Wer sich krank fühlt, geht zum Arzt und nicht in die Prüfung.

von Sibylle Schwarz, veröffentlicht am 11.12.2017
Rechtsgebiete: Bildungsrecht|8205 Aufrufe

Das Verwaltungsgericht Mainz lehnte mit Urteil vom 5. Dezember 2017 (3 K 27/17.MZ) einen Anspruch auf Anerkennung eines nachträglichen Rücktritts ab.

Auf nur einen Aspekt soll im Folgenden eingegangen werden, daher der Fall bloß in Kurzform:

Die Klägerin ist Studierende im Studiengang Medizin. 
Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 ließ das Landesprüfungsamt für Studierende der Medizin und der Pharmazie die Klägerin zu der Prüfung im Frühjahr 2016 zu.
Die Klägerin nahm am 15. und 16. März 2016 in dem für sie letzten Prüfungsversuch an dem schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung (Physikum) teil.
Mit Bescheid vom 8. April 2016, der Klägerin am 19. April 2016 zugestellt, wurde ihr mitgeteilt, dass sie den schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung wegen Bewertung mit der Note „nicht ausreichend“ im letzten Wiederholungsversuch nicht bestanden habe und die Prüfung somit endgültig nicht bestanden sei.

Mit am 21. April 2016 bei dem Landesprüfungsamt eingegangenem Schreiben machte die Klägerin den nachträglichen Rücktritt von der schriftlichen Physikumsprüfung im Frühjahr 2016 geltend.

In dem Schreiben führt die Klägerin an:

„[...] Bereits im Zeitpunkt der Prüfung sei sie sehr krank gewesen, was sich allerdings erst im Nachhinein herausgestellt habe. Bereits vor der Prüfung seien körperliche Einschränkungen wie Kurzatmigkeit, Herzrasen und plötzliche Erschöpfungszustände bemerkbar gewesen, die sie auf die Nervosität vor dem Drittversuch zurückgeführt habe. Im Zeitpunkt der Prüfung seien die Einschränkungen bereits so weit fortgeschritten gewesen, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und von der Prüfung zurückzutreten. Als sie notfallmäßig ins Krankenhaus eingeliefert worden sei, sei die Erkrankung schon so lebensbedrohlich gewesen, dass sie ohne Behandlung verstorben wäre: es habe sich um eine Lungenembolie, tiefe Beinvenenthrombose und Lungeninfarkt gehandelt. Am 29. April 2016 reichte die Klägerin den von dem Landesamt angeforderten Entlassungsbericht des Katholischen Klinikums Mainz vom 22. April 2016 nach. In diesem ist ausgeführt, dass die Klägerin am 1. April 2016 wegen plötzlich aufgetretener Luftnot über die Notaufnahme stationär eingewiesen worden sei; es seien eine Lungenembolie und eine Beinvenenthrombose diagnostiziert worden. Bei einer Lungenembolie handele es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung, die stationär behandelt werden müsse. Die Klägerin habe schon längere Zeit vorher ähnliche Symptome gehabt, die sie aber auf den bestehenden Stress und das längere Sitzen geschoben habe. [...]"

Ausführliche Sachverhaltsschilderung nachlesen unter: https://vgmz.justiz.rlp.de/fileadmin/justiz/Gerichte/Fachgerichte/Verwal...

In der hier einschlägigen Prüfungsordnung und in ähnlicher Formulierung / Regelung in den meisten Prüfungsordnungen geregelt: Ein Prüfling, der nach seiner Zulassung von einem Prüfungsabschnitt oder einem Prüfungsteil zurücktritt, hat die Gründe für seinen Rücktritt unverzüglich der nach Landesrecht zuständigen Stelle mitzuteilen. 

Die Rücktrittserklärung des Prüflings muss 

  • unverzüglich 
  • gegenüber der nach Landesrecht zuständigen Stelle erklärt werden
  • und darin einen wichtigen Grund mitteilen.

Die Genehmigung eines Rücktritts durch diese Stelle ist nur zu erteilen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 18 Abs. 1 Satz 3 ÄApprO). Wird die Genehmigung für den Rücktritt nicht erteilt oder unterlässt es der Prüfling, die Gründe für seinen Rücktritt unverzüglich mitzuteilen, so gilt der Prüfungsabschnitt oder Prüfungsteil als nicht bestanden (§ 18 Abs. 2 ÄApprO).

Auf einen ersten schnellen Blick könnte das Urteil des Verwaltungsgerichts verwundern, wonach die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung ihres nachträglich erklärten Rücktritts habe, obwohl sie doch eine lebensbedrohliche Lungenembolie mitteilt und notfallmäßig ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Aber wie so oft in der Juristerei: Es kommt auf die Details des Einzelfalls an.

  • Im Fall hier absolvierte die Klägerin ihre Prüfung am 15. und 16. März 2016.
  • Die Klägerin war am 1. April 2016 wegen plötzlich aufgetretener Luftnot über die Notaufnahme stationär eingewiesen worden.

Eine häufige Frage in der Praxis: War der Prüfling im Zeitpunkt der Prüfung krankheitsbedingt prüfungsunfähig? 

Das Verwaltungsgericht urteilte, dass die Klägerin einen wichtigen Grund für den Rücktritt nicht darlegen und beweisen konnte:
"[...] Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin an den Prüfungstagen des 15. Und 16. März 2016 krankheitsbedingt prüfungsunfähig gewesen ist. Es liegen zwar ärztliche Bescheinigungen vor, die belegen, dass die Klägerin am 1. April 2016 über die Notaufnahme stationär in das K. Klinikum M. aufgenommen und bei ihr eine Lungenembolie und eine Beinvenenthrombose diagnostiziert worden ist (vgl. endgültiger Arztbrief vom 6. April 2016 und Attest vom 22. April 2016, jeweils von dem Klinikum ausgestellt). … „Die im Krankenhausbericht dokumentierte Anamnese spricht eher für ein akutes Geschehen. Die CT-Untersuchung des Thorax vom 01.04.2016 beschreibt einerseits eine frische Lungenembolie beidseits, [...]"

Kann aus einer CT-Untersuchung des Thorax am 1. April, die eine frische Lungenembolie beidseits beschreibt, auf eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit an den Prüfungstagen zwei Wochen zuvor am 15. Und 16. März geschlossen werden? Die Ärzte hatte es einzuschätzen, das Verwaltungsgericht hatte es zu bewerten. 

Verwaltungsgericht: "[...] Aus dieser Stellungnahme folgt mithin nicht nur, dass eine Erkrankung der Klägerin im Prüfungszeitpunkt nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt, sondern darüber hinaus auch, dass im Nachhinein auch keine verlässliche Aussage zur einer Prüfungsunfähigkeit der Klägerin an den maßgeblichen Tagen getroffen werden kann. Es reicht für die Annahme eines den Prüfungsrücktritt rechtfertigenden Grundes indes nicht aus, dass eine Erkrankung des Prüflings im Prüfungszeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann.  [...]"

Im Nachhinein Anfang April konnte keine verlässliche Aussage zur einer Prüfungsunfähigkeit der Klägerin zu den zwei Wochen zuvor stattgefundenen Prüfungen am 15. Und 16. März getroffen werden. Die Klägerin hätte an den Prüfungstagen am 15. und 16. März eine ärztliche Abklärung vornehmen müssen, zumal sie bei sich selbst Beschwerden wie Kurzatmigkeit und Herzrasen festgestellt hatte, zu deren Behebung sie sogar Schmerzmittel eingenommen hatte.

Eine ärztliche Untersuchung nur im Prüfungszeitpunkt kann eine Erkrankung bzw krankheitsbedingt prüfungsunfähig des Prüflings mit notwendiger Sicherheit feststellen. Oder mit den Worten des Verwaltungsgerichts „im Nachhinein spekulativ“.

Ausführliche Entscheidungsgründe nachlesen unter:
https://vgmz.justiz.rlp.de/fileadmin/justiz/Gerichte/Fachgerichte/Verwal...

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