeichnung halte ich allerdings für weitaus weniger schlimm als [b] eine Frau wegen ihres Kopftuchs "anzugehen".

Gestatten Sie mir aber nun doch noch eine eingehende Analyse dieses einen Satzes.

Der Teil bei [a] wurde vorher ja genau beschrieben und auch Sie sehen darin also eine "Ungenauigkeit".

Beim Teil [b] unterschlagen Sie aber das hier dabei auch wichtige Wort "verbal", und Sie können außerdem den zugrunde liegenden Sachverhalt des "verbal angegangen" doch auch nur vermuten. Aber Sie bewerten bereits aus dieser reinen Vermutung heraus mit "..... halte ich allerdings für weitaus weniger schlimm als ....".

Das "verbal angegangen" hatte Sie ja überhaupt nicht nachgefragt gehabt.

War das denn nun bereits ein klassischer Reflex? Und das stelle ich auch mal zur Debatte, denn auch Debattenkultur ist doch Teil der europäischen demokratischen Kultur.

 

Sorry!

Das "verbal angegangen" hatten Sie [Herr Prof. Dr. H. E. Müller] ja überhaupt nicht nachgefragt gehabt.

 

Herr Prof. Müller hat genau wie ich verstanden, was Sie gemeint haben, nämlich dass man die Muslimin wegen ihres Kopftuchs dumm angequatscht hatte. Da helfen auch euphemistische Umschreibungen wie "verbal angegangen" etc. nichts. Solch dämliches Angequatsche läßt man bei Frauen generell und bei Muslimas erst recht vernünftigerweise einfach bleiben. Dann bekommt man auch keine - durchaus nicht ungerechtfertigte - Retourkutsche als "Rassist".

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Gast schrieb:

Herr Prof. Müller hat genau wie ich verstanden, was Sie gemeint haben, nämlich dass man die Muslimin wegen ihres Kopftuchs dumm angequatscht hatte. Da helfen auch euphemistische Umschreibungen wie "verbal angegangen" etc. nichts. Solch dämliches Angequatsche läßt man bei Frauen generell und bei Muslimas erst recht vernünftigerweise einfach bleiben. Dann bekommt man auch keine - durchaus nicht ungerechtfertigte - Retourkutsche als "Rassist".

Sie wurde lediglich gefragt, auf welche Gebote des Koran sich das Tragen eines Kopftuches beziehe, und warum früher in der Türkei, auch nach Mustafa Kemal und auch nach dem 2. Weltkrieg und vor Erdogan viel weniger Frauen das muslimische Kopftuch getragen hätten, so wie sie es jetzt hier in Deutschland tue. Und warum in muslimischen Ländern das öffentliche Tragen von christlichen oder jüdischen Symbolen so wenig heute toleriert wird. Da fühlte sich die Muslimin dann nicht mehr sehr wohl, sie fühlte sich auch bedrängt, da ihr auch  noch plausible Antworten auf diese Fragen fehlten.

Auch die Reaktion des "Gast" vom Do, 2017-10-19 16:08 Uhr scheint aber ja genau den gleichen Reflexen noch zu unterliegen.

Übrigens war es doch ein Kennzeichen des Nationalsozialismus gewesen, Rasse und Religion bei Juden als eine Einheit zu sehen, da also lieber heute als Deutscher darauf aufpassen, das auch nicht vergessen bei einer solchen Gleichsetzung von "Rasse" und Religion.

Der vorschnelle Kampfbegriff "Rassist" war also doch nicht angebracht gewesen im obigen Beispiel.

Besten Gruß

GR

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Nur zur Abrundung auch mal dieser Film der ARD:

Türkei: Izmir ist Fluchtpunkt für emanzipierte Frauen

17.10.2017 | 5 Min. | Verfügbar bis 17.10.2018 | Quelle: NDR

Was die Freiheiten für Frauen angeht, gilt Izmir als die liberalste Stadt der Türkei. Einmal im Jahr demonstrieren Frauen mit einem Fahrradkorso für Rechte wie die Kleidungsfreiheit.

Link: http://www.ardmediathek.de/tv/Weltbilder/T%C3%BCrkei-Izmir-ist-Fluchtpun...

 

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Na ja, abgesehen davon, dass offenbar keiner der Gutachter Kriminologe ist, sondern der Schwerpunkt eher auf soziologisch/politikwissenschaftlichen Ansätzen liegt und damit vielleicht die speziellen kriminogenen Faktoren des Termok/Amokläufers (Depression, Medikamente etc...) bei der "Analyse" etwas in den Hintergrund treten, ist es auch kein Wunder, dass man zu einer anderen Einschätzung kommt, wenn man als Gutachter sagt: Terrorismus muss man anders definieren und wenn man ihn so definiert wie wir ist es Terrorismus. Umdefinieren um das gewünschte (?) Ergebnis zu bekommen  ist aber nichts weiter als ein Taschenspielertrick.

Warum eine städtische Stelle überhaupt sich bemüßigt fühlt, ein solches Gutachten in Auftrag zu geben, und wie die Gutachter an die Akten einschließlich vermutlich zahlreicher personenbezogener Daten zum Täter, seinen Angehörigen, Zeugen,  den Opfern und ihren Angehörigen gekommen sind für ihre Analyse ist dann noch die nächste Frage. Zumal zwar das Verfahren gegen den Amokläufer abgeschlossen ist, aber gegen den Waffenlieferanten bekanntermaßen derzeit noch eine Hauptverhandlung stattfindet.

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p.s.
Wenn schon eine städtische Stelle ein solches Gutachten in Auftrag gibt und mit Getöse und medialem Vorlauf diese Sensation verkündet (es sollte ja heute vorgestellt werden, ein paar Infos haben die Medien schon seit ein paar Tagen verbreitet), dann sollte sie das Gutachten auch für jedermann zugänglich machen. So wie es der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ja auch tut.

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Sehr geehrtes Gastchen,

im Gegensatz zum 170seitigen Abschlussbericht des LKA sind die drei Gutachten im Netz verfügbar. Da es sich bei der Kriminologie um eine interdisziplinäre Wissenschaft handelt, können auch Politikwissenschaftler und Soziologen Kriminologie betreiben, was jedenfalls in Teilen der Gutachten auch geschieht, übrigens durchaus mit ähnlichen Tendenzen, wie ich sie hier angesprochen habe (oft keine klare Trennung zw. Terror und Amok möglich) und wie sie zunehmend in der Kriminologie auch so gesehen werden (Quellen dazu in den Gutachten). Die Ergebnisse werden zwar mit einer bestimmten Intention vorgetragen (der Kritik an der bisherigen polizeilichen Einschätzung), aber nicht mit Taschenspielertricks. Soweit eine Neudefinition des Terrorismus-Begriffs befürwortet wird, wird dies mit empirischen Argumenten begründet. Ich bin, wie oben ausgeführt, im Übrigen eher für eine Neubezeichnung des Phänomens.
Nun haben Einschätzungen/Stellungnahmen zu solchen Taten immer auch eine politische Dimension. Wenn Sie vorschlagen, ggf. eine behördliche (polizeiliche/nachrichtendienstliche) Einschätzung als gegeben und unhinterfragbar hinzunehmen, dann befördert das vielleicht einen gewissen Untertanengeist und auch die Ruhe als Bürgerpflicht, nicht aber die Bemühung um eine vielleicht unschöne, komplexere und mitunter schwierigere "Wahrheit". Die Tatsache, dass wir  - aufgrund der politisch unverantwortlichen Festlegung, es handele sich um einen "verwirrten" Einzeltäter - immer noch nicht genau wissen, was und wer hinter dem Anschlag von 1980 steckte und die Tatsache, dass jahrelang Polizeibeamte im Falle des NSU-Terrors ihre rechten Augen zugekniffen haben (oder zukneifen sollten), bringen mich jedenfalls zu der Ansicht, dass auch eine neue Diskussion um den Münchener  Anschlag von 2016 (meinetwegen mit medialem "tamtam" betrieben) nicht ganz falsch ist.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Soweit eine Neudefinition des Terrorismus-Begriffs befürwortet wird, wird dies mit empirischen Argumenten begründet. Ich bin, wie oben ausgeführt, im Übrigen eher für eine Neubezeichnung des Phänomens.

Darüber kann man ja streiten ohne Ende, denn beide "Eckbegriffe", also "Terrorismus"  und "Amok" decken ja selber bereits ein breiteres Spektrum ab und überlappen sich dann noch zusätzlich, sind also beide schon nicht ganz scharf. Für diesen "Überlappungsbereich" nun auch noch einen dritten Begriff, aber auch wieder ohne echte Schärfe einzuführen, das bringt m.E. jedenfalls keine echte Verbesserung mehr.

Und das hatte ich auch bereits noch begründet mit dem Beispiel der Geschlechter und könnte das auch mit einigen anderen Beispielen weiter noch begründen.

Fazit: Mehr Unschärfen zusammen genommen ergeben keine wirklichen Schärfen.

Besten Gruß

GR

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Oh je, also Untertanengeist und Wilhelminische Ruheanordnungen verbreite ich... Si tacuissem.

Aber zum einen ist diese Seite der Fachstelle eher schwer zu finden und als ich meine Beiträge abgeschickt habe, war auch kein pdf auf der einigermaßen unübersichtlichen muenchen.de _Seite (die Fachstelle hat ja keine eigene homepage)

Zum anderen: es mag ja sein, dass die Einschätzung der Polizei hinterfragbar ist, aber ebenso fragwürdig ist es mE,  wenn die Gutachter unbeleckt von psychiatrischen und psychologischen Kenntnissen alleine aufgrund äußerer Begleitumstände und der Phänotypik des Delikts (lone-wolf) meinen, die Einschätzung des LKA verwerfen zu können und mE recht forsch zu konstatieren, dass das unmaßgebliche Randfaktoren seien. Wo ansonsten forensich  zuminsdest die Frage einer psychischen Erkrankung eine der bedeutsamsten  ist.
Übrigens wurde ja bislang auch  der Grafinger Allahu Akhbar-Messerstecher keineswegs wegen der Art und Weise der Tatbegehung (lone wolf, Messereinsatz im Bereich öffentlicher Räume/Bahnhof) als Islamistischer Terrorist oder Termokist bewertet. Sondern einfach als psychisch Kranker.

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Nachdem ich die Gutachten gelesen habe:

Also das GA Hartleb verdient die Bezeichnung Machwerk. AUfgabenstellung ist das "kritische Hinterfragen des Narrativs". Aha. Luftgewehrschießen ist eine untypische Urlaubsaktivität verhaltensauffälliger Jugendlicher. Aha. Welche Erkenntnisse aus welchen Quellen der "Gutachter" zu typischen Urlaubsaktivitäten woher  wohl hat????

Der Terrorist wollte den Märtyrertod sterben, weil er Polizisten aufforderte, ihn zu töten? Aha. Von suicide by cop schon mal gehört? Und davon, dass er auch die Amokläufer Tim K und und Robert St in eine Collage oackte und die ebenso wenig wie Breivik irgendwelche Märtyrerbekundungen von sich gegeben haben wohl auch nicht.

Die OFA hätte sich "zwingend" mit dem "Symptom" (richtig: Syndrom,)  malignen Narzissmus auseinandersetzen müssen, der in der psychiatrischen Diagnostik so überhaupt nicht existiert, sondern bislang alleine eine Erfindung von Frau Saimeh ist  ohne konkrete Differentialdiagnostik. Noch dazu kann man an einem Toten kaum das Syndrom ohne weitere Untersuchungen diagnostizieren. Die OFA hat für ihre Einschätzung die durch ärztliche Behandlungen diagnostizierten Befunde zugrunde gelegt und anders als der Gutachter also keine Spekulationen über irgendwelche nicht diagnostizierten Syndrome. Er verlangt der Sache nach, dass die OFA ein psychiatrisches Gutachten erstellt anhand eines nicht allgemein akzeptierten Syndroms und damit ersichtlich ihre Fachkompetenzen überschreitet.

Das einzige einigermaßen unmissionarische Gutachten ist das von Kopke. Und aus dem geht so viel an psychischen Auffälligkeiten (PTBS, Asperger, ADHS...)  hervor, dass es vor jedem Gericht in D wenigstens einen § 21 gegeben hätte.

 

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Gast schrieb:

Und aus dem geht so viel an psychischen Auffälligkeiten (PTBS, Asperger, ADHS...)  hervor, dass es vor jedem Gericht in D wenigstens einen § 21 gegeben hätte.

 

Wobei ich hier auch noch das große "D" hervorheben möchte. Denn auch alle heutigen Diagnostizierungen können nicht retrospektiv "aus der Hüfte heraus" erstellt werden.

Und historische und kulturelle Abweichungen beim Begriff "psychisch krank" sind ja ebenfalls noch zu berücksichtigen.

Bei den Atzteken (und Maya) war es ja völlig "normal", also nicht "krank", wenn Priester Menschen aus dem lebenden Leib mit einem Obsidian-Messer zu Ehren - oder zur Besänftigung - einen Sonnengottes oder anderer Götter das Herz heraus schnitten und diese Menschen so opferten.

Siehe auch:

https://www.welt.de/geschichte/article136311080/Die-toedlichen-Steinzeit...

https://www.welt.de/geschichte/article119883590/Fuer-ihre-Goetter-zerstu...

Nach heutigen Diagnostizierungen und Maßstäben wären die Priester doch Täter und als hoch kriminell und / oder psychsich krank, oder beides zusammen einzustufen, und kämen auch hinter Gittern oder in die Forensik, evtl. dann auch lebenslang.

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Leser schrieb:

Es gibt aber in jeder Hinsicht eindeutige "Diagnostizierungen", sogar bei den "Atzteken".

Wenn Sie jede Diagnostizierung, auch alle bei Herrn Mollath, oder alle bei den 4 hessischen Steuerfahndern, oder .... oder .... für richtig und eindeutig halten wollen.

Die diagnostizierenden Psychiater selber glauben das vielleicht auch heute noch, andere aber nicht mehr.

siehe: "Fehler in der psychiatrischen Begutachtung"

https://www.aerzteblatt.de/archiv/13606/Fehler-in-der-psychiatrischen-Be...

und viele andere Quellen dazu ......

 

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Eine Ergänzung noch:

"Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Gunter Heinz in Heft 41/1998"

"Fehler in der psychiatrischen Begutachtung: Schlußwort"

https://www.aerzteblatt.de/archiv/13606/Fehler-in-der-psychiatrischen-Be...

Der Verfasser beider Artikel im Ärzteblatt war:

Prof. Dr. med. Gunter Heinz (a.D.)
Abteilung Forensische Psychiatrie der Universität Göttingen
ehemaliger Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie am Niedersächsischen Landeskrankenhaus Göttingen

siehe auch: http://www.forensik-goettingen.de/ludwig-meyer-institut/geschichte/

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Ein spannendes Thema. Für mich persönlich wirken die "Selbstmordattentate" und Amokläufe der letzten Jahre eher wie ein Kontinuum als wie zwei gesonderte Phänomene. Es fällt m. E. auf, dass die Terroristen, mit denen wir es hier zu tun haben, alle in ungünstigen Lebenssituationen waren - so ungünstig, dass ein Suizid oder nicht-politischer Amoklauf nicht völlig überrascht hätten.

Sicherlich haben die politische Lage und Beeinflussung durch terroristische Gruppierungen und/oder Ideologien zu den Taten beigetragen. Aber waren sie vielleicht eher Auslöser als Grund? Bis wir vom ersten glücklich verheiraten Zahnarzt mit zwei Kindern, Porsche und gut laufender Praxis lesen, der sich für seinen unsichtbaren Freund im Himmel in die Luft gesprengt hat, werde ich zweifeln, dass wir es hier mit einem rein politischen Thema zu tun haben.

Als These werfe ich mal in den Raum: Die Welt ist in einem ziemlich miesen Zustand, und viele Leute stehen auf die andere oder Weise am Abgrund. Bei einigen führt dies dann zu selbstzerstörerischen Unsinnstaten. Politisches Umfeld, Medienkonsum, die Verfügbarkeit von Drogen oder Feuerwaffen etc. verändern dann die konkrete Form dieser Selbstzerstörung (und die Gefährlichkeit für andere), aber nicht den eigentlichen Akt der Selbstaufgabe.

Mit anderen Worten: Wenn die Attentäter von Berlin, München oder Winnenden 'ne schicke Freundin, 'n schicken Job und 'ne schicke Karre gehabt hätten, wären die jeweiligen Taten meiner Einschätzung nach nicht passiert. Wenn das Heilmittel identisch ist, ist die Krankheit es dann vielleicht auch? Und sollten wir uns vielleicht mehr über die Zurverfügungstellung der Medizin Gedanken machen als über die Variationen der Symptome der Krankheit?

Spannend wäre auch eine Betrachtung in geschlechtsbezogener Perspektive. Die Täter sind praktisch ausnahmslos männlich; die Quote dürfte auch für Gewaltverbrechen als typischen Männertaten ungewöhnlich hoch sein. Betrifft die o. g. Krankheit nur Männer? Oder gibt es bei Frauen andere Symptome? Oder bekommen die Medizin? Vielleicht könnte man sich dem Problem über diesen Umweg nähern.

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Meine Hypothese lautet schon seit langer Zeit, dass die aggressiven, waffenstarrenden und mörderischen Ego-Shooter und andere Computerspiele einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung tragen. Aber das darf man im Internet nicht laut sagen, weil man sofort von der Gamerfraktion lächerlich gemacht und totgeredet wird, u. a. auch damit, dass es verschiedenste (vermutlich von der Spieleindustrie gekaufte) Gutachten gibt, wonach solche Ballerspiele ausnahmslos nur Friede, Freude, Eierkuchen und zwischenmenschliche Empathie und Hilfsbereitschaft fördern.

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Dass Ego-Shooter oder auch aggressive Musik einen "wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung" beitragen, ist wissenschaftlich wiederlegt worden. Die oben von Herrn Müller verlinkten Gutachten sprechen z.B. überhaupt nicht vermeintliche Auswirkungen von Ego-Shootern an.

Dass kann man Ihnen aber leider nicht vermitteln, haben Sie doch für Ihre These sogleich ausgeschlossen, dass es objektive "Gutachten" gibt, diese vielmehr "gekauft" seien und Ihre These somit nicht wiederlegt werden kann. Eine perfekte Filter-Blase. 

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Die oben von Herrn Müller verlinkten Gutachten sprechen z.B. überhaupt nicht vermeintliche Auswirkungen von Ego-Shootern an.

Da täuschen Sie sich aber!
Im GA Kopke heißt es: "Übermäßiger PC-Konsum, Exzessives Spielverhalten, Ego-Shooter-Spiele. So verbrachte David S. den polizeilichen Ermittlungen zu Folge zum Beispiel seit Bestehen seiner diversen Accounts alleine 4348 Stunden nur mit dem Ego-Shooter 'Counter-Strike'."
Im GA Hartleb heißt es: "Intensives Spielen mit Ego-Shootern-Spielen ... rege virtuelle Aktivitäten mit “Gleichgesinnten” (über Gewaltspiele, etwa in einem Internet-Forum für Ego-Shooter-Spiele); Ausleben von kriegerischen Gewaltphantasien durch exzessiven Computerkonsum"

Es ist also keineswegs "wissenschaftlich wi[e]derlegt", wie Sie meinen, dass Ego-Shooter etc. einen "wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung" haben. Im Gegenteil, der Zusammenhang liegt als "CS-Effekt" so nahe, wie der "Werther-Effekt" nach medienwirksamen Selbstmorden nahe liegt und nachgewiesen ist. Aber man kann selbstverständlich auch die Augen schließen und offenkundig gekauften Gutachten vertrauen.

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Das Problem ist weniger die Hypothese zum Einfluss von Ego-Shootern auf Gewaltexzesse, sondern die Behauptung eines "wesentlichen Einflusses" und damit der "Transformer"-Trick von Hypothese zur gefühlten Gewissheit. Von einer wissenschaftlichen Widerlegung der Hypothese ist mir allerdings auch nichts wirklich Überzeugendes bekannt. Zunächst ist die Annahme eines "wesentlichen Einflusses" schon sehr ungenau. Eine zwingende Ursache-Wirkungs-Kette (Kausalität) wird jedenfalls nicht belegt. Denn das würde bedeuten, dass jeder Spieler von Ego-Shootern gewalttätiger ticken würde als ohne diese Beschäftigung. Behauptet wird sogar eine entlastende Wirkung (Agressionsabbau). Dass bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass jeder Spieler vollkommen unbeeindruckt von dem "spielerischen Gewaltexzessen" sein muss. Recht offensichtlich sind dagegen Isolation, soziale Ausgrenzung, Selbstwertverlust und Erfahrungen fehlender Selbstwirksamkeit im "normalen Leben" immer im Ursachen-Cocktail von Amokläufen enthalten. Nicht für jeden Amoklauf lässt sich dagegen ein Zusammenhang mit Ego-Shootern, Religion oder politischen Motiven herleiten. Für die waffenstarrenden Ausraster braucht es jedenfalls den realen Zugang zu geeigneten Waffenarsenalen. Eine wesentliche Kritik der Skeptiker an der Hypothese einer "Umsetzung der Spielsucht von einsamen Wölfen in die Realität" ist daher vor allem, dass diese Hypothese der Verdrängung und Marginalisierung konkreter gesellschaftlicher und psychosozialer Ursachen und Versäumnisse dient. Hierzu z.B. rp-online

"Die eine eindeutige Antwort gibt es vielleicht gar nicht: Der Psychologe Dietrich Dörner (Universität Bamberg) nannte "Killerspiele" einmal den "geborenen Sündenbock": Sie ersparten jedes Nachdenken über tatsächliche Gewaltursachen."       

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Der Psychologe Dietrich Dörner (Universität Bamberg) nannte "Killerspiele" einmal den "geborenen Sündenbock"...

Diese gewaltverherrlichenden Spiele sind ebenso wenig nur ein "Sündenbock", wie die NRA in den USA nur der "Sündenbock" für die viele tausend Schusswaffentote jedes Jahr ist. Das eben ist der wesentliche Unterschied zwischen Sünder und Sündenbock. NRA und Spieleindustrie sind zwei Seiten der selben Medaille. Das Sündenbock-Gerede "drittmittelfinanzierter", vulgo: gekaufter, Sachverständiger ist verantwortungslos.

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Die Medaille hat offensichtlich nicht nur 2 Seiten. Ihre Feststellungen sind leider rein spekulativ und moralisch erheblich aufgeladen. Welchen Einfluss auf reale Gewalt hat denn die Vervielfachung der Thriller-, Krimi-, Kriegs-, Porno-, Splatter- und Gruselfilm-Bespielung durch öffentliche und private Anbieter? Wo fängt die gewaltverherrlichende Agenda eigentlich an, was gilt noch als angemessen zum jeweiligen Plot? Das sind keine einfachen Fragen und das Thema braucht eher nicht den moralisch-dogmatischen Grundsatz-Apostel, sondern wache Sinne und eine sachliche Auseinandersetzung zu verschiedenen Erfahrungen, Sichtweisen und Entwicklungen. Dass Dörner ein gekaufter Sachverständiger wäre und verantwortungsloses Gerede liefere, behaupten Sie, ohne auch nur ansatzweise einen Beleg dafür zu nennen. Man muss sich auch nicht immer mit der amerikanischen Hardcore-Waffendiskussion um die NRA herauswinden. Dass die NRA für waffenstarrende Amokläufe in Deutschland verantwortlich wäre, wollen Sie doch nicht etwa behaupten? Ich wüsste in Deutschland nicht, wo ich Waffen für einen Amoklauf herbekommen sollte. Darin liegt doch eine objektive Voraussetzung für Amoktaten mit Waffen. Also fokussieren Sie doch bitte die deutschen Waffenquellen und Kontrollmängel. Eine 3D-Drucker-Waffenproduktion am heimischen PC dürfte wohl noch nicht DAS vorherrschende Problem sein. Am PC habe ich schon mal Ego-Shooter ausprobiert, wenn auch nur selten und mit kurzatmigen Interesse. Wie auch bei schlechten Filmen, kann mich Gewaltdarstellung ohne sinngebenden Rahmen und Notwendigkeit schnell abstoßen. Nun maße ich mir jedoch gerade aus dieser eher unwissenden und wenig interessierten Eigenwahrnehmung nicht an, für Andere die Folgen aus einer mir selbst unbekannten Nutzung und Wahrnehmung beurteilen zu können. Woher kommt Ihre Expertise? Oder ist es doch nur moralischer Impetus?

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Anke Slabi schrieb:

https://www.uni-bonn.de/neues/278-2011

Obs wohl i nden 60 iger Jahren vor dem Aufkommen gewaltverherrlichender Spiele im Internet weniger Amok Kriminalität gab ? <statistisch auf

die Bevölkerungszahl> ????

 

 

Eine sehr berechtigte Frage, vermutlich aber noch nicht mit solchem goßen Aufwand schon erforscht wie die Korrelation zwischen der durchschnittlichen atmosphärischen CO2-Konzentration und der durchschnittlichen Erdoberflächentemperatur zur Klärung der anthropogenen Einflüße und Anteile daran.

Soll heißen, bei multifaktoriellen Abhängigkeiten mit auch noch zeitabhängigen Rück- und Gegenkopplungen ist das immer sehr schwierig .....

Man kann die Augen vor dem offensichtlichen verschliessen und sich dann anschließend grossmächtig wundern, warum niemand das offensichtliche gesehen hat, wenn es wieder einmal zu spät ist und es Tote gegeben hat. Schuld sind die gewollt Blinden, die sich wieder einmal ihrer Schuld nicht einmal bewußt sind und die Hände in angeblicher Unschuld waschen. Denn wer konnte das schon wieder einmal ahnen?

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Und was ist Ihrer Ansicht nach das Offensichtliche?

Wenn etwas aussieht wie ein Schwein, stinkt wie ein Schwein und grunzt wie ein Schwein, dann ist es offensichtlich ein Schwein. Wenn es virtuell Freude macht, zu töten, virtuell Freude macht, zu ballern und es virtuell Freude macht, als ewig kleines Licht endlich einmal als der Größte respektiert zu werden, dann befördert das offensichtlich auch die Realität. So die Hypothese...

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Nur zur Klarstellung: Ich habe nicht die These aufgestellt, dass Computerspiele Terrorakte oder Amokläufe auslösen würden, sondern vielmehr geschrieben, dass es bspw. Unzufriedenheit ist, die zu derartigen Taten führt, und Islam / Counterstrike / wasauchimmer allenfalls die Äußerlichkeiten bestimmt.

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Prof. Dörner befasst sich als Psychologe zu unterschiedlichen Themen seit vielen Jahren mit Computersimulationen. Insbesondere zu menschlichen und organisatorischen Schwächen in Entscheidungssituationen (z.B. Tschernobyl). Zum Zusammenhang Killerspiele - Gewalt unterzog er Studien und Gewissheiten einer wissenschaftlichen Kritik, ohne damit einen Zusammenhang zu leugnen. Insbesondere die Gleichsetzung von Korrelation mit Kausalität identifizierte er als Problem, was er mit der Analogie "rote Ledersitze erhöhen die Maximalgeschwindigkeit eines Automobils" illustrierte. Wissenschaft ersetzt nicht Überzeugungen oder dient ausschließlich zu deren Absicherung durch Fakten und schlüssige Modelle. Die Aufgabe von Wissenschaft besteht gerade darin, Vermutungen und Gewissheiten kritisch zu hinterfragen und das Gesicherte vom Vermuteten zu trennen. https://www.uni-bamberg.de/fileadmin/ba2dp4/PDF/Killerspiele.pdf

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Lutz Lippke schrieb:

a) Prof. Dörner befasst sich als Psychologe zu unterschiedlichen Themen seit vielen Jahren mit Computersimulationen [...]

b) Insbesondere die Gleichsetzung von Korrelation mit Kausalität identifizierte er als Problem .....

a) Daraus aber entsteht keinerlei Widerspruch zu untersuchten Hirnaktivitäten durch Bonner Wissenschaftler.

b) Das ist leider ubiquitär, wenn die Mathematik und auch die Statistik zu wenig bekannt ist.

 

Ich habe den Bericht nur überflogen. Festgestellt wurde wohl, dass die Testgruppe der exzessiven Gewaltspieler gegenüber der Kontrollgruppe kognitive und emotionale Auffälligkeiten zeigten. Hieraus wurden Hypothesen abgeleitet, die noch nicht verifiziert sind. Frei nach Dörner gehört dazu zwingend die Überprüfung, ob

1. bereits vorhandene kognitive und emotionale Auffälligkeiten zur virtuellen Ballerei führen oder die Ballerei tatsächlich Ursache der Veränderung der Hirnnutzung ist.

2. die Auffälligkeiten tatsächlich psychopathologisch zu Amoktaten führen können oder auch hierfür nur ein kausaler Zusammenhang vermutet oder konstruiert wird.

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Für einen schnellen und treffsicheren, also effektiven Waffeneinsatz gegen Menschen - ohne viel Nachdenken oder Emotionen dabei - bietet sich ein so billiges Training über solche Computer-Spiele auch geradezu an.

Seite 85 in diesem Buch z.B. mal bitte (online) lesen:

"War as Business: Technological Change and Military Service Contracting"

hier ein Link dazu: https://books.google.de/books?id=1ymrCwAAQBAJ&pg=PA85&lpg=PA85&dq=combat...

Das wird aber überall auf der Welt meines Wissens so gesehen, auch wenn es nicht überall so öffentlich kommuniziert wird.

Der Vorgang des "Schießens" in einem Ballerspiel und das Schießen mit einer echten Handfeurerwaffe unterscheidet sich wesentlich.

Bei einem Ballerspiel bewegen Sie lediglich ein Fadenkreus mittels der Maus auf das Zeil und drücken die linke Maustaste zum Schießen. Um ein statisches Ziel zu treffen, bedarf es keiner Übung.

Mit einer Handfeuerwaffe auf eine Zielscheibe zu schießen ist ein ungleich komplexer Vorgang. Das Gewicht der Waffe, die Schwingungen des Körpers, das Atmen, das Gewicht des Abzugs, dass damit verbundene Gegenwirken, der Rückstoß beim Schuss.  Als ungeübter Schütze treffen Sie kaum eine Zielscheibe auf 20 Meter Entfernung.

Probieren Sie beides einmal für jeweils eine Stunde aus. Im Ernst: Machen Sie es! Und anschließend stellen Sie sich selbst die Frage, ob das "Killerspiel" oder das Schießen am Schießstand Hemmungen bei Ihnen gelöst haben, hinsichtlich der Vorstellung, auf einen Menschen zu schießen. Und dann überlegen Sie sich bitte, ob es nicht effektivere Mittel gibt Hemmungen zu lösen, als ein Ballerspiel.

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Die US-Army würde Ego-Shooter nicht für die Ausbildung ihrer Soldaten einsetzen, wenn die Schiesserei dort und in der Realität nicht vergleichbar wäre.

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Das ist eine seltsame "Feststellung", deren Kausalzusammenhang sich mir auch nicht erschließt.

Ich halte es im Übrigen für ein Gerücht, zumindest aber die Behauptung für übertrieben, dass Ballerspiele von der US Army zu "Ausbildungszwecken" eingesetzt werden. Wenn sie tatsächlich eingesetzt werden, dann würde mich interessieren, auf welche Art und Weise sie eingesetzt werden.

Haben Sie Belege und Quellen?

 

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Aus dem Artikel ergibt sich - entgegen dem Eindruck, den Sie erwecken - dass die US Army zur Ausbildung Simulationen verwendet und es sich dabei eben nicht um kaufbare Egoshooter handelt. Der Artikel weist zudem darauf hin, dass weniger das Töten, sondern vielmehr das taktische Training bei diesen Simulationen im Vordergrund steht.

Formel-1-Piloten berichten davon, dass Sie auf der Playstation Formel-1-Rennen fahren, um eine Strecke kennenzulernen. Glauben Sie aber ernsthaft, ein geübter Player könne nun mit einem solchen Boliden passable Zeiten auf der Rennstrecke hinlegen?

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Mit Einzelbeispielen können Sie ja nichts statistisch belegen, und umfassende Statistiken aller Amoktaten, auch inklusive solcher außerhalb von Schulen und auch noch mit älteren Tätern - wie in Las Vegas - gibt es ja m.W. nicht.

Zu Schulen aber gibt es schon einge Auswertungen.

Einige Links noch zum Thema:

http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/eine-weltkarte-der-amoklaufe/

http://www.neuepresse.de/Nachrichten/Panorama/Uebersicht/Amoklaeufe-nehm...

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-03/target-forscherver...

https://de.statista.com/themen/249/amok-amoklauf/

https://www.dhpol.de/de/hochschule/Departments/target.php

oder das PDF:

AMOK IN DEUTSCHLAND – STATISTISCH GESEHEN
Häufigkeits-Verteilung – Täter-Charakteristika – Alter und Geschlecht –
soziale Vorgeschichte – seelische Vorerkrankungen – Vorstrafen – Tatort
– Schuldfähigkeit

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In der Arbeit von Prof. Dörner ist doch auch eine Literaturliste angegeben.

Am Ende dieser Artikel des Ulmer Gehirnforschers Manfred Spitzer:

http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Was-Killerspiele-im-Gehirn-a...

Ich zitiere daraus:

Spitzer: Ja, eine Studie aus den USA über 700 Familien zeigt, dass Fernsehschauen die Gewaltbereitschaft erhöht. Eine andere zeigt, dass Menschen nach dem Konsum von Killerspielen fünfmal länger brauchen, anderen zu helfen als die Vergleichsgruppe ohne Videospiele.

Heute schießen Kinder am PC aufeinander, früher mit Knallpistolen.

Spitzer: Früher wusste man, dass das nicht echt ist ...

... ist das heute nicht so?

Spitzer: Damals rannte man herum, das Spiel war erschöpfend. Heute sitzen die Spieler acht Stunden vor den Schirmen, sie tauchen in die Welten ein, und das für die längste Zeit am Tag.

Senken Gewaltspiele die Hemmungen?

Spitzer: Davon kann man ausgehen, wenn man bedenkt, dass die ersten Programme dazu vom US-Militär entwickelt wurden, um die Hemmung der Soldaten, auf Körper zu schießen, zu senken. Den Soldaten musste beigebracht werden, reflexartig draufzuhalten.

Was ist eigentlich das Faszinierende an Gewalt und Sex für männliche Jugendliche?

Spitzer: Stellen Sie sich einen 14-Jährigen vor, der vor 10 000 Jahren einem Paar beim Geschlechtsakt zugesehen hat und der dann sagt: Das interessiert mich nicht. Wer sich so verhält, pflanzt sich langfristig nicht fort. Früher dachte man, Männer führen um Nahrung Krieg. Die heutige Forschung sagt, dass sich Männer um Frauen streiten. Weil man im Jugendalter noch nicht einsichtig genug ist, braucht es Verbote, denn in diesem Alter hinterlässt Gewalt dicke Spuren im Gehirn.

Wie wirkt sich dies auf die Gesellschaft aus?

Spitzer: Die Schulgewalt in Baden-Württemberg ist in den letzten sieben Jahren beispielsweise um 40 Prozent gestiegen. Die gesamte Entwicklung ist extrem beunruhigend. Was wollen wir mit Menschen, die sich nur für Pornos, Geballere und Alkohol interessieren? Die Kultur ist die Software, die wir auf die Hardware Gehirn aufspielen. Wenn wir das dem Markt überlassen, kann es nicht gut gehen. Wenn erst die Gehirne einer ganzen Generation vermüllt sind, dann war es das! Wir haben in Deutschland als Rohstoff nur die Hirne der nächsten Generation.

...
Was Killerspiele im Gehirn auslösen - weiter lesen auf Augsburger-Allgemeine: http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Was-Killerspiele-im-Gehirn-a... ...
Was Killerspiele im Gehirn auslösen - weiter lesen auf Augsburger-Allgemeine: http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Was-Killerspiele-im-Gehirn-a...

 

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In der Tat weisen die meisten Forschungen in diesem Bereich darauf hin, dass solche Spiele und Filme eine aggressionsfördernde Wirkung haben, deren langfristige Handlungsfolgen allerdings nur äußerst schwer eingeschätzt werden können. Es ist aber in jedenfalls ein Kurzschluss, die Schulmassaker darauf zurückzuführen. Dafür sind solche Taten viel zu selten und das Computerspielen als Freizeitbeschäftigung in der betr. Altersgruppen ist viel zu häufig, so dass quantitativ nicht einmal eine Korrelation gemessen werden kann. D.h.: Wären die Computerspiele tatsächlich eine Ursache, müsste es viel häufiger zu solchen Taten kommen.

Für die Angabe Spitzers, dass die Schulgewalt "in den letzten sieben Jahren" in Ba-Wü zugenommen habe (da das Interview schon aus dem Jahr 2010 stammt, meint er wohl die sieben Jahre davor), finde ich keine Quelle (vielleicht findet sie ein Leser). Ich würde die Validität dieser Angabe - auch für heute -  erst einmal skeptisch sehen, da die Gewaltdelinquenz, auch die Jugendgewaltdelinquenz in den letzten Jahren eher zurückgegangen ist. Soweit solche Angaben auf Anzeigestatistiken beruhen, sind sie höchst unzuverlässig, da die Anzeigebereitschaft eher zugenommen hat.

Ganz falsch dürfte es sein, Schulmassaker als "Spitze" des Eisbergs Jugendgewalt anzusehen, da es - wie eigentlich alle wissen, die sich näher damit beschäftigen - völlig andere Täter und Hintergründe  sind, die hinter Schulschlägereien bzw. Schulmassakern stehen.

 

 

Valide Angaben zu einer tatsächlichen Gewaltzunahme an Schulen in BaWü sind mir auch nicht bekannt, auf Angaben in der PKS bezieht sich dann dieser Artikel vom 13. April 2015:

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.aggressive-schueler-schulge...

ein anderer mit Stand vom 14.11.2016 ohne PKS-Bezug:

https://www.swr.de/swraktuell/bw/schulen-in-baden-wuerttemberg-lehrer-le...

 

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Prof.Dörner geht nur kurz und kritisch auf Spitzer ein. Im Wesentlichen kritisiert er die selbstverständliche Annahme von Spitzer, dass das Gewaltsoielen in die Realität übertragen wird. Diese Kritik ist zumindest aus wissenschaftlicher Sicht berechtigt.

Es lohnt sich aber, Spitzer in anderer Hinsicht zu bedenken. "Was wollen wir mit Menschen ...?" ist eine Frage, die aufs Grundsätzliche verweist, also weit über Killerspiele hinaus. Genauso: "Wenn wir das dem Markt überlassen, kann es nicht gut gehen."

Killerspiele sind also nur eine Facette in einer ziellos nach Sinnstiftung und Bestätigung suchenden Gesellschaft, die zwar den Werkzeugkasten der Aufklärung vor sich stehen hat, diesen aber nur hektisch und wenig überlegt benutzt.

 

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