Keine Lust den Gurt anzulegen?! Voraussetzungen für Befreiung werden eng gesehen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.10.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|5216 Aufrufe

Natürlich ist die Überschrift provokativ. Die Klägerin war wirklich krank. Sie hatte einen Port. Offenbar dadurch echte Probleme mit dem Gurt - jedenfalls machte sie dies geltend. Ihr Antrag auf Befreieung von der Gurtpflicht war aber dennoch nicht erfolgreich:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe: 

I.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf Befreiung von der Pflicht hat, während der Fahrt in einem Kraftfahrzeug den Sicherheitsgurt anzulegen.

Nach mehreren linksseitigen Brustoperationen und der rechtsseitigen Implantation eines Portkatheters befreite die Beklagte die Klägerin auf deren Antrag mit Bescheid vom 19. Juli 2017 bis zum 31. Oktober 2017 von der Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurts. Nachdem die Beklagte eine weitere Befreiung zunächst abgelehnt hatte, ließ die Klägerin beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Ziel einer Gurtbefreiung über den 31. Oktober 2017 hinaus erheben. Im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens verlängerte die Beklagte die Befreiung mit Bescheid vom 10. Januar 2018 bis zum 31. Januar 2018 und lehnte eine darüber hinaus gehende Befreiung ab.

Mit Urteil vom 9. April 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Eine Befreiung von der Gurtanlegepflicht aus gesundheitlichen Gründen sei nur in dringenden Ausnahmefällen und unter strengen Anforderungen an den Nachweis ihrer Notwendigkeit zulässig. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Nach der vom Gericht eingeholten ärztlichen Stellungnahme bestünden Probleme allenfalls aufgrund des Ports beim Anlegen des Gurts über die rechte Schulter, also auf oder hinter dem Beifahrersitz. Unproblematisch sei das Anlegen des Gurts über die linke Schulter. Es sei der Klägerin zumutbar, zur Vermeidung gesundheitlicher Probleme gegebenenfalls auf der Rückbank eines Fahrzeugsplatz zu nehmen. Unabhängig davon würden die gesundheitlichen Gefahren eines Unfalls ohne Sicherheitsgurt auch bei einer Fahrt auf dem Beifahrersitz die Folgen eines Unfalls mit angelegtem Sicherheitsgurt überwiegen. Die Bestätigung des Hausarztes der Klägerin, der mit der Implantierung des Ports nicht befasst gewesen sei, sei nicht ausschlaggebend und für die Behörde nicht bindend. Ein Befreiungsanspruch ergebe sich auch nicht aufgrund des erstmaligen Vorbringens im Klageverfahren, wonach die Klägerin jetzt nur noch 149 cm groß sei. Eine geringere Körpergröße als 150 cm sei nicht zur Überzeugung des Gerichts belegt. Da die Klägerin zuvor eine Körpergröße von 152 cm angegeben, eine Mitwirkung an einer Messung durch die Beklagte jedoch abgelehnt habe, gehe die Ungewissheit hinsichtlich ihrer Körpergröße zu ihren Lasten.

Zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil lässt die Klägerin vortragen, das Gericht habe verkannt, dass sich ihr Gesundheitszustand seit der Implantation des Ports massiv verschlechtert habe. Sie habe sich im Juli 2017 am Klinikum Augsburg einer schwerwiegenden Thoraxoperation unterzogen und verspüre dadurch verstärkt Schmerzen, insbesondere im gesamten Brustbereich. Ihren aktuellen Gesundheitszustand könne ihr Hausarzt, der die Befreiung von der Gurtpflicht am 16. Januar 2018 befürwortet habe, beurteilen. Dem vom Gericht befragten Arzt, der den Port eingesetzt habe, sei ihr aktueller Gesundheitszustand hingegen nicht bekannt. Das Gericht sei auf das Beweisangebot der Klägerin zur Befragung des Portherstellers und der Ärzte, die sie aktuell behandeln würden, nicht eingegangen und habe die vorliegenden Beweise fehlerhaft gewürdigt. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten sei auch ermessensfehlerhaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGH 59, 47/52; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367, StVO), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. Oktober 2017 (BGBl I S. 3549), müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt angelegt sein. Hiervon können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO). Eine Befreiung von der Gurtanlegepflicht ist nur in besonders dringenden Fällen, etwa bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen, und unter strengen Anforderungen an den vom Antragsteller zu erbringenden Nachweis ihrer Notwendigkeit zulässig (so auch NdsOVG, B.v. 26.2.2015 – 12 LA 137/14 – juris Rn. 6). Dabei verbleibt der Straßenverkehrsbehörde nach dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 Satz 1 StVO auch dann, wenn der Betreffende die in Rn. 97 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO vorgesehene ärztliche Bescheinigung beibringt, noch ein Ermessensspielraum (BVerwG, B.v. 8.2.2017 – 3 B 12.16 – NJW 2017, 1691 Rn. 3 zur insoweit vergleichbaren Befreiung gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO von der Schutzhelmpflicht für Motorradfahrer).

b) Wie die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zuletzt mit Schriftsatz vom 16. August 2018 klargestellt haben, begehrt die Klägerin die Gurtbefreiung nicht aufgrund einer Brustkrebserkrankung, sondern aufgrund der Entfernung von Organen und des Umstands, dass das Tragen eines Sicherheitsgurts aufgrund des implantierten Ports massive Schmerzen verursache. Der vom Verwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Stellungnahme vom 12. Dezember 2017 ist jedoch zu entnehmen, dass der Chefarzt der Chirurgie des Stiftungskrankenhauses N …, der den Port rechtsseitig implantiert hat, zwar eine Beschädigung des Ports durch einen darüber angelegten Gurt und eine Hämatombildung nach Abreißen bei einem Unfall für möglich hält, jedoch bei einer Gurtanlegung über die linke Brustseite „keine Probleme“ sieht. Auch der Hausarzt der Klägerin hat im Oktober des Jahres 2017 sowie nochmals am 16. Januar 2018 eine Befreiung „mindestens bis zum Entfernen des Ports“, nicht aber etwa aufgrund weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen befürwortet.

Hiervon ausgehend ist weder nachgewiesen noch ersichtlich, dass der Klägerin das Anlegen eines über die linke Schulter verlaufenden Gurts nicht zumutbar wäre. Gegenteiliges lässt sich auch nicht den von der Klägerin vorgelegten weiteren ärztlichen Bescheinigungen ihres Hausarztes entnehmen. Soweit diese nicht den Zusatz „mindestens bis zum Entfernen des Ports“ enthalten, stehen sie in Widerspruch zu Bestätigungen gleichen Datums (z.B. vom 16.1.2018, vorgelegt mit Schreiben vom 20.1.2018). Weitere Widersprüche ergeben sich etwa aus der ärztlichen Bescheinigung des Hausarztes der Klägerin vom 5. Juli 2017 („Es handelt sich um einen dauernden Zustand.“) und dessen Attest vom 18. Juli 2017, das eine vorübergehende Befreiung von der Anschnallpflicht für einen Zeitraum von zunächst drei Monaten befürwortet. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auf dieser Grundlage eine vollständige Befreiung über den bewilligten Zeitraum hinaus ablehnt.

c) Die Klägerin rügt auch zu Unrecht, das Verwaltungsgericht habe eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nicht berücksichtigt. Dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils lässt sich entnehmen, dass das Verwaltungsgericht sämtliche von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen, insbesondere auch die operativen Eingriffe im Jahr 2017, zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung gewürdigt hat. Das Gericht war jedoch nicht verpflichtet, weitere Stellungnahmen der behandelnden Ärzte oder des Portherstellers zur Notwendigkeit einer Befreiung einzuholen. Soweit die Klägerin dies vorgeschlagen hat, handelt es sich nicht um Beweisanträge im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO, deren Ablehnung einen zu begründenden Beschluss erfordert hätte, sondern um bloße Anregungen, im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entsprechend zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7; Geiger in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 26). Nachdem jedoch aus keiner der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen die Notwendigkeit einer Befreiung von der Gurtpflicht auch für das Anlegen des Gurts über die linke Schulter nachvollziehbar hervorgeht und der vom Ausgangsgericht hierzu befragte Chefarzt der Chirurgie des Stiftungskrankenhauses N* … das linksseitige Anlegen des Sicherheitsgurts vielmehr als unproblematisch ansieht, musste sich eine weitere Sachaufklärung dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen.

VGH München Beschl. v. 28.8.2018 – 11 ZB 18.1095, BeckRS 2018, 19984

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen