Ermittlungsrichter in OWi-Sachen - klar gibt es den! Aber wo nur?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.10.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3268 Aufrufe

Ermittlungsrichterentscheidungen gibt es auch in OWi-Verfahren. Bislang waren das vor allem die Blutprobenanordnungen, wenn es nur um Trunkenheits- oder Drogenfahrten ging, die nicht in den Bereich des StGB reichten. Die Frage war dabei immer: Welches Gericht ist nach § 162 StPO iVm § 46 OWiG örtlich zuständig? Das AG am Sitze der Staatsanwaltschaft (=direkte Übertragung des Wortlautes des § 162 StPO) oder - m.E. richtigerweise - das AG am Sitze der Verwaltungsbehörde (=sinngemäße Anwendung des § 162 StPO) ? Durch den neuen § 46 Abs. 4 OWiG ist das Problem mengenmäßig entschärft. Die Vorschrift lautet nämlich:  

"(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes begangen worden ist. In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig."

Trotzdem wird es auch weiterhin immer wieder zu Zuständigkeitsstreitigkeiten kommen. Hier musste das AG Köln sich mit der Problematik befassen und hat sich auf die richtige Seite geschlagen:

Der Antrag der Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis vom 31. Mai 2017 auf Anordnung ei­ner Blutprobenentnahme bei dem Betroffenen wird als un­zu­läs­sig zu­rück­ge­wie­sen.

Gründe

I.

Mit Antrag vom heu­ti­gen Tage hat die Kreispolizeibehörde Rhein-Erft-Kreis bei dem dienst­ha­ben­den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Köln die Anordnung ei­ner Blutprobenentnahme bei dem Betroffenen be­an­tragt. Zur Begründung hat die Antragstellerin aus­ge­führt, der Betroffene sei am heu­ti­gen Tage in Frechen., C.-straße, we­gen des Verdachts ei­ner Ordnungswidrigkeit gem. § 24a StVG auf­ge­grif­fen wor­den. Der Tatverdacht grün­de sich dar­auf, dass der Betroffene nur Stecknadelkopf gro­ße Pupillen hat­te, die bei ei­nem Lichteinfallreflextest kei­ner­lei Reaktion zeig­ten. Der Betroffene schwit­ze stark und war sehr blass. Auf Befragen gab er an, kei­ne Drogen kon­su­miert zu ha­ben. Der Betroffene ver­wei­ge­re die Entnahme ei­ner Blutprobe.

II.

Der Antrag hat kei­nen Erfolg, da er un­zu­läs­sig ist. Das an­ge­gan­ge­ne Amtsgericht Köln ist un­zu­stän­dig.

Das Amtsgericht Köln ist im vor­lie­gen­den Verfahren nicht gem. § 46 OWiG iVm § 162 StPO für die be­gehr­te Anordnung zu­stän­dig. Zuständig für den Erlass des be­an­trag­ten Beschlusses dürf­te viel­mehr der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts sein, in des­sen Bezirk die für die Verfolgung und Ahndung der mög­li­chen Ordnungswidrigkeit zu­stän­di­ge Verwaltungs- bzw. Bußgeldbehörde ih­ren Sitz hat, §§ 162 StPO, 46 OWiG.

Bis zum Inkrafttreten der Neufassung des § 162 StPO mit Wirkung zum 01.01.2008 war nach § 162 StPO aF für ei­ne Ermittlungshandlung das Gericht zu­stän­dig, in des­sen Bezirk die Ermittlungshandlung vor­zu­neh­men war. Da der Betroffene sich zum Zeitpunkt der Begehung der Ordnungswidrigkeit in Frechen be­fand, wä­re nach der al­ten Regelung, die auch schon sei­ner­zeit ge­mäß § 46 Abs. 1 OWiG sinn­ge­mäß auf das Bußgeldverfahren Anwendung fand, das Amtsgericht Köln er­sicht­lich un­zu­stän­dig ge­we­sen.

Nach der nun­mehr seit dem 01.01.2008 gel­ten­den Fassung des § 162 Abs. 1 StPO stellt die Staatsanwaltschaft ih­re Anträge auf Vornahme ei­ner ge­richt­li­chen Untersuchungshandlung vor Erhebung der öf­fent­li­chen Klage bei dem Amtsgericht, „in des­sen Bezirk sie oder ih­re den Antrag stel­len­de Zweigstelle ih­ren Sitz hat.“ Gem. § 46 Abs. 1 OWiG gilt die­se Norm für das Verfahren über Ordnungswidrigkeiten al­ler­dings nur „sinn­ge­mäß“.

Während ei­ne Mindermeinung (AG Winsen, Beschluss v. 01.06.2010 - 7 Gs 47/10; LG Arnsberg Beschluss v. 10.06.2009 - 2 AR 3/09; nur ob­iter wohl auch LG Köln Beschluss v. 22.03.2017 - 105 AR 3/17) meint, dass § 162 StPO auch im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens wört­lich an­zu­wen­den sei, wes­halb es auch hier für die ge­richt­li­che Zuständigkeit auf den Sitz der Staatsanwaltschaft an­kom­me, ist nach deut­lich über­wie­gen­der und auch hier ver­tre­te­ner Auffassung § 162 StPO im Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG ? schon sei­nem Wortlaut nach - nur „sinn­ge­mäß“ an­zu­wen­den, na­ment­lich da­hin­ge­hend, dass sich die Zuständigkeit des je­wei­li­gen Amtsgerichts für den Erlass ei­ner be­an­trag­ten Ermittlungsmaßnahme nach dem Sitz der nach §§ 35 ff. OWiG zu­stän­di­gen Behörde - vor­lie­gend al­so der an­trag­stel­len­den Verfolgungsbehörde des Rhein-Erft-Kreises in Bergheim - rich­tet (so LG Paderborn, Beschluss v. 03.06.2015 – 01 Qs 62/15; LG Hagen, Beschluss v. 12.11.2009 – 46 Qs 30/09; BGH, Beschluss vom 16.04.2008 - 2 ARs 74/08 = NStZ 2008, 578; Thewes, NJW 2015, 2845; Harms, NStZ 2009, 465; Zöller, in: Gercke/Julius/Temming u. a., StPO, 5. Aufl. 2012, § 162 Rn. 6, Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 162 Rn 8; von Häfen, in: BeckOK-StPO, Stand 01.01.2017, § 162 Rn. 7a; Bohnert/Krenberger/Krumm, in: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 46 Rn. 13).

Auf den Sitz der - im der­zei­ti­gen Verfahrensstand auch in kei­ner Weise mit der Sache be­fass­ten - Staatsanwaltschaft Köln im Sprengel des Amtsgerichts Köln kommt es da­her nicht an.

Dass es für die Zuständigkeit des Amtsgerichts dem Sinn und Zweck des § 162 StPO nach ge­ra­de auf den Sitz der je­wei­li­gen an­trag­stel­len­den Behörde und nicht et­wa abs­trakt auf den Sitz ei­ner Staatsanwaltschaft an­kommt, folgt be­reits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Denn wenn es im Falle ei­ner Antragstellung durch ei­ne Zweigstelle der Staatsanwaltschaft auf de­ren Sitz für die Bestimmung des zu­stän­di­gen Gerichts an­kom­men soll, kommt dem Hauptsitz der Staatsanwaltschaft ge­ra­de kei­ne abs­trak­te, zwin­gen­de Bedeutung zu. Dies ist auch sinn­voll, da auf die­se Weise si­cher­ge­stellt wird, dass der Antrag bei dem­je­ni­gen Amtsgericht ge­stellt wird, wel­ches für die mit der Sachentscheidung in­halt­lich be­fass­te Behörde - die „Herrin des Verfahrens“ ? tat­säch­lich zu­stän­dig ist. Die nach §§ 35 ff. OWiG zu­stän­di­ge Behörde ist bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten eben­so „Herrin des Ermittlungsverfahrens“, wie es die Staatsanwaltschaft im Falle der Verfolgung von Straftaten ist, vgl. § 46 Abs. 2 OWiG. Richtigerweise kann ei­ne sinn­ge­mä­ße Anwendung des § 162 StPO über § 46 Abs. 1 OWiG da­her nur da­zu füh­ren, bei der Verfolgung mög­li­cher Ordnungswidrigkeiten das Wort „Staatsanwaltschaft“ in § 162 StPO durch das Wort „Verfolgungsbehörde“ oder durch „nach §§ 35 ff. OWiG zu­stän­di­ge Behörde“ zu er­set­zen.

Es er­scheint da­ge­gen fern­lie­gend, die von § 46 Abs. 1 OWiG aus­drück­lich an­ge­ord­ne­te „sinn­ge­mä­ße“ Anwendung der StPO, na­ment­lich von § 162 StPO, dar­in zu er­schöp­fen, die Norm wört­lich an­zu­wen­den. Folgte man der Gegenmeinung, bräuch­te es die (nur) „sinn­ge­mä­ße“ Anwendung des § 162 StPO schlech­ter­dings nicht. Es leuch­tet auch nicht ein, dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts sich im Ordnungswidrigkeitenverfahren - völ­lig an­ders als im Strafverfahren - an dem Sitz ei­ner an dem je­wei­li­gen Verfahren der­zeit in kei­ner Form be­tei­lig­ten Behörde ori­en­tie­ren soll.

Die Gegenmeinung kann sich auch nicht dar­auf be­ru­fen, die hier ver­tre­te­ne Ansicht stün­de ei­ner Vereinfachung und Beschleunigung der Bestimmung der er­mitt­lungs­rich­ter­li­chen Zuständigkeit oder der Kompetenzbündelung ent­ge­gen. Beschleunigung und Kompetenzbündelung sind kein Selbstzweck. Die zu­tref­fen­de sinn­ge­mä­ße Auslegung der Norm kann nicht aus­schließ­lich vor dem Hintergrund der ver­gleichs­wei­se ein­fach ge­la­ger­ten Fälle der hier im Raum ste­hen­den Blutprobenentnahmen zu se­hen sein. Sie muss sich viel­mehr an al­len denk­ba­ren Fällen von ver­fol­gungs­be­hörd­li­chen Maßnahmen bzw. Anträgen mes­sen las­sen. Es han­delt sich hier­bei oh­ne­hin nur um ein Scheinargument: Denn ist die Anwendung des § 162 StPO im Lichte von § 46 OWiG ge­klärt, lässt sich die er­mitt­lungs­rich­ter­li­che Zuständigkeit eben­so ein­fach be­stim­men, wie im Rahmen von Ermittlungsanträgen im Strafverfahren.

Tatsächlich führt auch die von der herr­schen­den und auch hier ver­tre­te­nen Meinung an­ge­nom­me­ne Auslegung der Norm zu ei­ner deut­li­chen Vereinfachung der Bestimmung der ge­richt­li­chen Zuständigkeit so­wie auch zu der ge­wünsch­ten Kompetenzbündelung bei ein­zel­nen Gerichten im Vergleich zur frü­he­ren Fassung des § 162 StPO. Denn auch nach der hier ver­tre­te­nen Ansicht tritt in den Fällen, in de­nen im Zuständigkeitsbereich ei­ner Verfolgungsbehörde meh­re­re Amtsgerichte lie­gen, ei­ne Konzentration und da­mit ei­ne Kompetenzbündelung bei dem Amtsgericht ein, in des­sen Bezirk die Behörde (oder ggf. die an­trag­stel­len­de Zweigstelle) ih­ren Sitz hat. Dies be­trifft bei­spiels­wei­se auf Fälle zu, in de­nen Bezirksregierungen oder gar Bundesbehörden wie die Bundesnetzagentur, das Bundesamt für Güterverkehr in Köln oder das Bundeskartellamt die je­wei­li­gen Verfolgungsbehörden sind. In de­ren Zuständigkeitsbereich liegt er­sicht­lich ei­ne Vielzahl von Amtsgerichten. Auch in die­sen Fällen kommt es nach der über­wie­gen­den, auch hier ver­tre­te­nen Auffassung auf den Sitz der Behörde oder der an­trag­stel­len­den Zweigstelle an.

Die Entscheidung des LG Köln vom 22.03.2017 – 105 AR 3/17 steht dem nicht ent­ge­gen. Das Landgericht hat in die­ser Entscheidung kei­ne Entscheidung in der Sache ge­trof­fen und sich le­dig­lich ob­iter ge­äu­ßert, oh­ne da­bei im Einzelnen auf den Meinungsstreit und die er­heb­li­chen Argumente der Gegenansicht in Rechtsprechung und Literatur ein­zu­ge­hen.

Das hier ver­tre­te­ne Ergebnis ent­spricht schließ­lich auch der Rechtsprechung des BGH. Demnach ist das Amtsgericht zu­stän­dig, in „des­sen Bezirk die Verfolgungsbehörde oder ih­re den Antrag stel­len­de Zweigstelle ih­ren Sitz hat“ (BGH, Beschluss vom 16.04.2008 - 2 Ars 74/08). Im dort ent­schie­de­nen Fall ging es um ei­nen ord­nungs­wid­ri­gen Verstoß ge­gen § 55 Abs. 1 TKG. Der BGH ent­schied, dass das AG Bremen als Gericht des Sitzes der an­trag­stel­len­den Zweigstelle der Bundesnetzagentur (der Bußgeldstelle Bremen) zu­stän­dig ist. In die­ser Entscheidung geht der BGH - zu Recht - mit kei­nem Wort auf die Frage des Sitzes (irgend-)einer Staatsanwaltschaft ein; der BGH stellt di­rekt auf den Sitz der Verfolgungsbehörde bzw. ih­rer an­trag­stel­len­den Zweigstelle ab.

Nach al­le­dem ist das an­ge­gan­ge­ne Amtsgericht Köln für die be­an­trag­te Ermittlungsmaßnahme nicht zu­stän­dig. Die zur Verfolgung und Ahndung der mög­li­chen Ordnungswidrigkeit be­ru­fe­ne Verwaltungsbehörde hat, was maß­geb­lich ist, ih­ren Sitz nicht im hie­si­gen Bezirk. Da die ört­li­che Zuständigkeit des an­ge­gan­ge­nen Ermittlungsrichters auch im Rahmen von § 162 Abs. 2 StPO zu prü­fen ist (Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 162 Rn. 22; Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 162 Rn. 15), war der Antrag als un­zu­läs­sig zu­rück­zu­wei­sen.

AG Köln, Beschluss vom 31.05.2017 - 506 Gs 1178/17 = BeckRS 2017, 118017

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