BGH: Zur Existenzvernichtungs- und Differenzhaftung bei Verschmelzung einer insolventen GmbH auf eine (zuvor) solvente GmbH

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 11.01.2019

Der BGH hat mit Urteil vom 6. November 2018 (II ZR 199/17) zur Frage Stellung genommen, ob die gezielte Verschmelzung einer insolventen auf eine zuvor solvente GmbH eine Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs oder nach § 9 GmbHG begründen kann. 

Insolvenz nach Verschmelzung mit zahlungsunfähiger GmbH 

Im zugrundeliegenden Fall befand sich die übertragende GmbH in den Händen eines Alleingesellschafters, der auch Mehrheitsgesellschafter der übernehmenden GmbH war. Die übernehmende GmbH erhöhte im Zuge der Verschmelzung ihr Stammkapital und gab neue Anteile an den Gesellschafter der übertragenden GmbH aus. Einige Monate nach der Verschmelzung wurde über das Vermögen der übernehmenden GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm mit der Behauptung, die übertragende GmbH sei bei Verschmelzung überschuldet und vorsätzlich auf die zuvor solvente GmbH verschmolzen worden, den Gesellschafter der übertragenden GmbH einerseits aus § 9 Abs. 1, § 56 Abs. 2 GmbHG, § 55 UmwG (Differenzhaftung) und andererseits – gemeinsam mit dem Minderheitsgesellschafter der übernehmenden GmbH – aus § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs in Anspruch. 

Keine Differenzhaftung bei GmbH-Verschmelzungen 

In seiner Entscheidung verneint der BGH zunächst die Möglichkeit einer Differenzhaftung nach § 9 Abs. 1 GmbHG. Dessen Anwendbarkeit auf Verschmelzungen werde durch § 55 Abs. 1 UmwG zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht vorgeschrieben. Auch gebe es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen originärem Anteilserwerb und Differenzhaftung. Maßgeblicher Grund für die Differenzhaftung sei vielmehr die etwa bei Gründung abgegebene Kapitaldeckungszusage eines anteilsübernehmenden Gesellschafters. Eine solche Zusage werde von den Gesellschaftern einer übertragenden GmbH bei der Verschmelzung nicht abgegeben. Sie lasse sich weder aus dem Verschmelzungsvertrag noch aus dem Verschmelzungsbeschluss ableiten. Die parallelen, vom BGH in einer früheren Entscheidung zu AG-Verschmelzungen angestellten Erwägungen (II ZR 302/05), seien auf GmbH-Verschmelzungen übertragbar. Eine Differenzhaftung sei in beiden Fällen ausgeschlossen. 

Existenzvernichtender Eingriff auch durch Erhöhung von Verbindlichkeiten möglich 

In Betracht komme dagegen eine Haftung aus § 826 BGB unter dem Gesichtspunkt der Existenzvernichtungshaftung. Denn der Entzug von Gesellschaftsvermögen, wie er nach den in der Rechtsprechung geprägten Grundsätzen für eine Haftung erforderlich sei, setze keinen Abfluss von Vermögenswerten aus der Gesellschaft voraus. Ein Entzug könne vielmehr auch durch die Erhöhung der Verbindlichkeiten bewirkt werden, wenn hierdurch zielgerichtet und zu betriebsfremden Zwecken die zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt werde. Der Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs werde in diesen Fällen durch die Finalität und die Betriebsfremdheit des Vermögensentzugs eingegrenzt und auf diese Weise auch von unternehmerischen Fehlleistungen abgegrenzt. 

Keine Existenzvernichtungshaftung bei reiner Schädigung der Gesellschaft 

Voraussetzung für eine Existenzvernichtungshaftung sei jedoch, dass ein Gesellschafter oder Dritter durch den Eingriff begünstigt werde. Eine reine Schädigung der Gesellschaft sei nicht ausreichend. Die Existenzvernichtungshaftung stelle eine das GmbH-Kapitalschutzsystem ergänzende Fallgruppe des § 826 BGB dar. Entsprechend lasse sich der Vorwurf der Sittenwidrigkeit des Vermögensentzugs nur aus solchen Umständen ableiten, die Ausdruck einer Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung und Kapitalbindung seien. Bei einer bloßen Schädigung bleibe jedoch eine anderweitige Haftung aus § 826 BGB (d. h. außerhalb der Existenzvernichtungshaftung) möglich.

Vorliegend habe sich eine Begünstigung des Gesellschafters der übertragenden GmbH aus einem Wertmissverhältnis zwischen den untergegangenen Anteilen an der übertragenden GmbH und den gewährten Anteilen an der übernehmenden GmbH ergeben können. Eine Missachtung des Prinzips der Vermögenstrennung könne ferner darin liegen, dass die beteiligten Gesellschafter die Verbindlichkeiten der übertragenden GmbH durch die Verschmelzung außerhalb eines geordneten Insolvenzverfahrens auf die übernehmende GmbH verlagert und so deren Insolvenz herbeigeführt hätten. Mangels instanzgerichtlicher Feststellungen hierzu verwies der Senat die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurück.

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"eine anderweitige Haftung aus § 826 BGB (d. h. außerhalb der Existenzvernichtungshaftung) möglich." Zitat Ende. Das wäre auch wünschenswert staatsrechtlich, soweit deutsche Haftung für Fremdschulden durch irgendwelche EUisierungen herbeigeführt werden. Bei 5/3 x B 11 sollte da wenigstens etwas zurückzuholen sein.

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