1-Sekunden-Rotlichtverstoß: Zeitschätzung ist schwierig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.12.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3993 Aufrufe

Qualifizierte Rotlichtverstöße ohne echte Messungen oder Mitzählen der Beamten sind schwierig festzustellen. Vor allem dann, wenn die Polizei selbst im laufenden Verkehr und ohne vorherigen Anlass einen solchen Verstoß verfolgt. Im vorliegenden Fall schätzte die Polizei die Rotlichtzeit auf 3-5 Sekunden. Warum? Keine Ahnung. Das OLG hat das dann auch (richtigerweise) beanstandet. Ach so: Und zur Gefährdung reichte das tatrichterliche Urteil dem OLG auch nicht:

I.

Das Amtsgericht hat den  Betroffenen wegen „fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens und Gefährdung Anderer – die Rotphase dauerte bereits länger als 1 Sekunde -“ zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“ angeordnet. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil missachtete der Betroffene als Fahrer seines PKW am 02.02.2017 ein für ihn geltendes Rotlicht an einer Kreuzung in Paderborn, weswegen ein aus dem Querverkehr in die Kreuzung einfahrendes Polizeifahrzeug „nur durch ein umsichtiges Ausweichfahrmanöver den Zusammenstoß mit dem Betroffenen und seinem PKW“ habe vermeiden können. Die Rotphase habe bereits drei bis fünf Sekunden angedauert.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der eine Verletzung materiellen Rechts rügt. In erster Linie greift er die Verhängung des Fahrverbots an.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache (§ 79 Abs. 6 OWiG). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet i.S.v. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO.

1.

Der Schuldspruch selbst, also soweit festgestellt wurde, dass der Betroffene überhaupt einen Rotlichtverstoß nach §§ 37, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG begangen hat, weist keine Rechtsfehler zu seinen Lasten auf.

2.

Im Rechtsfolgenausspruch, also soweit die Höhe der Geldbuße und die Anordnung des Fahrverbots mit der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen nach Ziff. 132.3.1. BKatV (Dauer länger als eine Sekunde; Gefährdung) begründet wird, weist das angefochtene Urteil hingegen durchgreifende Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf.

Schon die Voraussetzung für die Ahndung des Rotlichtverstoßes mit einem Fahrverbot wegen Missachtung einer schon länger als eine Sekunde andauernden Rotphase (BKatV Ziff. 132.3) ist nicht hinreichend in der Beweiswürdigung belegt.

Die Beweiswürdigung ist hier insoweit lückenhaft. Zwar trägt sie noch soweit, dass die Rotlichtphase für den Betroffenen jedenfalls mindestens seit dem Zeitpunkt andauerte, seit dem das Lichtzeichen für das Polizeifahrzeug Grünlicht zeigte. Soweit dann in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ausgeführt wird, dass dieses erst „3-5 Sekunden“ später losgefahren (und in den Kreuzungsbereich eingefahren) bleibt schon unklar, wo sich das Fahrzeug des Betroffenen zu diesem Zeitpunkt befand. Insoweit ist grds. maßgeblich, wann eine etwa vorhandene Haltelinie – zu der sich das Urteil allerdings nicht verhält – überfahren wird (vgl. OLG Dresden ZfS 2017, 234; OLG Köln, Beschl. v. 08.02.2000 – Ss 51/00 B – juris). Insbesondere ist aber die Dauer der Rotlichtphase von „3-5 Sekunden“ nicht hinreichend belegt. Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes  genügt die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden (ggf. in der Verkehrsüberwachung erfahrenen) Polizeibeamten alleine nicht, um zuverlässig entscheiden zu können, ob nur ein einfacher oder ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt (OLG Jena, Beschl. v. 10.12.1998- 1 Ss 219/98 –juris; OLG Düsseldorf, NZV 1995, 197 LS). Soll durch Zeugenbeweis - ohne technische Hilfsmittel - ein qualifizierter Rotlichtverstoß bewiesen werden, so ist eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Aussagen geboten (OLG Köln, Beschl. v. 20.03.2012 – III-1 RBs 65/12 –juris). Die Anforderungen können hier nicht niedriger sein, als bei einer gezielten Kreuzungsüberwachung im Hinblick auf Rotlichtverstöße (vgl. zu den Anforderungen dort: OLG Hamm NZV 2010, 44). Hier hätte kritisch gewürdigt werden müssen, wie die Zeugen zu ihrer Schätzung kommen. Angegeben wird zwar, dass sie es „nicht eilig“ gehabt hätten. Andererseits ist kaum anzunehmen, dass sie vor der späteren Schrecksituation überhaupt ein Augenmerk darauf gelegt haben, wie lange es vom Beginn der Grünphase bis zum Anfahren des Polizeifahrzeugs dauerte, denn dies hatte für sie – jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen zu diesem Zeitpunkt keinerlei Relevanz.

Auch fehlt es an einer hinreichenden Angabe, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als diese von Gelb- auf Rotlicht umschaltete (vgl. dazu OLG Hamm, Beschl. v. 02.11.2010 – III-4 RBs 374/10 – juris). Das Amtsgericht teilt hierzu wiederum die – an sich von ihm selbst zutreffenden – Wertung eines Zeugen mit, dass der Betroffene habe „problemlos“ anhalten können, da er „mit normaler Geschwindigkeit von geschätzt 50 km/h gefahren sei“. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die Zeugen hierauf ihr Augenmerk vor der eigentlichen etwaigen Gefahrensituation gerichtet hatten, um dies beurteilen zu können.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich womöglich die Dauer der Rotlichtphase bei Überfahren der Haltelinie am sichersten durch entsprechende Berechnung der Fahrzeiten und Wegstrecken der beteiligten Fahrzeuge bis zur etwaigen Gefahrenstelle – ggf. nach sachverständiger Beratung - feststellen lässt.

Des weiteren ist für eine Ahndung mit einer Regelgeldbuße in einer Höhe von 320 Euro erforderliche Gefährdung i.S.v. Ziff. 132.3.1. BKatV nicht hinreichend festgestellt. Diese Alternative des BKatV greift nur bei einer konkreten Gefährdung ein. Sie ist nur dann gegeben, wenn der Täter eine Lage herbeiführt, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutet. Dabei muss die Sicherheit eines bestimmten Rechtsgutes so stark beeinträchtigt sein, dass es vom Zufall abhängt, ob es verletzt wird oder nicht (KG Berlin NZV 2010, 584; vgl. auch: OLG Köln, Beschl. v. 03.09.1996 – Ss 366/96 (B) – juris LS). Dem werden die Feststellungen des Amtsgerichts nicht gerecht, in denen nur von einem „umsichtigen Ausweichmanöver“ die Rede ist. Dies lässt offen, ob bzw. inwieweit es zu einer „kritischen Annäherung“ (vgl. KG Berlin a.a.O.) der beiden Fahrzeuge gekommen ist. Soweit in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils Aussagen von Zeugen aus dem Polizeifahrzeug wiedergegeben sind, kann dies die Lücke in den Feststellungen nicht schließen. Die dort bekundete „Vollbremsung“ des Polizeifahrzeugs findet sich gerade in den Feststellungen nicht wieder. Soweit die Zeugen bekunden, dass ein „Zusammenstoß nur durch das sofortige Brems- und Ausweich-Fahrmanöver“ vermieden worden sei, wäre dies eine Wertung, die der Tatrichter im Rahmen der Frage, ob eine Gefährdung eingetreten ist, zu treffen und im Urteil nachvollziehbar darzulegen hat.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 24.10.2017 - 4 RBs 404/17

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