Noch einmal: Benachteiligung nach dem AGG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 30.10.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht18|7704 Aufrufe

Im medialen Schatten des "Egenberger"-Verfahrens (gestern hier im BeckBlog) hat das BAG die Entschädigungsklage eines bekannten AGG-Klägers (der es in einem anderen Verfahren auch schon einmal bis zum EuGH geschafft hatte) abgewiesen.

Beklagter war auch hier die Diakonie, genauer: ein Zusammenschluss der Träger diakonischer Arbeit in Mitteldeutschland. Er hatte im Juli 2011 eine Stelle für eine/n "Referentin/Referenten Arbeitsrecht (Jurist/in - allgemeine Rechtswissenschaften)" ausgeschrieben. Gefordert waren in der Ausschreibung neben der Befähigung zum Richteramt betriebswirtschaftliche Kenntnisse, vertiefte Kenntnisse im Arbeitsrecht und Steuerrecht, Kenntnisse des AVR in vergleichbarer Tiefe sowie Kenntnisse von Verbandsstrukturen und Institutionen der Freien Wohlfahrtspflege. "Erste Berufserfahrungen (3 Jahre)" wurden als  "wünschenswert" bezeichnet.

Ein erstes Bewerbungsverfahren wurde, nachdem die aus Sicht des Beklagten bestgeeignete Kandidatin abgesagt hatte, abgebrochen und die Stelle sodann erneut ausgeschrieben. Der Kläger wurde nicht berücksichtigt, er sieht sich wegen seiner Religion und seines Alters diskriminiert und hat Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens 14.820,88 Euro verlangt. Das ArbG Halle/Saale und das LAG Sachsen-Anhalt (Urt. vom 5.11.2015 - 3 Sa 405/13, im Landesportal von Sachsen-Anhalt hier verfügbar) haben die Klage ab- bzw. die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger verfüge nicht über die in der Stellenausschreibung geforderte Qualifikation und befinde sich daher nicht mit den eingeladenen Bewerberinnen und Bewerbern in einer "vergleichbaren Situation" (§ 3 Abs. 1 AGG). Die Revision blieb ohne Erfolg.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. November 2015 - 3 Sa 405/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

BAG, Urt. vom 25.10.2018 - 8 AZR 562/16, Sitzungsergebnis hier

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

18 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Tja, der Kommentar scheint von einem Betroffenen zu stammen, Dr. R aus R oder N.K. aus M. Gehaltvoll ist ja meist nur das Gejammert über die europarechtsfeindliche Gesinnung der Arbeitsrichter und die an 1933 ff. gemahnende Verfolgung der heldenhaften AGG-Klägerrecken

0

@Gast71: Nächste Woche gibts zum Ausgleich das Urteil des Hessischen LAG aus dem zurückverwiesenen EuGH-Verfahren, allerdings von Herrn Kollegen Stoffels, der im November mit Bloggen dran ist.

Aber auch ich vermag hier keinen fachlich relevanten Beitrag erkennen. Ich wüsste auch nicht, warum es jetzt auch bald einen ‚Ausgleich‘ bedürfe. Für was? Für wen? Und in welcher Form?

0

Ich wüsste auch nicht, warum es jetzt auch bald einen ‚Ausgleich‘ bedürfe. Für was? Für wen? Und in welcher Form?

Mit "Zum Ausgleich" meint Rolfs wohl, dass man demnächst eine schon lange ausstehende Entscheidung des Hessischen LAG (U. v. 18.6.2018 - 7 Sa 851/17) bringen kann, die zur Abwechslung mal wieder zugunsten des unbeirrt seit Jahren kämpfenden Klägers ausgegangen ist, vgl. hier.  Ich finde die Entscheidung aber bis heute nicht, weder in Juris oder Hessenrecht. Da weiß Rolfs also mehr als andere. Bin mal gespannt...

0

Der Beitrag lässt nicht erkennen, wieso dem Kläger die Eignung für die Stelle abgesprochen wurde. Jurist ist er offenbar, Erfahrung im Arbeitsrecht ist gegeben, sogar die gewünschte Berufserfahrung hat er. So, wie der Beitrag es dastehen lässt, wurde die Klage nur abgewiesen, weil man den Kläger schon kenne, m. E. aus willkürlichen Erwägungen heraus. Vermutlich steckt mehr dahinter. Aber der Beitrag referiert es leider nicht.

0

Siehe Blog-Beitrag, dritter Absatz:

Der Kläger verfüge nicht über die in der Stellenausschreibung geforderte Qualifikation und befinde sich daher nicht mit den eingeladenen Bewerberinnen und Bewerbern in einer "vergleichbaren Situation" (§ 3 Abs. 1 AGG).

Siehe mein Beitrag, erste zwei Sätze:

"Der Beitrag lässt nicht erkennen, wieso dem Kläger die Eignung für die Stelle abgesprochen wurde. Jurist ist er offenbar, Erfahrung im Arbeitsrecht ist gegeben, sogar die gewünschte Berufserfahrung hat er. "

Man beachte den Bedeutungsunterschied von "dass" und "wieso".

0

Die Urteilsgründe liegen jetzt hier vor, insbesondere:

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Zwar durfte das Berufungsgericht die Klage nicht mit der Begründung abweisen, der Kläger sei für die beim Beklagten zu besetzende Stelle als Referent Arbeitsrecht objektiv nicht geeignet gewesen und habe sich deshalb nicht in einer vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG mit den anderen Bewerbern befunden. Rechtsfehlerhaft ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch insoweit, als dieses angenommen hat, eine etwaige Ungleichbehandlung des Klägers wegen der Religion sei nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Sein Entschädigungsverlangen ist dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt.
...
§ 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG unter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht zugänglich und muss deshalb unangewendet bleiben (so auch Junker NJW 2018, 1850, 1852).
...
Wie der Beklagte in der Revision zu Recht geltend macht, ergibt eine Würdigung des Inhalts des Bewerbungsschreibens des Klägers, dass dieser es geradezu auf eine Absage des Beklagten angelegt, mithin eine Absage provoziert hat.

Ich meine, die arbeitsrechtliche Rechtsmissbrauchs-Rechtsprechung wird immer unmöglicher, vergifteter und unglaublicher. Das hier gegenständliche Argument der Absageprovokation schickt jeden Bewerber auf den schmalen Grad zwischen dem Betrugsvorwurf einerseits, weil er eine maßgebliche Tatsache nicht angegeben hat, und dem Rechtsmissbrauchsvorwurf andererseits, weil er zu viel Tatsachen angegeben hat. Was der Bewerber auch tut: Schwulitäten sind in jedem Falle vorprogrammiert, und das bei einem Gesetz, das es nach dem gesetzgeberischen Willen dem Bewerber besonders einfach machen sollte und bei einem Bewerber, der sich derzeit ohnehin seit Monaten gegen Betrugsvorwürfe verteidigen muss, sich also besonders ehrlich, also absageprovokant, verhalten muß.

Das Bundesarbeitsgericht hat es mit seiner unhaltbaren Rechtsprechung wirklich geschafft, dass das AGG rechtsstaatswidrig zu völlig willkürlichen und beliebigen Ergebnissen führt und jeden in welcher Form auch immer - in direkter Ansehung der Person - persönlich missliebigen Bewerber in jedem Fall irgendwie in den Abgrund reißt, wenn er sich darauf beruft. Unglaublich. Der Senat sollte geschlossen zurücktreten!

0

Es gibt auch vernünftige Urteile. Man sieht es. Und -  um mit Dr. Barey in je eZeitzu blicken - es gibt stets die Meinungsterroristen des Zeitgeistes, die ihnen unpassende Richter abservieren  möchten. Auch das sieht man.

Hallo, ist denn in der Zwischenzeit bekannt, wie das Strafverfahren gegen Herrn Kratzer vor dem OLG München ausging?

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Hofmann

0

Zundel (Die Entwicklung des Arbeitsrechts im Jahr 2019, NJW 2020, 131 [134]) hat sich kürzlich zu Recht gegen die Versuche ausgesprochen, Diskriminierungsklagen nach dem AGG zu kriminalisieren, wie es derzeit Kratzer geschieht:

"Metz [NZA 2019, 876; d. Verf.] ist gar der Auffassung, ein AGG-Hopper könne sich wegen Betrugs und Erpressung in Versuch oder Vollendung strafbar machen. Anknüpfungspunkt sei dabei nicht schon die Bewerbung, wohl aber das nachfolgend rechtsmissbräuchliche Verlangen eines Schadensersatzes oder einer Entschädigung. Die Geltendmachung von Forderungen beinhaltete gegebenenfalls die konkludente Täuschung, dass dem Anspruch keine rechtshindernden Einwendungen entgegenstünden. Tatsächlich bestehe aber der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB. Die Ernsthaftigkeit der Bewerbung sei zwar nicht mehr Anspruchsvoraussetzung, wohl aber Grundlage dieser Einwendung. Drohe der AGG-Hopper mit der gerichtlichen Geltendmachung, um seinem unberechtigten Verlangen Nachdruck zu verleihen, komme gar eine Strafbarkeit wegen versuchter Erpressung in Betracht.

Sehr überzeugend scheint dies indes nicht, denn nach dieser Auffassung müsste ja auch außerhalb des AGG die unberechtigte Geltendmachung von Forderungen jedenfalls dann strafbar sein, wenn dem Anspruchsteller die Zweifelhaftigkeit der Durchsetzbarkeit seiner Forderung klar sein müsste, was ja auch durchaus Auswirkungen auf die Anwaltschaft haben könnte."

Nirgendwo ist der Grat zwischen rechtlich zulässiger und rechtspolitisch erwünschter Diskriminierungsabwehr einerseits und Einstufung als kriminelles Verhalten andererseits schmaler als im AGG und nirgends muss man einem Diskriminierungsopfer mehr von der Durchsetzung gesetzlich garantierter Rechte abraten, wenn man ihn nicht der Tortur eines 40+x-tägigen Strafverfahrens, der Volatilität des Betrugstatbestandes und nicht auf der europarechtlichen Höhe der Zeit befindlicher einfältiger Strafgerichte und Staatsanwaltschaften aussetzen will.

Herr Koll. Kratzer wurde jetzt offenbar zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung veruteilt, vgl. bei LTO. Unglaublich, dass jetzt ein rein richterrechtliches Treu und Glauben und/oder Rechtsmissbrauch nicht nur (zur Not irgendwie erträgliche) zivilrechtliche Wirkung entfalten, sondern gleich zu einem Straftatbestand werden! Das Gesetz sieht eine Entschädigung vor, Richterrecht sagt Pustekuchen und verurteilt zu einer Krminalstrafe. Wo ist mein Rechtsstaat geblieben, von dem ich einmal gehört und gelernt habe und wegen dem ich einmal Jurist geworden bin?

Auf Ihre Schlussfrage Herr Dr. Rübenach 07-18   08:17: Ja, das ganze AGG hat mit "Rechtsstaat" nichts zu tn. Es ist in Papierform geronnene Ideologie. Innerhab des Ideolgie-Reigens des tobenden Wahnsnns fehlt selbst dort ja bisher der Klops it dem "dritten Geschlecht". Das gibt noch Späßchen, wenn sich da die "d"(dämlich) melden und Quoten begehren. - Im übrigen weiß ich ja nicht, wo und bei wem Sie gehört und gelernt haben. Blöd wäre es, wenn Sie Opfer eines Ordinarius wären, der die Sachqualifikation von Vorbringen nach "Jargon" beurteilt. Wir haben etwa im 2. Semester gehört, dass schon wegen § 823 Abs. 2 BGB Zivil- und Strafrecht eng beieinander sein können, wegen arglistiger Täuschung erst recht.

0

Kommentar hinzufügen