Freispruchurteil ist auch in OWi-Sachen nicht so leicht!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.10.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht8|8175 Aufrufe

Aus Strafsachen kennt man das: Freispruchsurteile werden gerne etwas lascher abgesetzt, als verurteilende Urteile. In der Regel mangelt es dann daran, dass nicht gesagt wird, was denn festgestellt werden konnte. Eher wird Wert auf die Darstellung von Zweifeln, Beweisproblemen oder nicht feststellbaren Tatsachen gelegt. Das OLG Bamberg stellt klar: Auch in OWi-Sachen muss ein Freispruchurteil vernünftig geschrieben werden!

Das AG hat den Betr. vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (§§ 3 III Nr. 2c; 49 I Nr. 3 StVO) in zwei Fällen, begangen als Führer eines Kraftrads am 08.05.2016 um 19.24 Uhr und – in die Gegenrichtung fahrend - um 19.25 Uhr, mit Urteil vom 16.05.2017 freigesprochen, weil es sich nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens nicht davon überzeugen konnte, dass der Betr. das Kraftrad geführt hat. Gegen diese Entscheidung wendet sich die StA mit der Rechtsbeschwerde, die sie mit der Sachrüge begründet. Ihr Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils.

Aus den Gründen:

I. Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der StA hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.

1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (§ 267 V 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG) genügt.

a) Kann sich ein Gericht nicht von der Täterschaft eines Betr. überzeugen, ist zunächst der ihm zur Last gelegte Vorwurf aufzuzeigen. Sodann muss in einer geschlossenen Darstellung dargelegt werden, welchen Sachverhalt das Gericht als festgestellt erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist zu erörtern, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Dies hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 24.05.2017 – 2 StR 219/16; 16.06.2016 – 1 StR 50/16 [jeweils bei juris]; 18.05.2016 – 2 StR 7/16 = wistra 2016, 401 u. 05.02.2013 – 1 StR 405/12 = NJW 2013, 1106 = NStZ 2013, 334; OLG Bamberg, Beschluss vom 13.02.2017 – 3 Ss OWi 68/17 = BA 54 [2017], 208; Urt. v. 12.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 136/14 = OLGSt StPO § 267 Nr 27, jeweils m.w.N.). Lassen sich ausnahmsweise überhaupt keine Feststellungen treffen, was im vorliegenden Verfahren aber gänzlich unwahrscheinlich erscheint, zumal immerhin Geschwindigkeitsmessungen mit Lichtbildanfertigungen durchgeführt wurden, so ist auch dies in den Urteilsgründen unter Angabe der relevanten Beweismittel darzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.1980 – 4 StR 303/80 = NJW 1980, 2423 = MDR 1980, 949).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn es wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr beschränkt sich das Tatgericht auf die Wiedergabe des anthropologischen Sachverständigengutachtens ohne jede weitere Beweiswürdigung und vor allem ohne Mitteilung sonstiger Tatumstände. In diesem Zusammenhang wären insbesondere Feststellungen dazu erforderlich gewesen, ob und mit welchem Fahrzeug ein Geschwindigkeitsverstoß verwirklicht wurde und ob der Betr. ggf. Eigentümer, Besitzer oder Halter des Fahrzeugs war. Denn gerade diesen Gesichtspunkten käme im Rahmen der gebotenen, vom AG allerdings unterlassenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls erheblicher Indizwert zu. Aufgrund dieses Darstellungsmangels kann der Senat schon im Ansatz nicht prüfen, ob nicht weitere Indizien vorhanden sind, die bei der erforderlichen Gesamtschau mit dem Sachverständigengutachten, das immerhin konstatiert hat, dass trotz des vom Fahrer getragenen Integralhelms 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgeglichen werden konnten mit dem Resultat des vierthöchsten positiven Wahrscheinlichkeitsprädikats, ein anderes Ergebnis gerechtfertigt hätten.

2. Unabhängig hiervon ist aber auch die Beweiswürdigung als solche rechtsfehlerhaft.

a) Die bloße Mitteilung, der Sachverständige habe 10 bzw. 11 von 28 Merkmalskomplexen abgleichen können, genügt bereits nicht den Anforderungen an eine ausreichende Darstellung. Um dem Senat die Überprüfung der Schlüssigkeit eines anthropologischen Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, hätte zumindest dargelegt werden müssen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10 = DAR 2010, 390 = ZfS 2010, 469 = SVR 2011, 344 = StV 2011, 717 m.w.N.).

b) Da die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung sind (vgl. nur BGH, Urt. v. 02.02.2017 – 4 StR 423/16 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2012 – 3 Ss OWi 468/12 = DAR 2013, 282 = BA 50, 86 = OLGSt OWiG § 71 Nr. 4), konnte auf diese Darstellung schon deswegen nicht verzichtet werden. Dies gilt umso mehr, als den näher zu beschreibenden Körpermerkmalen - abhängig von individueller Erscheinungsform und Prägnanz - ein unterschiedlicher Beweiswert zukommen kann.

c) Darüber hinaus unterlässt das AG auch die gebotene Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 21.03.2017 – 5 StR 511/16 [bei juris]) und fokussiert sich stattdessen ausschließlich auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens, das im Übrigen keineswegs die Täterschaft ausschließt, sondern sogar als wahrscheinlich bezeichnet.

II. Auf die Rechtsbeschwerde der StA ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverwiesen (§ 79 VI OWiG).

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das AG im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 71 I OWiG i.V.m. § 244 II StPO) auch den weiteren in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift geschilderten Ermittlungsergebnissen nachzugehen haben wird, die allerdings vom Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der allein erhobenen Sachrüge als urteilsfremder Vortrag nicht berücksichtigt werden konnten, sondern der Aufklärungsrüge bedurft hätten, die nicht, jedenfalls nicht in der gebotenen Form (§ 79 III 1 OWiG i.V.m. § 344 II 2 StPO) erhoben wurde.

OLG Bamberg Beschl. v. 28.9.2017 – 3 Ss OWi 1330/17, BeckRS 2017, 127412

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8 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Klemm,

kann ich davon ausgehen, daß nach Lage der o.g. Schwierigkeiten die Richter einer Einstellung des Verfahrens dann gemäß § 47 (2) OWiG lieber den Vorzug vor einem Freispruch geben? Aber wer benachrichtigt die Verwaltungsbehörde nun darüber, und innnerhalb welcher Fristen, damit auch evtl. die Asservate wieder alle zurückgegeben werden können, die noch bei ihr liegen?

Tja....soll tatsächlich so sein, dass in derartigen Fällen teils auf zu § 47 OWiG gegriffen wird. Kann ja auch im Einzelfall richtig sein....

Asservate müssten dann mangels Anfechtbarkeit des § 47 OWiG-Beschlusses unverzüglich rausgegeben werden. Oder was meinen Sie?

Zuerst müßte doch m.E. die Verwaltungs-Behörde überhaupt einmal benachrichtigt werden, daß das Verfahren eingestellt wurde.

Vom Gericht vermutlich (oder von der Staatsanwaltschaft?).

Dann darf die Behörde die Asservate weder vernichten noch einbehalten. Muß sie dann den Besitzer anschreiben, er solle sein Eigentum wieder abholen?

Meine Frage zielt also auf klare Regelungen ab, wer was innerhalb welcher Fristen auch dann zu veranlassen hat in einem Fall von vorher sichergestellten Asservaten, die bei der Verwaltungsbehörde liegen, nach Einstellung des Verfahrens gemäß OWiG § 47 (2) per Beschluß eines Amtsrichters.

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Übrigens merke ich noch an, daß ich da konkrete Fälle auch im Auge habe, nur die Lage mal schildere, auch das "völlig unschuldig" ist keine Fiktion.

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Die StPO ist einfach nur absurd, wenn es nicht zur Begründung (wozu braucht man überhaupt eine schriftliche Begründung?) ausreicht, dass der Richter den Betroffenen nicht mit hinreichender Sicherheit als den auf dem Foto abgebildeten Täter erkennt.

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Wahrscheinlich kennen auch andere Leser die Einstellung gemäß § 47 (2) OWiG, wobei die Staatskasse die Kosten des Verfahrens trägt, die eigenen Kosten und notwendigen Auslagen des Beschuldigten aber von ihm selber getragen werden müssen, auch wenn er völlig unschuldig von Anfang an gewesen ist.

Daß es aber auch anders geht, zeigt mal dieser Beschluß:

BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015
- 2 BvR 2436/14 - Rn. (1-37),
http://www.bverfg.de/e/rk20151013_2bvr243614.html

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Die Kostenentscheidung bei der Einstellung sollte natürlich nicht zu Lasten des Betroffenen ausgehen, "wenn er völlig unschuldig von Anfang an gewesen ist", wenn sich das konstatieren lässt. Die Entscheidung des BVerfG halte ich gleichwohl für fatal. Das BVerfG nimmt nämlich meinem Eindruck nach seit der Präsidentschaft von Herrn Voßkuhle zunehmend die Rolle einer Super-Revisionsinstanz für sich in Anspruch. Dafür wird dann allen Ernstes mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot argumentiert; damit kann man natürlich jede Gerichtsentscheidung kassieren. Von Verfassungs wegen steht das meines Erachtens dem BVerfG, das ohnehin schon viel Macht hat, nicht zu.

 

 

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