Europäischer Haftbefehl gegen Carles Puigdemont – Wie geht es jetzt weiter?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 26.03.2018

Ist er die Falle getappt, als der vor der Neuwahl abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont am Sonntag um 11:19 Uhr bei der Einreise aus Dänemark und Finnland kommend nahe Schleswig festgenommen wurde? Denn erst am Freitag hatte der Oberste Gerichtshof Spaniens das Strafverfahren gegen Puigdemont und zwölf weitere Regionalpolitiker eröffnet, als er sich bereits in Finnland aufhielt.

Wie geht es nun nach dieser Festnahme aufgrund eines Europäischen Strafbefehls  weiter (Überblick in ZDF heute vom 26.3.2018 19:00 Uhr)?

Zunächst hatte heute der Haftrichter beim AG Neumünster die Identität der Person festzustellen und entschied, dass der Festgenommene weiterhin in Polizeigewahrsam bleibt (Festhalteanordnung). Fluchtgefahr liegt nach der Vorgeschichte nahe.

Das zuständige Oberlandesgericht Schleswig hat als nächstes die in diesem Fall schwierige Frage zu entscheiden, ob die im Europäischen Haftbefehl genannten Straftaten auch nach deutschem Recht strafbar sind. „Rebellion“ und „Aufstand gegen die Staatsgewalt“ (nach spanischem Recht) kennt das deutsche Strafrecht so nicht. Nach der für mich überzeugend begründeten Einschätzung des Experten Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas könnte es sein, dass nur der Vorwurf der Untreue für die deutschen Richter Bestand hat. Damit würden aber – und deshalb lohnt es sich, diese Angelegenheit weiter zu verfolgen – der spanischen Justiz insoweit „Fesseln angelegt“, wie der Experte formulierte, dass Puigdemont nur noch wegen dieses Delikts in Spanien verfolgt werden könnte, aber eben nicht etwa wegen Rebellion, die nach spanischem Recht mit bis zu 30 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

Jetzt ist erst einmal die Justiz am Zuge, da hat die Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sicher recht. Der Fall ist aber auch schon jetzt ein Politikum, das im Moment unmittelbar die Deutschen beunruhigt, die ihren Osternurlaub in Barcelona verbringen wollen. Mit der Festnahme ist der Katalonien-Konflikt allemal auch in Berlin angekommen. Die Bundesrepublik ist nunmehr in diesen sich zuspitzenden Streit direkt involviert. Deshalb aber auch als europäischer Partner sollte sich die Bundesregierung als Vermittler ins Spiel bringen. Denn solange die streitenden Parteien nicht miteinander verhandeln, wird es keine Lösung in dem Konflikt geben, der alle Europäer angeht.

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91 Kommentare

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Naja, das sieht doch nach einer praktikablen Lösung aus: Puigdemont wird ausgeliefert, aber er darf dort nur nach dem spanischen Pendant des § 266 StGB verfolgt werden. 

Pablo Gutiérrez de Cabiedes, Professor für Prozessrecht an der katholischen Privat-Universität San Pablo in Madrid meint, die spanische "Rebellion" und der deutsche "Hochverrat" seien dasselbe:

"In diesem Fall ist es nicht entscheidend, wie man das Delikt nennt, sondern das zu schützende Gut ist entscheidend. Also, was in den beiden Ländern durch das Strafgesetzbuch geschützt wird und was bestraft wird. In Spanien heißt es Rebellion, in Deutschland Hochverrat - beide bezeichnen aber genau dasselbe. Ob der Vorwurf gerechtfertigt ist, darüber darf allein Spanien entscheiden. Das ist nicht die Sache von Deutschland, Belgien oder irgendeinem anderen Land." (BR)

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Und die LTO-Presseschau schreibt:

Spanien/Deutschland – Verhaftung von Puigdemont: Nach der Verhaftung von Carles Puigdemont hat das Amtsgericht Neumünster entschieden, ihn weiter festzuhalten. Nun prüft zunächst die schleswig-holsteinische Generalstaatsanwaltschaft, ob der ehemalige katalanische Regionalpräsident auszuliefern ist und beantragt je nach Ergebnis einen Auslieferungshaftbefehl beim Oberlandesgericht in Schleswig – wobei mit der Entscheidung in dieser Woche nicht mehr zu rechnen sei. Im Zentrum der Prüfung stehe wegen des Prinzips der beiderseitigen Strafbarkeit die Frage, ob das deutsche Strafrecht eine Entsprechung für den spanischen Straftatbestand der Rebellion kennt und eine etwaige Auslieferung auch darauf gestützt wird – passen könnte der Hochverrat. Eine Auslieferung wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder sei jedenfalls wahrscheinlich. Sollte Puigdemont nicht wegen Rebellion überstellt werden, dürfe die spanische Justiz wegen dieses Tatvorwurfs auch nicht gegen ihn prozessieren. Politisch ist die Festnahme umstritten. Es berichten FAZ (Eckart Lohse/Helene Bubrowski u.a.), SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), Tsp (Jost Müller-Neufhof/Ralph Schulze), Die Welt (Thorsten Jungholt/Ute Müller) und lto.de (Hasso Suliak). tagesschau.de (Christoph Kehlbach) beantwortet die wichtigsten juristischen Fragen rund um die Festnahme. Im Interview mit spiegel.de erklärt der Strafrechtler Martin Heger, warum Carles Puigdemont nach Spanien ausgeliefert werden müsse. focus.de (Joseph Hausner) erwägt vier mögliche Szenarien, wie es im Fall Puigdemont weitergehen könnte.

Heribert Prantl (SZ) fordert, Deutschland müsse "bei aller gebotenen Loyalität zum EU-Mitgliedstaat" hier von der Ausnahme des europäischen Haftbefehls Gebrauch machen und die Auslieferung Puigdemonts verweigern, weil Spanien ihn politisch verfolge. Heike Anger (Hbl) kritisiert, Deutschland habe sich von Spanien in einen politischen Konflikt hineinziehen lassen. Die Staaten, in denen Puigdemont zuvor unterwegs war, hätten mit ihrer Untätigkeit zwar nicht "der reinen Lehre der Legalität" gedient, wohl aber politisch klug gehandelt. 

blog.delegibus.com (Oliver García) erörtert den Fall Puigdemont und die rechtlichen Fragen darum ausführlich – insbesondere, warum die Vorwürfe des spanischen Richters Llarena nicht unter den Tatbestand des Hochverrats fallen. Klaus Hillenbrand (taz) erinnert die Politiker, die die Bundesregierung dazu aufforderten, Puigdemont frei zu lassen, daran, dass in Deutschland die Gewaltenteilung gelte und die Frage der Auslieferung bei der Justiz liege. zeit.de (Lisa Caspari) beleuchtet auch die politische Perspektive des Falls.

Prantl schießt mit seinem Kommentar mal wieder den Vogel ab: Diesmal hantiert er mit dem Begriff der "politischen Verfolgung". Bei Prantl können die Begriffe gar nicht scheppernd genug sein, mit denen er um sich wirft.   

# Gast

Dass zwischen "Rebellion" im spanischen Recht und Hochverrat nach §§ 81 - 83 StGB weitgehende Überseinstimmung besteht, glaube ich schon. Beide Rechtsodnungen verlangen, wenn ich richtig informiert bin, ein Vorgehen mit "Gewalt". Die vermag ich im Verhaltennicht zu erkennen. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof Spaniens insoweit das Verfahren eröffnet, mal sehen, was die Spanien nun hierzu liefert.

Kommt es bei dem Rechtsvergleich auf den Vergleich der Norm oder der Rechtsanwendung an? Rechtsnorm und Normanwendung können ja erheblich auseinander klaffen, sei es durch Auslegung, ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzungen, redaktionelle Fehler, etc. Für einen Rechtsvergleich dürften aber die angewandten Fälle fehlen, denn wann hat es in Deutschland mal eine Entscheidung zum Hochverrat gegeben. 

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Es kommt darauf an, dass "die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre." (Wortlaut § 3 IRG)

Die anzuklagende konkrete Tat müsste also - den Tatnachweis unterstellt - nach deutschem Recht (auch) strafbar sein, auf einen abstrakten Vergleich von Normen oder Auslegung kommt es nicht an.

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Da bin ich ausnahmsweise mal bei Ihnen, Herr Würdinger. Prantl hält sonst immer die Fackel der Europäischen Einigung hoch, wenn diese Einigung dann dazu führt, dass die im Rahmen der EU getroffenen Vereinbarungen und das Europarecht auch eingehalten werden und sich die "praktische Wirksamkeit" des Europarechtes zeigt, passt es ihm dann auch wieder nicht und es muss mit politischen/politisierenden Argumenten das Recht ausgehebelt werden.

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Das weitere Problem bei Prantl ist: Heute schreibt er dieses, morgen schreibt er jenes. Heute schlonzt er in Rekordzeit irgendeinen Text hin, der nach was klingt, morgen schlonzt er halt irgend einen anderen Text zu irgendwas anderem hin, Hauptsache es scheppert ordentlich. Bei den Prantl-Texten hat es überhaupt keinen Sinn, nach irgendeiner Substanz zu fragen. Das ist bei Prantl alles nicht so gemeint. Am nächsten Tag ist er sowieso schon beim nächsten Schwall-Text, und hat sein Geschreibsel vom Vortag sowieso schon selber wieder vergessen.    

Ich würde fast wetten wollen, dass es der Fall nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht schaffen wird. Und angesichts der gar nicht so rechtsstaatlichen Entwicklung in einigen östlichen EU-Ländern könnten die politischen Implikationen des Falles durchaus interessant werden.

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LTO.de berichtet: "Laut FAZ (Hans-Christian Rößler) ist im Fall Carles Puigdemonts dem Oberlandesgericht Schleswig-Holstein nun eine deutsche Übersetzung der 69 Seiten starken Anklageschrift übermittelt worden. In ihr werde dargelegt, dass die Regionalregierung einen "kriminellen Plan" mit einem "gewaltsamen Fanatismus" verfolgt und hierdurch zu erkennen gegeben habe, auch Gewalt anwenden zu wollen."

Im Rahmen der Prüfung des OLG Schleswig ist zu fragen, durch welche Ausführungen dies von Spanien untermauert wird.

 

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Die NJW schreibt mir immer mittwochs, was donnerstags in der NJW zu lesen sein wird. Heute schreibt sie mir:

"Sehr geehrter Herr Würdinger,
 
spannende Rechtsfragen gibt es auch in den vorösterlichen Tagen: ... Muss und soll Deutschland den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont nach Spanien ausliefern?"



Es kommt darauf an, dass "die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre." (Wortlaut § 3 IRG)

Die anzuklagende konkrete Tat müsste also - den Tatnachweis unterstellt - nach deutschem Recht (auch) strafbar sein, auf einen abstrakten Vergleich von Normen oder Auslegung kommt es nicht an.

"Die Tat" meint ja, das konkret vorgeworfene Handeln des Beschuldigten. Das bedeutet auch, dass jeder Deutsche der analog in Deutschland handelt, tatsächlich in Deutschland wegen Hochverrat verfolgt würde. Daher ist der Fall für Deutschland hochpolitisch, mindestens aber wohl für die Vertreter der Bundesländer und Institutionen, die sich der geltenden demokratischen Rechtsordnung entziehen oder entziehen wollen. Diese Rechtsordnung wird nach dem Grundgesetz ausschließlich vom Souverän festgelegt. In Zeiten der militärischen Verteidigungsangriffe am Hindukusch, Waffenlieferungen an Diktaturen und Rebellen, Geheimabsprachen am Souverän vorbei und Terrorverwicklung deutscher Institutionen könnte man von einer drohenden Anzeigen- und Prozesswelle wegen Hochverrats Deutscher ausgehen. Denn wenn schon der geordnete öffentliche Aufruf an den Souverän zur Abstimmung über Verbleib oder Verlassen im Bund Hochverrat sein soll, wie sollte da das klammheimliche Unterwandern des demokratischen Rechtsstaats als legal durchgehen. Die Justiz hat demnach also schon aus rein innerdeutschen Gründen einen hochpolitischen Fall auf dem Tablett. 

 

LTO schreibt: "Neben der Vornahme einer Identitätsfeststellung wird das Gericht Puigdemont in einer sogenannten Festhalteanordnung eröffnen, warum er genau festgehalten wird. Theoretisch bestehe zwar dann schon die Möglichkeit, dass bereits das AG entscheidet, Puigdemont wieder auf freien Fuß zu setzen. Dies sei aber nicht die Regel, sagte die Sprecherin des Gerichts laut dpa."  

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Der Kölner Strafrechtler! Nikolaos Gazeas äußert sich im Deutschlandfunk sehr verräterisch. Das Vorgehen der Justiz stellt er so dar:

Zuständig für die gerichtliche Entscheidung ist das Oberlandesgericht in Schleswig-Holstein und auf Seiten des Staates, wenn Sie so wollen, die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein, und die wird – davon gehe ich aus – beantragen, dass er ausgeliefert wird, und dann wird sich das Oberlandesgericht sehr detailliert mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Auslieferung zulässig ist. Da kommen wir dann zu den Punkten, die auch gestern und heute Morgen verschiedentlich angesprochen worden sind, nämlich wegen welcher Straftaten dürfte er überhaupt ausgeliefert werden. 

Demnach erfolgt die polizeiliche Verhaftung und weitere Haftanordnung des Amtsrichters ohne Kenntnis darüber, ob die vorgeworfenen Taten in Deutschland überhaupt strafbar wären. Auch die Generalstaatsanwaltschaft wird nach Auffassung des Strafrechtlers die Auslieferung beantragen, ohne sich darüber zu vergewissern, dass die vorgeworfenen Taten nach deutschem Gesetz strafbar wären. Erst das OLG Schleswig denkt dann angesichts des fortgesetzten Entzugs von Menschenrechten durch die bis dahin orientierungslose deutsche Justiz darüber nach, ob das Ganze richtig eingefädelt wurde. Es geht hier also sehr wohl um ein deutsches Politikum, nämlich amtlicher Freiheitsberaubung nur aufgrund politischer Abhängigkeiten und nicht aufgrund einer gesetzlichen Grundlage. Obwohl nicht einmal ansatzweise bekannt ist, ob überhaupt ein objektiver Straftatbestand infrage kommt, wird verhaftet und staatsanwaltlich gehandelt. Ich kenne einige Einstellungsmitteilungen von StA und GStA, die ohne jede Ermittlungstätigkeit selbst offensichtliche Straftaten nicht sehen oder gerichtsfest beweisen können wollen. Hier zeigt man, dass ohne Weiteres das Gegenteil möglich ist, man braucht dafür nicht mal das Wissen zu einem gesetzlichen Straftatbestand. Der findet sich dann schon noch. Einfach lächerlich.   

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Obwohl nicht einmal ansatzweise bekannt ist, ob überhaupt ein objektiver Straftatbestand infrage kommt, wird verhaftet und staatsanwaltlich gehandelt.

Das ist das Wesen eines (gleich, ob deutschen oder europäischen) Haftbefehls. Die Fragen der Gegenseitigkeit etc. werden erst im Rahmen der Auslieferung gegenständlich (§ 3 IRG). Nach § 82 IRG spielt es, soweit ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, keine Rolle, ob es sich um eine "politische Straftat" (§ 6 IRG) handelt.

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Die Menschenrechtsproblematik ist hier offensichtlich: Es ist schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar, wie man sich strafbar gemacht haben könnte, nur weil man sich - ohne Gewalt anzuwenden oder zu Gewalt aufzurufen - für eine Änderung der verfassungsgemäßen Ordnung einsetzt. So als ob Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Änderung der (spanischen) Verfassung ausschließen. Ohne das spanische Recht näher zu kennen: Die SZ berichtet kürzlich, dass über 100 spanische Rechtsprofessoren gegen die Inhaftierung diverser Politiker protestiert haben. Die gegen sie verhängte Haft habe keine Grundlage, weil sie keine Gewalt angewendet hätten. Das deutsche Gericht kann die damit verbundene Problematik nicht ignorieren, egal wie die politischen Zwänge sind. Es hat allerdings auch bei uns lange gedauert, bis sich bei einem ähnlichen Thema die richtige Meinung durchgesetzt hat: In den 80ern galten Sitzblockaden als Nötigung (und damit als Gewalt). Erst viele Jahre später hat das BVerfG seine Rechtsprechung dazu korrigiert. Es ist zu befürchten, dass es dauern wird und dass die Anrufung des BVerfG oder - bei Auslieferung - erst das Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Klarheit bringen wird, ob das friedliche Streben nach (unliebsamen oder unsinnigen, je nach Standpunkt) Veränderungen der verfassungsgemäßen Ordnung nicht doch von der Meinungsfreiheit und der damit einhergehenden Freiheit sich politisch zu betätigen, gedeckt sein könnte.

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...nur weil man sich ... für eine Änderung der verfassungsgemäßen Ordnung einsetzt

Puigdemont hat sich nicht nur "für eine Änderung der verfassungsgemäßen Ordnung einsetzt", sondern eine vom dortigen obersten Gerichtshof für illegal erklärte und verbotene Abspaltungsabstimmung durchgeführt und dann die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt. Inwieweit damit "Gewalt" verbunden war, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er sich nicht "nur für eine Verfassungsänderung eingesetzt". Derartige Unabhängigkeitmaßnahmen führen nicht selten zu (bürger-)kriegerischen Auseinandersetzungen, was das Strafrecht im Interesse des öffentlichen Friedens selbstverständlich unbedingt zu vermeiden hat, andernfalls man die Staatlichkeit auch gleich aufgeben könnte. Die harten Polizeieinsätze weisen übrigens auch auf "Gewalt" hin...

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Na ja, aber genau dort liegt doch der Hase im Pfeffer begraben: Puigdemont hat sich für eine Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung eingesetzt - mit Wort und Taten, aber ohne Gewalt! Das Gericht hat das für illegal erklärt, sprich die Verfassung für unabhändbar (zumindest in diesem Punkt). Darin liegt eben kein materielles Unrecht, sondern eine unterschiedliche Rechtsauffassung, nicht mehr und nicht weniger. Wir werden doch hoffentlich nicht der Unabhängigkeit der Justiz derart huldigen wollen, dass sie, was immer sie entscheidet, per se recht hat und richtig liegt? Das würde ja dem Unfehlbarkeitsdogma des Papstes nahe kommen. Auch der spanischen obersten Justiz wird man eine gewisse politische Nähe zu dem System unterstellen dürfen, das sie nährt! Das ist auch in Ordnung. Ändert aber nichts am Grundsatz, auf der Ebene der Wertebasis unserer Demokratien, dass das friedliche Eintreten für eine Meinung - Katalonien soll unabhängig sein - kein Unrecht sein darf, auch wenn es uns nicht passt. Nimmt man demokratische Prinzipien ernst, geht die Macht vom Volk aus, nicht vom Obersten Gerichtshof. Die Gefahr eines Bürgerkriegs liegt nahe - fragt sich aber, wer dann für die Gewalt verantwortlich wäre. Die, die den STatus quo per eigenem Machtanspruch aufrechterhalten und sich gegen Veränderungen jeder Art wehren oder die, die - bislang - friedlich für eine Änderung eintreten. Ich bin dezidiert nicht der Ansicht, dass das Strafrecht dazu dient, quasi im Vorfeld einer hypotethisch denkbaren, aber konkret gar nicht erfolgten bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung die Mehrheitsmeinung einer Zentralregierung durchzusetzen.

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Herr Krais, diesen "Hasen im Pfeffer" zu Demokratie und Recht auch für Deutschland und insbesondere mit Juristen zu diskutieren, steht tatsächlich noch aus. Aber zuvor sollte die Frage klargestellt werden, ob der Bürger P. in Deutschland überhaupt seiner Freiheit beraubt werden durfte und wenn ja, auf welcher gesetzlichen und verfassungsmäßigen Grundlage dies möglich sein sollte. Das BVerfG hatte den für die amtsgerichtliche Festhalteanordnung einschlägige § 22 IRG in seinem Wortlaut bereits als verfassungswidrig festgestellt, aber trotz zulässiger Rüge die Vorlage an den Gesetzgeber versäumt. Die Anwendung des § 22 IRG im Fall P. durch das Amtsgericht erfolgte vermutlich verfassungswidrig und offenbart beispielhaft die verfassungs- und rechtswidrigen Folgen von grundsätzlichen Mängeln der Praxis in der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit. 
 

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"Das Gericht hat das für illegal erklärt, sprich die Verfassung für unabhändbar (zumindest in diesem Punkt). Darin liegt eben kein materielles Unrecht, sondern eine unterschiedliche Rechtsauffassung, nicht mehr und nicht weniger. Wir werden doch hoffentlich nicht der Unabhängigkeit der Justiz derart huldigen wollen, dass sie, was immer sie entscheidet, per se recht hat und richtig liegt?"

Wenn wir rechtswirksame Gerichtsurteile als "unterschiedliche Rechtsauffassungen" abtun und nach Belieben ignorieren, weil auch Gerichte Fehler machen können, können wir auch gleich auf Gerichte verzichten.

"Ändert aber nichts am Grundsatz, auf der Ebene der Wertebasis unserer Demokratien, dass das friedliche Eintreten für eine Meinung - Katalonien soll unabhängig sein - kein Unrecht sein darf, auch wenn es uns nicht passt."

Bloß hat er sich nicht auf das "Eintreten" beschränkt. Er hat (gemeinsam mit anderen) die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt und das kann selbstverständlich Unrecht sein. Der Unterschied sollte eigentlich keiner weiteren Erklärung bedürfen.

"Nimmt man demokratische Prinzipien ernst, geht die Macht vom Volk aus, nicht vom Obersten Gerichtshof."

Souverän über die Verfassung von Spanien ist aber das Volk von Spanien. Die Legitimation der Änderung der spanischen Verfassung kann nur vom gesamten Volk kommen, nicht bloß aus einer Region.

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Können Sie kurz aber korrekt skizzieren, was das spanische Verfassungsgericht zum Referendum in Katalonien entschieden hatte? Hat es die Absicht, die Vorbereitung, die Durchführung oder das Ergebnis explizit verboten und als Straftat festgestellt? Auf Grund welchen Strafgesetzes? Ist Unrecht in Spanien gleichbedeutend mit Straftat? Wer ist dann alles Täter und müsste verfolgt werden? 

Sollte "illegal" nur rechtlich ungültig bedeuten, dann ist das Referendum doch nur als rechtlich unverbindliche Abstimmung festgestellt. Wie ist gerichtlich zur Unabhängigkeitserklärung und zum Verhandlungsangebot an die spanische Zentralregierung entschieden worden? Könnte das rechtsunwirksame Vorgehen zur Abstimmung und Unabhängigkeitserklärung eine politische Aufforderung an das Volk von Spanien oder die Völker/Volksgruppen in Spanien sein, sich über eine Änderung der spanischen Verfassung abzustimmen? Hatte Puigdemont dieses Verhandlungsziel gegenüber der Zentralregierung ausgeschlossen?      

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Man muss zwischen dem Referendum und der Unabhängigkeitserklärung differenzieren. Für das Referendum wird er wegen Untreue verfolgt, weil die Strafverfolgungsbehörden ihm vorwerfen, staatliche Gelder illegal verwendet zu haben; nicht weil sie es für strafbar hielten, ein illegales Referendum durchzuführen.

Wegen "Rebellion" wird er für die Unabhängigkeitserklärung verfolgt, wofür es keines Verbots durch das Verfassungsgericht bedarf, weil sich das Verbot aus dem Gesetz ergeben soll.

Eine Unabhängigkeitserklärung als Einladung zum Diskurs umzuinterpretieren halte ich für ziemlich hanebüchen. Die Unabhängigkeitserklärung wird gerne in einem Atemzug mit dem Referendum genannt, um den Eindruck zu erwecken, dass es ja nicht so anders sei. In Wirklichkeit ist damit aber schon eine ganz andere Stufe erreicht: Eine Unabhängigkeitserklärung ist der Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen.

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Um eine Vergleichbarkeit mit der deutschen Rechtslage herstellen zu können, wäre eine noch genauere Differenzierung und Tatbestandsbeschreibung sicherlich hilfreich. Aber Ihre Antwort ist schon so ziemlich das Genaueste, was mir bisher bekannt wurde. Allerdings lag mein Fokus bisher auch nicht auf den spanisch/katalonischen Verhältnissen und den genauen Tatumständen. Die müssen ja konkret auf deutsche Verhältnisse übertragbar sein, um eine vergleichbare Strafbarkeit feststellen zu können.

Wenn wir jetzt als unstreitig festhalten, dass die Durchführung des Referendums nicht strafbar war, dann stellen sich zum Einsatz von staatlichen Geldern einige Fragen:

1. Ist es auch in Deutschland unter Strafandrohung gesetzlich verboten, staatliche Gelder für eine gerichtlich als rechtsunwirksam erklärte Abstimmung zu verwenden? Wenn ein solches gesetzliches Verbot existiert, dann liegt Untreue als objektiver Tatbestand vermutlich vor. Wer hat dann trotz dieses gesetzlichen Verbots den Einsatz der Gelder tatsächlich bestimmt? War mit der Entscheidung des Parlaments für ein Referendum quasi dessen Finanzierung aus dem Haushalt bereits vorgegeben oder war dies eine separate oder sogar vom Parlament unabhängige Entscheidung?   

2. Falls kein gesetzliches Verbot existiert: Auf welcher Rechtsgrundlage sollte in Deutschland die staatliche Finanzierung einer nicht verbotenen Abstimmung oder einer sonstigen ähnlichen Handlung als Untreue strafbar sein? Mir ist bekannt, dass es auch in Deutschland offizielle Abstimmungen gibt, deren Ergebnis als nicht rechtsverbindlich vorbestimmt ist. Ist hierzu eine staatliche Finanzierung in Deutschland unter Strafandrohung verboten?

3. Die Unabhängigkeitserklärung mag ebenso rechtsunwirksam sein, aber wo steckt darin bei klarer Rechtslage der Tatbestand der Gewalt, der sowohl bei Rebellion wie auch bei Hochverrat normiert ist? Sind konkrete Anordnungen getroffen worden oder schon mit der Erklärung automatisch verbunden, die eine konkrete Gewaltandrohung oder -ausübung darstellen?

4. Aus den Medien habe ich nur die Info, dass Puigdemont die Verursachung der Gewalt bei Tumulten an Abstimmungslokalen zugewiesen wird. Gab es während der Abstimmung eine offizielle katalonische Mobilmachung zur gewaltsamen Abwehr der Einsatzkräfte der Zentralregierung? War die Zentralregierung gesetzlich gezwungen oder nur ermächtigt mit Gewalt die Abstimmung zu verhindern? Hätte die Zentralregierung auf diese Einsätze verzichten können?

5. Wie ist "Eine Unabhängigkeitserklärung ist der Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen." ohne Gewaltandrohung verfassungsrechtlich zu bewerten. Kann in Deutschland ein Versuch, der schon per Definition gar nicht zum strafbaren erfolgreichen Ziel führen kann, wegen erfolglosem Versuch bestraft werden? Wenn dagegen ein Erfolg jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen war, dann musste Erfolg ja die (völkerrechtliche) Anerkennung der Unabhängigkeit und damit Legitimierung der Erklärung sein. Wenn dieses somit legitime Ziel also nicht unerreichbar war, dann kann es doch nicht unter Strafandrohung verboten sein.

Meine Vermutung: Das Problem der spanischen Zentralregierung ist, dass sie ohne rechtliche Not ein nicht verbotenes Referendum gewaltsam verhindern wollten und nun diese eigene Gewaltandrohung und -ausübung den Separatisten vorwerfen. Mit dem Versuch der gewaltsamen Verhinderung hat die Zentralregierung die Möglichkeit anerkannt, durch eine erfolgreiche Abstimmung "vollendete Tatsachen zu schaffen", also legitim die Unabhängikeit zu erklären. Andernfalls könnte sich die Vorgehensweise der Zentralkräfte zur Verhinderung der Abstimmung als illegitim und damit sogar als rechtswidrig herausstellen. Ich kann doch nicht mit Gewalt eine Legitimität verhindern, wenn diese Legitimität gar nicht erreichbar ist. Ist sie jedoch erreichbar, kann eine gewaltsame Verhinderung nicht legal sein.

Diese "spanischen" Auffassung von Recht und Legitimität wollen deutsche Politiker und Juristen als Rechtsgrundlage für Deutschland erklären? Das kann ja noch gar nicht lustig werden.           

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Am 27.3.2018 "wettete" Gast (wenn auch nur "fast") bereits in seinem Beitrag, dass der Fall beim BVerfG landen könnte. Er wird wohl recht behalten!

Der sehr erfahrene - wie ehemals prominente Richter - Verteidiger Wolfgang Schomburg will das Verfassungsgericht einschalten, falls Puigdemont nicht bald freigelassen werde; die politischen Gründe, die zum Erlass des Europäischen Haftbefehls geführt hätten, seien offensichtlich (Beitrag hier). Die Bundesregierung müsse von der ihr eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, die Auslieferung nicht zu bewilligen.

Das schreibt die LTO-Presseschau heute morgen:

Spanien – Carles Puigdemont: Laut Berichterstattung im Spiegel (Melanie Amann/Annette Bruhns u.a.) will die deutsche Regierung keine Einwände gegen eine etwaige Auslieferung Puigdemonts an die spanischen Behörden erheben. Die Rechtsanwälte des katalanischen Ex-Präsidenten Sören und Wolfgang Schomburg fordern dagegen von der Bundesregierung, die Auslieferung nicht zu bewilligen. Die Sa-FAZ (Helene Bubrowski) fasst die Argumente der Anwälte zusammen.

Die FAS (Livia Gerster) beschreibt noch einmal, wie es zur Festnahme Puigdemonts kam. Im Interview mit der Sa-Welt (Thorkit Treichel) wirft die abgesetzte Vertreterin Kataloniens, Marie Kapretz, in Berlin der spanischen Justiz vor, sie würde politischen Vorgaben folgen.

Der Völkerrechtler Nico Krisch meint im Sa-FAZ-Einspruch, dass sich möglicherweise das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen werden müsse, ob die Menschenrechte hier gewahrt wurden – wenn das Oberlandesgericht dem Auslieferungsersuchen stattgibt.

Ich denke, O.Garcia weist in seinem Blog auf wenig Beachtetes hin: "... nun hat auch die deutsche Justiz ihr „Katalonien-Problem“, ein Problem, das eine Reihe schwieriger Fragen nicht nur des Auslieferungsrechts, sondern auch des materiellen deutschen Strafrechts aufwirft.", "Das vom ersuchenden Staat als strafbar angegebene Verhalten muß im ersuchten Staat tatsächlich auch strafbar sein.", "Deshalb muß auch bei identischen Formulierungen und Verwendung gleicher Begriffe der ersuchte Staat die strafrechtliche Einordnung nach seinem eigenen Recht vornehmen."

Leider fokussiert O.Garcia aber dann nur auf die Frage, ob ein Auslieferung erfolgen könnte und in welchem Zeitrahmen dazu eine Prüfung stattfinden könnte. Nun wurde Puigdemont jedoch bereits verhaftet und dem Amtsrichter vorgeführt, der eine Festhalteanordnung traf. Dies obwohl es sehr fraglich ist, ob überhaupt ein anwendbares deutsches Strafgesetz vorliegt.

Die Verhaftung und Festhalteanordnung unterliegt genauso dem deutschen Recht wie eine eventuelle Auslieferung. Hat Deutschland nun einen politischen Häftling, für den es erst durch richterliches Nachdenken ein Gesetz "entwickeln" muss?

Zum spanischen Beschluss, als Grundlage des europäischen Haftbefehls, schreibt O.Garcia:

Der Beschluß macht aus dem Rebellionstatbestand ein uferloses politisches Gefährdungsdelikt...Hier reicht es, zu prüfen, ob ein solches Gewaltverständnis auch für § 81 StGB möglich ist.

Spätestens mit der Festhalteanordnung und weiteren Haft müsste dies durch einen deutschen Amtsrichter vorläufig bestätigt worden sein. Andernfalls hätte es keine Haftanordnung geben dürfen. Der Einwand eines "förmlichen Automatismus" wegen des europäischen Haftbefehls, wie von verschiedenen Seiten behauptet, müsste wohl für jeden Haftbefehl gelten. Warum sollte insoweit ein internationaler Haftbefehl mehr gelten als ein deutscher Haftbefehl.

Der Richtervorbehalt würde also mit dem Formalienargument als das enttarnt, was im nationalen Rahmen geleugnet wird. Wurde einmal ein Haftbefehl erwirkt, dann läuft in Deutschland ein formal getriebener Automatismus, der vom Beschuldigten selbst gestoppt werden muss, damit sich die Subsumption von Taten unter Strafgesetze nicht der nun angestrebten Verurteilung anpasst, was ggf. durch grenzwertige Auslegungsrethorik und manipulative Darstellung des Tatbestands und der Beweismittel revisionsfest formuliert wird. In dieser Reihenfolge handelt es sich dabei um vorsätzliche Rechtsbeugung, die aus einer sehr eigenen Sichtweise von Juristen als "Kunst" aufgefasst wird. Tatsächlich handelt es sich um eine Zwangsstörung, die aus zunächst unüberlegten oder rein williensgetriebenen frühen Handlungen und Entscheidungen, gepaart mit dem Unvermögen zur Fehlereinsicht und Selbstkorrektur, zum "konsistenten Ende" geführt werden muss. Koste es, was es wolle.

Insofern empfinde ich die Diagnose von O.Garcia, dass eine Entscheidung zur Klärung der Strafbarkeit noch eine längere Zeit in Anspruch nehmen könnte, als Zumutung. Ich verstehe nicht, warum die entscheidende juristische Frage nicht deutlich gestellt wird:

Warum und wie lange darf jemand in Deutschland inhaftiert werden, wenn man zwar seine Taten kennt, aber gar nicht weiß, ob diese Taten überhaupt strafbar sind?           

Es geht hier also um die grundsätzliche Frage, ob die deutsche Justiz und Juristerei überhaupt in der Lage ist, rechtsstaatlich zu denken und zu handeln.   

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Diese Soll-Frist (siehe O. Garcia) stellt sich dann, wenn die Verhaftung zulässig war. Wie kann aber eine Verhaftung ohne Kenntnis des geltenden Straftatbestands zulässig sein?

Die Wortkargkeit lässt den Verdacht aufkommen, dass "Nichts" gegen die juristische Unzulässigkeit der Inhaftierung und "Alles" für den Mangel am logischem Durchdenken spricht. Mir scheint das relativ einfach an wenigen Fragen zu klären:

1. Ist der europäische Haftbefehl in Deutschland höherwertiger als ein deutscher Haftbefehl? - Nein! D.h. ein europäischer Haftbefehl kann in Deutschland auch nur dann zulässig und gültig sein, wenn es auch ein deutscher Haftbefehl wäre.

2. Lägen die Voraussetzungen für einen deutschen Haftbefehl vor, hätte Puigdemon seine Handlungen in Deutschland vorgenommen? - Nein! D.h. ein deutscher Haftbefehl wäre rechtswidrig, solange vorab kein explizites deutsches Strafgesetz bekannt ist, das Puigdemont mit seinen Handlungen verletzt haben könnte. Die Tathandlung muss zwar vor der Verhaftung noch nicht bewiesen sein, aber deren Strafbarkeit muss bei Unterstellung der Tat bereits feststehen.

3. Kann ein in Deutschland offensichtlich unzulässiger Haftbefehl zu einer strafrechtlich begründeten Festhalteanordnung durch den Amtsrichter führen?       

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Als Antwort zu meiner 2. Frage taugt das wohl nicht. Zu prüfen ist ja nicht, ob die Tat in Spanien auch nach deutschem Recht strafbar ist, sondern wohl eher, ob eine gleichartige "gegen" Deutschland begangene Tat strafbar wäre und, nicht ganz zu vergessen, tatsächlich auch verfolgt würde.

Sehr informativ wäre es, aussagekräftige Daten der deutschen Staatsanwaltschaften zu haben, aus denen deren Praxis zur Strafverfolgung und zu üblichen Einstellungsgründen zu Taten mit ähnlichen oder viel gravierenderen politischen Wirkungen hervorginge. Es gibt ja dazu auch in Deutschland von Spekulationsbankenrettungen, Waffengeschäften, flächendeckender Verletzung von Bürgerrechten bis zu Militäreinsätzen der "Vorwärtsverteidigung" mit vielen Gewaltopfern eigentlich genügend Studienmaterial. Der Vergleich des gewöhnlichen Vorgehens in diesen Fällen mit dem Vorgehen im Fall Puigdemont könnte Einiges offenbaren. 

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LTO schreibt heute morgen:

OLG Schleswig  Puigdemont: Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig hat im Fall des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont Auslieferungshaft wegen Fluchtgefahr beantragt. Darüber muss nun das Oberlandesgericht Schleswig entscheiden. Auf einen noch nicht gestellten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft muss das Gericht dann auch über die Zulässigkeit der von Spanien begehrten Auslieferung entscheiden. Dort kommt es wohl vor allem darauf an, ob die von Spanien als Rebellion verfolgten Handlungen im deutschen Recht als Hochverrat einzustufen wären. Über die Rechtsfragen im Zusammenhang mit diesem Verfahren informieren FAZ (Helene Bubrowski/Peter Carstens),taz (Christian Rath),lto.de und im Interview mit zeit.de (Lisa Caspari) der Anwalt Nikolaos Gazeas.

Heribert Prantl (SZ) bedauert die OLG-Richter, weil sie mit dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) ein "erbärmliches" Gesetz anwenden müssten. Anhand von § 81 Nr. 4 IRG versucht Prantl zu belegen, dass das Gesetz gegen den "Grundsatz der Normenklarheit" verstoße.  Helene Bubrowski (FAZ) mahnt, bei aller Besorgnis um die spanische Rechtsstaatlichkeit solle nicht vergessen werden, dass Puigdemont "auch Gesetze verletzt und Urteile missachtet hat."

Spanien  Puigdemont: Schon vorige Woche hat der Anwalt von Carles Puigdemont in Spanien einen 85-seitigen Einspruch gegen die strafrechtlichen Vorwürfe eingelegt, berichtet spiegel.de. Die Vorwürfe der Rebellion und der Veruntreuung öffentlicher Gelder werden darin zurückgewiesen.

Der emeritierte Rechtsprofessor Ulrich K. Preuß analysiert auf verfassungsblog.de sehr ausführlich die spanischen Vorwürfe gegen Puigdemont. Preuß geht davon aus, dass das Unabhängigkeitsreferendum keine rechtliche Bedeutung hatte, weil das zugrundeliegende Gesetz durch das spanische Verfassungsgericht bereits aufgehoben worden war. Dass die katalanische und die spanische Führung das wohl anders verstanden haben, ändere nichts an diesem rechtlichen Befund. Preuß kritisiert auch den Haftbefehl wegen Rebellion, der von einem zweifelhaften Gewaltbegriff ausgehe und diesen nicht einmal erläutere.

In diesem Moment fängt auf Bayern 2 eine Radiosendung an zu diesem Thema. Der Sachverständige im Hörfunkstudio ist Prof. Heger. 

"Die Generalstaatsanwaltschaft ist zu weit gegangen" - so Strafrechtsexperte Nikolaos Gazeas
http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-04/carles-puigdemont-auslieferun...

Rückwirkungen auf die deutsche Rechtspraxis
https://www.heise.de/tp/features/Fall-Puigdemont-Rueckwirkungen-auf-die-...

Heribert Prantl von der SZ sieht das Problem im "erbärmlich schlechten deutschen Gesetz" zur Rechtshilfe (IRG) und fordert dessen richterliche Vorlage an den EGH zur Normenkontrolle.
http://www.sueddeutsche.de/politik/katalanischer-separatistenfuehrer-ueb...

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Die Diagnose von Heribert Prantl trifft nachweislich zu. § 22 IRG als Grundlage der Festhalteanordnung ist nicht nur ein "erbärmlich schlechtes Gesetz" sondern bereits vom BVerfG im Wortlaut als verfassungswidrig festgestellt. 2 BvR 1608/07

Eine Richtervorlage an den EGH zur Normenkontrolle müsste sich daher eigentlich erübrigen. Warum das BVerfG das Gesetz nicht dem Gesetzgeber vorgelegt bzw. diesen explizit zur Überarbeitung aufgefordert hat, ist eine offene Frage. Im Wissen um die Verfassungswidrigkeit hätten alle Verantwortlichen, also Politiker wie Juristen, die Pflicht, eine verfassungswidrige Anwendung auszuschließen. Wie sorgt man dafür, dass dies auch passiert und eine Unterlassung nicht mit "Nichtwissen" entschuldigt wird?

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Ich habe ein Problem mit Erwaegungsgrund 12 des Rahmenbeschlusses aus 2002:

(12) Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(7), insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann.

 

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Vielen Dank für die wichtigen Hinweise zum Rahmenbeschluss zum EU-Haftbefehl. Der in vielen öffentlichen Stellungnahmen zur Verhaftung von Puigdemont behauptete "zwingende Automatismus" des EU-Haftbefehls wird mit der Begründung unter (12)

Keine Bestimmung des vorliegenden Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, abzulehnen, wenn ...

unstreitig widerlegt. Und anschließend an Ihre Zitierung noch:

Der vorliegende Rahmenbeschluss belässt jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung

 

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Ich kann nicht erkennen, wieso der Rahmenbeschluss in der Entscheidung des OLG zum Tragen kommen soll. Gebunden ist das Gericht an das Gesetz. Das ist vorliegend zunächst das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und vorrangig §§ 78 ff. IRG. Der Rahmenbeschluss könnte allenfalls nur ergänzend als Auslegungshilfe herangezogen werden. An welcher Stelle der Prüfung sollte das dann in Betracht kommen?

 

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