BAG: Aufhebungsvertrag - Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 23.03.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht11|5903 Aufrufe

Eine prozessuale Situation, die man selten sieht: Der Kläger argumentiert, er sei beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags unerlaubt begünstigt worden. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt und seit 2006 Vorsitzender des in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrats. 2013 wurde dem Kläger sexuelle Belästigung vorgeworfen, was dieser jedoch bestritt. Anfang Juli 2013 hatte die Beklagte beim Arbeitsgericht unter Berufung auf - vom Kläger bestrittene - verhaltensbedingte Gründe ein Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers eingeleitet. Am 22. Juli 2013 schlossen die Parteien außergerichtlich einen Aufhebungsvertrag, in dem u.a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2015, die Freistellung unter Vergütungsfortzahlung und eine noch im Verlauf des Arbeitsverhältnisses auszuzahlende Abfindung von 120.000,00 Euro netto vereinbart wurde. Nachdem der Kläger am 23. Juli 2013 vereinbarungsgemäß von seinem Betriebsratsamt zurückgetreten und in der Folgezeit die Auszahlung der Abfindung an ihn erfolgt war, reute ihn offenbar sein damaliger Entschluss. Trotz der hohen Abfindung wollte er nun lieber seinen Arbeitsplatz behalten. Mit seiner Klage macht er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses über den 31. Dezember 2015 hinaus geltend. Er meint, der Aufhebungsvertrag sei nichtig, weil er durch diesen als Betriebsratsmitglied in unzulässiger Weise begünstigt werde. Die Klage blieb beim BAG (Urteil vom 21. März 2018 - 7 AZR 590/16, PM 15/18) wie bereits in den Vorinstanzen - ohne Erfolg. Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung ist § 78 Satz 2 BetrVG. Hiernach dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Vereinbarungen, die hiergegen verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig. Das BAG kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass der Kläger durch den Abschluss des gut dotierten Aufhebungsvertrags als Betriebsratsmitglied nicht unzulässig begünstigt werde. Soweit die Verhandlungsposition des Betriebsratsmitglieds günstiger sei als die eines Arbeitnehmers ohne Betriebsratsamt, beruhe dies auf dem in § 15 KSchG und § 103 BetrVG geregelten Sonderkündigungsschutz. Das Ergebnis leuchtet ein und hätte sicherlich auch mit den Gedanken des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) untermauert werden können. Über den konkreten Fall hinaus schafft das BAG Rechtssicherheit für Arbeitgeber, die sich von einem Betriebsratsmitglied im Wege eines Aufhebungsvertrages trennen wollen. Im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz und des damit verbundenen, erhöhten finanziellen Risiko wegen der in Betracht kommenden gerichtlichen Verfahren dürfen Abfindungen deutlich höher ausfallen als bei nicht besonders geschützten Arbeitnehmern.

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11 Kommentare

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Aus bestimmten Gründen bin ich immer mal wieder mit Rechtsfragen rund um die Betriebsratstätigkeit befasst. Dies veranlasst mich dazu, hier einen Kommentar zu hinterlassen. Und ja, ich halte die Entscheidung auch für richtig. Ich denke, dass die eigentliche Begründung noch viel einfacher hätte ausfallen können: Wäre nämlich der Kläger mit seiner Argumentation durchgedrungen, könnten BR-Mitglieder in solchen Fällen überhaupt keine Vereinbarungen mehr mit ihrem Arbeitgeber abschließen. Das kann nicht richtig sein.     

Das Ergebnis leuchtet ein und hätte sicherlich auch mit den Gedanken des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) untermauert werden können.

Eine Rechtsfrage sollte immer juristisch durch Auslegung nach dem Gesetz entschieden werden und nicht nach dem bauchgefühligen Gutdünken im Wege des "Rechtsmißbrauchs". Dass man hier nicht auf "Rechtsmißbrauch" rekurriert, sondern ganz herkömmlich systematisch ausgelegt hat, könnte zur Hoffnung verleiten, dass das Bundesarbeitsgericht betr. ständiger Berufung auf "Rechtsmißbrauch" vielleicht umzudenken beginnen könnte. Mit der Einstufung als Rechtsmißbrauch nämlich "ist der Weg zu einer inhaltlichen Prüfung eines Rechtsschutzbegehrens abgeschnitten. Von ihr darf deshalb nur mit äußerster Zurückhaltung und beschränkt auf Ausnahmefälle Gebrauch gemacht werden" (BVerfG, B. v. 21.2.2018 - 2 BvR 301/18).

Es lebe die Auslegung! Tod dem Bauchgefühl!

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Das Bauchgefühl ist überhaupt keine "ratio", auch keine "ultima ratio". "Ratio" ist nur, was logisch-"rationell" und deduktiv durch Auslegung des Gesetzes ermittelt wird. "Rechtsmißbrauch" ist somit eine Rechtsfigur "sine ratio", mit der deduktiv durch das Bauchgefühl auf das (inter-)subjektiv gewünschte "Recht" geschlossen wird.

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Missbrauch ist eine zweckwidrige Anwendung. Die Figur des „Rechtsmissbrauchs“ ist m.E. daher in der Sache nichts anderes als eine teleologische Reduktion.

In einem freiheitlichen Staat wird jedes Gesetz von einem legitimen Zweck getragen sein müssen. Nun gelingt es dem Gesetzgeber erfahrungsgemäß nicht, den Wortlaut aller Gesetze so zu fassen, dass keine Fälle entstehen können, in denen der Wortlaut ein subjektives Recht uneingeschränkt zu gewähren scheint, während dies dem Sinn und Zweck der Rechtsgewährung widerspräche. Sinn und Zweck verlangen dann nach einer Einschränkung. Die Identifizierung solcher Fälle unterscheidet den Richter vom Subsumtionsautomaten. Es dürfte eine reine Formulierungsfrage sein, ob man in diesen Fällen das Recht als von vornherein nicht gegeben ansieht oder – als anschauliches Bild für das Regel-Ausnahme-Verhältnis – seine „Ausübung“ wegen Missbrauchs versagt. In § 226 BGB hat der Gesetzgeber sich  bekanntlich für die letztgenannte Formulierung entschieden. Die Denkfigur, dass ein Recht besteht, aber aus Rechtsgründen nicht „ausgeübt“ werden kann, kennt man auch bei den Einreden. Es versteht sich, dass „Rechtsmissbrauch“ genauso rational begründet werden muss wie jede andere teleologische Reduktion.

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Man könnte vermuten, dass das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, B. v. 21.2.2018 - 2 BvR 301/18) demnächst vielleicht seine Haltung zum "Rechtsmißbrauch" zu verdeutlichen und das Rechtsmißbrauchsargument strikt "auf Ausnahmefälle" zu beschränken gedenkt, was es als ausgeschlossen erscheinen ließe, dass weiterhin ganze Fallgruppen ausschließlich im Wege des (außerrechtlichen) "Rechtsmißbrauchs" gelöst werden. Interessant scheint auch, dass das Bundesverfassungsgericht seine Ausführungen zum "Rechtsmißbrauch" überhaupt nicht auf eine frühere Rechtsprechung stützt, also eine "neue" Rechtsprechung eröffnet. Wenn das alles ernst zu nehmen sein sollte, dürfte das Rechtsmißbrauchsargument bei Regelfällen ausgeschlossen sein und - wenn überhaupt - nur nur mit äußerster Zurückhaltung in Betracht kommen.

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Die Entscheidung des BVerfG betrifft allerdings nur den speziellen Fall, dass ein Eilantrag als rechtsmissbräuchlich abgelehnt wird. Das müsse (nur) „deshalb“ (!) auf Ausnahmen beschränkt bleiben, weil damit der Weg zu einer inhaltlichen Prüfung abgeschnitten wird. Das ist dann doch etwas anderes, als wenn eine inhaltliche Prüfung mit der Feststellung endet, dass die Geltendmachung eines Rechtes rechtsmissbräuchlich sei.

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Es geht natürlich nicht um den "Wortlaut" eines Gesetzes. Es geht um die Auslegung eines Gesetzes. Und wenn ein ordentlich ausgelegtes Gesetz nicht gegen die Ausübung eines Rechts spricht, oder es gar nichts auszulegen gibt, dann ist es nicht Sache einer bei der Gesetzgebung gefühlsmäßig zu kurz gekommenen gesellschaftlichen oder richterlichen (in der Regel beides) Elite, das Gesetz per "Rechtsmißbrauch" den elitären Vorstellungen anzupassen. Keine Elite darf etwa feststellen, es sei nicht "Sinn und Zweck der Rechtsgewährung", einen Arbeitgeber zu nerven, denn die Reichweite rechtlicher und grundrechtlicher Freiheit kann und darf nicht vom Einverständnis oder Wohlwollen Dritter abhängig sein. Kein Richter hat hier Noten zu vergeben.

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Und wenn man eine "teleologische Reduktion" anwenden will, dann soll man das beim Namen nennen und sich an die Voruassetzungen und Grenzen dieser Art von Auslegung halten. Außerdem hat der Vorwurf eines "Rechtsmißbrauchs" etwas vorwurfsvoll (fast kriminell) abwertendes für den Rechtsbürger, der sich auf ein Recht beruft, während die "Auslegung", auch die teleologische Reduktion, neutral ist. "Rechtsmißbrauch" und "teleologische Reduktion" sind methodisch und hinsichtlich der Vorwerfbarkeit keineswegs das gleiche. Die Berufung auf "Rechtsmißbrauch" ist schlicht und einfach rechtsmißbräuchlich.

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Es tut auch mal wieder ganz gut, sehr grundsätzliche Ausführungen aus dem Bereich der Methodenlehre zu lesen. Jedenfalls fühle ich mich auf Schritt und Tritt an das Buch von Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, das ich zuletzt im Sommer 1984, gleich nach meinem Abitur, gelesen habe, erinnert.  

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