Der Hund, die SPD, die Titanic, die "Bild"-Redaktion und das Strafrecht

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 22.02.2018

Gleich zweimal in einer Woche stand die Bild-Zeitung im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Zunächst hatte die Redaktion (angeblich) erfolgreich einen Hund als Mitglied bei der SPD angemeldet. Dieser sei von der SPD als neues Mitglied begrüßt worden und dürfe nun im Mitgliederentscheid über die Große Koalition mitstimmen. Die Bild wollte damit verdeutlichen, dass der Mitgliederentscheid tatsächlich relativ leicht manipuliert werden könne.

Sodann hatte die Bild auf der Titelseite eine (angeblich) die SPD betreffende "Schmutzkampagne" dargestellt, in die der Juso-Vorsitzende Kühnert verwickelt sei  Dieser habe in E-Mail-Kontakt mit russischen Hackern gestanden, die ihm die Manipulation des Mitgliederentscheids der SPD angeboten hätten. Nach großer Aufmachung auf der Titelseite weist Bild am Ende des Artikels darauf hin, die Echtheit des ihnen vorliegenden E-Mail-Austauschs stünde noch nicht fest. Nun behauptet die Redaktion der Satirezeitung „Titanic“, der Bild-Redaktion den angeblichen E-Mail-Verkehr von Kühnert untergejubelt zu haben (Spiegel-Online). Sie habe damit verdeutlichen wollen, dass die Bild-Redaktion nicht ordentlich recherchiere, wenn es um Diffamierung der SPD ginge.

Inwieweit Satire bzw. Journalismus in den beiden geschilderten Sachverhalten zu weit gegangen ist bzw. versagt hat oder sogar vorbildlich gehandelt hat, will ich hier dahinstehen lassen.

Aber in beiden Fälle wurden bzw. werden auch strafrechtliche Behauptungen aufgestellt bzw. Vorwürfe erhoben, und die will ich hier einmal kommentieren.

1. Falsche Versicherung an Eides Statt, § 156 StGB?

Dabei gehe ich im Fall „Hund wird SPD-Mitglied“ einmal davon aus, dass nicht wirklich ein Hund die Mitgliedschaft beantragt hat, sondern ein Mensch. Diese Person hat offenbar im Online-Formular der SPD nicht die eigenen persönlichen Daten eingetragen, sondern Fantasiedaten, die (lt. Bild) zu einem Hund namens Lima gehörten, tatsächlich aber zumindest wohl so menschlich gestaltet waren (Name und Familienname, E-Mail-Adresse, Geburtsdatum, Bankverbindung), dass die SPD sich Hoffnung auf ein neues menschliches Mitglied machen konnte. Jedenfalls hat lt. Bericht der Bild-Zeitung die SPD dem neuen Mitglied per E-Mail die Mitgliedschaft bestätigt und es zum Mitgliederentscheid zugelassen (BILD).

Nun wurde darauf hingewiesen, dass beim Mitgliederentscheid von der SPD zusätzlich die „eidesstattliche Erklärung“ (siehe Abbildung) gefordert wird, dass das Mitglied den Stimmzettel selbst gekennzeichnet habe, was einem Hund kaum gelingen dürfte, oder vielleicht doch ;-). Trotz des Wortlauts dieser Erklärung begründen falsche Angaben hier aber noch nicht den Tatbestand des § 156 StGB. Dieser setzt voraus, dass die Versicherung vor einer „zuständigen Behörde“ abgegeben wird. Weder ist die SPD eine Behörde noch ist die Versicherung an Eides Statt hier gesetzlich vorgesehen (was selbst bei einer Behörde erst deren „Zuständigkeit“ begründen würde). Die SPD will sich mit dieser Erklärung an das Verfahren bei der Briefwahl annähern, ohne dass dies aber in ähnlicher Weise strafrechtlich gesichert wäre. 

2. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 StGB?

Jedoch kommt bei der (angeblichen) Titanic-Aktion mit § 269 StGB ein anderer Tatbestand in Betracht, worauf Hubertus Knabe (Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen) auf Twitter hinwies. Knabe meint, die Vortäuschung/Fälschung des E-Mail-Verkehrs erinnere nicht nur an Stasi-Methoden, sondern sei eben auch als Fälschung beweiserheblicher Daten strafbar.

§ 269 StGB dient dazu, die Urkundendelinquenz auch auf elektronische Beweisdaten zu übertragen. Da aber die Beweiskraft von Urkunden (nach § 267 StGB) sehr weit geht, da keineswegs nur „Urkunden“ nach Laienverständnis als solche gelten können (sondern z.B. auch Preisschilder), werden nach h.L. auch E-Mails mit falscher Absenderangabe als Fälschung beweiserheblicher Daten erfasst - nach a.A. allerdings nur digital signierte E-Mails. Praktisch relevant ist das v.a. bei „Phishing-Mails“, die vorgeblich etwa von einer Bank stammen. Hier wird, wenn rechtserhebliche Erklärungen in der Mail enthalten sind, der Absender („Bank XY“) als Aussteller erscheinen, der gedanklich hinter der Erklärung stehen soll und, da dieser Aussteller eben nur vorgetäuscht ist, handelt es sich nach der h.L. um eine Fälschung beweiserheblicher Daten. Einiges spricht für die engere Auffassung, dass eine Aussteller"garantie" nur bei digitaler Signatur gegeben ist, aber das soll hier einmal dahingestellt bleiben.

Davon zu unterscheiden ist es aber, wenn nicht etwa unmittelbar eine E-Mail mit dem Absender an die Bild-Zeitung gesendet wurde, sondern ein kopierter E-Mail-Verkehr zwischen anderen Personen. Hier gilt dasselbe, was nach h.M. mit (erkennbaren) Urkundenkopien der Fall ist: Solche Kopien sind im Rechtsverkehr eben nicht wie die kopierte Vorlage zu behandeln. Wer also nicht vorgibt, als Herr Kühnert zu schreiben, sondern nur vorgibt, eine ihm bekannt gewordene E-Mail des Herrn Kühnert kopiert zu haben und weiterzuleiten, der lügt auf elektronische Art und Weise, fälscht aber keine Daten. Dies gilt auch dann, wenn dieser Informant seinen realen Namen nicht angegeben hat, sondern einen Fantasienamen benutzt haben sollte und überdies verschwieg, dass er zur Titanic-Redaktion gehörte: Nur wer positiv über einen anderen Aussteller täuscht, erfüllt den objektiven Tatbestand, nicht aber derjenige, der nur einen anderen Namen benutzt, um im Meinungsaustausch anonym/pseudonym zu bleiben. Die von Kühnert (angeblich) stammende E-Mail stellte keine Fälschung beweiserheblicher Daten dar, da sie offenbar nur als Teil eines kopierten E-Mail-Austauschs an die Bild-Zeitung gelangte.

Zudem enthält nicht jede E-Mail überhaupt beweiserhebliche Daten. Das Merkmal „beweiserheblich“ kann zwar außerordentlich weit ausgelegt werden (zum Beweis etwa, dass es eine E-Mail mit diesem Inhalt gibt) aber auch enger (nur E-Mails mit rechtserheblichen Erklärungen sind betroffen). Das Merkmal „zur Täuschung im Rechtsverkehr“ deutet auf eine Auslegung im letzteren Sinne. Zur Täuschung einer Zeitungsredaktion bzw. zur Aufdeckung von redaktionellen Recherchefehlern ist dann auch nicht dasselbe wie zur Täuschung im "Rechtsverkehr". Wenn es darum geht, einen Politiker mit angeblich von ihm stammenden gefälschten Schreiben zu verunglimpfen (das meint wohl Hubertus Knabe mit „Stasi“-Methoden), wäre eher § 187 StGB - Verleumdung - einschlägig. Dann müsste Herr Kühnert aber auch noch Strafantrag stellen.

§ 269 StGB könnte aber durchaus objektiv verwirklicht sein, wenn jemand, um die Mitgliedschaft in einer Partei unter falscher Identität zu erlangen, falsche Daten in eine Datenbank einspeist. Wer also das Online-Formular der SPD mit falschem Namen, Geburtsdatum etc. ausfüllt und damit eine nicht vorhandene Identität in Datenform angibt, der fälscht Daten (es ist auch Urkundenfälschung, wenn jemand einen Mitgliedsantrag in Papierform mit einer falschen Ausstellerangabe ausfüllt und unterzeichnet). Die im Mitgliedsantrag eingefügten Daten sind – da der Eintritt in die Partei ein Rechtsakt ist -  auch beweiserheblich. Und wenn jemand damit die SPD täuschen will, um am Mitgliederentscheid teilzunehmen, dann hat er auch die Absicht „zur Täuschung im Rechtsverkehr“.

Allerdings scheitert wohl die Strafbarkeit der Bild-Redaktion an diesem subjektiven Merkmal. Die Redaktion wollte nicht wirklich, dass der Hund Mitglied wird und abstimmt, sondern wollte auf einen (vermeintlichen oder tatsächlichen) Missstand hinweisen. Dazu war die Methode auch geeignet.

Fraglich ist allerdings, wie groß dieser Missstand wirklich ist: Dass man am Mitgliederentscheid der SPD auch als Nichtberechtigter teilnehmen kann, wenn man kriminellen Aufwand betreibt, sieht zwar erst einmal aus wie ein Skandal. Es ist aber eine ganz ähnliche Manipulation, wie sie auch bei der Briefwahl zu den Parlamenten möglich ist: Dort kann auch ein anderer den Stimmzettel ausfüllen und die Versicherung an Eides statt falsch abgeben – und dies ist ja auch schon häufig passiert (siehe meine Kommentierung der §§ 107 ff. StGB und § 156 StGB im Münchener Kommentar). Solche Manipulationsmöglichkeiten werden allerdings zugunsten einer höheren Wahlbeteiligung hingenommen. Und in der Bild-Zeitung war bislang wenig zu den Manipulationsmöglichkeiten der Briefwahl zu lesen, obwohl die Wahlen viel wichtiger sind als der SPD-Mitgliederentscheid, der rechtlich nur einen unverbindlichen Vorschlag für die Abgeordneten der SPD zur Folge haben wird.

Übrigens: Wer von den SPD-Abgeordneten seinen Hund dazu befragen will (zweimal bellen = "Gro-Ko", dreimal bellen = "No-Gro-Ko"), der darf das tun. Das Grundgesetz hindert ihn jedenfalls nicht.

Update (24.02.2018): Mir wurde von einem SPD-Mitglied dankenswerterweise das Formular der eidesstattlichen Erklärung zur Verfügung gestellt. Ich habe daraufhin auch den Text meines ursprünglichen Beitrags angepasst.

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